Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 48/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_48/2012

Urteil vom 22. August 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella,
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Zanotelli,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 17. November 2011.

Sachverhalt:

A.
Im November 2005 meldeten H.________ und I.________ ihren Sohn K.________ bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Abklärungen ergaben, dass
der Versicherte an einer angeborenen leichten spastischen Cerebral Palsy
(ICD-10 G80.0/GgV Zf. 390) und einer leichten Intelligenzminderung (ICD-10
F70.0) litt (Gutachten Dr. med. B.________, vom 31. Mai 2006). Im März 2007
reichte K.________ das Anmeldeformular zum Bezug von IV-Leistungen für
Erwachsene ein und ersuchte um Arbeitsvermittlung. Vom 20. August 2007 bis 19.
August 2009 absolvierte er im Rahmen einer IV-Anlehre die erstmalige berufliche
Ausbildung zum Verkaufshelfer im Reformhaus L.________. Im Bericht der
Institution vom 18. Juli 2009 wurde eine mögliche Präsenzzeit von 100 % bei
einer Leistungsfähigkeit von 60 % angegeben und das Erzielen eines Lohnes von
ca. Fr. 2'000.- bis 2'500.- als möglich erachtet. Ab 20. August 2009 war
K.________ bei der Arbeitslosenversicherung angemeldet. Mit Vorbescheid vom 26.
Oktober 2009 teilte ihm die IV-Stelle mit, er habe ab 1. August 2009 Anspruch
auf eine Viertelsrente (Invaliditätsgrad: 44 %). Dagegen erhob der Versicherte
Einwendungen und beantragte die Zusprechung mindestens einer Dreiviertelsrente.
Die IV-Stelle holte beim Geschäftsführer im Reformhaus L.________ ergänzende
Auskünfte ein. Am 25. Oktober 2010 verfügte sie im Sinne des Vorbescheids.

B.
Die Beschwerde des K.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 17. November 2011 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K.________
beantragen, der Entscheid vom 17. November 2011 sei aufzuheben und ihm eine
ganze Invalidenrente auszurichten.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht und die IV-Stelle verzichten auf eine
Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat keine Vernehmlassung
eingereicht.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid bestätigt die dem Beschwerdeführer verfügungsweise
zugesprochene Viertelsrente der Invalidenversicherung ab 1. August 2009.
Streitig und zu prüfen ist, ob Anspruch auf eine höhere Rente (ein Zweitel,
drei Viertel, ganze; Art. 28 Abs. 2 IVG) besteht (Art. 107 Abs. 1 BGG).

2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.
Die Vorinstanz ist im Sinne einer nicht offensichtlich unrichtigen Feststellung
davon ausgegangen, der Beschwerdeführer könne in der von ihm gelernten
Tätigkeit als Verkaufshelfer ein Pensum von 100 % ausüben und dabei eine
Leistung von 60 % erbringen. Diese Arbeitsfähigkeit habe er während seiner
zweijährigen IV-Anlehre deutlich unter Beweis gestellt. Neben dem im Bericht
des Lehrbetriebs vom 18. Juli 2009 beispielhaft erwähnten kleinen türkischen
Laden in familiärem Umfeld erschienen grundsätzlich auch andere Ladengeschäfte
als geeignete Arbeitsorte, etwa kleinere Filialen eines Grossverteilers mit
überschaubarer Belegschaft und der Möglichkeit, etwas intensiver betreut und
angeleitet zu werden als ein uneingeschränkt leistungsfähiger Mitarbeiter. Die
anders lautenden nachträglichen Beurteilungen der behandelnden Ärzte vermöchten
dies nicht zu entkräften und beruhten offensichtlich auf dem Umstand, dass der
Beschwerdeführer aufgrund seiner erfolglosen Stellensuche resigniert habe und
sich nicht für arbeitsfähig halte.

4.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61
lit. c ATSG) und als Folge davon eine offensichtlich unrichtige Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts durch die Vorinstanz. Das kantonale Gericht
habe die insbesondere in den Berichten des Medizinischen Zentrums Y.________
vom 7. Januar und 13. Dezember 2010 dokumentierte Verschlechterung des
Gesundheitszustandes seit Abschluss der IV-Anlehre im August 2009 mit
vollständiger Arbeitsunfähigkeit unberücksichtigt gelassen. Bei diesbezüglichen
Zweifeln hätte es zumindest zusätzliche Abklärungen veranlassen müssen.

5.
5.1 Die Vorinstanz hat die erwähnten fachärztlichen Berichte in die
Beweiswürdigung miteinbezogen und begründet, weshalb sie die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit im Bericht des Lehrbetriebs vom 18. Juli 2009 nicht zu
entkräften vermögen (vorne E. 3). Insoweit ist die Kritik des Beschwerdeführers
nicht stichhaltig (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Nichts gesagt hat die
Vorinstanz indessen zum entscheidenden Punkt, woraus sich offensichtlich
ergeben soll, dass die Beurteilung der behandelnden Ärzte darauf beruht, er
habe aufgrund seiner erfolglosen Stellensuche resigniert und halte sich nicht
für arbeitsfähig. In den Berichten vom 7. Januar und 13. Dezember 2010
jedenfalls fehlen diese eine solche Annahme stützende Anhaltspunkte. Die
Tatsache allein, dass der Beschwerdeführer nach Abschluss der IV-Anlehre im
August 2009 trotz Inanspruchnahme fachlicher Hilfe bei der Stellenbewerbung
erfolglos blieb, lässt einen solchen Schluss nicht zu.

5.2 Die Berichte des Medizinischen Zentrums Y.________ vom 7. Januar und 13.
Dezember 2010 stellen ein gewichtiges Indiz dar, dass sich der
Gesundheitszustand nach Beendigung der IV-Anlehre im August 2009 erheblich
verschlechtert und sich negativ auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt haben
könnte. In diesem Zusammenhang ist nicht rundweg von der Hand zu weisen, dass
lediglich dank der speziell günstigen Bedingungen im Lehrbetrieb die im Bericht
vom 18. Juli 2009 angegebene Leistung erbracht werden konnte. Eine
fachärztliche Abklärung erscheint auch deshalb angezeigt, weil eine solche
letztmals im Mai 2006, somit viereinhalb Jahre vor der Verfügung vom 25.
Oktober 2010 durchgeführt worden war (Gutachten Dr. med. B.________, vom 31.
Mai 2006). Die Invaliditätsbemessung von Vorinstanz und IV-Stelle beruht somit
nicht auf einer aktuellen medizinischen Beurteilung von Gesundheitszustand und
Arbeitsfähigkeit. Die erwähnten Berichte des Medizinischen Zentrums Y.________
stellen keine tragfähige Vergleichsbasis dar. Ebenfalls kontrastiert die
Feststellung der behandelnden Ärzte, es fehle "jegliche Kritikfähigkeit mit
unberechenbaren Aggressionsdurchbrüchen seit Jahren" mit dem Umstand, dass der
Beschwerdeführer in der Lage war, die IV-Anlehre als Verkaufshelfer zu
absolvieren.

5.3 Die IV-Stelle wird ein psychiatrisches Gutachten einzuholen haben und nach
allfälligen weiteren Abklärungen über den Anspruch des Beschwerdeführers auf
eine höhere als eine Viertelsrente neu verfügen. In diesem Sinne ist die
Beschwerde begründet.

6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. November 2011 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2010 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch des
Beschwerdeführers auf eine höhere als eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich
auferlegt.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die Gerichtskosten und
die Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren neu festzusetzen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. August 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler