Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 270/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_270/2012

Urteil vom 23. Mai 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pierre Heusser,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 9. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene S.________ bezog vom 1. Februar 1996 bis 30. Juni 1997 eine
ganze und ab 1. Juli 1997 eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Im Rahmen
einer Rentenrevision ermittelte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen
Invaliditätsgrad von 100 % und sprach der Versicherten mit Verfügung vom 22.
Februar 2000 wiederum eine ganze Rente (nebst Kinderrenten) ab 1. Dezember 1999
zu; mit Mitteilungen vom 18. April 2001 und 19. Juli 2006 bestätigte sie einen
unveränderten Anspruch. Nachdem S.________ ab April 2008 zunächst stundenweise
und ab Februar 2009 in einem festen Pensum von 12 Stunden pro Woche eine
Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, leitete die IV-Stelle erneut ein
Revisionsverfahren ein. Nach Abklärungen und Durchführung des
Vorbescheidverfahrens hob die IV-Stelle die Rente mit Verfügung vom 16.
November 2010 auf das Ende des der Zustellung folgenden Monats auf
(Invaliditätsgrad von 14 %).

B.
Die Beschwerde der S.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 9. Februar 2012 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 9. Februar 2012 sei ihr
Invaliditätsgrad auf der Basis eines zumutbaren Arbeitspensums von maximal 12
Stunden pro Woche zu berechnen; eventualiter sei die Sache an das kantonale
Gericht zurückzuweisen, damit es weitere medizinische Abklärungen vornehme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines
Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin
für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs.
1 ATSG [SR 830.1]). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in
den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist,
den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist
die Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes oder der
erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitszustandes
revidierbar (BGE 134 V 131 E. 3 S. 132).

2.2 Bei der Beurteilung der Arbeits(un)fähigkeit stützt sich die Verwaltung und
im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Aufgabe
des Arztes oder der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und
dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten
die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines
Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend
ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).

2.3 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1). Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom
12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den
Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art.
106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann
(Art. 106 Abs. 1 BGG).

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat dem Gutachten des Dr. med. E.________, Facharzt
für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, vom 14.
Juni 2010 Beweiskraft beigemessen. Gestützt darauf hat es (implizite) eine
Verbesserung des Gesundheitszustandes und damit einen Revisionsgrund im Sinne
von Art. 17 Abs. 1 ATSG angenommen. Sodann hat es eine vollständige
Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit festgestellt. Für den
Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) hat es das Valideneinkommen unter Verweis
auf den vor Eintritt des Gesundheitsschadens erzielten Lohn auf Fr. 53'633.89
festgesetzt. Was das Invalideneinkommen von Fr. 46'342.04 betrifft, ist die
Vorinstanz dem Vorgehen der IV-Stelle gefolgt, welche den Tabellenlohn der
Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE 2008, Tabelle TA1,
Total Frauen, Anforderungsniveau 4) heranzog und die betriebsübliche
Wochenarbeitszeit sowie einen leidensbedingten Abzug (BGE 126 V 75 E. 5b S. 79
f.; 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f.) von 10 % einrechnete. Bei einem resultierenden
Invaliditätsgrad von 14 % hat sie die Rentenaufhebung bestätigt.

3.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sich der Gesundheitszustand
und die Arbeitsfähigkeit verbesserten und dass damit grundsätzlich ein
Revisionsgrund vorliegt. Im Wesentlichen stellt sie die Beweiskraft des
Gutachtens des Dr. med. E.________ in Abrede und kritisiert die vorinstanzliche
Beweiswürdigung als willkürlich.

4.
4.1 Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV) rügt, weil die IV-Stelle dem Gutachter
Zusatzfragen gestellt habe, ohne sie einzubeziehen, kann sie nichts für sich
ableiten: Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, weshalb von einer Heilung
des Mangels (vgl. BGE 135 I 279 E. 2.6.1 S. 285) auszugehen ist. Im Weiteren
bildet nicht das Verhalten der IV-Stelle, sondern der vorinstanzliche Entscheid
Anfechtungsobjekt im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren (vgl. Art. 86 Abs.
1 lit. d BGG; Urteil 9C_447/2011 vom 21. Juli 2011 E. 4.1.3). Ausserdem
verletzt es nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn ein von der
Verwaltung eingeholtes Gutachten nicht den behandelnden Ärzten zur
Stellungnahme vorgelegt wird (vgl. E. 4.2), zumal es der Beschwerdeführerin
nicht verwehrt war, eine solche mit dem Schreiben des Dr. med. R.________ vom
11. Januar 2011 im vorinstanzlichen Verfahren einzureichen.

4.2 Was die Beschwerdeführerin gegen das Gutachten des Dr. med. E.________
vorbringt, hält nicht stand; dieses genügt den bundesrechtlichen Anforderungen
an die Beweiskraft (E. 2.2). Das kantonale Gericht hat die fachärztliche
Qualifikation des Experten zu Recht für genügend gehalten: Weshalb nur ein
Rheumatologe und nicht auch ein Facharzt für Orthopädische Chirurgie und
Traumatologie des Bewegungsapparates die Beschwerden der Versicherten
beurteilen können soll, ist nicht nachvollziehbar, bilden doch (chronische)
Schmerzen des Bewegungsapparates Gegenstand sowohl der Rheumatologie als auch
der Orthopädie (Urteile 9C_547/2010 vom 26. Januar 2011 E. 4.1; 9C_203/2010 vom
21. September 2010 E. 4.1). Weiter fehlen Anhaltspunkte dafür, dass Dr. med.
E.________ die Vorakten ungenügend berücksichtigt haben soll. Der Regionale
Ärztliche Dienst (RAD) legte dar, dass weder der Gutachter noch der behandelnde
Rheumatologe Dr. med. R.________ wesentliche funktionseinschränkende Befunde
erhoben hätten. Eine nähere Auseinandersetzung mit dessen Auffassung oder jener
der Hausärztin war daher nicht zwingend erforderlich. Zudem musste sich der
Gutachter nicht mit anderen Ärzten in Verbindung setzen, liegt doch das
Einholen fremdanamnestischer Auskünfte in seinem Ermessensspielraum (Urteile
9C_762/2010 vom 19. Oktober 2010 E. 3.1; 9C_482/2010 vom 21. September 2010 E.
4.1). Soweit sich die Beschwerdeführerin auf BGE 137 V 210 E. 3.1.3.3 S. 244
beruft, legt sie selber zutreffend dar, dass sich daraus nicht ein Anspruch auf
Rücksprache des Experten mit dem behandelnden Arzt ableiten lässt, auch wenn
eine solche eine sinnvolle Massnahme für die Verbesserung der
Gutachtensakzeptanz ist. Überdies gibt es - bis auf die Behauptung der
Beschwerdeführerin - keine Hinweise dafür, dass der zeitliche Aufwand für die
Untersuchung der Fragestellung und der zu beurteilenden Pathologie nicht
angemessen gewesen sein soll (vgl. Urteile 9C_246/2010 vom 11. Mai 2010 E.
2.2.2; 9C_664/2009 vom 6. November 2009 E. 3). Schliesslich wird die
Beweiskraft des Gutachtens vom 14. Juni 2010 auch nicht geschmälert durch das
neu eingereichte, zweite orthopädische Gutachten des Dr. med. E.________ vom
15. August 2011, welches von einer zwischenzeitlich veränderten Situation
ausgeht und im Übrigen unzulässig ist (Art. 99 Abs. 1 BGG). Massgeblicher
Beurteilungszeitraum ist lediglich derjenige vor Verfügungserlass (BGE 131 V
407 E. 2.1.2.1 S. 412; 129 V 1 E. 1.2 S. 4).

4.3 Die Vorinstanz hat unter Verweis auf die Aktenlage festgestellt, es müsse
angenommen werden, dass der behandelnde Rheumatologe bei der medizinischen
Beurteilung jeweils mehr auf die geklagten Beschwerden und weniger auf
objektive Befunde abgestellt habe. Diese Feststellung überschreitet nicht den
Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. Art. 61 lit. c ATSG); sie verletzt auch
nicht den Untersuchungsgrundsatz, nur weil das kantonale Gericht diesbezüglich
keine Bestätigung des betreffenden Arztes einholte; sie ist weder
offensichtlich unrichtig, geschweige denn willkürlich (vgl. BGE 132 V 393 E.
3.2 S. 397 ff.; SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164, 9C_204/2009 E. 4.1, nicht publ. in:
BGE 135 V 254), zumal im Zusammenhang mit verschiedenen ärztlichen
Einschätzungen auch dem Unterschied zwischen Behandlungs- und
Begutachtungsauftrag (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353; Urteile 8C_740/2010 vom
29. September 2011 E. 6; 9C_842/2009 vom 17. November 2009 E. 2.2) Rechnung zu
tragen ist.

4.4 Unter den gegebenen Umständen hat die Vorinstanz in zulässiger
antizipierender Beweiswürdigung (vgl. BGE 137 V 64 E. 5.2 S. 69; 136 I 229 E.
5.3 S. 236; Urteil 8C_682/2011 E. 3.2.4) auf weitere Abklärungen verzichtet,
weshalb auch der beantragten Rückweisung nicht stattzugeben ist. Nach dem
Gesagten bleibt die vorinstanzliche Beweiswürdigung - wie die
Sachverhaltsfeststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit - für das
Bundesgericht verbindlich (E. 1). In Bezug auf dieses Ergebnis werden die
übrigen Faktoren der Invaliditätsbemessung nicht angefochten. Es besteht kein
Anlass für eine nähere Prüfung von Amtes wegen (BGE 125 V 413 E. 1b und 2c S.
415 ff.; 110 V 48 E. 4a S. 53). Das kantonale Gericht hat folglich zu Recht die
Rentenaufhebung bestätigt (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde ist unbegründet.
Sollte sich der Gesundheitszustand nach Erlass der rentenaufhebenden Verfügung
vom 16. November 2010 verschlechtert haben, bleibt der Beschwerdeführerin eine
Neuanmeldung - soweit nicht schon erfolgt - unbenommen, zumal sie sich auf Art.
29bis IVV berufen könnte.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Mai 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Dormann