Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 143/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_143/2012

Urteil vom 22. März 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
Beschwerdeführer,

gegen

innova Versicherungen AG,
Bahnhofstrasse 4, 3073 Gümligen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 6. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
M.________ ist bei der innova Versicherungen AG obligatorisch
krankenpflegeversichert. 2010 stellte ihm der Krankenversicherer eine
Versichertenkarte zur Verwendung für die Rechnungsstellung der Leistungen nach
dem Krankenversicherungsgesetz zu. Mit Verfügung vom 13. April 2010 lehnte die
innova Versicherungen AG das Gesuch von M.________ um Rücknahme der Karte ab,
woran sie mit Einspracheentscheid vom 19. Mai 2010 festhielt.

B.
Die Beschwerde des M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 6. Januar 2012 ab.

C.
M.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 6. Januar 2012 sei aufzuheben und es sei
festzustellen, dass er nicht verpflichtet sei, die Versicherungskarte zu
benützen.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse
auch des vorinstanzlichen Verfahrens. Der angefochtene Entscheid ist
aufzuheben, wenn das kantonale Versicherungsgericht in der Sache entschieden
hat, obschon es an einer Eintretensvoraussetzung fehlte (BGE 136 V 7 E. 2 S. 9;
135 V 124 E. 3.1 S. 127; Urteil 9C_815/2011 vom 22. Februar 2012 E. 1).

2.
Anfechtungsgegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bildete der
Einspracheentscheid vom 19. Mai 2010 (Urteile 9C_185/2011 vom 15. September
2011 E. 1.1 und 8C_679/2010 vom 10. November 2010 E. 3.4), mit welchem der
Krankenversicherer in Bestätigung seiner Verfügung vom 13. April 2010 die
Rücknahme der (auch) dem Versicherten zugestellten Versichertenkarte nach Art.
42a KVG ablehnte. Dieser stellte in der dagegen erhobenen Beschwerde folgendes
Rechtsbegehren: "Der Bezug und die Nutzung der neuen Versichertenkarte ist
nicht obligatorisch, d.h. ich darf die neue Versichertenkarte wieder an den
Versicherer zurückgeben. Aus dem Nichtbezug und der Nichtnutzung der neuen
Versichertenkarte dürfen mir keine Nachteile entstehen". Zur Begründung machte
er geltend, einzelne Bestimmungen der Verordnung vom 14. Februar 2007 über die
Versichertenkarte für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (VVK) und
der eCH-0064-Spezifikationen für das System Versichertenkarte überschritten den
Delegationsrahmen von Art. 42a KVG, verletzten das Datenschutzgesetz (DSG) und
widersprächen der informationellen Selbstbestimmung (zu diesem Begriff Urteil
6B_4/2011 vom 28. November 2011 E. 2.2; Art. 13 Abs. 2 BV).

3.
Der Krankenversicherer hielt im vorinstanzlich angefochtenen Einsprachentscheid
fest, die von ihr herausgegebene Versichertenkarte entspreche den Vorgaben
gemäss den Ausführungsbestimmungen zu Art. 42a KVG. Diesbezüglich habe er als
untergeordnetes Organ der mittelbaren Bundesverwaltung keine
Überprüfungsbefugnis. Die Frage der Rechtsgültigkeit einzelner Vorschriften der
VVK könne damit offenbleiben. Der Einspracheentscheid ist somit eine Verfügung
im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG (Feststellung des Bestehens,
Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und Pflichten). Das Rechtsbegehren des
Versicherten in der dagegen erhobenen Beschwerde ging auf die Feststellung, er
sei nicht zur Verwendung der vom Krankenversicherer zugestellten
Versichertenkarte verpflichtet, was allfällige Sanktionen im Unterlassungsfalle
ausschliesse.

4.
4.1 Feststellungsverfügungen gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG haben stets
individuelle und konkrete Rechte und Pflichten, d.h. Rechtsfolgen zum
Gegenstand; nicht feststellungsfähig ist eine abstrakte Rechtslage, wie sie
sich aus einem Rechtssatz für eine Vielzahl von Personen und Tatbeständen
ergibt (vgl. BGE 130 V 388 E. 2.5 S. 392 mit Hinweisen; Urteil 1A.188/06 vom 8.
Februar 2007 E. 3). Mit Erhalt der Versichertenkarte ist der oder die
Versicherte verpflichtet, sie beim (künftigen) Bezug von Leistungen zu
verwenden (Art. 10 Abs. 1 VVK; ebenso Art. 12 lit. a VVK). Der Versicherer ist
befugt, eine angemessene Gebühr zu erheben, wenn die versicherte Person die
Karte nicht vorweist und sie dadurch zusätzliche Aufwendungen bei der Vergütung
von Leistungen verursacht (Art. 10 Abs. 2 VVK).

4.2 Nach Art. 59 ATSG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene
Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Begriff des schutzwürdigen
Interesses für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist gleich
auszulegen wie derjenige nach Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG für das Verfahren der
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht. Ein
schutzwürdiges Interesse liegt somit vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche
Situation des oder der Rechtsuchenden durch den Ausgang des Verfahrens
beeinflusst werden kann. Dabei wird verlangt, dass die Beschwerde führende
Person durch den angefochtenen Verwaltungsakt (Verfügung oder
Einspracheentscheid) stärker als jedermann betroffen ist und in einer
besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht (BGE 136 V 7
E. 2.1 S. 9 mit Hinweisen; Urteil 9C_822/2011 vom 3. Februar 2012 E. 3.1).
Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf Feststellungsbegehren. Zusätzlich ist
verlangt, dass das Interesse an der (sofortigen) Feststellung des Bestehens,
Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und Pflichten (Art. 5 Abs. 1 lit. b
VwVG) nicht durch einen rechtsgestaltenden Entscheid gewahrt werden kann (BGE
135 II 60 E. 3.3.2 S. 75; 132 V 257 E. 1 S. 259). Nicht feststellungsfähig sind
rein theoretische oder abstrakte bzw. hypothetische Rechtsfragen. Auch das
Feststellungsverfahren dient der Klärung der Rechtslage im Einzelfall,
zumindest solange als dem Gesuchsteller daraus nicht unzumutbare Nachteile
entstehen (vgl. BGE 112 V 81 E. 2a S. 84). Anderes gilt, wenn sich die
aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder
stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich
wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen
Interesse liegt (BGE 136 II 101 E. 1.1 S. 103; 135 I 79 E. 1.1 S. 81). Ist ein
Feststellungsentscheid ergangen, ohne dass diese Voraussetzungen erfüllt sind,
ist er durch die Rechtsmittelinstanz aufzuheben (BGE 129 V 289 E. 3.3 S. 292;
126 II 514 E. 3f S. 520; Urteil 2C_803/2008 vom 21. Juli 2009 E. 4.2.2).

4.3 Die gesetzliche Pflicht zur Verwendung der Versichertenkarte für die
Rechnungsstellung der Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(Art. 42a Abs. 2 KVG, Art. 10 Abs. 1 VVK) stellt eine generell-abstrakte
Verhaltensregel dar, an die im Unterlassungsfalle Sanktionen geknüpft werden
können. Sie begründet kein hinreichendes schutzwürdiges Interesse an der
Feststellung, die Verwendung der Karte sei für den Beschwerdeführer nicht
obligatorisch und aus deren Nichtbenützung dürften ihm keine Nachteile
entstehen. Daran ändert das grundsätzliche Interesse an der Frage der
Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der VVK, der Verordnung des EDI vom 20. März
2008 über die technischen und grafischen Anforderungen an die Versichertenkarte
für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (VKK-EDI) sowie der
eCH-0064-Spezifikationen für das System Versichertenkarte nichts (zur
Überprüfungsbefugnis von bundesrätlichen Verordnungen Urteil 2C_587/2011 vom
12. Dezember 2011 E. 3.2 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat die
Möglichkeit, sollte die Nichtbenützung der Karte tatsächlich die Auferlegung
von Gebühren gestützt auf Art. 10 Abs. 2 VVK zur Folge haben, eine allfällige
Sanktion dannzumal anzufechten und dem kantonalen Versicherungsgericht die
Verfassungs- und Gesetzmässigkeit einzelner Bestimmungen der zu Art. 42a KVG
erlassenen Verordnungen zur vorfrageweisen Prüfung im Rahmen inzidenter
Normenkontrolle (vgl. Urteil B 77/06 vom 18. April 2007 E. 4) zu unterbreiten.

4.4 Die Vorinstanz hätte somit aus formellen Gründen (mangelndes schutzwürdiges
Interesse) nicht auf die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 19. März
2010 eintreten dürfen. Von einer förmlichen Aufhebung des angefochtenen
Entscheides ist indessen aus prozessualen Gründen abzusehen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. März 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler