Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 294/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}}
9C_294/2012

Urteil vom 7. Mai 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung,
vom 12. März 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1969 geborene K.________ meldete sich im Juni 2006 (ein zweites Mal) bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 2. April
2008 sprach ihm die IV-Stelle Luzern eine befristete ganze Rente vom 1. Oktober
2006 bis 30. September 2007 zu. Mit Entscheid vom 7. September 2009 hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern diesen Verwaltungsakt auf und wies die
Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie nach erfolgten Abklärungen im Sinne
der Erwägungen über den Anspruch auf Invalidenrente neu verfüge. In der Folge
liess die IV-Stelle den Versicherten im Medizinischen Zentrum X.________
untersuchen und begutachten (Expertise vom 6. September 2010). Nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom
4. März 2011 für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 30. September 2006 sowie ab
1. Oktober 2007 eine halbe Rente zu. Dabei wies sie darauf hin, für die Zeit
vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2007 sei bereits eine ganze Rente
zugesprochen und ausbezahlt worden.

B.
Die Beschwerde des K.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Abgaberechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 12. März 2012 insofern teilweise
gut, soweit es darauf eintrat, als es die Verfügung vom 4. März 2011 aufhob und
die IV-Stelle verpflichtete, vom 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2006 sowie
ab 1. Februar 2008 eine halbe und vom 1. Januar 2007 bis 31. Januar 2008 eine
ganze Invalidenrente zu bezahlen.

C.
K.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 12. März 2012 sei insofern aufzuheben, als
ein höherer Rentenanspruch für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis 31.
Dezember 2006 sowie ab dem 1. Februar 2008 verneint worden sei, und es sei die
Sache zur Vornahme einer psychiatrischen Begutachtung an die IV-Stelle
zurückzuweisen; eventualiter sei ihm für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis
31. Dezember 2006 sowie ab dem 1. Februar 2008 eine Dreiviertelsrente
zuzusprechen.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid spricht dem Beschwerdeführer eine halbe Rente vom 1.
Dezember 2005 bis 31. Dezember 2006 und ab 1. Februar 2008 sowie eine ganze
Rente vom 1. Januar 2007 bis 31. Januar 2008 zu. Es geht somit um die
rückwirkende Zusprechung einer abgestuften Invalidenrente (vgl. dazu Art. 17
Abs. 1 ATSG und Art. 88a IVV; Urteil 8C_670/2011 vom 10. Februar 2012 E. 5.1).
Streitig und zu prüfen ist einzig der Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs.
2 IVG) für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2006 und ab 1.
Februar 2008 (Art. 107 Abs. 1 BGG).

2.
Die Vorinstanz ist bei der Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich
(Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG) gestützt auf das Gutachten
des Medizinischen Zentrums X.________ vom 6. September 2010 von einer
ausschliesslich aus rheumatologischer Sicht eingeschränkten Arbeitsfähigkeit
von 50 % in leidensangepassten Tätigkeiten ausgegangen. Bei der Berechnung des
Invalideneinkommens auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung
2008 des Bundesamtes für Statistik (vgl. dazu BGE 124 V 321) hat sie einen
Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 von 15 % vorgenommen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet den Beweiswert des Administrativgutachtens,
soweit darin keine psychiatrische Diagnose mit Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit gestellt wurde. Zur Begründung verweist er wie schon im
vorinstanzlichen Verfahren auf die Berichte der Psychiatrie M.________ vom 19.
Januar 2012 und 29. Februar 2012, ohne sich indessen mit den diesbezüglichen
Erwägungen der Vorinstanz auseinanderzusetzen. Damit übt er unzulässige
appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und
Beweiswürdigung (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356; Urteil
9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3).

3.2 Weiter rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes durch die Vorinstanz (Art. 61 lit. c ATSG). Aufgrund
der Berichte der Psychiatrie M.________ vom 19. Januar und 29. Februar 2012
erscheine es als wahrscheinlich, dass sich der psychische Gesundheitszustand
nach der Begutachtung durch das Medizinische Zentrum X.________, aber noch vor
Erlass der Verfügung vom 4. März 2011 verändert habe. Weitere diesbezügliche
Abklärungen wären somit angezeigt gewesen.
Die Vorinstanz hat festgestellt, der Diagnose einer rezidivierenden depressiven
Störung, leichte Episode (ICD-10 F33.0) im Bericht vom 19. Januar 2012 liege
keine Erhebung der depressiven Symptomatik zu Grunde. Ausserdem werde der
Beschwerdeführer als arbeitsfähig erachtet. Den Berichten vom 19. Januar und
29. Februar 2012 könnten auch keine Hinweise darauf entnommen werden, dass der
- gemäss Angaben des Beschwerdeführers im Winter 2010/2011 angefangene - Konsum
von Heroin durch eine psychische Störung bewirkt worden sei oder eine solche
zur Folge gehabt habe. Diesen nicht offensichtlich unrichtigen und daher für
das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen ist beizufügen, dass im Bericht
vom 19. Januar 2012 festgehalten wurde, der Patient habe als Auslöser für
seinen Heroinkonsum die Rückenschmerzen genannt; an einer psychotherapeutischen
Behandlung habe er kein Interesse gezeigt. Unter diesen Umständen ist der
Verzicht der Vorinstanz auf weitere Abklärungen als Ergebnis pflichtgemässer
antizipierter Beweiswürdigung von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden und
der Vorwurf der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes somit unbegründet (vgl.
SVR 2009 EL Nr. 7 S. 19, 9C_724/2009 E. 3.2.3.1).

3.3 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, der vorinstanzliche Abzug vom
Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 von 15 % verletze Bundesrecht. Es rechtfertige
sich ein Abzug von 25 %. Mit seinen Vorbringen vermag er indessen nicht
aufzuzeigen, inwiefern ein Abzug von 15 % das Ergebnis rechtsfehlerhafter
Ermessensbetätigung ist (Urteil 9C_40/ 2011 vom 1. April 2011 E. 2.1).
3.3.1 Wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, ist der Abzug vom Tabellenlohn
unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen
gesamthaft zu schätzen (SVR 2011 IV Nr. 31 S. 90, 9C_728/2009 E. 4.1.1).
Konkret hat sie berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer gesundheitlich
bedingt lediglich noch ein hälftiges Arbeitspensum ausüben kann und aufgrund
des ergonomischen Anforderungsprofils selbst bei leichten Tätigkeiten
zusätzlich eingeschränkt ist, insbesondere durch die notwendigen
Positionswechsel und die fehlende Möglichkeit, Gewichte zu heben. Dagegen wirke
sich der Umstand, dass der Versicherte seit Ende 2004 die schweizerische
Staatsbürgerschaft besitze, tendenziell lohnerhöhend aus.
Der Beschwerdeführer bringt vor, es müsse zusätzlich berücksichtigt werden,
dass er lediglich zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Nachmittag mit
einer langen Pause dazwischen arbeiten könne. Sodann bestünden doch massive
Einschränkungen, da lediglich eine sehr leichte Tätigkeit in Betracht falle, in
welcher zumindest halbstündlich ein Positionswechsel möglich sei, keine oder
nur leichteste Gewichte zu heben und auch keine Erschütterungen möglich seien.
Schliesslich fehlten Anhaltspunkte für eine einkommenserhöhende Wirkung des
Merkmals "Nationalität".
3.3.2
3.3.2.1 Die statistischen Angaben, die Grundlage für einen Abzug unter dem
Titel Beschäftigungsgrad bilden (vgl. Urteil 9C_472/2010 vom 5. Juli 2010 E.
2.2), differenzieren nicht danach, wie das - vorliegend hälftige -
Arbeitspensum auf die normale betriebsübliche wöchentliche und tägliche
Arbeitszeit verteilt ist. Als abzugserhöhend können daher grundsätzlich nur
Umstände anerkannt werden, die auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt als
ausserordentlich zu bezeichnen sind. Zu denken ist etwa an den Fall, wo das
Arbeitspensum aus gesundheitlichen Gründen nicht vorhersehbar und damit für den
Arbeitgeber nicht oder nur schwer kalkulierbar nur sehr unregelmässig geleistet
werden kann. Dies trifft vorliegend nicht zu.
3.3.2.2 Weiter ist zu beachten, dass Anforderungs- und Belastungsprofil, wie
das Einnehmen wechselnder Positionen, Vermeiden von Zwangshaltungen der
Wirbelsäule sowie Hebe- und Traglimiten, das Spektrum der erwerblichen
Tätigkeiten bestimmen, die unter Berücksichtigung der Fähigkeiten, Ausbildung
und Berufserfahrung der versicherten Person realistischerweise noch in Frage
kommen (Urteil 9C_624/2009 vom 7. Oktober 2009 E. 4.1.1). Davon zu
unterscheiden ist die hier interessierende Frage, ob mit Bezug auf eine konkret
in Betracht fallende Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage verglichen
mit einem gesunden Mitbewerber nur bei Inkaufnahme einer Lohneinbusse reale
Chancen für eine Anstellung bestehen (SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009 E.
2.3.1). Es ist nicht anzunehmen, dass das für den Beschwerdeführer
grundsätzlich in Frage kommende Arbeitsmarktsegment durch das ergonomische
Anforderungsprofil (vorne E. 3.3.1) entscheidend verkleinert wird.
3.3.3 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kann ein Abzug vom Tabellenlohn von
15 % nicht als rechtsfehlerhaft bezeichnet werden, zumal der Beschwerdeführer
mit Bezug auf das Merkmal "Nationalität" nicht in Abrede stellt, dass er
mindestens soviel verdienen könnte wie der statistische Durchschnittslohn
beträgt.

3.4 Die Beschwerde ist unbegründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Mai 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler