Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 171/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_171/2012

Urteil vom 23. Mai 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

U.________,
Beschwerdegegner,

Schweizerische Ausgleichskasse,
Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts
vom 13. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 9. November 2010 verneinte die Schweizerische Ausgleichskasse
(SAK) einen Anspruch des im November 1945 geborenen U.________, kosovarischer
Staatsangehöriger mit Wohnsitz im Kosovo, auf eine Altersrente (Anmeldung vom
13. Oktober 2010), dies unter Hinweis darauf, dass seit dem 1. April 2010
zwischen der Schweiz und dem Kosovo keine zwischenstaatliche Vereinbarung mehr
bestehe. Daran hielt die SAK mit Einspracheentscheid vom 29. Juni 2011 fest.

B.
Die von U.________ mit dem Antrag auf Zusprechung einer Altersrente erhobene
Klage nahm das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerde entgegen. In seinem
Entscheid vom 13. Januar 2012 rief es vorab sein in Rechtskraft erwachsenes
Grundsatzurteil C-4828/2010 vom 7. März 2011 in Erinnerung, in dem es sich für
die Weiteranwendung des Abkommens ausgesprochen hatte; das Bundesgericht war
auf die diesbezügliche Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des
Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) nicht eingetreten (Urteil 9C_329/
2011 vom 27. September 2011). In der Folge hiess das Bundesverwaltungsgericht
die Beschwerde in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid und die
Verfügung aufhob und die Sache an die SAK zurückwies, "damit sie die Prüfung
des Rentenbegehrens fortsetze und anschliessend unter Anwendung des noch in
Kraft stehenden Sozialversicherungsabkommens in der Sache neu verfüge".

C.
Das BSV erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und es
sei die Verfügung (recte: der Einspracheentscheid) der SAK vom 29. Juni 2011 zu
bestätigen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Im vorinstanzlichen Verfahren stellte sich (wie im Prozess C-4828/2010) die
Frage, ob das Abkommen vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen Volksrepublik Jugoslawien
über Sozialversicherung (Sozialversicherungsabkommen; SR 0.831.109.818.1) und
die Verwaltungsvereinbarung vom 5. Juli 1963 betreffend die Durchführung des
Abkommens (SR 0.831.109.818.12) auf Bürger von Kosovo weiterhin anwendbar sind.

3.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 III 1 E. 1.1 S. 3).

3.1 Ein Rückweisungsentscheid schliesst das Verfahren nicht ab und ist nach der
Regelung des BGG grundsätzlich kein Endentscheid, selbst wenn darin über eine
materielle Grundsatzfrage entschieden wird. Er bildet in erster Linie einen
Zwischenentscheid, der u.a. nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1
BGG selbstständig angefochten werden kann (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.; vgl.
auch BGE 137 V 424 E. 1.1 S. 426). Wenn jedoch bei einem Rückweisungsentscheid
der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum
mehr belassen wird und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des
oberinstanzlich Angeordneten dient, handelt es sich um einen Endentscheid im
Sinne von Art. 90 BGG (Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1 mit
Hinweisen, in: SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131).

3.2 Das BSV begründet seine Beschwerdelegitimation damit, dass die
Voraussetzungen, unter denen ein Rückweisungsentscheid ausnahmsweise als
Endentscheid betrachtet werden könne, erfüllt seien. Es sei aktenkundig, dass
der Versicherte während mehrerer Jahre als Saisonnier in der Schweiz gearbeitet
und am 21. November 2010 das 65. Altersjahr erreicht habe, was grundsätzlich zu
einer schweizerischen Altersrente berechtige. Der einzige strittige Punkt sei
die Frage nach der Anwendbarkeit des Sozialversicherungsabkommens. Werde sie
bejaht, würden die Leistungen exportiert; werde sie verneint, sei die
Beitragsrückvergütung zulässig. Nachdem sich die Vorinstanz für die
Anwendbarkeit des Abkommens und damit für den Rentenexport ausgesprochen habe,
diene die Rückweisung an die Ausgleichskasse nur noch der frankenmässigen
Festsetzung des Rentenbetrages.
3.2.1 Im Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1 (vgl. E. 3.1 in fine)
qualifizierte das Bundesgericht einen Rückweisungsentscheid, mit dem eine
Vorinstanz die Höhe einer Invalidenrente (ganze, Dreiviertelsrente usw.), aber
nicht den frankenmässigen Rentenbetrag festgesetzt hatte, als Endentscheid. Bei
einer rein rechnerischen Frage verbleibe in aller Regel kein
Entscheidungsspielraum. Mit der Zusprechung einer ganzen Rente sei regelmässig
das Wesentliche entschieden.
3.2.2 In concreto präsentiert sich die Rechts- und Sachlage indessen nicht
derart liquid und unverrückbar. Es trifft zu, dass der angefochtene Entscheid
der SAK in Bezug auf das anwendbare Recht keinen Spielraum belässt. Dies ist
jedoch lediglich ein materieller Teilaspekt. Damit werden nicht alle
wesentlichen Punkte entschieden. So stellt sich hier vor allem die Frage, ob
der Beschwerdegegner allenfalls eine Abfindung gemäss Art. 7 lit. a Abs. 1 des
Sozialversicherungsabkommens wünscht, zumal er als Saisonnier mit nur
10-jähriger Beitragsdauer keinen Anspruch auf eine (ordentliche) Vollrente
erworben hat (vgl. Art. 29 Abs. 2 AHVG). Zwar ist diese Wahl bei der Anmeldung
zum Rentenbezug zu treffen, falls der Berechtigte sich ausserhalb der Schweiz
aufhält (Art. 7 lit. a Abs. 1 in fine des Sozialversicherungsabkommens). Im
Anmeldeformular findet sich indessen - insbesondere unter Ziffer 5 - keine
entsprechende Wahlmöglichkeit. Dem Beschwerdegegner kann diese (administrative)
Unzulänglichkeit nicht zum Nachteil gereichen. Er wird, sofern die Auszahlung
einer Abfindung in Frage kommt, nachträglich über diese Option zu informieren
sein. Das BSV schweigt sich zu dieser entscheidrelevanten Begebenheit aus.
Ebenso wenig ergibt sich eine klare Antwort aus den Akten.
3.2.3 Nach dem Gesagten kann nicht im Sinne von Art. 90 BGG auf die Beschwerde
eingetreten werden. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers geht die
vorinstanzliche Rückweisung über eine reine Formalie hinaus resp. umfasst mehr
als die blosse Ermittlung des Rentenbetrages.

3.3 Voraussetzung für die selbstständige Anfechtbarkeit eines
Zwischenentscheids gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist, dass der angefochtene
Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a)
oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen
und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
Das BSV äussert sich zu diesen Rechtsmittelvoraussetzungen mit keinem Wort.
Damit kommt es seiner Substanziierungspflicht nicht einmal ansatzweise nach und
es kann - unter dem vorliegenden Titel - von vornherein nicht auf die
Beschwerde eingetreten werden (Urteile 5A_175/2009 vom 9. Juni 2009 E. 1.3 und
4A_92/2007 vom 8. Juni 2007 E. 2 in fine; SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH,
Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 13 zu Art. 93 BGG). Dessen ungeachtet ist
auf die Beschwerde auch aus folgenden Gründen nicht einzutreten:
3.3.1 Massgebend für das Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils
ist, ob der Nachteil auch mit einem günstigen Entscheid in Zukunft nicht
behoben werden kann. Rechtsprechungsgemäss bewirkt ein Rückweisungsentscheid in
der Regel keinen irreversiblen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG,
da der Rechtsuchende ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid
anfechten kann (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich allerdings für
die Verwaltung bzw. den Versicherungsträger, wenn diese durch den
Rückweisungsentscheid gezwungen werden, eine ihres Erachtens rechtswidrige
Verfügung zu treffen. Diesfalls kann bereits dieser Entscheid angefochten und
muss nicht der Endentscheid abgewartet werden (BGE 133 V 477 E. 5.2,
5.2.1-5.2.4 S. 483 ff.; Urteile 8C_531/2008 vom 8. April 2009 E. 1.2.1 mit
Hinweisen, nicht publ. in: BGE 135 V 279, aber in: SVR 2009 UV Nr. 40 S. 137,
und 8C_682/2007 vom 30. Juli 2008 E. 1.2.1, nicht publ. in: BGE 134 V 392). Im
Urteil 9C_301/2010 vom 21. Januar 2011 (E. 1.2) hat das Bundesgericht erwogen,
dass dasselbe auch für das BSV gilt, das mit der Überwachung des
bundesrechtskonformen Gesetzesvollzuges betraut und gegenüber den IV-Stellen
weisungsbefugt ist, obwohl es nicht selber verfügt hat. In casu ging es jedoch
nicht um die grundsätzlich gegebene Anfechtungsmöglichkeit der später zu
erlassenden Verwaltungsverfügung durch das BSV, sondern darum, dass eine ganze
Rente weiter geflossen wäre, wenn es beim Entscheid der Vorinstanz geblieben
wäre. Diese hatte im Dispositiv nebst der Rückweisung ausdrücklich deren
Weiterausrichtung angeordnet. In dieser Konstellation ist die (direkte)
behördliche Anfechtbarkeit des Rückweisungsentscheids rechtsprechungsgemäss zu
bejahen. Da hier aber keine solche Konstellation vorliegt, kann sich das BSV
nicht gleich wie die Verwaltung den Titel des nicht wieder gutzumachenden
Nachteils zu Nutze machen, um sein Beschwerderecht gegen den angefochtenen
Rückweisungsentscheid zu begründen. Dies gilt umso mehr, als das BSV, obwohl
vorliegend möglich (Art. 89 Abs. 2 lit. a und Art. 111 Abs. 2 BGG in Verbindung
mit Art. 201 AHVV und Art. 89 IVV), am vorinstanzlichen Verfahren nicht
teilgenommen hat, womit es - anders als die verfügende Verwaltung - nicht
seiner formellen Beschwer beraubt wurde (BGE 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484; Urteile
8C_1053/2010 vom 26. Januar 2011 E. 4.1.1 und 8C_89/2010 vom 4. Oktober 2010 E.
4.1 und 4.2). Die Bundesämter beschränken sich aus einleuchtenden praktischen
Gründen darauf, die kantonal letztinstanzlichen Entscheide und die Entscheide
des Bundesverwaltungsgerichts zu überprüfen und allenfalls anzufechten (BGE 133
V 477 E. 5.2.4 S. 485). Entsprechend kann das BSV den (allenfalls)
rechtswidrigen Endentscheid, der auf dem (behaupteterweise)
bundesrechtswidrigen Rückweisungsentscheid beruht, anfechten und das falsche
Ergebnis dannzumal korrigieren lassen (Urteil 9C_329/2011 vom 27. September
2011 E. 3.2, in: SVR 2012 IV Nr. 23 S. 97).
3.3.2 Mit der bundesgerichtlichen Feststellung, dass das
Sozialversicherungsabkommen nicht mehr anwendbar sei, würde der angefochtene
Entscheid wohl aufgehoben und der anspruchsverneinende Einspracheentscheid der
SAK vom 29. Juni 2011 sofort rechtskräftig. Das Verfahren würde endgültig
abgeschlossen. Indes geht damit nicht automatisch die Ersparnis eines
bedeutenden Aufwands an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
einher. Infolge des Auslandbezugs und allfällig nötiger Übersetzungen mag
sowohl in zeitlicher als auch kostenmässiger Hinsicht ein gewisser Aufwand auf
der Hand liegen. Dieser erweist sich aber nicht als gross. Die offenen
Tatfragen (vgl. E. 3.2.2) lassen sich primär anhand der schweizerischen
Verwaltungsunterlagen beantworten, ohne dass hierzu ein weitläufiges
Beweisverfahren erforderlich wäre, das einen erheblichen Zeit- oder
Kostenaufwand nach sich zöge. Im Übrigen ist es ständige Rechtsprechung, dass
durch die Aufhebung von Rückweisungsentscheiden, mit denen eine ergänzende
Sachverhaltsabklärung angeordnet wird, grundsätzlich kein bedeutender Aufwand
an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren im Sinne von Art. 93
Abs. 1 lit. b BGG erspart werden kann, zumal auch insoweit die selbstständige
Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden aus prozessökonomischen Gründen eine
Ausnahme darstellt, die restriktiv zu handhaben ist, und die Parteien keiner
Rechte verlustig gehen, da sie die mit dem Zwischenentscheid zusammenhängenden
Fragen mit dem Endentscheid anfechten können (Urteil 9C_329/2011 vom 27.
September 2011 E. 3.3, in: SVR 2012 IV Nr. 23 S. 97; 8C_121/2011 vom 30. Juni
2011 E. 2, in: SVR 2012 IV Nr. 6 S. 38, je mit Hinweisen).
3.3.3 Zusammenfassend sind auch die Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs.
1 BGG nicht erfüllt.

4.
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Schweizerischen Ausgleichskasse und dem
Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Mai 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann