Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 336/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_336/2012

Urteil vom 6. Mai 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Attinger.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch ihren Sohn,
Beschwerdeführerin,

gegen

Eidgenössische Ausgleichskasse,
Holzikofenweg 36, 3003 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Hilflosenentschädigung; weiter gehende
Nachzahlung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 29. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1922 geborene S.________ leidet beidseitig an fortgeschrittenem grünem Star
und einer schweren Hornhauterkrankung (vollständige Erblindung des rechten
Auges), an ausgeprägter Altersschwerhörigkeit, kognitiven Defiziten im Sinne
einer dementiellen Entwicklung vom Alzheimertyp, Diabetes mellitus, Osteoporose
im Frakturstadium sowie zeitweise an Harn- und Stuhlinkontinenz. Im April 2009
reichte ihr Sohn das Anmeldeformular für den Bezug einer Hilflosenentschädigung
der AHV ein. Mit Verfügung vom 2. September 2010 und Einspracheentscheid vom
14. Januar 2011 sprach die Eidgenössische Ausgleichskasse S.________ mit
Wirkung ab 1. April 2008 eine Hilflosenentschädigung wegen schwerer
Hilflosigkeit zu. Es sei unbestritten, dass die Versicherte seit mehreren
Jahren und weiterhin in schwerem Grade hilflos sei. Es könne indes offen
bleiben, ob die Hilfsbedürftigkeit bereits seit 2003 oder erst ab 2004 bestehe.
Zufolge verspäteter Geltendmachung könne die Hilflosenentschädigung ohnehin
lediglich für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate nachbezahlt werden.
Die Voraussetzungen für eine weiter gehende Nachzahlung seien nicht erfüllt.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 29. Februar 2012 ab
(Dispositiv-Ziffer 2), soweit sie nicht gegenstandslos geworden war
(Dispositiv-Ziffer 1).

C.
S.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Nachzahlung
der Hilflosenentschädigung bereits ab 1. Januar 2005.
Ausgleichskasse, kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Unter den Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin
wegen Hilflosigkeit schweren Grades Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung
der AHV hat (Art. 43bis Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 9 ATSG [SR 830.1]).
Streitig und nachfolgend zu prüfen ist einzig, ob ihr diese Leistung erst mit
Wirkung ab April 2008 zusteht (wie die Vorinstanz in Bestätigung des streitigen
Einspracheentscheids der Ausgleichskasse entschieden hat) oder aber bereits ab
einem früheren Zeitpunkt zuzusprechen ist (in der Beschwerdeschrift wird die
Ausrichtung ab Januar 2005 beantragt).

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe sich schon im Januar 2007
für einen (in der Folge gewährten) Kostenbeitrag der AHV an die beidseitige
Hörgeräteversorgung angemeldet. Die Angaben der begutachtenden Fachärztin für
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten zuhanden der Verwaltung hätten bereits
damals eindeutige Anhaltspunkte für einen allfälligen Anspruch auf
Hilflosenentschädigung enthalten. Die AHV-Behörden hätten diesbezüglich weitere
Abklärungen in die Wege leiten oder zumindest auf einen möglichen
Leistungsanspruch aufmerksam machen müssen.

3.2 Rechtsprechungsgemäss wahrt die versicherte Person mit ihrer Anmeldung
nicht nur jene Ansprüche, die sie ausdrücklich auf dem Anmeldeformular
aufzählt. Vielmehr umfasst eine Anmeldung alle Ansprüche, die nach Treu und
Glauben mit dem angemeldeten Risikoeintritt im Zusammenhang stehen. Die im
Anschluss an ein Leistungsgesuch durchzuführenden Abklärungen der Verwaltung
erstrecken sich jedoch nur auf die vernünftigerweise mit dem vorgetragenen
Sachverhalt und allfälligen bisherigen oder neuen Akten im Zusammenhang
stehenden Leistungen. Wird später geltend gemacht, es bestehe noch Anspruch auf
eine andere Versicherungsleistung, so ist nach den gesamten Umständen des
Einzelfalles im Lichte von Treu und Glauben zu prüfen, ob jene frühere ungenaue
Anmeldung auch den zweiten, allenfalls später substanziierten Anspruch umfasst
(BGE 121 V 195 E. 2 S. 196 f.; 111 V 261 E. 3b S. 264 mit Hinweis; Urteil
8C_888/2012 vom 20. Februar 2013 E. 3.4).

3.3 Die erwähnte HNO-Fachärztin gab in ihrer Expertise vom 8. Januar 2007 als
zusätzliche Erschwernis für die Hörgeräteversorgung eine relevante
Sehbehinderung an ("bds. bekannter Visusverlust, so dass Handhabung des
Hörgerätes erschwert"). Aufgrund dieser Aktenlage musste sich die Verwaltung
nach Treu und Glauben nicht veranlasst sehen, neben der beantragten
Hilfsmittelversorgung auch Abklärungen hinsichtlich eines allfälligen Anspruchs
auf Hilflosenentschädigung durchzuführen. Dies umso weniger, als eine solche
bei Bezügern von Altersrenten im damaligen Zeitpunkt eine Hilflosigkeit
mindestens mittelschweren Grades voraussetzte (Art. 43bis Abs. 1 AHVG in der
hier anwendbaren, bis Ende 2010 gültig gewesenen Fassung). Aus denselben
Überlegungen heraus muss auch eine Verletzung der in Art. 27 ATSG verankerten
Beratungs- und Hinweispflicht der Verwaltung verneint werden. Diese besteht
nämlich nicht voraussetzungslos, sondern nur dann, wenn ein hinreichender (für
die Versicherungsorgane erkennbarer) Anlass zur Information besteht. Es kann in
Fällen wie dem vorliegenden vom Versicherungsträger vernünftigerweise nicht
verlangt werden, dass er die Versicherten über alle auch nur theoretisch
denkbaren Ansprüche informiert (Urteil 8C_66/2009 vom 7. September 2009 E. 8.3,
nicht publ. in: BGE 135 V 339, aber in: SVR 2010 UV Nr. 1 S. 1; Urteil 9C_894/
2008 vom 18. Dezember 2008 E. 3.2; Ulrich Meyer, Grundlagen, Begriff und
Grenzen der Beratungspflicht der Sozialversicherungsträger nach Art. 27 Abs. 2
ATSG, in: Sozialversicherungstagung 2006, S. 9 ff., 27).

4.
4.1 Macht ein Versicherter den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV
mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Entschädigung
in Abweichung von Art. 24 Abs. 1 ATSG lediglich für die zwölf Monate
ausgerichtet, die der Geltendmachung vorangehen (Art. 46 Abs. 2 erster Satz
AHVG). Weiter gehende Nachzahlungen werden erbracht, wenn der Versicherte den
anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte und die Anmeldung innert
zwölf Monaten nach Kenntnisnahme vornimmt (zweiter Satz von Art. 46 Abs. 2
AHVG).

4.2 Unter dem anspruchsbegründenden Sachverhalt ist in Anlehnung an Art. 4 und
5 IVG sowie Art. 8 und 9 ATSG der körperliche, geistige oder psychische
Gesundheitsschaden zu verstehen, der eine voraussichtlich bleibende oder
längere Zeit dauernde Hilfs- oder Überwachungsbedürftigkeit bei alltäglichen
Lebensverrichtungen zur Folge hat. Mit der Kenntnis des anspruchsbegründenden
Sachverhalts ist nicht das subjektive Einsichtsvermögen der versicherten Person
gemeint, sondern es geht nach dem Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG
vielmehr darum, ob der anspruchsbegründende Sachverhalt objektiv feststellbar
ist oder nicht (BGE 114 V 134; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
H 22/02 vom 8. Juli 2002 E. 2b; vgl. auch die analog anwendbare Rechtsprechung
zu Art. 48 Abs. 2 IVG [in der bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung]: BGE 120
V 89 E. 4b S. 94; 102 V 112 E. 1a S. 113; 100 V 114 E. 2c S. 119; ZAK 1984 S.
403, I 132/83 E. 1; Urteil 8C_262/2010 vom 12. Januar 2011 E. 4.2).
Dass ein objektiv gegebener anspruchsbegründender Sachverhalt nicht erkennbar
gewesen ist oder dass die versicherte Person trotz entsprechender Kenntnis
krankheitsbedingt daran gehindert wurde, sich anzumelden oder jemanden mit der
Anmeldung zu betrauen, wird von der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend
angenommen, so namentlich bei Schizophrenie (BGE 108 V 226 E. 4 S. 228; Urteile
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 824/05 vom 20. Februar 2006 E. 4.3,
I 705/02 vom 17. November 2003 E. 4.3 und I 141/89 vom 1. März 1990 E. 2b; vgl.
auch RDAT 2003 I Nr. 71 S. 277, I 125/02 E. 3), bei einer schweren
narzisstischen, depressiven Persönlichkeitsstörung im Sinne eines
Borderlinezustandes an der Grenze zur schizophrenen Psychose (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 418/96 vom 12. November 1997 E. 3b),
bei einer schweren Persönlichkeitsstörung (Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts I 205/96 vom 21. Oktober 1996 E. 3c), bei
Urteilsunfähigkeit zufolge einer (nicht näher bezeichneten) schweren
psychischen Erkrankung (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 71/
00 vom 29. März 2001 E. 3a); allenfalls auch in Fällen von schwerer Depression
(BGE 102 V 112 E. 3 S. 118) oder Persönlichkeitsstörungen mit sekundärem
chronischem Alkoholismus (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I
149/99 vom 16. März 2000 E. 3b).

5.
Das kantonale Gericht hat festgestellt, weiter gehende, d.h. sich auf einen
Zeitraum vor April 2008 erstreckende Nachzahlungen im Sinne des dargelegten
zweiten Satzes von Art. 46 Abs. 2 AHVG fielen schon deshalb ausser Betracht,
weil ein früherer Anspruch auf die Hilflosenentschädigung gar nicht
rechtsgenüglich nachweisbar sei.

5.1 Diese Schlussfolgerung lässt sich angesichts der bestehenden Aktenlage
nicht halten: Nachdem der Sohn der Beschwerdeführerin im April 2009 im
Anmeldeformular für eine Hilflosenentschädigung der AHV angekreuzt hatte, dass
seine Mutter bei sämtlichen alltäglichen Lebensverrichtungen der Hilfe ihrer
beiden im selben Haus wohnenden Kinder sowie der dauernden Pflege und
persönlichen Überwachung bedürfe, präzisierte er diese Angaben im Januar 2010
u.a. dahingehend, dass die Hilfsbedürftigkeit seit 2004, die
Pflegebedürftigkeit (Verabreichen von Medikamenten und diversen Augentropfen,
Wechseln der Inkontinenzhosen) seit 2002 und die Überwachungsbedürftigkeit seit
ca. 2004 bestehe. Die Versicherte könne zufolge ihrer Verwirrung kaum allein
gelassen werden; die meiste Zeit verbringe sie auf dem Bett oder dem Sofa
liegend. Der Allgemeinmediziner Dr. E.________, der die Beschwerdeführerin seit
März 2001 hausärztlich betreut, bescheinigte die eingangs angeführten Diagnosen
(lit. A hievor) und bestätigte die Angaben des Sohnes. Für aufwändige
pflegerische Verrichtungen (intensive Dekubitusbehandlung, Verbände anlegen
usw.) werde die Spitex beigezogen (Bericht vom 17. Januar 2010). In Ergänzung
zu den bisherigen Angaben klärte die zuständige Sachbearbeiterin der IV-Stelle
des Kantons St. Gallen am 16. Juni 2010 die Hilflosigkeit im Gespräch mit dem
Sohn einlässlich weiter ab und hielt im entsprechenden Bericht fest, dass die
Versicherte seit mehreren Jahren an fortschreitender Demenz, starker
Beeinträchtigung der Sehfähigkeit, Schwerhörigkeit sowie
Bewegungseinschränkungen zufolge Osteoporose leide. Sie müsse bei sämtlichen
Aktivitäten des Alltags geführt und begleitet werden; von sich aus würde sie
"kaum mehr etwas machen". Ferner lag der Verwaltung nunmehr ein Zeugnis von Dr.
R.________, stellvertretender Chefarzt an der Augenklinik des Spitals
X.________, vom 9. Januar 2006 vor, wonach die Sehfunktion der von ihm
ophthalmologisch betreuten Beschwerdeführerin seit Behandlungsbeginn im April
2002 stark eingeschränkt sei; sie sei auf fremde Hilfe angewiesen. Schliesslich
lässt sich dem im Verlaufe des Einspracheverfahrens eingereichten Schreiben des
Hausarztes Dr. E.________ an Prof. Dr. O.________, Facharzt an der Augenklinik
des Spitals Y.________, vom 21. Februar 2007 entnehmen, dass sich in den
letzten Jahren in zunehmendem Masse kognitive Defizite im Sinne einer
dementiellen Entwicklung eingestellt hätten. Aufgrund des schleichenden,
progredienten Verlaufs und bisher fehlender begleitender neurologischer
Symptome sowie Ereignisse akuter cerebrovaskulärer Ischämien müsse am ehesten
von einer Demenz vom Alzheimertyp ausgegangen werden. Im Oktober 2006 sei die
Versicherte mittels Minimentaltest (Ergebnis: 23 von 30 Punkten) und Uhrentest
(Resultat: fünf von sieben Punkten) evaluiert worden; weitere Abklärungen seien
bisher nicht veranlasst worden.

5.2 Wenn die Vorinstanz im Lichte der angeführten Unterlagen von
Beweislosigkeit einer vor April 2008 (zwölf Monate vor der Anmeldung)
eingetretenen leistungsbegründenden Hilflosigkeit ausgeht, muss diese
Beweiswürdigung als willkürlich bezeichnet werden. Sie ist vom Bundesgericht zu
korrigieren (vgl. E. 1 hievor). Obgleich dem kantonalen Gericht darin
beizupflichten ist, dass "ein dementielles Syndrom (...) - zumindest im
Anfangsstadium - nicht zwingend eine Hilflosigkeit in den massgeblichen
Lebensverrichtungen" begründet, darf nicht ausgeblendet werden, dass der
Hausarzt bereits in seinem Schreiben von Anfang 2007 von einer mehrjährigen
Entwicklung gesprochen hat; sie veranlasste ihn auch zu den
Abklärungsmassnahmen von Herbst 2006. Bei diesen Gegebenheiten durfte
jedenfalls schon längere Zeit vor April 2008 nicht mehr vom "Anfangsstadium"
einer dementiellen Entwicklung ausgegangen werden. Entscheidend ist jedoch,
dass die Hilfsbedürftigkeit anfänglich in erster Linie auf die fortschreitende
Beeinträchtigung der Sehfunktion beider Augen zurückzuführen war, welche
fachärztlich schon im Jahre 2002 als stark eingeschränkt qualifiziert wurde.
Die weitere Verschlechterung führte denn auch zur rechtsseitigen Erblindung.
Unter diesen Umständen geht es - entgegen der vorinstanzlichen Auffassung -
nicht an, von der hausärztlichen Bestätigung einer spätestens seit 2004
bestehenden Hilfs-, Pflege- und Überwachungsbedürftigkeit abzuweichen, ohne zu
begründen, weshalb auf die Angaben Dr. E.________s und die anderen hievor
zitierten Unterlagen nicht abgestellt werden kann. Wird die zusätzliche
gesundheitliche Fragilität der betagten Beschwerdeführerin aufgrund der
Osteoporose, des medikamentös nicht immer optimal eingestellten Diabetes
mellitus vom Typ 2, der früheren rezidivierenden Lungenembolien sowie der
wiederkehrenden Harnwegsinfekte berücksichtigt, ist in Übereinstimmung mit der
Ausgleichskasse (im Einspracheentscheid vom 14. Januar 2011) von einer
(spätestens) 2004 vorliegenden Hilflosigkeit schweren Grades auszugehen.

6.
Eine andere Frage ist, ob und - bejahendenfalls - wieweit der
Beschwerdeführerin die ihr an sich seit Anfang 2005 zustehende (Art. 43bis Abs.
2 AHVG) Hilflosenentschädigung gemäss Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG über
April 2008 hinaus nachgezahlt werden kann. Die Ausgleichskasse verneinte
jegliche Nachzahlung, weil dem Sohn der Versicherten deren prekärer
Gesundheitszustand bekannt gewesen sei und er demzufolge seine Mutter bereits
früher hätte anmelden können.

6.1 In seinen in BGE 108 V 226 und 102 V 112 E. 2c S. 117 publizierten Urteilen
vom 25. März 1982 und 5. Mai 1976 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
für den Anwendungsbereich von Art. 48 Abs. 2 zweiter Satz IVG (ab 1. Januar
2012: Art. 48 Abs. 2 lit. a und b IVG) und - in Analogie dazu (vgl. E. 4.2
hievor) - auch für denjenigen von Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG Folgendes
festgelegt: Massgebend für die Nachzahlung hinsichtlich eines Zeitraums,
welcher über die der Anmeldung vorangehenden zwölf Monate zurückreicht, ist die
Kenntnis des anspruchsbegründenden Sachverhalts vonseiten der versicherten
Person oder ihres gesetzlichen Vertreters. Einem Nachzahlungsanspruch für mehr
als zwölf Monate vor der Anmeldung steht der Umstand nicht entgegen, dass die
in Art. 66 IVV (SR 831.201) und Art. 67 AHVV (SR 831.101) genannten, zur
Geltendmachung des Anspruchs befugten Drittpersonen den leistungsbegründenden
Sachverhalt (vgl. E. 4.2 hievor) allenfalls bereits in einem früheren Zeitpunkt
gekannt haben (BGE 108 V 226 E. 3 S. 228; 102 V 112 E. 2c S. 117). Beiden in
der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteilen lagen Beschlüsse des
Gesamtgerichts zugrunde.

6.2 Entgegen der Auffassung der Verwaltung ist diese Rechtsprechung keineswegs
"offensichtlich überholt". Im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
H 22/02 vom 8. Juli 2002 E. 2a erfuhr sie insofern eine Präzisierung, als der
Anspruch auf eine weiter gehende Nachzahlung der Hilflosenentschädigung der AHV
abgelehnt wurde, weil die Hilflosigkeit als anspruchsbegründender Sachverhalt
dem Ehemann als Beistand der Versicherten (welche an seniler Demenz vom
Alzheimertyp litt) erkennbar war. Ansonsten wurde die dargelegte Rechtsprechung
seit Erlass der beiden Grundsatzentscheide in gegen einem Dutzend Urteilen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts und (seit 1. Januar 2007) des
Bundesgerichts bestätigt (vgl. etwa ZAK 1984 S. 403, I 132/83 E. 1 in fine;
Urteile 9C_670/2009 vom 11. Dezember 2009 E. 2, I 705/02 vom 17. November 2003
E. 4.3, I 199/02 vom 20. August 2002 E. 2.2, I 71/00 vom 29. März 2001 E. 2a;
vgl. auch André Pierre Holzer, Verjährung und Verwirkung der Leistungsansprüche
im Sozialversicherungsrecht, Diss. Freiburg 2005, S. 92; Ulrich Meyer-Blaser,
Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], in: Murer/Stauffer [Hrsg.],
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 1997, S. 284).
Für eine Änderung der Rechtsprechung besteht kein Anlass, zumal sich eine
solche grundsätzlich nur begründen liesse, wenn die neue Lösung besserer
Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter
Rechtsanschauung entspräche (BGE 138 II 162 E. 2.3 S. 166; 138 III 270 E. 2.2.2
S. 273; 359 E. 6.1 S. 361; 137 III 352 E. 4.6 S. 360; 137 V 133 E. 6.1 S. 137;
210 E. 3.4.2 S. 252; 282 E. 4.2 S. 291; 314 E. 2.2 Ingress S. 316). Solches
wird denn auch von keiner Seite geltend gemacht. An dieser Betrachtungsweise
ändert nichts, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht in seinem von
Verwaltung und Vorinstanz erwähnten Urteil H 374/00 vom 9. August 2002 E. 4 -
ohne Auseinandersetzung mit seiner ständigen Gerichtspraxis in dieser Frage -
anders entschieden hat. Für den vorliegenden Fall lässt sich daraus nichts
ableiten.

6.3 Nach dem Gesagten spielt es für den geltend gemachten Nachzahlungsanspruch
ab 1. Januar 2005 keine Rolle, dass der Sohn der Beschwerdeführerin den
Gesundheitszustand, welcher zur schweren Hilflosigkeit geführt hatte,
zweifellos kannte und seine Mutter bereits viel früher hätte anmelden können
(einzig seine Rechtsunkenntnis verhinderte dies).
Hingegen ist der Frage nachzugehen, inwiefern oder besser: wie lange die
Beschwerdeführerin selber den anspruchsbegründenden Sachverhalt trotz ihrer
kognitiven Defizite (noch) erkennen konnte (vgl. E. 4.2 hievor). Denkbar ist
auch, dass die Versicherte (anfänglich) trotz (noch) vorhandener objektiver
Kenntnis (bereits) krankheitsbedingt daran gehindert wurde, sich für eine
Hilflosenentschädigung anzumelden oder jemanden mit der Anmeldung zu betrauen.
In diese Richtung weisen etwa die Ausführungen Dr. E.________s zur ablehnenden
Haltung der Beschwerdeführerin gegenüber einem Beizug der Spitex: Die
diesbezügliche Malcompliance sei auf die dementielle Störung zurückzuführen
(bereits erwähntes Schreiben vom 21. Februar 2007). Das kantonale Gericht, an
welches die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen und anschliessender
neuer Entscheidung über die weiter gehende Nachzahlung der
Hilflosenentschädigung im Sinne von Art. 46 Abs. 2 zweier Satz AHVG
zurückzuweisen ist, wird am ehesten beim (seit Anfang 2001 behandelnden)
Hausarzt der Versicherten Antworten auf die noch offenen Fragen finden. Soweit
die Vorinstanz auch mit Bezug auf die spezifisch kognitiven Auswirkungen der
dementiellen Entwicklung im Zeitraum vor April 2008 Beweislosigkeit annimmt,
liegt wiederum eine (letztinstanzlich zu korrigierende) Bundesrechtsverletzung
vor. Das kantonale Gericht übersieht nämlich, dass von Beweislosigkeit erst
ausgegangen werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes anhand einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu
ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit
zu entsprechen (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264 mit Hinweis). Von einer derartigen
beweisrechtlichen Pattsituation kann indessen im hier zu beurteilenden Fall
solange nicht gesprochen werden, als noch von keiner Seite Abklärungen darüber
getätigt wurden, wie weit und gegebenenfalls wie lange die Beschwerdeführerin
trotz ihrer dementiellen Erkrankung überhaupt in der Lage war, sich um die
Anmeldung für die Hilflosenentschädigung zu kümmern (vgl. die im zweiten
Abschnitt von E. 4.2 hievor angeführten Urteile).

7.
Die Gerichtskosten werden der Ausgleichskasse als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271; 132 V 215 E. 6.1 S.
235). Weil der Sohn der obsiegenden Beschwerdeführerin ein eigenes Interesse am
Ausgang des Verfahrens hat, und sein Arbeitsaufwand den Rahmen dessen nicht
überschritt, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise nebenbei zur
Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat (BGE 129 V
113 E. 4.1 S. 116; 127 V 205 E. 4b S. 207; 110 V 72 E. 7 S. 82; 132 E. 4d S.
134), kann für seine (nicht anwaltliche) Rechtsvertretung keine
Parteientschädigung zugesprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird
bezüglich Ziffer 2 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Mai 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Attinger

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