Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 408/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_408/2012 {T 0/2}

Urteil vom 17. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Prof. Dr. iur. Hardy Landolt, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Glarus,
Burgstrasse 6, 8750 Glarus,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus
vom 18. April 2012.

Sachverhalt:

A.
L.________, geboren 1960, verfügt über einen Fähigkeitsausweis als Bäuerin. Sie
bewirtschaftete zusammen mit ihrem Ehemann einen Bauernhof und wurde zwischen
1981 und 1990 Mutter von fünf Kindern. Als Nebenerwerb spezialisierte sie sich
auf den Verkauf von Trockenblumen. Am 20. Februar 2001 meldete sie sich unter
Hinweis auf einen am 13. Januar 2000 erlittenen Herzinfarkt bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Glarus
führte erwerbliche und medizinische Abklärungen durch. Mit Verfügung vom 5.
März 2002 sprach sie L.________ eine ganze Invalidenrente nebst Kinderrenten zu
und bestätigte diesen Anspruch revisionsweise am 15. Januar 2004
(Invaliditätsgrad von 79 %). Im Februar 2008 leitete die IV-Stelle ein weiteres
Revisionsverfahren ein. Mit Vorbescheid vom 16. Januar 2009 stellte sie die
Aufhebung der Invalidenrente in Aussicht (Invaliditätsgrad von 30 %). Ende
April 2010 übergaben L.________ und ihr Ehemann den Landwirtschaftsbetrieb
einem Sohn. Den Verkauf von Trockenblumen übernahm eine Tochter, wobei
L.________ weiterhin - zusammen mit der Tochter - in diesem Bereich
teilzeitlich tätig blieb. Nachdem L.________ gegen den Vorbescheid Einwände
hatte erheben lassen, führte die IV-Stelle erneute Abklärungen durch und
bestätigte mit Verfügung vom 16. September 2011 die Rentenaufhebung.

B.
L.________ führte dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Glarus, welches diese mit Entscheid vom 18. April 2012 teilweise guthiess und
in Abänderung von Ziffer 1 Dispositiv der angefochtenen Verfügung L.________
eine Viertelsrente zusprach.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt L.________ die
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und die Rückweisung an das kantonale
Gericht zu neuem Entscheid beantragen.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann die Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG) sowie wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

1.2 Bei der Bestimmung der für die Bemessung des Invaliditätsgrades
massgebenden hypothetischen Einkommen ist als Rechtsfrage frei überprüfbar, ob
sie auf der Grundlage statistischer Durchschnittslöhne zu ermitteln sind, und
welches die massgebliche Tabelle ist (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Frei
überprüfbare Rechtsfrage ist auch die getroffene Wahl der massgeblichen Stufe
(Anforderungsniveau 1+2, 3 oder 4) beim statistischen Lohnvergleich auf der
Grundlage der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik (SVR
2008 IV Nr. 4 S. 9 [Urteil I 732/06 vom 2. Mai 2007 E. 4.2.2]).

2.
Die Beschwerdeführerin rügt einzig noch die Festsetzung des Valideneinkommens.
Unbestritten ist insbesondere, dass sie vor Eintritt des Gesundheitsschadens zu
80 % erwerbstätig war (70 % im Trockenblumenbereich, 10 % im
Landwirtschaftsbetrieb), während der Haushaltsanteil 20 % betrug.

2.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Definition der Invalidität (Art.
7 Abs. 1 und 8 Abs. 1 ATSG) und die geltenden Rentenabstufungen (Art. 28 Abs. 2
IVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Korrekt ist insbesondere,
dass nach Art. 28a Abs. 3 IVG bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig
sind (...), für diesen Teil die Invalidität nach Art. 16 ATSG
(Einkommensvergleich) festgelegt wird. Nach den zutreffenden Erwägungen der
Vorinstanz hat der Einkommensvergleich in der Regel in der Weise zu erfolgen,
dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau
ermittelt und einander gegenübergestellt werden, worauf sich aus der
Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad bestimmen lässt. Insoweit die
fraglichen Erwerbseinkommen ziffernmässig nicht genau ermittelt werden können,
sind sie nach Massgabe der im Einzelfall bekannten Umstände zu schätzen und
sind die so gewonnenen Annäherungswerte miteinander zu vergleichen. Lassen sich
die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen nicht zuverlässig ermitteln oder
schätzen, so ist in Anlehnung an die spezifische Methode für Nichterwerbstätige
(Art. 27 IVV) ein Betätigungsvergleich anzustellen und der Invaliditätsgrad
nach Massgabe der erwerblichen Auswirkungen der verminderten Leistungsfähigkeit
in der konkreten erwerblichen Situation zu bestimmen.

2.2 Eine gesetzliche Regelung, welche Bemessungsmethode anzuwenden ist, gibt es
nicht. Die Wahl der Methode hängt insbesondere davon ab, ob sich die
hypothetischen Erwerbseinkommen zuverlässig schätzen lassen (allgemeine
Methode) oder nicht (ausserordentliche Methode). Den Durchführungsstellen kommt
bezüglich der Auswahl der Methode ein gewisser Spielraum zu (Urteil 9C_424/2012
vom 7. November 2012 E. 5.3).

3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, die Versicherte hätte ihren Trockenblumen-Laden ohne
gesundheitliche Beeinträchtigung nicht verkauft, weshalb das Valideneinkommen
aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Blumenladen von 80 %
festzusetzen sei. Weil der erzielte Gewinn von Jahr zu Jahr unterschiedlich
ausfalle bzw. ausgefallen sei und der Gewinn des Trockenblumengeschäftes als
Nebenerwerb zum Ergebnis des Landwirtschaftsbetriebes beigetragen habe, so dass
nicht gesagt werden könne, der Gewinn aus dem Blumengeschäft entspreche dem
exakten Einkommen der Versicherten (woran auch die Hofübergabe an den Sohn
nichts geändert habe), sei eine hinreichend genaue Bezifferung des Einkommens
aus Landwirtschaftsbetrieb und Blumenladen nicht möglich. Die
Beschwerdegegnerin habe deshalb im Grundsatz zu Recht auf statistische
Durchschnittslöhne abgestellt. Weil die Versicherte für die Tätigkeit im
Blumenladen keine Ausbildung absolviert habe und im verarbeitenden Gewerbe eher
unterdurchschnittliche Löhne gezahlt würden, sei auf die Tabelle TA1 der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2008, Anforderungsniveau 4
(Totalwert), abzustellen. Für 2008 ergäbe sich so ein Jahreslohn von Fr.
49'392.-, aufgerechnet auf das Jahr 2010 resultiere bei einem Pensum von 80 %
ein Valideneinkommen von Fr. 42'292.80.

3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe einerseits im
Landwirtschaftsbetrieb ihres Ehemannes mitgearbeitet, anderseits ein
eigenständiges Blumengeschäft betrieben. Es sei ihr folglich ein Anteil am
Gewinn des Landwirtschaftsbetriebes und der gesamte Gewinn des Blumengeschäfts
anzurechnen. Den Anteil am Gewinn des Landwirtschaftsbetriebs ihres Ehemannes
habe die Vorinstanz in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nicht
festgestellt. Werde auf Tabellenlöhne abgestellt, sei die Einstufung in das
Anforderungsniveau 4 unzulässig, weil sie ausgebildete Bäuerin sei und die
Tätigkeit im Blumengeschäft, welches sie durch Kreativität und feines
Marktgespür aufgebaut habe, nicht als einfache, repetitive Tätigkeit
qualifiziert werden dürfe. Auszugehen wäre jedenfalls vom Anforderungsniveau 3.

4.
Die IV-Stelle und die Vorinstanz (bis ins Jahr 2010 aufindexiert) bezifferten
das Valideneinkommen gestützt auf die LSE. Dies ist aus folgenden Gründen nicht
zu beanstanden:

4.1 Anlässlich der erstmaligen Rentenzusprache führte die Beschwerdegegnerin
eine berufliche Abklärung vom 8. November 2001 durch. Diese ergab einen Ertrag
aus dem (Trocken-) Blumengeschäft im Jahr 1997 von Fr. 22'464.- (bei einem
Pensum von 70 %) und ein Einkommen aus der Mitarbeit in der Landwirtschaft von
Fr. 1'818.- (Pensum: 10 %). Nach dem Jahr 1998, in welchem der Gewinn auf dem
Konto Blumen Fr. 65'102.01 betragen hatte, wurde während Jahren keine
"richtige" Buchhaltung mehr geführt, wie die Versicherte gegenüber der
Abklärungsperson der IV angab und was von der nachmaligen Treuhänderin am 1.
Februar 2009 bestätigt wurde. Wenn die Vorinstanz - sinngemäss - erwog, die
(wenigen) aktenkundigen Zahlen betreffend die Jahre 1997 und 1998 wiesen grosse
Schwankungen auf und erlaubten keine verlässliche Aussage zum (hypothetischen)
Valideneinkommen der Beschwerdeführerin, ist dies nicht bundesrechtswidrig.
Unbestritten floss der Erlös aus dem Blumenverkauf in die Buchhaltung des
Landwirtschaftsbetriebes ein. Damit ist die Feststellung der Vorinstanz,
Blumengeschäft und Landwirtschaftsbetrieb könnten nicht losgelöst voneinander
betrachtet werden, weil der Gewinn des Blumengeschäfts zum Ergebnis des
Landwirtschaftsbetriebes beigetragen habe, nicht offensichtlich unrichtig. Ob
eine buchhalterische Trennung möglich wäre, ist aus nachfolgend dargelegten
Gründen (E. 4.2 hienach) nicht entscheidwesentlich.

4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe das hypothetische
Valideneinkommen (auch) insoweit nicht mit der erforderlichen Exaktheit
ermittelt, als es den auf sie entfallenden Anteil am Gewinn des
Landwirtschaftsbetriebes nicht festgestellt habe. Diese Rüge ist bereits
deshalb unbegründet, weil nach den unbestritten gebliebenen, letztinstanzlich
verbindlichen Feststellungen des kanto-nalen Gerichts die Versicherte ohne
Gesundheitsschaden im Zeitpunkt des Verfügungserlasses mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf dem Hof tätig gewesen wäre, sondern ihre
Kapazitäten im Blumengeschäft (sowie im Haushalt) eingesetzt hätte. Mit Blick
auf die per Ende April 2010 - und damit vor Verfügungserlass - erfolgte
Betriebsübergabe an den Sohn wäre ohnehin nicht mehr die ausserordentliche
Bemessungsmethode anwendbar gewesen, sondern es hätte (auch) mit Bezug auf die
vormalige landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit ein Einkommensvergleich
durchgeführt werden müssen (Urteil 9C_424/2012 vom 7. November 2012 E. 5.3 mit
Hinweisen auf die Urteile 9C_116/2012 vom 15. März 2012 E. 3.2 und I 260/09 vom
17. August 1008 E. 3). Wenn das kantonale Gericht den erwerblichen
Invaliditätsgrad gesamthaft nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs gestützt auf Tabellenlöhne ermittelte, verletzte es kein
Bundesrecht. Für die beantragte Rückweisung zur Feststellung des auf die
Versicherte entfallenden Gewinns aus dem Landwirtschaftsbetrieb besteht kein
Raum.

4.3 Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz dadurch Bundesrecht verletzt hat, dass
sie die Tätigkeit im Trockenblumenbereich im Anforderungsniveau 4 (einfache und
repetitive Tätigkeiten) ansiedelte. Es ist unbestritten, dass die Versicherte
über einen Fähigkeitsausweis als Bäuerin und somit in diesem Bereich über
Berufs- und Fachkenntnisse verfügt. Fraglich und anhand der Akten nicht zu
beantworten ist indes, inwiefern sie auf dem Gebiet der (Trocken-) Blumen
qualifizierte Fachkenntnisse besitzt, die ein Abstellen auf das
Anforderungsniveau 3 rechtfertigten (vgl. dazu etwa Urteil 8C_907/2011 vom 30.
Juli 2012 E. 6.2 mit Hinweis). Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben.
Entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen soll - mit Blick auf die spezifische
Tätigkeit - den unterdurchschnittlichen Einkommensmöglichkeiten im
"verarbeitenden Gewerbe" nicht mit einem geringeren Anforderungsniveau Rechnung
getragen werden. Vielmehr ist - auch im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen
(vgl. z.B. Urteil I 285/04 vom 29. September 2004 E. 5.1) - innerhalb der
Lohnstatistik nicht der Totalwert, sondern der Wirtschaftszweig "Detailhandel
und Reparatur" heranzuziehen. Ausgehend von einer durchschnittlichen
Arbeitszeit im Handel und Reparaturgewerbe (Sektor 3) von 41,7 Wochenstunden in
den Jahren 2007 bis 2010 (Die Volkswirtschaft 6/2012 Tabelle B9.2 S. 94) ergibt
sich im Anforderungsniveau 3 bei einem Pensum von 80 % ein relevantes
hypothetisches Validenein-kommen von Fr. 42'594.- im Jahr 2008 bzw. Fr.
43'835.79 im Jahr 2010 (Die Volkswirtschaft 6/2012 Tabelle B10.2 S. 95: 2009: +
2,2 %; 2010: + 0,7 %). Im Vergleich mit dem letztinstanzlich unbestritten
gebliebenen Invalidenlohn von Fr. 21'959.70 resultiert ein Invaliditäts-grad
von 49,9 % bzw. ein erwerblicher Teilinvaliditätsgrad von 39,9 % (49,9 % x
0,8). Unbestritten geblieben ist der Invaliditätsgrad im Haus-halt von 8,5 %.
Damit beträgt der gesamthafte Invaliditätsgrad 48,4 % (39,9 % + 8,5 %) und es
bleibt im Ergebnis bei der vorinstanzlich zugesprochenen Viertelsrente.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
Prozessausgang entsprechend der Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle