Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 342/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_342/2012

Urteil vom 28. Juni 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
N.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Fischer,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 6. März 2012.

Sachverhalt:

A.
N.________ (geboren 1960) bezog bei einem Invaliditätsgrad von 96 % seit 1.
Januar 2000 eine ganze Invalidenrente, welche mit Verfügung vom 26. August 2005
bestätigt und in der Folge im Rahmen eines weiteren Revisionsverfahrens am 25.
Februar 2009 von der IV-Stelle Luzern gestützt auf einen Invaliditätsgrad von
63 % verfügungsweise auf eine Dreiviertelsrente herabgesetzt wurde. Auf
Beschwerde hin ordnete das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid
vom 3. September 2009 weitere Abklärungen hinsichtlich der Haushaltssituation
an und überliess es der Verwaltung, in medizinischer Hinsicht zusätzliche
Untersuchungen zu veranlassen. Die IV-Stelle ordnete daraufhin eine
Haushaltsabklärung (Bericht vom 3./4. Februar 2010) an und holte eine
interdisziplinäre Expertise des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________
vom 17. August 2010, ein. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2010 hob die IV-Stelle
die Invalidenrente auf den 31. Januar 2011 revisionsweise auf. In
gesundheitlicher Hinsicht sei eine Verbesserung ausgewiesen, indem nunmehr in
einer angepassten Erwerbstätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 70 % gegeben sei,
während die Einschränkung im Aufgabenbereich als Hausfrau rund 21 % betrage.
Unter Annahme je hälftiger Erwerbstätigkeit und Hausarbeit resultiere ein
Invaliditätsgrad von lediglich noch 11 %.

B.
Mit Beschwerde liess N.________ beantragen, unter Aufhebung der Verfügung vom
3. Dezember 2010 sei ihr über den 31. Januar 2011 hinaus weiterhin eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen. Mit Entscheid vom 6. März 2012 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde ab.

C.
N.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Streitig und zur Festlegung der anwendbaren Invaliditätsbemessungsmethode
zu prüfen ist zunächst, in welchem Umfang die Beschwerdeführerin ohne
gesundheitliche Einschränkung erwerbstätig wäre. Während das kantonale Gericht
von hälftiger Erwerbstätigkeit ausgeht, macht die Versicherte geltend, sie
würde ohne Gesundheitsschaden zu 100 % ausser Haus arbeiten.

1.3 Die Frage, in welchem Ausmass die versicherte Person ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, ist mit Rücksicht auf die gesamten
Umstände, so die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen
Verhältnisse, zu beantworten (BGE 130 V 396 E. 3.3, 125 V 150 E. 2c mit
Hinweisen). Dabei handelt es sich zwangsläufig um eine hypothetische
Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten
Person berücksichtigen muss, welche indessen als innere Tatsachen einer
direkten Beweisführung nicht zugänglich sind und in aller Regel aus äusseren
Indizien erschlossen werden müssen. Die Beurteilung hypothetischer
Geschehensabläufe ist eine Tatfrage, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht,
selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung
mitberücksichtigt werden (BGE 115 II 448 E. 5b; nicht veröffentlichtes Urteil
des Bundesgerichts in Sachen M. AG in Nachlassliquidation gegen S. vom 21. Mai
1991, 4C.213/1990, E. 3b). Ebenso sind Feststellungen über innere oder
psychische Tatsachen Tatfragen, wie beispielsweise was jemand wollte oder
wusste (BGE 130 IV 62 E. 8.5, 125 III 436 E. 2a/aa, 124 III 184 oben; Fabienne
Hohl, Procédure civile, Band II, Bern 2002, S. 295 Rz. 3219). Rechtsfragen sind
hingegen Folgerungen, die ausschliesslich - losgelöst vom konkreten Sachverhalt
- auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt werden (BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399), oder die Frage, ob aus festgestellten Indizien mit Recht auf bestimmte
Rechtsfolgen geschlossen worden ist (z.B. auf Rechtsmissbrauch, vgl. Urteil des
Bundesgerichts in Sachen S. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich vom 31. Januar 2000, 2A.545/1999, E. 2b).
Nach diesen Grundsätzen ist die auf eine Würdigung konkreter Umstände gestützte
Festsetzung des hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit eine Tatfrage,
welche das Bundesgericht nur in den genannten Schranken (E. 1.1 hiervor)
überprüft. Eine Rechtsfrage läge hingegen vor, wenn die Vorinstanz ihre
Folgerung, die Beschwerdeführerin wäre im Gesundheitsfall zu 70 % erwerbstätig,
ausschliesslich auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt hätte (Urteil des
Bundesgerichts 9C_345/2012 vom 12. Juni 2012; Urteile des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts I 708/06 vom 23. November 2006 und I 693/06 vom 20.
Dezember 2006).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Frage, in welchem Pensum die Beschwerdeführerin ohne
Gesundheitsschaden erwerbstätig wäre, aufgrund einer Beweiswürdigung
beantwortet, wobei sie auch die Lebenserfahrung in die Entscheidfindung hat
einfliessen lassen. Dabei hat sie schwergewichtig auf die Tatsache abgestellt,
dass die Versicherte über keine Berufsausbildung verfügt, während Jahrzehnten
nicht erwerbstätig war und gemäss Abklärungsberichten Haushalt am 11. November
2008 sowie am 15. Januar 2010 erklärt hatte, dass sie ohne Invalidität in einem
reduzierten Pensum von 50 % arbeiten würde. Diesen Aussagen mass die Vorinstanz
erhöhten Beweiswert zu. Nicht unbeachtet blieb im kantonalen Verfahren, dass
die Beschwerdeführerin und ihre Familie infolge Stellenverlusts ihres Ehegatten
(vom 6. Oktober 2008 bis 27. Februar 2009 temporär angestellt; seit 1. März
2009 arbeitslos) vom Sozialamt unterstützt wird; das kantonale Gericht vertrat
jedoch gestützt auf die Lebenserfahrung die Auffassung, dieser Umstand spreche
nicht ausschlaggebend dafür, dass die Beschwerdeführerin im Alter von 48 bzw.
50 Jahren ohne Gesundheitsschaden neben der Führung des Haushaltes erstmals
eine Erwerbsarbeit in einem Pensum von 100 % aufgenommen hätte. Auch eine
Teilzeittätigkeit hätte nebst der Haushaltsführung für die seit 1983 nicht mehr
erwerbstätig gewesene Versicherte eine grosse Anstrengung bedeutet.
Diese Feststellungen können nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnet
werden und beruhen auch auf keiner anderen Verletzung von Bundesrecht, weshalb
sie für das Bundesgericht verbindlich sind. Auch wenn entsprechend den
Vorbringen in der Beschwerde nicht zu verkennen ist, dass die wirtschaftliche
Situation der Familie eine Beschäftigung der Versicherten im Umfang von 100 %
nahegelegt hätte, lässt sich die auf den Angaben der Beschwerdeführerin
basierende Feststellung des kantonalen Gerichts, es sei mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit von einer hypothetischen Erwerbstätigkeit von 50 %
auszugehen, nicht als willkürlich bezeichnen. Ob und inwieweit das kommunale
Sozialamt hätte darauf hinwirken können, dass die Beschwerdeführerin ein
vollzeitliches Arbeitspensum gesucht und in der Folge allenfalls gar erfüllt
hätte, ist fraglich. Der mutmassliche Druck der Behörde, welche wirtschaftliche
Sozialhilfe ausrichtet, ist jedenfalls nicht geeignet, die Annahme, dass die
Versicherte ohne Gesundheitsschaden zu 50 % gearbeitet hätte, als unhaltbare
oder sonst wie bundesrechtswidrige Sachverhaltsfeststellung erscheinen zu
lassen. Verwaltung und Vorinstanz haben die Invaliditätsbemessung zu Recht nach
der gemischten Methode mit Anteilen von je 50 % Erwerbstätigkeit und Hausarbeit
vorgenommen.

2.2 Im Haushaltsbereich, der gemessen an der gesamten Tätigkeit der
Beschwerdeführerin 50 % ausmacht, beträgt die Einschränkung laut
Abklärungsbericht 21,4 %. Dass diese Einschätzung willkürlich sei, macht die
Beschwerdeführerin zu Recht nicht geltend. Es ist daher bei der
Invaliditätsbemessung auf diesen Wert abzustellen.

3.
3.1 Bezüglich des Gesundheitszustandes und der Entwicklung des Grades der
Arbeitsunfähigkeit im ausserhäuslichen Aufgabenbereich stützte sich das
kantonale Gericht auf das im Revisionsverfahren eingeholte Gutachten des
medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 17. August 2010. In
Würdigung der Stellungnahmen der Fachärzte sowie aufgrund der Angaben des
Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 25. August 2010 hielt es fest, dass
seit der ursprünglichen Rentenverfügung vom 13. August 2002, mit welcher ab 1.
Januar 2000 eine ganze Invalidenrente zugesprochen worden war, bis zum Erlass
der Revisionsverfügung vom 3. Dezember 2010 (Rentenaufhebung auf Ende Januar
2011) eine objektivierbare Besserung für angepasste Tätigkeiten eingetreten
sei. Gemäss Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________
bestehe in somatischer Hinsicht eine Arbeitsfähigkeit von 70 %. Von psychischer
Seite ergebe sich keine erhebliche Einschränkung. Bei einer
Teilerwerbstätigkeit von 50 % resultiere in dem mit 50 % gewichteten
erwerblichen Bereich ein Invaliditätsgrad von 0 %.

3.2 Die Beschwerdeführerin stellt die Schlüssigkeit des Administrativgutachtens
und die darauf beruhenden Erwägungen der Vorinstanz in Frage. Überdies wirft
sie dem kantonalen Gericht vor, den Sachverhalt unvollständig ermittelt zu
haben. Die Schmerzen, die mit Opiaten gedämpft werden müssen, seien
unberücksichtigt geblieben. Weiter kritisiert die Versicherte die
wirtschaftliche Abhängigkeit des medizinischen Begutachtungsinstituts
X.________ von der Invalidenversicherung und die fehlende Objektivität der
Mitarbeiter des Instituts.

3.3 Soweit Gesundheitszustand sowie Grad und Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit
betreffend, erschöpfen sich die Vorbringen in der Beschwerde über weite
Strecken in einer im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis des
Bundesgerichts (vgl. E. 1.1 hievor) unzulässigen, appellatorischen Kritik an
der vorinstanzlichen Beweiswürdigung und der dieser zugrunde liegenden
Expertise des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 17. August
2010. Namentlich die Vorbringen zur Einnahme von Opiaten und zur behaupteten
Opiatabhängigkeit der Beschwerdeführerin sowie allfälligen Auswirkungen auf die
Leistungsfähigkeit beschlagen rein medizinische und damit tatsächliche Fragen,
zu welchen die hiezu kompetenten Ärzte Stellung genommen haben. Dass die
Vorinstanz insoweit Bundesrecht verletzt habe, als sie darauf abgestellt hat,
wird nicht substanziiert gerügt. Ebenso wenig rechtswidrig ist es, dass das
Verwaltungsgericht auf die Einholung eines Obergutachtens verzichtet hat. Die
Expertise des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ entspricht den
Vorgaben, die ein fachärztliches Gutachten zu erfüllen hat, in allen Teilen.
Der Umstand, dass die ärztliche Untersuchung nicht die von der Versicherten
erwarteten oder gar erwünschten Resultate gezeitigt hat, rechtfertigt die
Anordnung einer zusätzlichen Begutachtung nicht. Der rechtserhebliche
medizinische Sachverhalt wurde umfassend abgeklärt. Was des Weiteren die
geltend gemachte fehlende Unabhängigkeit des medizinischen
Begutachtungsinstituts X.________, insbesondere auch in wirtschaftlicher
Hinsicht, anbelangt, wird auf BGE 137 V 210, u.a. bestätigt im Urteil 8C_740/
2010 vom 29. September 2011, verwiesen. Im Grundsatzurteil BGE 137 V 210 hat
das Bundesgericht einlässlich und in Berücksichtigung aller in Betracht
fallenden Gesichtspunkte zur Beschaffung medizinischer Entscheidungsgrundlagen
durch externe Begutachtungsinstitute wie die Medizinischen Abklärungsstellen
(MEDAS) in der Invalidenversicherung, zu welchen auch das medizinische
Begutachtungsinstitut X.________ zählt, Stellung genommen und diese als
verfassungs- und konventionskonform erklärt (E. 2.1-2.3). Aufgrund des
Ertragspotenzials der Tätigkeit der MEDAS zuhanden der Invalidenversicherung
und der damit gegebenen wirtschaftlichen Abhängigkeit sah das Bundesgericht die
Verfahrensgarantien als latent gefährdet an (E. 2.4). Es bejahte daher die
Notwendigkeit von Korrektiven (E. 3.1-3.4), welche zwischenzeitlich zumindest
teilweise umgesetzt wurden. Allein die wirtschaftliche Abhängigkeit der
Medizinischen Abklärungsstellen von der Invalidenversicherung begründet jedoch
keine Befangenheit des betreffenden Instituts, weshalb die entsprechenden
Vorbringen der Beschwerdeführerin unerheblich sind. Mit Blick auf BGE 137 V 210
erscheint die in der Beschwerde geübte Kritik am medizinischen
Begutachtungsinstitut X.________ haltlos, zumal die pauschal erhobenen Vorwürfe
betreffend die angeblich fehlende Objektivität der Mitarbeiter des
Begutachtungsinstituts nicht konkret belegt werden.

3.4 Die vorinstanzlich bestätigte, revisionsweise erfolgte Aufhebung der
Invalidenrente zufolge Verbesserung des Gesundheitszustandes und der
Arbeitsfähigkeit der Versicherten auf Ende Januar 2011 ist nach dem Gesagten
rechtens.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Juni 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer