Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 387/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_387/2012

Urteil vom 26. September 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht,
Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
unentgeltlicher Rechtsbeistand,
vorinstanzliches Verfahren,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 8. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
M.________, Advokat, praktiziert als Rechtsanwalt bei der Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband. Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor dem
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
beantragte er für seinen Mandanten die Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung und Verbeiständung (Beschwerde vom 23. Mai 2011). Mit Verfügung
vom 27. Juli 2011 entsprach das Kantonsgericht diesem Begehren und ersuchte
M.________ am 24. Oktober 2011 um Einreichung der detaillierten Honorarnote.
Dieser Aufforderung kam M.________ am 14. November 2011 nach, wobei er als
letzte Honorarposition für "Studium Urteil und Nachbesprechung" einen
Zeitaufwand von 1,5 Stunden geltend machte.

B.
Mit Entscheid vom 8. Dezember 2011 richtete das Kantonsgericht M.________
zufolge Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung ein Honorar aus, ohne
den Zeitaufwand für das Studium des Entscheides und die Nachbesprechung zu
berücksichtigen.

C.
M.________ führt u.a. in eigenem Namen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt insbesondere die Rückweisung der Sache an das
kantonale Gericht zu neuem Entscheid über seinen Honoraranspruch.
Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Soweit sich der Beschwerde führende Rechtsanwalt gegen die von der Vorinstanz
zugesprochene Entschädigung für seine Tätigkeit als unentgeltlicher
Rechtsvertreter wendet, ist er als unentgeltlicher Rechtsbeistand legitimiert,
in eigenem Namen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu führen
(Art. 89 Abs. 1 BGG; z.B. Urteil 9C_284/2012 vom 18. Mai 2012 E. 1 mit
Hinweis). Insofern ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Die Bemessung der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes im
kantonalen Verfahren ist mangels bundesrechtlicher Bestimmungen dem kantonalen
Recht überlassen (BGE 131 V 153 E. 6.1 S. 158; Kieser, ATSG, N 92 zu Art. 61
ATSG), mit welchem sich das Bundesgericht unter Vorbehalt der in Art. 95 lit.
c-e BGG genannten Ausnahmen grundsätzlich nicht zu befassen hat. Eine
Bundesrechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG liegt vor, wenn die
Anwendung kantonalen Rechts, sei es wegen seiner Ausgestaltung oder aufgrund
des Ergebnisses im konkreten Fall, zu einer Verfassungsverletzung führt. Im
Bereich der nach kantonalem Recht zuzusprechenden und zu bemessenden
Parteientschädigungen, und damit namentlich auch der Entschädigung des
unentgeltlichen Rechtsbeistandes, fällt praktisch nur das Willkürverbot (Art. 9
BV) in Betracht (vgl. das bereits zitierte Urteil 9C_284/2012 vom 18. Mai 2012
E. 2 mit Hinweis; zu dessen Voraussetzungen: BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17).

2.2 Dem erstinstanzlichen Gericht ist bei der Bemessung der Entschädigung
praxisgemäss ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen (vgl. die
Zusammenfassung der Rechtsprechung in SVR 2000 IV Nr. 11 S. 31, I 308/98 E.
2b). Das Bundesgericht greift nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise
überschritten worden ist und wenn Bemühungen nicht honoriert werden, die
zweifelsfrei zu den Obliegenheiten eines amtlichen Vertreters gehören (BGE 118
Ia 133 E. 2d S. 136).

3.
3.1 Wird der bedürftigen Partei ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt,
übernimmt dieser eine staatliche Aufgabe und tritt zum Staat in ein
Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf
Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Vorschriften hat (BGE 122 I
1E. 3a; 117 Ia 22 E. 4a mit Hinweisen). Der amtlich bestellte Rechtsbeistand
darf sich von der verbeiständeten Partei nicht entschädigen lassen und ist
insbesondere auch nicht befugt, sich eine zusätzliche Entschädigung zu
derjenigen auszahlen zu lassen, welche er vom Staat erhält; eine Bezahlung
durch die verbeiständete Partei ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die
öffentlich-rechtliche Entschädigung nicht einem vollen Honorar entspricht.
Verstösst der unentgeltliche Rechtsbeistand gegen diesen Grundsatz, macht er
sich disziplinarrechtlich verantwortlich.

3.2 Der Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand umfasst nicht alles, was
für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten von Bedeutung ist. Ein
verfassungsrechtlicher Anspruch besteht gemäss Art. 29 Abs. 3 BV vielmehr
einzig, soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist. Der Begriff der
Notwendigkeit bestimmt nicht nur den qualitativen Anspruch (die Bestellung
eines Rechtsbeistands), sondern auch den quantitativen (den Umfang der
Vergütung). Entschädigungspflichtig sind jene Aufwendungen, die in einem
kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Prozess stehen und
notwendig und verhältnismässig sind. Nur in diesem Umfang lässt es sich
rechtfertigen, die Kosten der Staatskasse oder gegebenenfalls dem Prozessgegner
aufzuerlegen. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird es deshalb
beispielsweise als zulässig erachtet, das Honorar für amtliche Mandate im
Vergleich zu demjenigen für freie Mandate tiefer anzusetzen (BGE 132 I 201 E.
7.3.4 S. 209 und 8.6 S. 217), wobei die Entschädigung so festzusetzen ist, dass
der unentgeltlichen Rechtsvertretung ein Handlungsspielraum verbleibt und das
Mandat wirksam ausgeübt werden kann (Urteil des Bundesgerichts 6B_130/2007 vom
11. Oktober 2007 E. 3.2.5).

3.3 Sofern die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung gegeben sind, hat der Staat ab Einreichung des Gesuchs die
Kosten der Verbeiständung zu übernehmen. Mit Bezug auf die Ansprüche vor der
Verleihung des öffentlich-rechtlichen Mandats hat das Bundesgericht
entschieden, dass der Staat den Anspruch des Rechtsbeistandes nicht erst auf
den Zeitpunkt der Gesuchsbewilligung beziehen darf, sondern die unentgeltliche
Verbeiständung bereits Wirkung auf die anwaltlichen Bemühungen für die
gleichzeitig mit dem Gesuch eingereichte Rechtsschrift entfaltet. Selbst wenn
keine weiteren Prozesshandlungen mehr erforderlich sind, kann die
unentgeltliche Verbeiständung daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden,
es bedürfe der Bestellung eines unentgeltlichen Vertreters nicht mehr, weil
dessen Arbeit bereits geleistet sei (BGE 122 I 322 E. 3b S. 325 f.). Erhebt ein
Anwalt im Rahmen einer amtlichen Vertretung Anspruch auf Deckung seiner
sämtlichen getroffenen anwaltlichen Vorkehren, verstösst er auch nicht gegen
das bundesrechtliche Gebot der sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung
im Sinne von Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die
Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA [SR 935.61];
Urteil 2C_379/2009 vom 7. Dezember 2009 E. 3.1 mit Hinweis auf 2C_783/2008 vom
4. Mai 2009 E. 2.9).

4.
Weder Art. 61 lit. f ATSG noch die kantonale Tarifordnung für Anwältinnen und
Anwälte vom 17. November 2003 (in Kraft seit 1. Januar 2004; SGS Nr. 178.112)
enthalten eine explizite Regelung betreffend den im Anschluss an den kantonalen
Gerichtsentscheid anfallenden Aufwand, insbesondere das Studium eines
Entscheides und die Schlussbesprechung mit der Klientschaft. Soweit das
kantonale Gericht diese Lücke dahingehend füllte, als es lediglich unter
Hinweis auf seine ständige Praxis den Zeitbedarf für Urteilsstudium und
Nachbesprechung unberücksichtigt liess, ist der angefochtene Entscheid in
Begründung und Ergebnis willkürlich. Nachprozessuale Leistungen, welche in
offensichtlichem Zusammenhang mit dem Mandat stehen, sind eindeutig von einem
einheitlichen Anwaltsmandat umfasst. Es ist insbesondere nicht ersichtlich,
weshalb dieser Aufwand anders zu behandeln wäre als die vor Verleihung des
öffentlich-rechtlichen Mandats erbrachten Leistungen, die in den dargelegten
Grenzen ebenfalls vom Staat zu entschädigen sind (E. 3.3 hievor). Dies trifft
namentlich auf das Studium eines Entscheides und dessen Besprechung mit der
Klientschaft zu, welche im Hinblick auf einen allfälligen Instanzenzug
unerlässlich sind zur wirksamen Ausübung des Mandats, wie der Beschwerdeführer
zu Recht vorbringt. Das Mandat und damit auch die bewilligte unentgeltliche
Vertretung werden insoweit verlängert, ohne dass hiefür ein neuer Auftrag
erteilt werden müsste und der Anspruch auf unentgeltliche Vertretung erneut zu
prüfen wäre (vgl. auch Urteil 4P.94/2003 vom 11. Juli 2003 E. 3.4). Dass der
Aufwand für die Nachbearbeitung zum Zeitpunkt der Bewilligung der
unentgeltlichen Verbeiständung noch nicht im Einzelnen feststeht, ändert
nichts, steht doch dem kantonalen Gericht bei der Prüfung der Angemessenheit
einer Honorarnote praxisgemäss ein weiter Ermessensspielraum zu (E. 3.2
hievor). Im Zeitpunkt seines Entscheides dürfte es einem kantonalen Gericht in
diesem Rahmen ohne weiteres möglich sein, die Angemessenheit des vom
Rechtsvertreter prognostisch veranschlagten nachprozessualen Aufwandes in
rechtsgenüglicher Weise zu überprüfen.

5.
Von der Erhebung von Gerichtskosten ist abzusehen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).
Der im Streit um die Erhöhung des Honorars als unentgeltlicher Rechtsbeistand
obsiegende Rechtsanwalt hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (BGE 125 II
518; Urteile 5A_168/2012 vom 26. Juni 2012 E. 6, 9C_735/2011 vom 22. Juni 2012
E. 6, 8C_676/2010 vom 11. Februar 2011 E. 6, 6B_136/2009 vom 12. Mai 2009 E. 5,
8C_757/2007 vom 29. Oktober 2008 E. 6).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird, soweit sie die Höhe des Honorars betrifft, gutgeheissen,
und Ziffer 3 Dispositiv des Entscheides des Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 8. Dezember 2011, wird aufgehoben.

2.
Die Sache wird an das kantonale Gericht zurückgewiesen, damit es die
Entschädigung des Rechtsvertreters im Sinne der Erwägungen neu festsetzt.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Basel-Landschaft wird verpflichtet, Advokat M.________ für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Basel-Landschaft und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. September 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle