Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 358/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_358/2012

Urteil vom 16. Juli 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Biedermann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15.
März 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a M.________ war vom ... bis ... (letzter effektiver Arbeitstag) bei
W.________ als Bauarbeiter für allgemeine Maurerarbeiten angestellt. Am 8.
Februar 2006 meldete er sich unter Hinweis auf einen Morbus Menière, bestehend
seit Mai 2005, bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
(Arbeitsvermittlung, Rente) an. Die IV-Stelle des Kantons Bern führte
medizinische und erwerbliche Abklärungen durch. Eine
arbeitsmarktlich-medizinische Abklärung (AMA) in der Behindertenwerkstätte,
B.________, wurde bereits während des Eintrittsgesprächs abgebrochen (Bericht
vom 14. Dezember 2006). Nach Egang zahlreicher weiterer medizinischer
Beurteilungen verfügte die IV-Stelle am 4. Oktober 2007 die Abweisung des
Leistungsbegehrens bei einem Invaliditätsgrad von 18 %.
A.b Eine hiegegen erhobene Beschwerde des M.________ hiess das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 21. Dezember 2007 gut,
hob die Verfügung vom 4. Oktober 2007 auf und wies die Sache an die IV-Stelle
zur weiteren interdisziplinären Abklärung zurück.
A.c Die IV-Stelle veranlasste ein interdiziplinäres Gutachten bei der
Medizinischen Abklärungsstelle des Zentrums für versicherungsmedizinische
Begutachtung (ZVMB GmbH; Medas), vom 23. Juni 2008, und eine stationäre
Abklärung im Spital , Burgdorf, welche vom 29. September bis 2. Dezember 2009
stattfand (Austrittsbericht vom 29. Januar 2009; Gutachten vom 6. Mai 2009).
Die IV-Stelle holte hiezu Beurteilungen des Regionalen Ärztlichen Dienstes
(RAD) vom 7. und 23. Juli sowie vom 21. Dezember 2009 ein und liess an vier
Tagen in den Monaten September und November 2009 eine Beweissicherung vor Ort
(BvO; Filmaufnahmen) durchführen (Bericht vom 17. November 2009). Die hierauf
von M.________ erhobenen Einwände liess sie wiederum vom RAD beurteilen
(Antwort vom 12. Mai 2010) und verfügte am 1. Juni 2010 erneut die Abweisung
des Leistungsbegehrens bei einem Invaliditätsgrad von 17 %.

Am 10. Juni 2010 reichte die IV-Stelle eine Strafanzeige gegen M.________ beim
Untersuchungsrichteramt X.________ ein wegen Versuchs, durch unwahre oder
unvollständige Angaben eine Leistung zu erwirken.

B.
Die von M.________ gegen die Verfügung vom 1. Juni 2010 erhobene Beschwerde
wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 15. März 2012
ab.

C.
M.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie der Verfügung vom
1. Juni 2010 sinngemäss die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Mai
2006. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung und Verbeiständung.

D.
Mit Verfügung vom 13. Juni 2012 weist das Bundesgericht das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von diesen tatsächlichen
Feststellungen kann es nur dann abweichen, wenn sie offensichtlich unrichtig
sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105
Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung.

2.1 Die Vorinstanz erwog, in somatischer Hinsicht sei die bisherige Tätigkeit
als Bauarbeiter im Hoch- und Tiefbau aufgrund des beidseitigen Morbus Menière
unbestrittenermassen dauerhaft unzumutbar, weil bei bleibenden
Gleichgewichtsstörungen eine Absturzgefahr bestehe. Weitere anspruchsrelevante
somatische Beschwerden bestünden nicht. In psychischer Hinsicht sei auf die
beweiskräftige Beteilung des Dr. med. A.________ (Chefarzt RAD Y.________;
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie) abzustellen, welcher in
Kenntnis aller Vorakten, namentlich auch der Filmaufzeichnungen, und
übereinstimmend mit den Medas-Gutachtern einleuchtend begründet habe, weshalb
weder eine schwere depressive Episode oder Störung noch eine schizoaffektive
Störung vorliege und es an einer die Arbeitsfähigkeit relevant einschränkenden
psychiatrischen Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fehle. Die
Beurteilung des psychiatrischen Dienstes am Spital E.________ sei nicht derart
klar und unmissverständlich, wie der Beschwerdeführer geltend mache, zumal die
dortigen, (noch) über keinen Facharzttitel verfügenden Ärzte auch gewisse
Unsicherheitsfaktoren festgehalten hätten und von anamnestischen Angaben
ausgegangen seien, welche die beweiskräftige BvO klar widerlegt habe.

2.2 Der Beschwerdeführer rügt, die vorinstanzliche Beweiswürdigung verletze
Bundesrecht, zudem habe das kantonale Gericht seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör missachtet und sei in Willkür verfallen. Insbesondere bringt er vor, die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid sei rechtsverletzend, weil
sich die Vorinstanz ausschliesslich auf die Beurteilungen des RAD und das
Medas-Gutachten vom 22. Juni 2008 abstütze und ausser Acht lasse, dass die
Medas-Gutachter verwertbare Ergebnisse nur aufgrund einer stationären
Begutachtung erwartet hätten. Sämtliche medizinischen Beurteilungen, welche
seine Krankheiten als invalidisierend bezeichneten (namentlich die
Einschätzungen des Psychiatriezentrums Z.________, des behandelnden Facharztes,
der Klinik N.________ und der Psychiatrischen Dienste des Spitals E.________)
blieben praktisch unberücksichtigt. Indem das kantonale Gericht nicht
ausreichend auf seine gegen die BvO erhobenen Rügen eingegangen sei, habe es
seine Begründungspflicht verletzt. Unberücksichtigt geblieben sei ausserdem,
dass seit anfangs 2010 ein beidseitiger Morbus Menière bestehe. Das sich bei
den Akten befindliche Videomaterial der Überwachung erlaube keine seriösen
Rückschlüsse auf seinen psychischen Zustand. Die diesbezügliche, von der
Vorinstanz unkritisch übernommene Beweiswürdigung des RAD verstosse gegen das
Willkürverbot. Demgegenüber seien die Einschätzungen der Psychiatrischen
Dienste des Spitals E.________ klar und unmissverständlich, wonach eine
Verdeutlichungstendenz bzw. Symptomverstärkung vor allem mit seiner
histrionischen Persönlichkeitsstruktur zusammenhänge, während eine Manipulation
aufgrund der Konstanz der angegebenen Beschwerden und seines Verhalten
ausgeschlossen werden könne.

3.
Zunächst trifft nicht zu, dass sich die Vorinstanz einseitig auf die
Beurteilungen von RAD und Medas abgestützt hätte. Das kantonale Gericht setzte
sich vielmehr mit allen relevanten Akten auseinander und legte ausführlich und
nachvollziehbar begründet dar (vgl. namentlich S. 15 des vorinstanzlichen
Entscheides), weshalb es insbesondere den Beurteilungen des Dr. med. A.________
höheren Beweiswert zumass als den Einschätzungen des behandelnden Psychiaters
Dr. med. G.________, Psychiatrie und Psychotherapie, und der Ärzte der
psychiatrischen Dienste des Spitals E.________ (welche eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit attestiert hatten). Die Vorbringen des Versicherten, soweit
sie nicht als appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung
unbeachtlich sind, vermögen keine Bundesrechtswidrigkeit (Art. 97 Abs. 1 und
Art. 95 lit. a BGG) darzutun. Die umfangreichen medizinischen Akten zeigen
eindrücklich, dass zahlreichen involvierten Ärzten eine Beurteilung der dem
Versicherten verbliebenen Fähigkeiten äusserst schwer fiel oder nicht möglich
war. Es steht fest und wird auch vom Beschwerdeführer letztinstanzlich nicht
mehr in Abrede gestellt, dass die Schwierigkeiten bei der Beurteilung - und
damit auch die lange Abklärungsdauer - zumindest teilweise auf die von ihm
gezeigte Verdeutlichungstendenz und die Symptomverstärkung zurück gehen. Auch
die Ärzte der Psychiatrischen Dienste am Spital E.________ brachten ihre
Unsicherheiten in der Beurteilung des vom Versicherten präsentierten
Beschwerdebildes klar zum Ausdruck und bestätigten - mindestens zum Teil - die
von den Medas-Gutachtern festgestellten Anzeichen für Selbstlimitierung und
Simulation. Wenn die Vorinstanz in Würdigung der Ergebnisse der BvO, welche
jedenfalls zeigte, dass der einen gepflegten Eindruck hinterlassende
Versicherte problemlos in der Lage war, nicht nur mit seiner Ehefrau das Haus
zu verlassen (um andere Leute oder [Kleider-] Geschäfte aufzusuchen), mit
seinem Sohn und anderen Jugendlichen per Bahn nach S.________ zu reisen
(ebenfalls um Geschäfte sowie einen Coiffeur zu besuchen), sondern auch allein
ausser Haus ging (und sich dabei mit anderen Leuten unterhielt), darauf
schloss, dass die Gutachter am Spital E.________ von unzutreffenden
Sachverhalten ausgingen - was im Übrigen auch für die Beurteilung des
behandelnden Dr. med. G.________ zutrifft (vgl. z.B. Bericht vom 14. August
2007, wonach der Beschwerdeführer u.a. sehr zurückgezogen lebe, kaum aus dem
Haus gehe und jegliche sozialen Kontakte ausserhalb der Familie vermeide) -,
kann dies weder als willkürlich oder als sonstwie bundesrechtswidrig bezeichnet
werden. Auch wenn die Filmaufzeichnungen nicht jegliche psychische
Beeinträchtigung auszuschliessen vermögen, fanden sich weder für das von den
Ärzten am Spital E.________ angeführte unsichere Gangbild noch für die totale
Unfähigkeit des Versicherten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten,
irgendwelche Anhaltspunkte. Vielmehr ist aufgrund der vorinstanzlichen
Würdigung der Observationsergebnisse unglaubwürdig, dass es dem
Beschwerdeführer krankheitsbedingt nicht möglich wäre, beispielsweise mit
anderen Menschen soziale Kontakte zu pflegen. Die gegen die BvO erhobenen
Einwände hat das kantonale Gericht ausreichend geprüft und verworfen. Gänzlich
unbegründet ist die Rüge, das kantonale Gericht habe den zwischenzeitlich
beidseitigen Morbus Menière ausser Acht gelassen, nachdem im angefochtenen
Entscheid explizit von einer beidseitigen Erkrankung ausgegangen wird.

4.
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Juli 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle