Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 386/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_386/2012

Urteil vom 18. September 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
D.________,
vertreten durch Advokat Stephan Müller,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 8.
Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
A.a D.________, geboren 1958, arbeitete seit März 1985 als Monteur in der Firma
X.________ AG. Am 17. November 1999 meldete er sich unter Hinweis auf
chronische panvertebrale Schmerzen, bestehend seit 1997, bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Berufsberatung, Arbeitsvermittlung)
an. Die IV-Stelle Basel-Landschaft holte einen Bericht ein des Dr. med.
M.________, Innere Medizin FMH, vom 10. Dezember 1999, dem weitere medizinische
Beurteilungen beilagen. Sie veranlasste eine Beurteilung durch die BEFAS
Berufliche Abklärungsstelle, Y.________ (Bericht vom 20. September 2000) und
eine psychiatrische Exploration durch Dr. med. W.________, Spezialarzt für
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 2. Januar 2001 (Explorationsgespräch
vom 6. Dezember 2000). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verfügte die
IV-Stelle am 26. Juli 2001 die Zusprechung einer ganzen Rente ab 1. Januar
2000. Diesen Leistungsanspruch bestätigte sie revisionsweise mit Mitteilung vom
29. Mai 2005.
A.b Im Rahmen eines im Juni 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens holte die
IV-Stelle einen neuerlichen Bericht des Dr. med. M.________ vom 6. Juli 2009
ein, dem wiederum weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren, und gab bei
Dr. med. W.________ ein Folgegutachten vom 25. Oktober 2009
(Explorationsgespräch vom 23. September 2009) in Auftrag. Am 15. November 2009
beantwortete Dr. med. W.________ Zusatzfragen. In der Folge liess die IV-Stelle
D.________ bei Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Rheumatologie,
Physikalische Medizin und Rehabilitation, begutachten (Expertise vom 6. Mai
2010). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren, in dessen Rahmen D.________
einen Bericht der Dr. med. L.________, Praxis med. pract. E.________,
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 9. September 2010, ins Recht legen
liess, verfügte die IV-Stelle am 6. April 2011 die Aufhebung der Invalidenrente
(bei einem Invaliditätsgrad von 34 %) auf Ende des der Verfügungszustellung
folgenden Monats.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des D.________, mit welcher er unter Aufhebung
der angefochtenen Verfügung die Verpflichtung der IV-Stelle beantragte zur
vorgängigen Prüfung der Selbsteingliederungskompetenz und allfälliger
Eingliederungsmassnahmen, sowie die Zusprechung mindestens einer halben
Invalidenrente nach Beendigung der Eingliederungsmassnahmen, wies das
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, mit
Entscheid vom 8. Dezember 2011 ab. Die beantragte unentgeltliche Prozessführung
und Verbeiständung bewilligte es.

C.
D.________, vertreten durch Advokat Stephan Müller, und dieser selbst führen
gemeinsam Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit
folgenden Rechtsbegehren:

"1. Es sei das Urteil der Vorinstanz vom 08.12.2011 aufzuheben und an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über den Rentenanspruch und das Honorar
aus unentgeltlicher Verbeiständung neu entscheide.

2. Eventualiter sei:

a) dem Beschwerdeführer 1 eine halbe Invalidenrente zuzusprechen und

b) die Vorinstanz zu verpflichten, dem Beschwerdeführer 2 zufolge Bewilligung
der unentgeltlichen Verbeiständung für das vorinstanzliche Verfahren ein
Honorar von CHF 2'160.00 zuzüglich Auslagen von CHF 88.00 und 8% MWSt aus der
Gerichtskasse auszurichten.

3. Es sei dem Beschwerdeführer 1 die unentgeltliche Prozessführung zu
bewilligen und er sei von allfälligen Vorschuss- und SIcherheitsleistungen zu
befreien. Zudem sei ihm die unentgeltliche Rechtsverbeiständung durch den
Unterzeichnenden zu gewähren.

4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin."

D.
Das Bundesgericht nimmt die Eingabe als zwei separate Beschwerden entgegen
(Verfahren 9C_386/2012: Beschwerde des D.________, vertreten durch Advokat
Stephan Müller, gegen IV-Stelle Basel-Landschaft betreffend
Invalidenversicherung; Verfahren Z.________: Beschwerde des Stephan Müller
gegen das Kantonsgericht Basel-Landschaft betreffend Entschädigung als
unentgeltlicher Vertreter). Mit Verfügung vom 28. Juni 2012 weist das
Bundesgericht das Gesuch des D.________ um unentgeltliche Rechtspflege wegen
Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab.

D.________ lässt mit nachträglicher Eingabe vom 16. Juli 2012 seinen Standpunkt
verdeutlichen.

Erwägungen:

1.
Bei der unentgeltlichen Verbeiständung handelt es sich um ein
öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen dem Staat und dem Rechtsanwalt (BGE
132 V 200 E. 5.1.4 S. 205), das einen Honoraranspruch des Rechtsbeistands
gegenüber dem Staat und nicht gegenüber dem Vertretenen begründet. Die
unentgeltlich vertretene Person hat kein schützenswertes Interesse (Art. 76
Abs. 1 lit. b BGG) an der Erhöhung der Entschädigung ihres Rechtsvertreters
(Urteil 5A_451/2011 vom 25. Juli 2011 E. 1.2 mit Hinweisen). Es obliegt
vielmehr diesem selbst, in eigenem Namen gegen eine seines Erachtens zu tief
ausgefallene Entschädigung Beschwerde zu führen (Urteil 5A_166/2012 vom 5.
April 2012 E. 5.2 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde des D.________ kann
demnach nicht eingetreten werden, soweit er den die Entschädigung betreffenden
Teil der Beschwerde in eigenem Namen führt.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von diesen tatsächlichen
Feststellungen kann es nur abweichen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs.
2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist nurmehr, ob die Vorinstanz Bundesrecht
verletzte, indem sie die rentenaufhebende Verfügung - auch - hinsichtlich des
von der Beschwerdegegnerin verweigerten behinderungsbedingten Abzugs vom
Tabellenlohn geschützt hat.

3.2 Ob und in welcher Höhe statistische Tabellenlöhne herabzusetzen sind, hängt
nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid von sämtlichen
persönlichen und beruflichen Umständen des Einzelfalles ab, die nach
pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Relevante Merkmale sind
leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad (BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80). Ob
ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom hypothetischen
Invalideneinkommen vorzunehmen sei, ist eine Rechtsfrage. Demgegenüber stellt
die Höhe des Abzuges eine typische Ermessensfrage dar, deren Beantwortung
letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale
Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, d.h. bei
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung (BGE 137 V 71 E. 5.1
S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 in fine S. 399).

4.
4.1 Das kantonale Gericht erwog, mit Ausnahme der zeitlichen Beschränkung
(Zumutbarkeit von leichten bis mittelschweren Tätigkeiten von 6 Stunden pro Tag
oder 70 %) seien "keine zusätzlichen Aspekte ersichtlich, die auf eine
Erschwernis bei der erwerblichen Verwertung der Restarbeitsfähigkeit schliessen
lassen würden". Wenn die Beschwerdegegnerin im Rahmen ihrer Ermessensausübung
keinen leidensbedingten Abzug gewährt habe, sei dies nicht zu bemängeln.

4.2 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht
verletzt, indem sie pauschal das Vorliegen relevanter persönlicher und
beruflicher Gründe für einen behinderungsbedingten Abzug vom Tabellenlohn
verneint habe, ohne sich mit den einzelnen Merkmalen auseinanderzusetzen. Weil
seine angestammte Arbeit als Glaser als körperliche Schwerarbeit einzustufen,
er bereits 54 Jahre alt und seine Flexibilität aufgrund seiner langen
Betriebszugehörigkeit (14 Jahre) sowie der langen Rentenbezugsdauer von rund 12
Jahren reduziert sei und er zwar über den Niederlassungsausweis C verfüge,
jedoch nur noch eine Teilzeitarbeit (6 Stunden täglich) ausüben könne, sei ein
leidensbedingter Abzug grundsätzlich angezeigt. Die Vorinstanz habe den
Einkommensvergleich daher rechtsfehlerhaft durchgeführt. Es stehe ihm
jedenfalls ein angemessener Abzug von 25 % zu und damit eine halbe Rente bei
einem Invaliditätsgrad von 50 %.

5.
5.1 Eine Verletzung der Begründungspflicht ist nicht ersichtlich, hält das
kantonale Gericht doch klar fest, mit Ausnahme des Beschäftigungsgrades sei
keines der übrigen Merkmale für die Gewährung eines Abzuges erfüllt. Dies lässt
sich nicht anders verstehen, als dass im angefochtenen Entscheid persönliche
und berufliche Umstände verneint wurden, die zu einer Kürzung des
hypothetischen Invalideneinkommens Anlass geben würden. Ohnehin sind nicht für
jedes zur Anwendung gelangende Merkmal separat quantifizierte Abzüge
vorzunehmen (weil dies zum Ausblenden von Wechselwirkungen führte; BGE 126 V 75
E. 5b/bb S. 80). Ein Entscheid genügt der Begründungspflicht bereits, wenn
ersichtlich ist, welche Merkmale bei der gesamthaften Schätzung berücksichtigt
wurden (BGE a.a.O. E. 5b/dd S. 80). Diese Voraussetzung ist nach dem Gesagten
hier erfüllt. Einer sachgerechten Anfechtung des Entscheides stand nichts im
Weg.

5.2 Was die Einwände gegen die Verweigerung eines zusätzlichen Abzuges vom
Tabellenlohn betrifft, ist Folgendes festzuhalten: Abgesehen davon, dass die
körperlich belastende angestammte Arbeit nicht aus somatischen Gründen
unzumutbar geworden war (vgl. Gutachten Dr. med. B.________ vom 6. Mai 2010),
könnte der Versicherte aus medizinischer Sicht jegliche leichten bis
mittelschweren Tätigkeiten im Umfang von 70 % ausüben, die nicht mit
Dauerstress/Hektik verbunden sind und die nicht in Akkord- oder Schichtarbeit
bestehen. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 64'640.- und einem
Invalideneinkommen von Fr. 42'970.- wäre ein Abzug von mindestens 10 %
erforderlich, damit ein rentenauslösender Invaliditätsgrad resultierte. Hiefür
besteht kein Anlass: Zunächst ist nicht entscheidend, ob die ursprüngliche
Tätigkeit als Monteur als körperliche Schwerarbeit zu qualifizieren wäre
(worauf weder die Akten schliessen lassen noch solches durch den
letztinstanzlich erstmals vorgebrachten Hinweis auf eine Liste der
österreichischen Sozialversicherung rechtsgenüglich dargetan wird, so dieses
Vorbringen überhaupt zu beachten wäre [zumal selbst nach dieser Liste Glasbe-
und verarbeitung im Bereich Montage und Reparatur für Männer keine körperliche
Schwerarbeit darstellt]). Zwar wurde mit dem sogenannten Leidensabzug
ursprünglich berücksichtigt, dass versicherte Personen, welche in ihrer letzten
Tätigkeit körperliche Schwerarbeit verrichteten und nach Eintritt des
Gesundheitsschadens auch für leichtere Arbeiten nurmehr beschränkt einsatzfähig
sind, in der Regel das entsprechende durchschnittliche Lohnniveau gesunder
Hilfsarbeiter nicht erreichen. Nachdem sich hieraus ein allgemeiner
behinderungsbedingter Abzug entwickelt hatte (BGE 134 V 322 E. 5.2 S. 327 mit
Hinweis), der unter Berücksichtigung der bereits dargelegten persönlichen und
beruflichen Merkmale (E. 3.2 hievor) gesamthaft zu schätzen ist, führt die
gesundheitlich bedingte Unmöglichkeit, weiterhin körperlich schwere Arbeit zu
verrichten, nicht automatisch zu einer weiteren Verminderung des hypothetischen
Invalidenlohnes. Vielmehr ist die der Umstand allein, dass nurmehr leichte bis
mittelschwere Arbeiten zumutbar sind, auch bei eingeschränkter
Leistungsfähigkeit kein Grund für einen zusätzlichen leidensbedingten Abzug,
weil der Tabellenlohn im Anforderungsniveau 4 bereits eine Vielzahl von
leichten und mittelschweren Tätigkeiten umfasst (Urteil 8C_870/2011 vom 24.
August 2012 E. 4.1 mit Hinweis). Sodann nimmt die Bedeutung der Anzahl
Dienstjahre im privaten Sektor ab, je niedriger das Anforderungsprofil ist (AHI
1999 177 E. 3b S. 181), weshalb mit Blick auf das der vorinstanzlichen
Invaliditätsberechnung zu Grunde liegende Anforderungsniveau 4 die lange
Betriebszugehörigkeit keinen Abzug zu rechtfertigen vermag. Ebenso wenig ist
aus Gründen des Lebensalters des im Verfügungszeitpunkt 53-jährigen
Versicherten ein Abzug angebracht (vgl. AHI 1999 237 E. 4c S. 242; das Alter
wirkt sich bei Männern im Anforderungsniveau 4 unter Umständen sogar
lohnerhöhend aus [Urteil 8C_249/2010 vom 1. Juni 2010 E. 7.3.2]). Es bestehen
nach dem Gesagten mit Ausnahme der teilzeitlichen Erwerbsfähigkeit keine
Anhaltspunkte, wonach der Beschwerdeführer wegen seiner Beeinträchtigung auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt das durchschnittliche Lohnniveau gesunder
Hilfsarbeiter nicht erreichen könnte (vgl. Urteil 8C_259/2011 vom 28. Juni 2011
E. 3.3.1). Mit Blick auf ähnliche Fälle (z.B. Urteile 9C_382/2012 vom 25. Juni
2012 E. 3.2 und 9C_653/2011 vom 16. Dezember 2011) wäre ein allfälliger Abzug
jedenfalls auf unter 10 % festzusetzen, weshalb der angefochtene Entscheid im
Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

6.
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist, soweit darauf eingetreten werden kann, im vereinfachten
Verfahren abzuweisen.

7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. September 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle