Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 362/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_362/2012, 9C_366/2012

Urteil vom 6. Juni 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
9C_362/2012
G.________, vertreten durch
Prof. Dr. iur. Hardy Landolt, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführerin,

und

9C_366/2012
Stiftung X.________,
vertreten durch Fürsprecher Markus Fischer,
Beschwerdeführerin,

gegen

Personalvorsorgestiftung Y.________,
Beschwerdegegnerin,

9C_362/2012
Stiftung X.________,
vertreten durch Fürsprecher Markus Fischer,

9C_366/2012
G.________, vertreten durch
Prof. Dr. iur. Hardy Landolt, Rechtsanwalt.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenleistungen; Zuständigkeit),

Beschwerden gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom
21. März 2012.

Sachverhalt:

A.
G.________ war bis 30. November 2008 (für die Risiken Tod und Invalidität bis
31. Dezember 2008) bei der Personalvorsorgestiftung Y.________ sowie ab 23.
März (frühestens)/1. April 2009 (spätestens) bei der Stiftung X.________
berufsvorsorgeversichert. Mit Verfügung vom 5. Oktober 2010 sprach ihr die
IV-Stelle Glarus eine halbe Rente der Invalidenversicherung ab 1. Juni 2010 zu.
Ihr Gesuch um Ausrichtung von Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge
lehnten sowohl die Personalvorsorgestiftung Y.________, als auch die Stiftung
X.________ ab.

B.
Am 15. Juni 2011 (Poststempel) reichte G.________ beim Verwaltungsgericht des
Kantons Glarus Klage ein mit dem Rechtsbegehren, die Personalvorsorgestiftung
Y.________ sei zu verpflichten, ihr ab 1. Juni 2010 eine Invalidenrente
basierend auf einem Invaliditätsgrad von 50 %, zuzüglich Zins zu 5 % für die
jeweiligen Rentenbeträge, je seit deren Fälligkeit, zu bezahlen.

Das kantonale Verwaltungsgericht lud die Stiftung X.________ von Amtes wegen
ins Verfahren bei. Nach Eingang der Klageantwort und Einsichtnahme in die
IV-Akten holte sie beim behandelnden Neurologen (Prof. Dr. med. W.________)
Beweisauskünfte ein (Bericht vom 23. Januar 2012), wozu die Parteien Stellung
nehmen konnten. Mit Entscheid vom 21. März 2012 wies es die Klage ab.

C.
G.________ hat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben mit
den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 21. März 2012 sei aufzuheben und
festzustellen, dass die Personalvorsorgestiftung Y.________, eventualiter die
Stiftung X.________, zur Gewährung einer Invalidenrente aus BVG bei einem
Invaliditätsgrad von 50 % ab dem 1. Juni 2010 verpflichtet ist; subeventuell
sei die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen
(Verfahren 9C_362/2012).

Ebenfalls hat die Stiftung X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten erhoben mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 21. März 2012
sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zwecks rechtsgenüglicher
Gewährung des rechtlichen Gehörs, eventualiter zur Durchführung der notwendigen
Sachverhaltsabklärungen im Sinne der Begründung zurückzuweisen; subeventualiter
sei die Klage gutzuheissen, eventuell abzuweisen und festzustellen, dass bei
der Klägerin die massgebliche Arbeitsunfähigkeit vor dem 23. März 2009
eingetreten sei (Verfahren 9C_366/2012).

Erwägungen:

1.
Die Beschwerden richten sich gegen denselben letztinstanzlichen kantonalen
Entscheid, es liegt ihnen der nämliche Sachverhalt zu Grunde und es stellen
sich die gleichen Tat- und Rechtsfragen. Es rechtfertigt sich daher, die
Verfahren 9C_362/2012 und 9C_366/2012 zu vereinigen und in einem einzigen
Urteil zu erledigen (Art. 24 BZP in Verbindung mit Art. 71 BGG; vgl. BGE 128 V
124 E. 1 S. 126 sowie Urteile 9C_996/2010 vom 5. Mai 2011 E. 1.1 und 2C_171/
2007 vom 19. Oktober 2007 E. 1).

2.
Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen
oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den
angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein
schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Diese
Voraussetzungen sind bei der Beschwerdeführerin 1 (Verfahren 9C_362/2012) und
auch bei der Beschwerdeführerin 2 (Verfahren 9C_366/2012) gegeben. Diese hätte
als Beigeladene im Falle der Rechtskraft des angefochtenen Entscheids die
vorinstanzlich verneinte Leistungspflicht der beklagten Vorsorgeeinrichtung
(Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat
[Art. 23 lit. a BVG], nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor dem 23.
März 2009) in einem allenfalls später gegen sie angestrengten Prozess gegen
sich gelten zu lassen (BGE 130 V 501; 125 V 80 E. 8b S. 94; vgl. auch Urteil
2C_491/2009 vom 18. Mai 2011 E. 4). Mit der Beiladung wird indessen nicht auch
die allfällige Leistungspflicht der Beschwerdeführerin 2 Gegenstand des
Verfahrens (BGE 130 V 501). Die diesbezüglichen Eventualbegehren in den
Beschwerden sind daher unzulässig. Ob die Beschwerdeführerin 1 bereits ab 23.
März 2009 Versicherungsschutz bei der Beschwerdeführerin 2 genoss, wie die
Vorinstanz festgehalten hat, hat keine weitere rechtliche Bedeutung.

3.
Die Beschwerdeführerin 2 rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Die Vorinstanz habe ihr keine Gelegenheit gegeben, zu den neuen
Beweismitteln, insbesondere zum Bericht des behandelnden Neurologen Prof. Dr.
med. W.________ vom 23. Januar 2012 Stellung zu nehmen. Dieses Vorbringen steht
im Widerspruch dazu, dass gemäss den vorinstanzlichen Akten das fragliche
Dokument den Parteien und auch der Beigeladenen am 30. Januar 2012
eingeschrieben zugestellt und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, bis 9. Februar
2012 ihre schriftlichen Anmerkungen einzureichen. Es besteht kein Grund zur
Annahme, das Schreiben vom 30. Januar 2012 sei versehentlich nicht an die
Beschwerdeführerin 2 versandt worden. Nachdem die Beschwerdeführerin 1 in ihrer
Eingabe vom 27. Februar 2012 auf eine Stellungnahme verzichtet und die beklagte
Vorsorgeeinrichtung sich nicht hatte vernehmen lassen, bestand für die
Vorinstanz keine Veranlassung zu Weiterungen. Abgesehen davon wöge eine
allfällige Gehörsverletzung nicht schwer, da die im Zusammenhang damit
vorgetragene Rüge, der rechtserhebliche Sachverhalt sei unvollständig
abgeklärt, vom Bundesgericht frei geprüft werden kann (vgl. E. 5.2.2 hinten).

4.
Die Vorinstanz hat zum berufsvorsorgerechtlich relevanten Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit, die zur Invalidität geführt hat (Art. 23 lit. a BVG),
festgestellt, es könne nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden, dass die Klägerin bereits vor dem 23. März 2009 zu
mindestens 20 % arbeitsunfähig gewesen sei. Daran vermöchte eine Expertise
nichts zu ändern, weshalb in antizipierter Beweiswürdigung darauf zu verzichten
sei. Sie wies daher die Klage ab.

5.
5.1 Die Beschwerdeführerin 1 rügt eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz. Insbesondere aufgrund des
Berichts des behandelnden Neurologen vom 23. Januar 2012 sei davon auszugehen,
dass die 20 %ige Arbeitsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich bereits ein Jahr
vor dem 23. März 2009 eingetreten sei. Die Beschwerdeführerin 2 wirft der
Vorinstanz eine unvollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts
bzw. willkürliche Beweiswürdigung vor. Es gebe eine Vielzahl von Hinweisen auf
eine bereits vor dem 23. März 2009 vorbestehende Arbeitsunfähigkeit von
mindestens 20 %. Es seien daher weitere Beweismassnahmen erforderlich,
insbesondere die Einholung einer Expertise über den Krankheitsverlauf.
5.2
5.2.1 Was die Beschwerdeführerinnen zur Begründung vorbringen, stellt
weitgehend unzulässige appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung dar (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137
II 353 E. 5.1 S. 356; Urteil 9C_294/2012 vom 7. Mai 2012 E. 3.1). Insbesondere
bestreiten sie nicht das Fehlen des Nachweises einer bereits vor dem 23. März
2009 bestandenen Arbeitsunfähigkeit von 20 % (SVR 2011 BVG Nr. 14 S. 51, 9C_297
/2010 E. 2.1), die arbeitsrechtlich in Erscheinung getreten war, etwa durch
einen Abfall der Leistungen mit entsprechender Feststellung durch den
Arbeitgeber oder durch gehäufte, aus dem Rahmen fallende gesundheitlich
bedingte Arbeitsausfälle (Urteil 9C_876/2011 vom 7. Mai 2012 E. 4.2.2). Es wird
auch nicht geltend gemacht, die Beschwerdeführerin 1 sei zwischen den beiden
Vorsorgeverhältnissen mit den beiden am Recht stehenden Vorsorgeeinrichtungen
bei der Arbeitslosenversicherung lediglich für ein Arbeitspensum von höchstens
80 % arbeitslos gemeldet gewesen.
5.2.2 Die Beschwerdeführerin 2 nennt Gründe, die einen Eintritt der
rechtserheblichen Arbeitsunfähigkeit erst am 23. März 2009 geradezu
ausschliessen würden. Damit vermag sie indessen nicht darzutun, inwiefern der
Verzicht der Vorinstanz auf die Einholung einer Expertise über den
Krankheitsverlauf Bundesrecht, insbesondere den Untersuchungsgrundsatz (Art. 73
Abs. 2 BVG; Urteil 9C_140/2012 vom 12. April 2012 E. 3.2.2.1) verletzt. Vorab
ergibt sich nichts aus der Tatsache, dass der behandelnde Arzt von Dezember
2007 bis Dezember 2009 keine Untersuchung mit der Beschwerdeführerin 1
durchgeführt hatte. Gegenteils ist daraus in erster Linie zu folgern, dass eine
ärztliche Behandlung nicht nötig war. Im Weitern ist unbestritten, das die
Myotone Dystrophie Typ I Curschmann Steinert progredient verläuft. Dass der
Krankheitsverlauf aber auch gleichmässig sein muss und mit ihm der Verlauf der
Arbeitsfähigkeit, erscheint nicht zwingend. Dr. med. T.________, FMH/FAMH
Medizinische Genetik, hatte im Schreiben vom 28. Februar 2006 an die
Beschwerdeführerin 1 u.a. festgehalten, es sei eher von einem langsamen Verlauf
auszugehen; allerdings seien solche prognostischen Aussagen im Einzelfall nicht
sehr sicher. Im Arztbericht vom 18. März 2010 sprach er von einer im Verlauf
progressiven Krankheit. Schliesslich ist nicht ersichtlich, inwiefern im Rahmen
einer Expertise sich eruieren lassen soll, aus welchem Grund sich die
Beschwerdeführerin 1 veranlasst sah, das im Zeitpunkt der Operation (Entfernung
der epithelialen Speicheldrüsenneoplasie) Ende August 2008 bestandene
Arbeitsverhältnis auf Ende November 2008 aufzulösen.

5.3 Die die tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Entscheids
betreffenden Rügen sind somit unbegründet, was zur Abweisung der Beschwerde
führt.

6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens haben die unterliegenden
Beschwerdeführerinnen die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 9C_362/2012 und 9C_366/2012 werden vereinigt.

2.
Die beiden Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- (Verfahren 9C_362/2012) und Fr. 3'000.-
(Verfahren 9C_366/2012) werden der jeweiligen Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stiftung X.________, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Juni 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler