Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 260/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_260/2012

Urteil vom 5. Juni 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
16. März 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a B.________ bezog seit März 2003 eine ganze Rente der Invalidenversicherung
(Verfügungen vom 19. Juli und 5. Oktober 2005). Im Rahmen einer Überprüfung des
Leistungsanspruchs (nach Art. 17 ATSG) beauftragte die IV-Stelle des Kantons
Luzern am 12. September 2011 das Institut X.________ mit einer
interdisziplinären medizinischen Begutachtung. Mit Schreiben vom 22. November
2011 bot das Institut X.________ B.________ zur Untersuchung am 20. Dezember
2011 auf. Gleichzeitig gab die Begutachtungsstelle der Versicherten die
untersuchenden Sachverständigen namentlich bekannt. Der Rechtsvertreter der
Versicherten rügte mit Eingaben vom 2. und 7. Dezember 2011 unter anderem, die
IV-Stelle habe die Vorgabe nicht befolgt, sich mit der versicherten Person über
die Gutachterstelle zu einigen (BGE 137 V 210 E. 3.4.2.6 S. 256). Er verlange
eine Begutachtung bei einer anderen Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS). Zur
Begründung, weshalb er das Institut X.________ als Gutachterstelle ablehne,
verwies er auf eine Expertise dieses Instituts aus dem Jahr 2007; in einem
Zweitgutachten habe eine andere MEDAS festgehalten, nach der Beurteilung
bekomme man fast den Eindruck, es handle sich um eine andere Patientin.
Ausserdem habe er bislang keine Gelegenheit zur Einreichung ergänzender Fragen
erhalten.
A.b Die IV-Stelle verfügte am 15. Dezember 2011, sie halte an einer
medizinischen Abklärung durch das Institut X.________ fest. Das
Gutachteninstitut werde zu gegebener Zeit einen neuen Termin festlegen und
gleichzeitig die Namen der begutachtenden Fachärzte mitteilen. Unter Hinweis
auf die beiliegenden Gutachterfragen machte die Verwaltung die Versicherte
darauf aufmerksam, dass sie innert zehn Tagen "allfällige sachdienliche
Ergänzungsfragen" stellen könne; binnen gleicher Frist seien allfällige
"triftige Gründe gegen die Sachverständigen" vorzubringen und begründete
Gegenvorschläge zu machen.

B.
B.________ erhob beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde mit den
Rechtsbegehren, die Verfügung der IV-Stelle vom 15. Dezember 2011 sei
aufzuheben und es sei von einer Begutachtung beim Institut X.________
abzusehen. Das kantonale Gericht wies das Rechtsmittel ab, soweit es darauf
eintrat (Entscheid vom 16. März 2012).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erneuert B.________
das vorinstanzlich gestellte materielle Begehren. Zudem beantragt sie, die
IV-Stelle sei zu verpflichten, mit ihrem Rechtsvertreter "Konsensgespräche
betreffend Gutachterwahl zu führen"; eventuell - bei Ablehnung der
Ausstandsgründe - sei unter Angabe der beteiligten Fachärzte erneut zu
verfügen.

Erwägungen:

1.
1.1 Soweit der vor Bundesgericht angefochtene Entscheid eines kantonalen
Gerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Einholung von
medizinischen Gutachten durch die Invalidenversicherung die Ausstandspflicht
einer sachverständigen Person betrifft, bleibt jener selbständig anfechtbar
(Art. 92 Abs. 1 BGG). Sofern jedoch nicht formelle Ablehnungsgründe beurteilt
worden sind, können erstinstanzliche Beschwerdeentscheide nicht an das
Bundesgericht weitergezogen werden (Urteil 9C_950/2011 vom 9. Mai 2012 mit
Hinweisen, zur Publikation vorgesehen).
1.2
1.2.1 Die Beschwerdeführerin begründet ihre Ablehnung des Gutachtensinstituts
X.________ namentlich mit einem ihr bekannten Fall, in welchem in einer
Zweitexpertise Kritik vor allem an der Diagnosestellung im Gutachten des
Instituts X.________ geübt wurde. Zwar kann der Beschwerdeführerin nicht bloss
entgegengehalten werden, in früheren Fällen gemachte schlechte Erfahrungen
seien unerheblich, weil die Gerichte die betreffenden Gutachten ja auf ihre
Beweistauglichkeit und Nachvollziehbarkeit hin überprüften. Die Möglichkeiten
der rechtsanwendenden Behörden, materielle Mängel im Gutachten zu erkennen,
sind begrenzt. Die - neu - vor Erstellung der Expertise eingreifenden
Mitwirkungsrechte stellen eine Antwort auf diese Problematik dar (vgl. BGE 137
V 210 E. 2.5 S. 241, E. 3.4.2.4 f. S. 253 f. und E. 3.4.2.7 S. 256).
Jedoch sind die Vorbringen der Beschwerdeführerin zu allgemein gehalten, als
dass sie unter dem Titel formeller Ablehnungsgründe behandelt werden könnten.
Die formelle Ablehnung eines Sachverständigen kann regelmässig nicht allein mit
strukturellen Umständen begründet werden, wie sie in BGE 137 V 210 behandelt
worden sind. Wenn sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, in einer anderen
Versicherungssache seien mit der in Aussicht genommenen MEDAS schlechte
Erfahrungen gemacht worden, so besteht diese Rüge - mangels weiterführender
Begründung - letztlich einzig in der Behauptung, es manifestierten sich hier
systemimmanente Gefährdungen der Verfahrensfairness (BGE a.a.O. E. 2.4 S. 237
und E. 3.4.2.6 S. 256; Urteil 9C_950/2011 vom 9. Mai 2012, zur Publikation
vorgesehen).
1.2.2 In diesem Zusammenhang bleibt daran zu erinnern, dass auf die MEDAS - als
Institution - ohnehin die Rechtsprechung sinngemäss anwendbar ist, wonach nur
die für eine Behörde tätigen Personen, nicht die Behörde als solche, befangen
sein können (BGE 137 V 210 E. 1.3.3 S. 226 mit Hinweisen). Unter dem Aspekt
einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der MEDAS ist im Übrigen festzuhalten, dass
aufgrund der Neuerungen gemäss BGE 137 V 210 kein Exponent einer
Gutachtenstelle mehr hoffen könnte, ein grösseres Auftragsvolumen zu
generieren, indem er entgegen den Anforderungen der Objektivität und der Fach-
und Sachgerechtigkeit auf tatsächliche oder vermeintliche Erwartungen der
Auftraggeberschaft Rücksicht nimmt (Urteil 9C_113/2012 vom 14. März 2012 E.
2.2).

1.3 In den vorinstanzlichen Erwägungen kommen die Vorbringen der
Beschwerdeführerin bezüglich unterlassener Einigungsbemühungen nicht
ausdrücklich zur Sprache. Es fragt sich, ob deswegen - obgleich es sich nicht
um eine Ausstandsproblematik handelt (oben E. 1.1) - der Rechtsweg zum
Bundesgericht geöffnet und die Sache an die Vorinstanz zur Behandlung dieses
Punktes zurückgewiesen werden muss. Die Frage ist zu verneinen, weil dieser
Aspekt in die Beurteilung einer allfälligen Beschwerde gegen den Endentscheid
einbezogen werden könnte (Art. 93 Abs. 3 BGG).

2.
Die Beschwerdeführerin beantragt, im Falle der Verneinung von Ablehnungsgründen
habe die IV-Stelle unter Angabe der beteiligten Fachärztinnen und -ärzte erneut
zu verfügen. Sie wird nach Bekanntgabe der zur Begutachtung konkret
vorgesehenen Fachpersonen eine Verfügung verlangen können, um spezifische
Ausstandsgründe oder materielle Einwendungen gegen diese geltend zu machen
(vgl. BGE 137 V 210 E. 3.4.2.8 S. 257). Soweit die Beschwerdeführerin geltend
macht, die gegen das Institut erhobenen Einwendungen träfen eo ipso auch auf
sämtliche dort tätigen Fachärzte zu, ist auf das in E. 1.2 Gesagte zu
verweisen.

3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend trägt die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juni 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Traub