Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 290/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_290/2012

Urteil vom 31. Mai 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franklin Sedaj,
Beschwerdegegnerin,

Schweizerische Ausgleichskasse,
Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Bundesverwaltungsgerichts
vom 13. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 29. März 2010 verneinte die Schweizerische Ausgleichskasse
(SAK) den Anspruch auf eine Altersrente des M._______ (geb. 1945),
kosovarischer Staatsangehöriger, unter Hinweis darauf, dass seit dem 1. April
2010 zwischen der Schweiz und dem Kosovo keine zwischenstaatliche Vereinbarung
mehr bestehe, er nicht in der Schweiz lebe und die Wohnsitzvoraussetzung daher
nicht erfüllt sei. Daraufhin beantragte M._______ die Rückvergütung seiner
AHV-Beiträge. Am 22. Juni 2010 verstarb er. Er hinterliess seine (kosovarische)
Ehefrau A.________ (geb. 1958).
Am 29. Juli 2010 verfügte die SAK die Rückerstattung von Beiträgen in der Höhe
von Fr. 5'038.20. Daran hielt sie auf Einsprache der A.________ hin fest
(Entscheid vom 6. Dezember 2010).

B.
Beschwerdeweise liess A.________ die Ausrichtung eines höheren
Rückerstattungsbetrages (zuzüglich Verzugszinsen) beantragen. Mit Entscheid vom
13. Februar 2012 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab. Es hob
den Einspracheentscheid und die Rückerstattungsverfügung auf und forderte die
SAK auf, "im Sinne der Erwägungen den Rentenanspruch zu prüfen und
gegebenenfalls zu verrechnen".

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) lässt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen,
der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und der
Einspracheentscheid der SAK zu bestätigen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Wie in den unlängst ergangenen Urteilen 9C_167/2012 und 9C_171/2012 vom 23.
Mai 2012 stellt sich vorab die Frage nach der Beschwerdelegitimation des BSV.
Auch im hier zu beurteilenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht als
Vorinstanz die Frage, ob das Abkommen vom 8. Juni 1962 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen
Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (Sozialversicherungsabkommen;
SR 0.831.109.818.1) und die Verwaltungsvereinbarung vom 5. Juli 1963 betreffend
die Durchführung des Abkommens (SR 0.831.109.818.12) auf Bürger von Kosovo
weiterhin anwendbar sind, bejaht und die Sache an die SAK zum weiteren Vorgehen
(Prüfung des Rentenanspruchs) zurückgewiesen.

2.2 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 III 1 E. 1.1 S. 3).
2.2.1 Ein Rückweisungsentscheid schliesst das Verfahren nicht ab und ist nach
der Regelung des BGG grundsätzlich kein Endentscheid, selbst wenn darin über
eine materielle Grundsatzfrage entschieden wird. Er bildet in erster Linie
einen Zwischenentscheid, der u.a. nur unter den Voraussetzungen von Art. 93
Abs. 1 BGG selbstständig angefochten werden kann (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481
f.; vgl. auch BGE 137 V 424 E. 1.1 S. 426). Wenn jedoch bei einem
Rückweisungsentscheid der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein
Entscheidungsspielraum mehr belassen wird und die Rückweisung nur noch der
Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient, handelt es sich um einen
Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007
E. 1.1 mit Hinweisen, in: SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131).
2.2.2 Das BSV begründet seine Beschwerdelegitimation damit, dass die
Voraussetzungen, unter denen ein Rückweisungsentscheid ausnahmsweise als
Endentscheid betrachtet werden könne, erfüllt seien. Es sei aktenkundig, dass
der verstorbene Versicherte 1970 bis 1974 (während vier Jahren und drei
Monaten) in der Schweiz gearbeitet und am 7. April 2010 das 65. Altersjahr
erreicht habe, was grundsätzlich zu einer schweizerischen Altersrente
berechtige bzw. nach dessen Tod am 22. Juni 2010 zu einer Witwenrente zu
Gunsten von A.________. Der einzig strittige Punkt sei die Frage nach der
Anwendbarkeit des Sozialversicherungsabkommens, von deren Beantwortung abhänge,
ob die Witwenrente exportiert werde oder eine Beitragsrückvergütung zu prüfen
sei. Nachdem sich die Vorinstanz für die Anwendbarkeit des Abkommens und damit
für den Rentenexport ausgesprochen habe, diene die Rückweisung an die
Ausgleichskasse nur noch der frankenmässigen Festsetzung der Witwenrente. Der
grundsätzliche Anspruch auf eine Witwenrente sei schon aufgrund des
Vorhandenseins von Kindern (aktenkundig) zu bejahen.

2.3 Dem Urteil 9C_171/2012 (vgl. auch Urteil 9C_167/2012) lag der Fall eines
kosovarischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz im Kosovo zu Grunde, dessen
Anspruch auf eine Altersrente die SAK unter Hinweis auf das Fehlen einer
zwischenstaatlichen Vereinbarung abgelehnt hatte, wogegen das
Bundesverwaltungsgericht an der Weitergeltung des Sozialversicherungsabkommens
festhielt, den Einspracheentscheid sowie die Verfügung der SAK aufhob und die
Sache an die SAK zurückwies, "damit sie die Prüfung des Rentenbegehrens
fortsetze und anschliessend unter Anwendung des noch in Kraft stehenden
Sozialversicherungsabkommens in der Sache neu verfüge".
Das Bundesgericht erwog, dass ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG nicht
vorliege, weil die vorinstanzliche Rückweisung - entgegen der Argumentation des
Beschwerde führenden BSV - über eine reine Formalie hinausgehe bzw. mehr
umfasse als die blosse Ermittlung des Rentenbetrages (vgl. dazu Urteil 9C_684/
2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1). Es treffe zwar zu, dass der angefochtene
Entscheid der SAK in Bezug auf das anwendbare Recht keinen Spielraum belasse,
doch sei dies lediglich ein materieller Teilaspekt. Damit würden nicht alle
wesentlichen Punkte entschieden. So stellte sich im damals zu beurteilenden
Fall vor allem die Frage, ob der Beschwerdegegner allenfalls eine Abfindung
gemäss Art. 7 lit. a Abs. 1 des Sozialversicherungsabkommens wünschte, zumal er
als Saisonnier mit nur 10-jähriger Beitragsdauer keinen Anspruch auf eine
(ordentliche) Vollrente erworben hatte (vgl. Art. 29 Abs. 2 AHVG). Zwar sei
diese Wahl bei der Anmeldung zum Rentenbezug zu treffen, falls der Berechtigte
sich ausserhalb der Schweiz aufhalte (Art. 7 lit. a Abs. 1 in fine des
Sozialversicherungsabkommens). Dass sich im Anmeldeformular keine entsprechende
Wahlmöglichkeit finde, könne dem Beschwerdegegner nicht zum Nachteil gereichen.
Er werde, sofern die Auszahlung einer Abfindung in Frage komme, nachträglich
über diese Option zu informieren sein. Das BSV schweige sich zu dieser
entscheidrelevanten Begebenheit aus und eine klare Antwort ergebe sich auch
nicht aus den Akten.
Da der angefochtene Rückweisungsentscheid nach dem Gesagten nicht als
Endentscheid betrachtet werden konnte, prüfte das Bundesgericht, ob die
Voraussetzungen für die Anfechtung als Zwischenentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1
BGG erfüllt waren. Es gelangte zum Ergebnis, dass auf die Beschwerde bereits
mangels Substanziierung der Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 BGG nicht
einzutreten sei, da sich das BSV dazu mit keinem Wort äusserte (Urteile 5A_175/
2009 vom 9. Juni 2009 E. 1.3 und 4A_92/2007 vom 8. Juni 2007 E. 2 in fine;
SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 13 zu Art. 93
BGG). Darüber hinaus wären die Voraussetzungen ohnehin nicht gegeben, sei doch
ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (wegen der Möglichkeit, den
Endentscheid anzufechten) ebenso zu verneinen wie die (rechtsprechungsgemäss
nur mit Zurückhaltung anzunehmende) Ersparnis eines bedeutenden Aufwands an
Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren.

2.4 Diese Überlegungen lassen sich ohne weiteres auf den hier zu beurteilenden
Fall übertragen: Auch der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.
Februar 2012 kann nicht als Endentscheid betrachtet werden, da er der SAK nur
in Bezug auf das anwendbare Recht keinen Spielraum belässt (indem er die
Weitergeltung des Sozialversicherungsabkommens festhält), womit lediglich ein
materieller Teilaspekt, aber nicht alle wesentlichen Punkte entschieden sind.
So könnte auch der inzwischen verstorbene Versicherte allenfalls eine Abfindung
gemäss Art. 7 lit. a Abs. 1 des Sozialversicherungsabkommens gewollt haben,
zumal er mit einer Beitragsdauer von vier Jahren und drei Monaten ebenso wenig
einen Anspruch auf eine ordentliche Vollrente erworben hatte (vgl. Art. 29 Abs.
2 AHVG). Die administrative Unzulänglichkeit, dass das Anmeldeformular die
Möglichkeit, zwischen einer Rente und einer Abfindung zu wählen, nicht vorsah,
darf für den Versicherten resp. seine Hinterlassenen keine Nachteile zur Folge
haben. Sodann scheitert die Anfechtung als Zwischenentscheid wie im Verfahren
9C_171/2012 daran, dass sich das BSV zu den Rechtsmittelvoraussetzungen des
Art. 93 Abs. 1 BGG nicht geäussert hat, so dass auf die Beschwerde insoweit
mangels rechtsgenüglicher Substanziierung nicht einzutreten ist. Im Übrigen
wären auch hier aus den im Urteil 9C_171/2012 erwähnten Gründen die
Voraussetzungen des nicht wieder gutzumachenden Nachteils oder der Ersparnis
eines bedeutenden Aufwands an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren nicht erfüllt.

2.5 Bei dieser Sachlage ist auf die Beschwerde des BSV nicht einzutreten.

3.
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der
Beschwerdegegnerin ist im bundesgerichtlichen Verfahren kein Aufwand erwachsen,
da kein Schriftenwechsel durchgeführt wurde; es ist ihr daher keine
Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Schweizerischen Ausgleichskasse und dem
Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 31. Mai 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann