Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 238/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_238/2012

Urteil vom 8. Oktober 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Rechtsanwälte Lorenz Fivian und Olivier Flattet,
Beschwerdeführerin,

gegen

Rendita Freizügigkeitsstiftung, Paulstrasse 9, Post-fach 4701, 8401 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversiche-rungsgerichts des Kantons
Zürich vom 23. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
J.________, geboren 1949, war in erster Ehe vom 14. Januar 1972 bis 13. März
1985 mit F.________ verheiratet, in dritter Ehe (ab 4. April 2005) mit
L.________. Per 31. August 2009 verlor er seine Arbeitsstelle. Bereits am 28.
August 2009 hatte er bei der Rendita Freizügigkeitsstiftung, Winterthur
(nachfolgend: Rendita), um Eröffnung eines Freizügigkeitskontos nachgesucht und
in der Folge sein Altersguthaben (insgesamt Fr. 638'807.60) auf das Konto Nr.
660.009.934 bei der Rendita transferieren lassen. Am 24. Juni 2010 verstarb
J.________. Die Rendita teilte L.________ am 24. August 2010 mit, sie übertrage
ihr per 25. August 2010 Fr. 319'403.80 aus dem Freizügigkeitskonto des
J.________ sel., entsprechend 50 % des Kontosaldos. Die restlichen 50 % würden
nach Abklärung ihrer Rechtsabteilung "entsprechend" vergütet. Mit Schreiben vom
9. September 2010 informierte die Rendita L.________, dass F.________ gemäss
Reglement einen gleichberechtigten Leistungsanspruch habe, vorbehältlich einer
Änderung der Begünstigtenordnung, über welche ihr nichts bekannt sei, und hielt
daran am 21. Januar 2011 fest. Gleichzeitig wies die Rendita auf ihre
Bereitschaft hin, einen "gerechten und billigen Ausgleich vorzunehmen" und
ersuchte L.________, mit F.________ einen Vergleich anzustreben. Andernfalls
sehe sie sich gezwungen, "den Fall durch den Richter entscheiden zu lassen".

B.
L.________ erhob in der Folge Klage gegen die Rendita mit dem Rechtsbegehren,
es sei die Rendita zu verpflichten, ihr Fr. 319'403.80 nebst Zins zu bezahlen.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Klage mit Entscheid
vom 23. Januar 2012 ab.

C.
L.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Rendita zu
verpflichten, ihr Fr. 319'403.80 zuzüglich Zins zu bezahlen, eventualiter sei
die Sache an die Vorinstanz zu (neuem) Entscheid über die Klage zurückzuweisen.
Die Rendita beantragt Abweisung der Beschwerde, eventualiter sei die Sache an
die Vorinstanz zu weiteren Abklärungen zurückzuweisen. Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung. L.________ hält mit
Eingaben vom 21. und 24. September 2012 an ihrer Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil von hier nicht interessierenden Ausnahmen
abgesehen den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen oder auf Rüge
hin berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin über die bereits
ausbezahlte Hälfte des Todesfallkapitals hinausgehende Ansprüche gegenüber der
Beschwerdegegnerin hat. Die Rechtsgrundlagen betreffend die hiefür
entscheidende Leistungsberechtigung der geschiedenen Witwe (Art. 19 Abs. 3;
Art. 20 BVV2) hat die Vorinstanz zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
Korrekt wiedergegeben hat das kantonale Gericht auch die einschlägige
reglementarische Bestimmung der Beschwerdegegnerin (Art. 7 Reglement für das
Freizügigkeitskonto, Version 6.09), welche neben dem Kreis der begünstigten
Personen und die bei der Auszahlung des Todesfallkapitals zu beachtende
Reihenfolge vorsieht, dass der Vorsorgenehmer u.a. das Recht hat, "die
Ansprüche der Begünstigten näher zu bezeichnen" und bei Fehlen einer solchen
Bezeichnung die Aufteilung unter mehreren Begünstigten derselben Kategorie zu
gleichen Teilen erfolgt.

3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, die gesetzlichen Grundlagen über die Gleichstellung
des geschiedenen Ehegatten mit der Witwe fänden auch auf die
Begünstigtenordnung bei Freizügigkeitsleistungen Anwendung. Ziffer 7 des
Reglements der Freizügigkeitsstiftung verweise auf Art. 18 bis 22 BVG bzw. gebe
diese sinngemäss wieder. Daher seien die gesetzlich vorgesehenen Personen
anspruchsberechtigt. Mangels anderweitiger zulässiger Begünstigung komme Witwe
und geschiedener Ehefrau bei erfüllten gesetzlichen Voraussetzungen ein
gemeinsamer und gleicher Anspruch auf Leistungen der beruflichen Vorsorge zu.
Weil F.________ mehr als zehn Jahre mit dem Verstorbenen verheiratet gewesen
und ihr eine lebenslängliche Rente zugesprochen worden sei, bestehe an ihrer
Anspruchsberechtigung kein Zweifel. Weitere anspruchsberechtigte Personen gebe
es nicht, weshalb die (vorinstanzliche) Klägerin und F.________ Anspruch auf je
die Hälfte des Todesfallkapitals hätten.

3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, soweit
sie aus dem Umstand, dass F.________ die Voraussetzungen von Art. 20 Abs. 1
BVV2 erfülle, darauf schliesse, das Todesfallkapital aus dem
Freizügigkeitskonto sei hälftig zu teilen. Der Gesetzgeber habe mit Art. 19
Abs. 3 BVG die Einführung einer echten Versorgerschadensregelung einführen
wollen, weshalb in Art. 20 Abs. 2 BVV2 der Hinterbliebenenanspruch der
geschiedenen Frau auf den Versorgerschaden infolge Wegfalls der
Unterhaltsansprüche beschränkt worden sei. F.________ habe daher nur dann und
insoweit einen Anspruch auf Leistungen der Beschwerdegegnerin, als sie einen
Versorgerschaden erleide. Ausgehend davon, dass J.________ sel. im
Todeszeitpunkt bei der Arbeitslosenversicherung mit einem Verdienst von
monatlich Fr. 10'500.- versichert gewesen sei, bestehe kein Zweifel, dass die
F.________ monatliche Leistungen für geschiedene Ehegatten von mehr als Fr.
500.- erhalte. Durch den Tod von J.________ und die damit wegfallenden
monatlichen Unterhaltsbeiträge von Fr. 500.- habe sie daher keinen
Versorgerschaden erlitten, weshalb sich die Frage nach der (hälftigen) Teilung
des Todesfallkapitals gar nicht stelle. Jedenfalls aber wäre schon aus
Billigkeitsgründen ein allfälliger Versorgerschaden zu kapitalisieren. Ein
allfälliger Anspruch von F.________ dürfe überdies auch nicht zu ihren Lasten
gehen, weil ihr ein eigener, unteilbarer Anspruch auf das ganze
Todesfallkapital zustehe.

4.
4.1 Unbestritten ist die erste Ehefrau des Verstorbenen gegenüber der
Beschwerdegegnerin anspruchsberechtigt, weil die Ehe mehr als zehn Jahre
gedauert hat und ihr scheidungsrechtlich eine unbefristete Rente zugesprochen
wurde. Des Weiteren gehören die überlebende Ehegattin und die geschiedene
Ehefrau demselben in Art. 7 lit. a Reglement bezeichneten Begünstigtenkreis an.
Es wurde weder geltend gemacht noch ergeben sich entsprechende Hinweise aus den
Akten, dass der Verstorbene die Ansprüche seiner Hinterbliebenen näher
bezeichnet hätte. Die vorinstanzliche Beschränkung des Anspruches der
Beschwerdeführerin auf die Hälfte des Todesfallkapitals entspricht somit der
Regelung von Art. 7 Abs. 3 des Reglements der Beschwerdegegnerin, welche der
Verstorbene mit Eröffnung seines Freizügigkeitskontos anerkannt hatte. Indem er
darauf verzichtete, von seiner reglementarischen Abänderungsmöglichkeit der
Ansprüche Gebrauch zu machen, nahm er es in Kauf, dass sich nach seinem Tod die
Anspruchskonkurrenz nach Art. 7 Abs. 3 Reglement richten würde.

4.2 Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass nach dem Willen des
Gesetzgebers der Umfang der Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen an die
geschiedene Ehegattin auf den Versorgerschaden respektive den Anspruch aus dem
Scheidungsurteil begrenzt bleiben und die geschiedene Frau aus dem Tod ihres
ehemaligen Ehegatten keinen finanziellen Vorteil ziehen soll (z.B. Urteil
9C_1079/2009 31. August 2010 E. 4.5.1 mit Hinweis auf die Protokolle der
ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 1.-3. Juli
2002, S. 24-26 und vom 14.-15. Oktober 2002, S. 32 f.; Urs Engler,
Unterhaltsbeitrag und BVG-Leistungen an geschiedene Frauen, BJM 1991 S. 171 und
175). Art. 20 BVV2 bezweckt einzig den Ausgleich des Schadens, den die
geschiedene Frau durch den Wegfall des bisher vom Verstorbenen erhaltenen
Unterhaltsbeitrages erleidet. Die Vorsorgeeinrichtung kann ihre Leistungen
daher in dem Umfang kürzen, als die geschiedene Frau Leistungen anderer
Versicherungen wie bspw. in- und ausländischer Sozialversicherungen erhält,
sofern und soweit diese Leistungen durch den Tod des geschiedenen Ehegatten
ausgelöst wurden (Urteil B 6/99 vom 11. Juni 2000, publ. in SVR 2001 BVG Nr. 19
S. 73 = SZS 2003 S. 52; vgl. auch Mitteilungen des BSV über die berufliche
Vorsorge Nr. 1 vom 24. Oktober 1986). Allerdings ist die Kürzungsmöglichkeit
von Art. 20 BVV2 nicht zwingend, wie dies auch die Beschwerdeführerin richtig
festhält, sondern der Vorsorgeeinrichtung kommt ein Entschliessungsermessen zu
(Urteil B 14/95 vom 6. März 1996 E. 4c).

4.3 Soweit im angefochtenen Entscheid den finanziellen Verhältnisse der
F.________ die Relevanz für das vorliegende Verfahren abgesprochen wird, hält
er nach dem Gesagten vor Bundesrecht nicht Stand. Weil über die
Anspruchsberechtigung der geschiedenen Witwe gegenüber der Vorsorgeeinrichtung
nicht abschliessend entschieden werden kann, ohne dass zunächst eine allfällige
Überentschädigung geprüft wird, hätte das kantonale Gericht entsprechende
Abklärungen zu allfälligen Leistungen anderer Sozialversicherungszweige - unter
Beiladung der F.________ zum Verfahren - in die Wege leiten müssen. Fällt
nämlich ein Anspruch der F.________ zufolge fehlendem Versorgerschaden und
wegen Überentschädigung gänzlich ausser Betracht, verbliebe als
Anspruchsberechtigte im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a Reglement einzig die
Beschwerdeführerin. Diesfalls bestünde kein Raum für eine Aufteilung des
Todesfallkapitals zu gleichen Teilen, sondern dieses käme vollumfänglich der
Beschwerdeführerin zugute. Die Sache ist daher an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie die fehlenden Informationen bei F.________ einhole,
diese allenfalls zum Prozess beilade und hernach über den streitigen
Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu entscheide.

5.
Die Rückweisung der Sache zwecks Aktenergänzung und neuem Entscheid (mit noch
offenem Ausgang) gilt praxisgemäss als volles Obsiegen der Beschwerde führenden
Partei im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig
davon, ob sie überhaupt beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt-
oder Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235; Urteile 8C_21/
2012 vom 27. März 2012 E. 4 und 8C_997/2010 vom 10. August 2011 E. 5; vgl. auch
BGE 137 V 57). Demnach hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen
und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu entrichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 23. Januar 2012 wird aufgehoben. Die Sache wird an die
Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen über die Klage der Beschwerdeführerin neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Oktober 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle