Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 292/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_292/2012

Urteil vom 7. August 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Verfahrensbeteiligte
K.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Paul Hofer,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
K.________ (geboren 1981) leidet an einer psychischen Krankheit aus dem
schizophrenen Formenkreis. Seit 1. April 2000 bezog sie aufgrund eines
Invaliditätsgrads von 100 % eine ganze Invalidenrente (Verfügung der IV-Stelle
des Kantons Aargau vom 28. Mai 2002). Im Jahr 2005 wurde sie Mutter eines
Sohnes. Im Rahmen des im Juni 2006 von Amtes wegen eingeleiteten
Revisionsverfahrens wurde eine Abklärung im Haushalt durchgeführt (Erhebung vom
28. November 2006). Da keine rentenrelevante Änderung festgestellt worden war,
wurde ihr die bisher ausgerichtete ganze Rente aufgrund eines in Anwendung der
gemischten Methode (60 % Erwerbstätigkeit, 40 % Haushalt) ermittelten
Invaliditätsgrads von 73,60 % weiterhin ausgerichtet (Mitteilung vom 17. Januar
2007). Am ..... 2007 gebar die Versicherte eine Tochter.
Im Rahmen eines im Mai 2010 eingeleiteten Revisionsverfahrens nahm die
IV-Stelle am 16. September 2010 erneut eine Abklärung im Haushalt der
Versicherten vor (Bericht vom 19. Oktober 2010). Nach Zustellung des
Abklärungsberichts und Durchführung des Vorbescheidverfahrens setzte sie mit
Verfügung vom 26. Januar 2011 die bisherige ganze Invalidenrente aufgrund eines
in Anwendung der gemischten Methode (40 % Erwerbstätigkeit, 60 % Haushalt)
ermittelten Invaliditätsgrads von nurmehr 42 % per 1. März 2011 auf eine
Viertelsrente herab. Zur Begründung führte sie an, es liege aus medizinischer
Sicht ein unveränderter Gesundheitszustand vor, der Invaliditätsgrad werde
weiterhin nach der gemischten Methode ermittelt, allerdings mit der neuen
Aufteilung 40 % Erwerbstätigkeit und 60 % Haushalt.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 15. Februar 2012 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr weiterhin
eine ganze Invalidenrente auszurichten. Eventuell sei die Angelegenheit zur
Neubeurteilung an das kantonale Gericht, subeventualiter zur Klärung des
Sachverhaltes an die IV-Stelle zurückzuweisen. Ferner beantragt sie die
unentgeltliche Verbeiständung und Prozessführung (Schreiben vom 25. Mai 2012).

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E.
1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S.
140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Rüge- und Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für
den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch BGE
134 IV 36 E. 1.4.1).

1.3 Der Beschwerdeführer, der die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz
anfechten will, muss substantiiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen
einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei
rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre.
Andernfalls kann ein Sachverhalt, der von dem im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden. Der Beschwerdeführer kann
sich nicht damit begnügen, den bestrittenen Feststellungen eigene tatsächliche
Behauptungen gegenüberzustellen oder darzulegen, wie die Beweise seiner Ansicht
nach zu würdigen gewesen wären. Vielmehr hat er klar und substantiiert
aufzuzeigen, inwiefern die gerügten Feststellungen bzw. die Unterlassung von
Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen. Auf eine Kritik an den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist nicht
einzutreten (vgl. BGE 136 I 65 E. 1.3.1; 133 III 462 E. 2.4).

1.4 Dem Sachgericht steht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher
Ermessensspielraum zu (BGE 120 Ia 31 E. 4b). Das Bundesgericht greift auf
Beschwerde hin nur ein, wenn das Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere
offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder
solche willkürlich ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1; zum Begriff der
Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 mit Hinweisen). Inwiefern das kantonale Gericht sein
Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert
aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3). Auf ungenügend begründete Rügen und bloss
allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das
Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 mit Hinweis).

2.
2.1 Das kantonale Gericht erwog im Zusammenhang mit der Aufteilung der Erwerbs-
und Haushalttätigkeit bei der Anwendung der gemischten Methode, dass bei der
Beurteilung des Umfangs der Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall nicht nur die
finanzielle Notwendigkeit, eine Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen oder
auszudehnen, eine Rolle spiele, sondern dass auch Erziehungs- und
Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten,
die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu
berücksichtigen seien. Angesichts der - gegenüber der letzten
Haushaltsabklärung vom 28. November 2006 - veränderten Verhältnisse (Geburt des
zweiten Kindes am ... 2007) erscheine es überwiegend wahrscheinlich, dass die
Versicherte angesichts des erhöhten Erziehungs- und Betreuungsaufwands für zwei
kleine Kinder nicht mehr wie zuletzt im Ausmass von 60 %, sondern nur noch mit
einem Pensum von 40 % ausserhäuslich erwerbstätig gewesen wäre. Auf ihre
Aussage anlässlich der Abklärung im Haushalt vom 16. September 2010, wonach sie
auch im Gesundheitsfall nicht arbeiten würde, da sie "voll und ganz für die
Betreuung und Erziehung der Kinder zuständig sein wolle", könne - in
Übereinstimmung mit der Auffassung der Abklärungsperson - nicht abgestellt
werden, erscheine es doch vielmehr als wahrscheinlich, dass sie angesichts der
finanziell angespannten Situation (Arbeitslosigkeit des Ehegatten) auch mit
zwei zu betreuenden Kleinkindern eine Teilzeiterwerbstätigkeit annehmen würde.
Dass sie im Gesundheitsfall einer ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit von 100 %
nachgehen würde, wie das nun beschwerdeweise vorgebracht werde, sei
demgegenüber als unwahrscheinlich anzusehen. Daran vermöge auch die
entsprechende Bestätigung der Lungenliga Y.________ im Schreiben vom 17.
Dezember 2010 nichts daran zu ändern, werde darin eine vollzeitliche
Erwerbstätigkeit doch nur mit der finanziell angespannten Situation der Familie
begründet. Die darin ebenfalls geschilderten Umstände legten im Übrigen nahe,
dass die Versicherte ihre Kinder für eine ordentliche Erziehung künftig eher
mehr betreuen müsste, was auch ohne Behinderung der Fall wäre. Die
Abklärungsperson halte denn auch in ihrer Stellungnahme vom 5. Januar 2011
vollumfänglich an ihrer nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit gewählten Methode zur Berechnung des Invaliditätsgrads mit
einer Aufteilung von 40 % Erwerbstätigkeit und 60 % Haushalt fest. Diese
Hypothese erscheine im Übrigen auch deshalb als sachgerecht, weil die
Versicherte nach Zustellung des Abklärungsberichts vom 19. Oktober 2010 - trotz
entsprechender Aufforderung durch die Beschwerdegegnerin - keine Ergänzungen
oder Bemerkungen zur von der Abklärungsperson vorgenommenen Aufteilung
vorgenommen habe, sondern erst im Vorbescheid - und nun im vorliegenden
Beschwerdeverfahren - geltend mache, ohne Behinderung einer vollzeitlichen
Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darauf könne nicht abgestellt werden.

2.2 Diese Sachverhaltsfeststellung und die entsprechende Beweiswürdigung des
kantonalen Gerichts, mit welchem dieses den Anteil der Haushalttätigkeit mit 60
% und denjenigen der Erwerbstätigkeit mit 40 % festgelegt hat, ist nicht
mangelhaft im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG. Namentlich hat die Vorinstanz
eingehend begründet, aus welchen Gründen sie die Aufteilung der Haushalt- und
Erwerbstätigkeit durch die Abklärungsperson für schlüssig hält. Die
entsprechenden Feststellungen und Schlussfolgerungen sind nach der Aktenlage
nicht offensichtlich unrichtig, noch ist darin eine unvollständige
Sachverhaltsfeststellung oder eine willkürliche Beweiswürdigung zu erblicken.
Namentlich hat das kantonale Gericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör (Art. 42 ATSG) nicht verletzt. Vielmehr hat es die
Nichtreaktion auf den Abklärungsbericht vom 19. Oktober 2010 und die Einwände
im Vorbescheid- und Beschwerdeverfahren im Gesamtzusammenhang gewürdigt. Der
daraus gezogene Schluss, die Beschwerdeführerin würde nach der Geburt des
zweiten Kindes nur noch 40 % erwerbstätig sein, ist nicht offensichtlich
unhaltbar.

2.3 Das kantonale Gericht hat sich eingehend und detailliert mit den beiden
Haushaltberichten vom 28. November 2006 und 19. Oktober 2010 auseinandergesetzt
und ist zum Schluss gelangt, dass sich die Auswirkungen in Bezug auf die
Betätigung im üblichen Aufgabenbereich trotz gleich gebliebenem
Gesundheitszustand und Geburt des zweiten Kindes wegen Angewöhnung oder
Anpassung an die gesundheitliche Behinderung verbessert hätten. Die
Beschwerdeführerin legt nicht in rechtsgenüglicher Weise dar (vgl. E. 1.3 und
1.4 hievor), inwiefern diese vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich oder
sonst wie Bundesrecht verletzen sollte. Auch mit den vorinstanzlichen
Ausführungen zu den einzelnen Aufgabenbereichen im Haushalt setzt sie sich
nicht in rechtsgenüglicher Weise auseinander. Vielmehr belässt sie es mit
pauschaler Kritik und dem Hinweis, die Beurteilung der zuständigen
Abklärungsperson stehe im Widerspruch zur eindeutigen Einschätzung des Dr. med.
A.________ vom 7. Juli 2010. Die Ausführungen in der Beschwerde sind daher
nicht geeignet, die vorinstanzliche Betrachtungsweise als bundesrechtswidrig zu
taxieren.

3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie sind vorläufig auf die
Gerichtskasse zu nehmen, da die Voraussetzungen für die Gewährung der
beantragten unentgeltlichen Rechtspflege (fehlende Aussichtslosigkeit des
Rechtsmittels, Bedürftigkeit des Gesuchstellers, Notwendigkeit der anwaltlichen
Vertretung [Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371
E. 5b S. 372]) erfüllt sind. Ferner wird ihrem Rechtsvertreter eine
Entschädigung aus der Gerichtskasse ausgerichtet (Art. 64 Abs. 2 BGG). Die
Beschwerdeführerin wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht,
wonach sie als Begünstigte der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn
sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt,
zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung vorläufig auf die
Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Paul Hofer wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin
bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. August 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer