Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 244/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_244/2012

Urteil vom 25. April 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
L.________, geboren 1999,
handelnd durch seinen Vater,
und dieser vertreten durch Fürsprecher Thomas Marfurt,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin,

KPT/CPT Krankenkasse,
Tellstrasse 18, 3014 Bern.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 10. Februar 2012.

Sachverhalt:

A.
Der am 13. September 1999 geborene L.________ wurde am 8. März 2005 von seinen
Eltern für medizinische Massnahmen und Beiträge an die Sonderschulung,
eventuell Logopädie und Heilpädagogik, bei der Invalidenversicherung
angemeldet. Die IV-Stelle Bern traf Abklärungen in medizinischer Hinsicht und
holte einen Bericht des Früherziehungsdienstes des Kantons Bern (vom 10. Mai
2005) ein. Mit Verfügung vom 7. Juni 2005 übernahm sie die Kosten für
heilpädagogische Früherziehung bis eine Stunde pro Woche bis Ende Juli 2006. In
der Folge wurde diese Kostengutsprache bis 31. Juli 2008 verlängert. Mit
Anmeldung vom 22. Dezember 2008 ersuchten die Eltern von L.________ unter
Hinweis auf das Asperger-Syndrom, ein Geburtsgebrechen das auf der
entsprechenden Liste figuriert, und die damit verbundene tiefgreifende
Entwicklungsstörung erneut um die Gewährung medizinischer Massnahmen. Nach
Beizug weiterer ärztlicher Unterlagen und Stellungnahmen des Regionalen
Ärztlichen Dienstes (RAD) lehnte es die IV-Stelle mit Verfügung vom 25.
November 2009 ab, dem Versicherten Kostengutsprache für medizinische Massnahmen
zu gewähren. Die Diagnose sei erst im Alter von 9 Jahren und 3 Monaten gestellt
worden, während Verhaltensauffälligkeiten erst nach Vollendung des 5.
Altersjahres beschrieben worden seien. Aus der Zeit vor dem 5. Geburtstag des
Versicherten lägen keine Akten vor, die das Stellen einer entsprechenden
Diagnose zugelassen hätten.

B.
Sowohl die Krankenkasse KPT, bei welcher L.________ für Krankenpflege
versichert ist, als auch der Vater des Versicherten liessen Beschwerde führen
mit den Rechtsbegehren, unter Aufhebung der Verfügung vom 25. November 2009 sei
die IV-Stelle zu verpflichten, L.________ medizinische Massnahmen zu gewähren.
Der Vater des Versicherten liess eventualiter die Rückweisung der Sache zu
neuer Prüfung des Anspruchs durch die Verwaltung beantragen. Mit Entscheid vom
10. Februar 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerden
ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt der Vater von
L.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Er legt
Berichte einer Ergotherapeutin, einer Lehrerin sowie eines Arztes bei, die
Beobachtungen aus der frühen Kindheit des Versicherten zum Gegenstand haben.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 13 Abs. 1
IVG), den dem Bundesrat eingeräumten Ermessensspielraum bei der Auswahl der
Geburtsgebrechen, die eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung begründen
(BGE 122 V 113 E. 3a S. 118, 105 V 21) und im Anhang zur Verordnung über
Geburtsgebrechen (GgV) aufgelistet sind, wozu in der hier anwendbaren, bis 31.
Dezember 2009 gültig gewesenen Fassung des GgV-Anhangs die Ziff. 401,
frühkindliche primäre Psychosen und infantiler Autismus, sofern diese bis zum
vollendeten 5. Lebensjahr erkennbar werden, zählte. Wie die Vorinstanz weiter
richtig festgehalten hat, fällt unter Ziff. 401 GgV-Anhang auch das
Asperger-Syndrom. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass die
vorausgesetzte Erkennbarkeit bis zum vollendeten 5. Altersjahr der Abgrenzung
angeborener Gebrechen von nachträglich erworbenen Leiden dient. Wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht unter Hinweis auf HANS-CHRISTOPH
STEINHAUSEN, Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen, 5. Aufl.
München/Jena 2002 S. 62 f. und 65 dargelegt hat, wird die einschränkende
Umschreibung auch durch die neuere medizinische Forschung zu autistischen
Störungen gestützt. Danach ist zwar eine genetische Ätiologie anzunehmen;
gleichzeitig bleibt aber offen, inwieweit lediglich eine Disposition vererbt
und das Leiden nur manifest wird, wenn weitere Faktoren hinzutreten (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 302/05 vom 31. Oktober 2005).

3.
3.1 Die Vorinstanz stellte in einlässlicher und sorgfältiger Würdigung der
medizinischen Unterlagen fest, ein Geburtsgebrechen gemäss Ziff. 401 GgV-Anhang
sei erst lange nach Vollendung des 5. Altersjahres des Beschwerdeführers
diagnostiziert worden. Ebenso wenig sei das Asperger-Syndrom bis zu diesem
Zeitpunkt erkennbar gewesen. Das Geburtsgebrechen sei erst im Dezember 2008,
nach einer mehrmonatigen, am 5. August 2008 begonnenen, teilstationären
Behandlung in der Kinderpsychiatrischen Klinik X.________ erkannt worden. Auch
eine nähere Betrachtung der krankengeschichtlichen Tatsachen führe nicht zum
Schluss, dass ein Asperger-Syndrom bereits vor September 2004 erkennbar war.
3.2
3.2.1 Die vom Beschwerdeführer hiegegen erhobenen Einwendungen sind
unbegründet. In der Beschwerde wird in weiten Teilen lediglich Kritik an der
vorinstanzlichen Beweiswürdigung geübt, ohne dass Argumente namhaft gemacht
würden, aus welchen sich ergäbe, dass der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt wurde. Es besteht daher kein Anlass, von
der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse durch das kantonale Gericht
abzuweichen. Die Berichte verschiedener Fachpersonen (vom 9. und 10. Juli sowie
20. August 2009) sind hinsichtlich der Frage, ob ein Geburtsgebrechen nach
Ziff. 401 GgV-Anhang bis zum vollendeten 5. Lebensjahr erkennbar geworden ist,
wenig ergiebig, beschränken sie sich doch auf die Erwähnung gewisser
unspezifischer Verhaltensauffälligkeiten des Versicherten in seiner frühen
Kindheit. Inwieweit die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich festgestellt
haben soll, ist trotz entsprechender Behauptung in der Beschwerde nicht
ersichtlich.
3.2.2 Soweit der Beschwerdeführer die Alterslimite von Ziff. 401 GgV-Anhang in
Frage stellt sowie auf den aus seiner Sicht ungerechtfertigten Unterschied zu
Ziff. 404 GgV-Anhang hinweist und daraus auf Willkür beim Erlass der Liste der
Geburtsgebrechen schliesst, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hat
sich mit diesem Einwand auseinandergesetzt und unter Berufung auf BGE 122 V
113, welcher Ziff. 404 GgV-Anhang betrifft, zu Recht darauf hingewiesen, dass
dem Bundesrat in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG eine umfassende Kompetenz erteilt
wurde, aus der Gesamtheit der Geburtsgebrechen im medizinischen Sinne jene
auszuwählen, für welche Massnahmen nach Art. 13 IVG zu gewähren sind. Ebenso
war er befugt, die Altersgrenze in Ziff. 401 GgV-Anhang abweichend von Ziff.
404 GgV-Anhang auf 5 statt 9 Jahre festzulegen, zumal es sich um verschiedene
Leiden handelt. Ob ein Asperger-Syndrom des öftern erst spät, mehrere Jahre
nach Vollendung des 5. Altersjahres, diagnostiziert werden kann, wie in der
Beschwerde geltend gemacht wird, ist nicht entscheidend, geht es doch nach
Ziff. 401 GgV-Anhang nicht um die korrekte Diagnose, sondern um die
Erkennbarkeit dieses Geburtsgebrechens. Es kann keine Rede davon sein, dass die
in Ziff. 401 GgV-Anhang zum Zwecke einer Abgrenzung zwischen angeborenen und
erworbenen Störungen umschriebenen Voraussetzungen nicht mehr in den Bereich
der durch die Delegationsnorm des Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG gedeckten
Verordnungskompetenz des Bundesrates fallen (in diesem Sinne BGE 122 V 113 E.
3a/dd S. 120 betreffend Ziff. 404 GgV-Anhang). Mit Blick auf den sehr grossen
Gestaltungsspielraum, über den der Bundesrat bei der Erstellung der
Geburtsgebrechensliste aufgrund von Art. 13 Abs. 2 IVG verfügt, müsste die in
Frage stehende Verordnungsnorm offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat
im Gesetz delegierten Kompetenz herausfallen oder aus einem anderen Grund
verfassungs- oder gesetzeswidrig sein, damit ihr die Anwendung versagt werden
könnte. Dies trifft hier nicht zu, wie sich den vorstehenden Erwägungen
entnehmen lässt.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der KPT/CPT Krankenkasse, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. April 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer