Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 351/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_351/2012 {T 0/2}

Urteil vom 16. Oktober 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen,
Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 7. März 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene T.________ hatte sich am 2. Mai 2001 einer
Discushernienoperation L4/5 links unterziehen müssen. Am 13. Dezember 2001
erlitt er einen Verkehrsunfall. Am 4. Februar 2003 meldete er sich bei der
Invalidenversicherung für berufliche Massnahmen und zum Bezug einer
Invalidenrente an. Gestützt auf die getroffenen Abklärungen lehnte die
IV-Stelle des Kantons Solothurn das Leistungsgesuch am 28. Juni 2005, bestätigt
mit Einspracheentscheid vom 6. Oktober 2005, ab. Die vom Versicherten hiegegen
erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn dahin
gut, dass es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheides
zu ergänzenden Abklärungen und neuer Verfügung über den Rentenanspruch an die
Verwaltung zurückwies (Entscheid vom 13. Juli 2007).
In Nachachtung dieses Rückweisungsentscheides veranlasste die IV-Stelle eine
Expertise des Zentrums X.________ vom 16. Juni 2009. T.________ seinerseits
hatte bereits zuvor ein Privatgutachten des Instituts Y.________ vom 22. April
2008 aufgelegt. Die IV-Stelle ermittelte einen Invaliditätsgrad von 30 %,
worauf sie den Leistungsanspruch am 19. Januar 2011 wiederum verfügungsweise
ablehnte.

B.
Die vom Versicherten hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 7. März 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt T.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihm die
gesetzlichen Leistungen aufgrund einer Leistungseinschränkung von mindestens 40
%, zuzüglich eines Verzugszinses zu 5 %, zuzusprechen; eventuell sei die Sache
zur Durchführung einer neuen interdisziplinären Begutachtung in der Klinik
A.________ unter Beantwortung des standardisierten Fragenkatalogs der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) bei Distorsionsverletzungen
der Halswirbelsäule (HWS), an die IV-Stelle zurückzuweisen, welche alsdann neu
zu verfügen habe.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs, weil das kantonale Gericht seine Anträge auf Einholung
eines Berichts des Dr. K.________, Beizug der Unfallversicherungsakten und
Erstellung einer Gerichtsexpertise mit Verfügung vom 29. August 2011 ohne
Begründung abgewiesen habe. Sodann habe die Vorinstanz den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig und willkürlich festgestellt, indem sie sich auf ein
unvollständiges und unbrauchbares Gutachten gestützt und die Position der
Invalidenversicherung eingenommen hatte. Ebenso liege eine Verletzung der
Untersuchungs- und Abklärungspflicht vor; das kantonale Gericht habe trotz
widersprüchlicher Aktenlage auf die Anordnung eines Gutachtens verzichtet.

2.2 Auf die pauschalen Vorwürfe, laut welchen die Vorinstanz den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt und den Untersuchungsgrundsatz verletzt
habe, ist hier nicht einzugehen. Diese Behauptung wird allenfalls im
Zusammenhang mit einzelnen Vorbringen des Beschwerdeführers zu prüfen sein. Was
die Behauptung betrifft, die Vorinstanz habe mit einer Verfügung vom 29. August
2011 den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, kann dem Beschwerdeführer
nicht gefolgt werden. Eine entsprechende Verfügung vom 29. August 2011 findet
sich nicht bei den Gerichtsakten; selbst wenn eine solche gerichtliche
Verfügung erlassen worden wäre, müsste nicht von einer Verletzung des
rechtlichen Gehörs ausgegangen werden. Denn bei hinreichend geklärter Sachlage
ist es dem Gericht unbenommen, auf die Abnahme zusätzlicher Beweise zu
verzichten. In einem solchen Vorgehen liegt keine Verletzung des rechtlichen
Gehörs (BGE 134 V 231 E. 5.3 S. 234, 124 V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S.
162).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Beschwerde des Versicherten
gegen die Verfügung vom 19. Januar 2011, mit welcher ein Rentenanspruch und
Eingliederungsmassnahmen abgelehnt wurden, zu Unrecht abgewiesen hat.

3.1 Die Vorinstanz nahm eine einlässliche Würdigung der fachärztlichen
Unterlagen, insbesondere der Privatexpertise des Instituts Y.________ und des
Administrativgutachtens des Zentrums X.________ vor. Dabei gelangte sie zum
Schluss, dass dem Gutachten des Zentrums X.________ vom 16. Juni 2009 voller
Beweiswert zuzumessen sei. Es erfülle die Anforderungen, welche praxisgemäss an
ein Gutachten gestellt werden. Die Experten hätten nachvollziehbar ausgeführt,
dass als Hauptgrund für die Beschwerden die somatoforme Schmerzstörung
anzusehen sei. Aus somatischer Sicht sei der Beschwerdeführer bei körperlich
leichter, rückenadaptierter Tätigkeit voll arbeitsfähig. Unter Berücksichtigung
der psychischen Beschwerden bestehe zwar eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit,
allerdings mit einer Leistungseinschränkung von rund 30 % zufolge erhöhten
Pausenbedarfs. Ohne Prüfung der Kriterien, bei deren Vorliegen einer
somatoformen Schmerzstörung allenfalls invalidisierender Charakter zuzuerkennen
ist (BGE 130 V 352), da gemäss Zentrums X.________ u.a. die psychosoziale
Belastung wahrscheinlicher Grund für die Schmerzstörung sei, stellte die
Vorinstanz sodann fest, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine
Invalidenrente habe, nachdem auch eine rückblickende Beurteilung des
Gesundheitszustandes anhand der medizinischen Akten, namentlich des Gutachtens
der MEDAS vom 25. Januar 2005, ergeben hatte, dass nie ein nachweisbarer
Gesundheitsschaden habe objektiviert werden können. Im Weiteren prüfte das
Versicherungsgericht, ob sich der Gesundheitszustand des Versicherten nach der
Begutachtung im Zentrum X.________ erheblich verschlechtert habe. Es verneinte
diese Frage gestützt auf die vorhandenen Arztberichte, wobei es darauf hinwies,
dass der mit der Beschwerde eingereichte MRI-Bericht vom 17. März 2011 und der
Bericht des Dr. med. H.________ vom 14. April 2011 die Entwicklung der
gesundheitlichen Situation im Zeitraum nach Erlass der Verwaltungsverfügung vom
19. Januar 2011 beträfen und daher nicht in die richterliche Beurteilung
miteinbezogen werden könnten.

3.2 Der Versicherte wendet sich gegen die vorinstanzliche Beurteilung, wobei er
über weite Strecken der umfangreichen Beschwerdeschrift die Beweiswürdigung des
kantonalen Gerichts einer Kritik unterzieht und Untersuchungen wie auch
Ergebnis der Begutachtung des Zentrums X.________ beanstandet. Allerdings
unterlässt es der Beschwerdeführer, in einzelnen Punkten darzulegen, inwieweit
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sein soll.
Da er dies lediglich in Form eines pauschalen Vorwurfs getan hat, ist die
Sachverhaltsfeststellung gemäss angefochtenem Entscheid für das Bundesgericht
verbindlich (E. 1 hievor). Soweit der Beschwerdeführer der Vorinstanz vorwirft,
sie habe den Sachverhalt unvollständig abgeklärt, ist seine Rüge unbegründet.
Die Behauptung, die Gutachter des Zentrums X.________ hätten die früheren
Bildaufnahmen beiziehen und mit neu angefertigten MRI-Aufnahmen vergleichen
müssen, um die Entwicklung der Diskushernien beurteilen zu können, vermag keine
unvollständige Sachverhaltsermittlung der Vorinstanz zu belegen. Wie bereits
das kantonale Gericht festgehalten hat, obliegt die Entscheidung über
beizuziehende und anzufertigende Bilder den - im vorliegenden Fall sehr
erfahrenen - Gutachtern. Verzichten sie auf die Anwendung bildgebender
Verfahren, welche der Versicherte aus seiner Sicht als notwendig erachtet,
begründet dies noch keine unvollständige und damit offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsermittlung durch die Vorinstanz.

3.3 Der Beschwerdeführer hält der Vorinstanz weiter entgegen, sie habe den
Sachverhalt willkürlich festgestellt. Diese Behauptung muss im Lichte der
vorstehenden Erwägungen als haltlos bezeichnet werden.

3.4 Der Versicherte rügt sodann, das kantonale Gericht habe die Untersuchungs-
und Abklärungspflicht verletzt. Trotz widersprüchlicher Aktenlage habe sie auf
die Anordnung eines Gerichtsgutachtens verzichtet. Ferner habe sie den
verfrühten Fallabschluss durch die IV-Stelle zu Unrecht gebilligt sowie in
Bezug auf berufliche Massnahmen den Grundsatz Eingliederung vor Rente verletzt.
Auch diese Einwendungen sind nicht stichhaltig. Die Vorinstanz hat wohl
dargelegt, dass unterschiedliche ärztliche Beurteilungen vorlägen. Deswegen ist
jedoch nicht zwingend ein Gerichtsgutachten zu veranlassen. Vielmehr ist es in
einem solchen Fall zunächst Aufgabe des Gerichts, im Rahmen einer
Beweiswürdigung zu einem Ergebnis zu gelangen, das mindestens die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, den Tatsachen zu entsprechen. Das
Versicherungsgericht hat eine solche Beweiswürdigung vorgenommen und
festgehalten, weshalb es der Expertise des Zentrums X.________ vollen
Beweiswert zuerkennt, das Privatgutachten hingegen nicht für beweiskräftig
hält. Eine Verletzung von Bundesrecht ist im vorinstanzlichen Vorgehen nicht zu
erkennen.

3.5 Entgegen den Vorbringen in der Beschwerde liegt sodann weder ein verfrühter
Fallabschluss noch ein Verstoss gegen den Grundsatz Eingliederung vor Rente
vor. Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, hat der Beschwerdeführer
selbst eine passive Haltung an den Tag gelegt und ist seiner Mitwirkungspflicht
bezüglich der Durchführung beruflicher Massnahmen nicht nachgekommen. Solange
keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind und selbst in der
umfangreichen Beschwerdeschrift nicht einmal behauptet wird, dass der
Versicherte die notwendigen Schritte zur Selbsteingliederung unternommen habe,
welche als Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht nicht nur dem
Renten-, sondern auch dem gesetzlichen Eingliederungsanspruch vorgeht (BGE 113
V 22 E. 4a S. 28; SVR 2012 IV Nr. 25 S. 104, 9C_363/2011), kann er sich nicht
mit Erfolg auf unterbliebene Eingliederungsbemühungen der Verwaltung berufen.

4.
4.1 Eventuell beantragt der Beschwerdeführer, es sei eine neue
interdisziplinäre Begutachtung in der Klinik A.________ unter Beantwortung des
Fragenkatalogs der SUVA bei HWS-Distorsionsverletzungen und äquivalenten
Verletzungen sowie unter Vorlage der SUVA-Akten durchzuführen; hernach habe die
Verwaltung neu zu entscheiden.

4.2 Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen der Vorinstanz keine
Distorsionsverletzung der HWS erlitten. Privatgutachter Dr. med. B.________
diagnostizierte aus rheumatologischer Sicht in der Expertise des Instituts
Y.________ vom 22. April 2008 eine Kontusion und Distorsion der LWS bei Status
nach Autounfall am 13. Dezember 2001. Eine Beantwortung des Fragenkatalogs der
SUVA erübrigt sich daher. Nachdem der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers
wiederholt umfassend abgeklärt sowie aus dem Blickwinkel verschiedener
medizinischer Fachrichtungen untersucht und beurteilt wurde, ist von einer
weiteren Begutachtung abzusehen. Von zusätzlichen fachärztlichen Abklärungen
sind aufgrund einer antizipierten Beweiswürdigung keine neuen Erkenntnisse zu
erwarten, die am Ergebnis etwas zu ändern vermöchten. Das Eventualbegehren ist
demzufolge ebenfalls unbegründet.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Oktober 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer