Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 152/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_152/2012

Urteil vom 22. März 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
P.________, vertreten durch
Fürsprecher Gerhard Lanz,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11.
Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1965 geborene P.________ meldete sich im Februar 2009 bei der
Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle Bern klärte
die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab, wozu sie u.a. die
Versicherte interdisziplinär begutachten liess (Expertise der Zentrums
S.________ vom 27. September 2010). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren
wies die IV-Stelle mit Verfügung vom 8. August 2011 das Leistungsbegehren ab.

B.
Die Beschwerde der P.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 11. Januar 2012 ab.

C.
P.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 11. Januar 2012 sei aufzuheben und ihr ab 1.
Januar 2010 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen; eventuell
sei die IV-Stelle anzuweisen, den Verfassern des Gutachtens des Zentrums
S.________ vom 27. September 2010 Ergänzungsfragen zu stellen.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat gestützt auf das von der IV-Stelle eingeholte Gutachten vom
27. September 2010 und in Anwendung der mit BGE 130 V 352 begründeten
Rechtsprechung (vgl. etwa Urteil 9C_736/2011 vom 7. Februar 2012 E. 1.1)
geprüft, ob in psychischer Hinsicht ein invalidisierender Gesundheitsschaden
(Art. 4 Abs. 1 IVG sowie Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 ATSG) vorliegt. Sie ist zum
Ergebnis gelangt, es bestehe keine psychische Komorbidität von erheblicher
Schwere, Ausprägung und Dauer. Die diagnostizierte mittelgradige depressive
Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F.32.11) habe nicht den Charakter einer
eigenständigen psychischen Erkrankung. Auch die weiteren massgeblichen
Kriterien seien nicht bzw. nicht in hinreichender Ausgeprägtheit gegeben. Das
Schmerzgeschehen sei daher als mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbar zu
qualifizieren.

2.
Die Beschwerdeführerin rügt die vorinstanzliche Feststellung als aktenwidrig,
mithin willkürlich, wonach es sich bei der Depressivität lediglich um eine
Begleiterkrankung der Schmerzstörung und nicht um eine eigenständige psychische
Erkrankung handle. Im Weitern seien die Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 352 und
seitherige Urteile ohnehin nicht anwendbar, wenn die Arbeitsunfähigkeit im
Wesentlichen in einer depressiven Störung begründet sei.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin bringt richtig vor, dass im Administrativgutachten
vom 27. September 2010 die mittelgradige depressive Episode mit somatischem
Syndrom (ICD-10 F.32.11) unter den Diagnosen mit Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit aufgeführt wurde, das partielle Fibromyalgie-Syndrom dagegen
bei den Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit. Damit
übereinstimmend wurde bei der versicherungsmedizinischen Beurteilung
festgehalten, die Arbeitsfähigkeit werde vorrangig durch die mittelgradige
depressive Episode mit somatischem Syndrom beeinträchtigt; sie betrage derzeit
rund 50 %. Richtig ist auch, dass der psychiatrische Experte in seinem
Teilgutachten vom 31. August 2010 erwähnte, die Versicherte weise eine
deutliche depressive Erkrankung auf.
3.2
3.2.1 Bei ihrer Argumentation lässt die Beschwerdeführerin unerwähnt, dass im
Hauptgutachten - somit nach Diskussion aller daran beteiligten Fachärzte des
Verhältnisses der Depression zu den anderen Diagnosen - bei der Frage nach
körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen festgehalten wurde:
"Vorrangig besteht eine mittelschwere depressive Episode mit somatischem
Syndrom im Sinne einer generalisierten Schmerzstörung (...)". Mit anderen
Worten wurde die Depression interdisziplinär im Zusammenhang mit dem
(partiellen) Fibromyalgie-Syndrom gesehen. Ebenfalls war im Hauptgutachten
nicht von einer deutlichen depressiven Erkrankung die Rede.
3.2.2 Damit stimmt die Feststellung des psychiatrischen Gutachters überein,
wonach im Zusammenhang mit einem Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates
Stimmungsschwankungen, morgendliches Stimmungstief, Schlafstörungen, innerliche
Unruhe und Verlust der Lebensqualität aufgetreten seien. Im Wesentlichen unter
Hinweis darauf hat die Vorinstanz die mittelgradige depressive Episode mit
somatischem Syndrom nicht als eigenständige psychische Erkrankung betrachtet
und eine psychische Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer
verneint. Dies verletzt nach dem Gesagten kein Bundesrecht, zumal nicht, wenn
berücksichtigt wird, dass es anamnestisch im Zusammenhang mit den 2007
aufgetretenen körperlichen Beschwerden (Schmerzen) - krankheitsbedingte
Absenzen von der Arbeit sind seit September 2008 aktenkundig, der erste (fach-)
ärztliche Bericht datiert vom 23. Dezember 2008 - zunehmend auch zu depressiven
Verstimmungen gekommen war. Ab Anfang 2010 wurde eine ambulante psychiatrische
Behandlung durchgeführt, wodurch gemäss psychiatrischem Teilgutachten eine
Beruhigung und Minderung des Leidensdruckes eintrat (vgl. auch Urteil 9C_736/
2011 vom 7. Februar 2012 E. 4.2.2.1, wonach solche psychische Störungen
grundsätzlich als therapeutisch angehbar gelten).
3.2.3 Schliesslich ist auch nicht von Bedeutung, dass im Gutachten vom 27.
September 2010 die mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom
unter den Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit aufgeführt wurde,
das partielle Fibromyalgie-Syndrom dagegen bei den Diagnosen ohne Auswirkung
auf die Arbeitsfähigkeit. Es ändert unter den dargelegten Umständen nichts
daran, dass sich der invalidisierende Charakter des gesamten Beschwerdebildes
als eine Rechtsfrage nach der mit BGE 130 V 352 begründeten Rechtsprechung
beurteilt (vgl. SVR 2012 IV Nr. 1 S. 1, 9C_1040/2010 E. 3.3). Insoweit
unterscheidet sich das vorliegende vielfältige Beschwerdebild von jenem, das
dem in der Beschwerde erwähnten Urteil 8C_302/2011 vom 20. September 2011
zugrunde lag. Dort bestand eine weitgehend chronifizierte depressive Störung,
die mit psychosozialen Faktoren einherging.

3.3 Mit Bezug auf die weiteren einschlägigen Kriterien gemäss BGE 130 V 352
bringt die Beschwerdeführerin nichts vor, ebensowenig gegen die vorinstanzliche
Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG in Verbindung mit
Art. 28a Abs. 1 IVG). Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung.

Die Beschwerde ist unbegründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. März 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler