Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 140/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_140/2012

Urteil vom 12. April 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Advokat Javier Ferreiro,
Beschwerdeführer,

gegen

Swiss Life AG BVG Sammelstiftung,
General Guisan-Quai 40, 8002 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenleistungen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 21. September 2011.

Sachverhalt:

A.
G.________ war ab 8. September 2003 bei der X.________ AG angestellt. Wegen
Rückenbeschwerden arbeitete er ab 4. August 2004 nicht mehr und bezog
Krankentaggelder. Im Januar 2005 meldete sich G.________ bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 4. März 2010
sprach ihm die IV-Stelle Basel-Stadt ausgehend von einer ab Juni 2006
bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine Dreiviertelsrente samt drei Kinderrenten
zu. Daraufhin ersuchte G.________ die BVG-Sammelstiftung Swiss Life, bei
welcher er im Rahmen seiner Anstellung bei der X.________ AG
berufsvorsorgeversichert gewesen war, um Invalidenleistungen, was diese jedoch
ablehnte (Schreiben vom 16. Juli 2010).

B.
Am 26. Oktober 2010 liess G.________ beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Basel-Stadt Klage einreichen mit dem Rechtsbegehren, die Swiss Life AG
BVG Sammelstiftung sei zu verpflichten, ihm gestützt auf einen Invaliditätsgrad
von 68 % eine volle, reglementarische sowie indexierte Rente mit Wirkung ab
Juni 2007 von monatlich Fr. 1'468.60 sowie drei Kinderrenten von jeweils
monatlich Fr. 293.70, beides zuzüglich Verzugszins von 5 % zu bezahlen; weiter
sei ihm mit Wirkung ab April 2005, eventualiter ab Oktober 2006, eine
Prämienbefreiung zu gewähren.
Mit Entscheid vom 21. September 2011 wies das angerufene Gericht die Klage ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt G.________ das
im vorinstanzlichen Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern, eventualiter
die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur weiteren Abklärung beantragen,
unter Aufhebung des Entscheids vom 21. September 2011.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat festgestellt, der Kläger habe den von der IV-Stelle auf Juni
2006 festgelegten Beginn der rentenbegründenden psychisch bedingten Invalidität
nie in Frage gestellt. In diesem Zeitpunkt sei der Kläger wegen Unterschreitens
des Mindestlohnes spätestens ab Januar 2005 nicht mehr unter das
Versicherungsobligatorium gefallen. Da er eine freiwillige Weiterversicherung
nicht beantragt habe, habe er im Juni 2006 keinen Versicherungsschutz mehr
genossen. Die Beklagte habe daher ihre Leistungspflicht zu Recht verneint.

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, das Vorsorgeverhältnis mit der
Beschwerdegegnerin habe frühestens Ende Dezember 2004 geendet, was unbestritten
ist. Er rügt, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie unbesehen den
Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität
geführt hat (Art. 23 lit. a BVG), mit dem Zeitpunkt der im IV-Verfahren
festgelegten Invalidität ab Juni 2006 gleichgesetzt habe. Die
berufsvorsorgerechtlich relevante Arbeitsunfähigkeit sei im August 2004
eingetreten. Bereits damals bei noch bestehendem Vorsorgeverhältnis und vor
Ausrichtung von Krankentaggeldern bzw. Unterschreiten des Mindestlohnes sei er
wegen der Rückenschmerzen, der somatoformen Schmerzstörung sowie der
depressiven Episode arbeitsunfähig gewesen. Da auch der enge sachliche und
zeitliche Konnex im Sinne von BGE 134 V 20 E. 3.2 S. 22 gegeben sei, sei die
Beschwerdegegnerin leistungspflichtig.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer hatte sich im Januar 2005 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Nach aArt. 48 Abs. 2 IVG
(in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007) konnte somit frühestens ab 1. Januar
2004 eine Rente ausgerichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt bis spätestens Ende
Januar 2005 war er (noch) bei der Beschwerdegegnerin berufsvorsorgeversichert,
insbesondere für das Risiko Invalidität. Er focht die Verfügung der kantonalen
IV-Stelle vom 4. März 2010 (Dreiviertelsrente ab 1. Juni 2007) indessen nicht
an und machte eine frühere Eröffnung der Wartezeit und einen entsprechend
früheren Leistungsbeginn nicht geltend. Hiezu wäre er berechtigt gewesen, nicht
jedoch die am Recht stehende Vorsorgeeinrichtung, die unbestrittenermassen bei
einem Beginn der Wartezeit im Juni 2006 nicht leistungspflichtig ist (Urteil
9C_936/2010 vom 28. Januar 2011 E. 2.2.2).
Der im IV-Verfahren auf Juni 2006 festgelegte Beginn der einjährigen Wartezeit
nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007; BGE
134 V 20 E. 3.1.2 S. 21) ist somit für die Belange der beruflichen Vorsorge
unter Vorbehalt offensichtlicher Unhaltbarkeit verbindlich, zumal da der am
Recht stehenden Vorsorgeeinrichtung Vorbescheid und Verfügung eröffnet worden
waren (Urteil 9C_702/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3.1). Ein diese
Bindungswirkung ausschliessender Tatbestand, insbesondere eine verspätete
IV-Anmeldung, ist nicht gegeben (SVR 2011 BVG Nr. 12 S. 44, 9C_693/2009 E. 5.1
in fine; Urteil 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 1).

3.2 Gemäss Art. 26 Abs. 1 BVG gelten für den Beginn des Anspruchs auf
Invalidenleistungen sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des
Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG). Aufgrund
dieser Verweisung fallen in der Regel der berufsvorsorgerechtlich relevante
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach aArt. 23 BVG (seit 1. Januar 2005: Art. 23
lit. a BVG) mit dem Beginn der einjährigen Wartezeit nach aArt. 29 Abs. 1 lit.
b IVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007) zusammen (Urteil 9C_689/2008
vom 25. Februar 2009 E. 1.2). Der Beschwerdeführer scheint dies bestreiten zu
wollen, ohne indessen seine gegenteilige Auffassung näher zu begründen. Dass
das Vorsorgereglement in Bezug auf den weitergehenden Vorsorgebereich eine
andere Regelung vorsieht, macht er nicht geltend.
3.2.1 Feststellungen der Vorinstanz zur gesundheitlich bedingten
Arbeitsunfähigkeit (Eintreten, Grad, Dauer, Prognose etc.) betreffen Tatfragen,
soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände beruhen, und sind daher
lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar (Art. 97 Abs. 1 BGG
sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 f.). Dies
gilt auch für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache
zur Invalidität geführt hat, nach Art. 23 lit. a BVG. Demgemäss ist auch
Tatfrage, ob der von der IV-Stelle festgesetzte Beginn der Wartezeit nach aArt.
29 Abs. 1 lit. b IVG unrichtig ist. Frei überprüfbare Rechtsfrage (Art. 95 lit.
a BVG) ist demgegenüber, ob eine allfällige Unrichtigkeit offensichtlich und
demgemäss die Bindungswirkung aufgehoben ist (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; SVR
2008 BVG Nr. 31 S. 126, 9C_182/2007 E. 4.1.1; Urteil 9C_689/2008 vom 25.
Februar 2009 E. 3.1).
Die Vorinstanz hat die Frage der offensichtlichen Unrichtigkeit des
berufsvorsorgerechtlich relevanten Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nach Art.
23 lit. a BVG nicht geprüft und demzufolge auch keine Feststellungen dazu
getroffen, weil dieser Zeitpunkt nicht in Frage gestellt worden sei (vorne E.
1). Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht. Damit ist aber seiner Rüge, die
Vorinstanz habe insofern den Untersuchungsgrundsatz nach Art. 73 Abs. 2 BVG
verletzt, der Boden entzogen.
3.2.2
3.2.2.1 Da die Klage nach Art. 73 BVG nicht auf ein Verfahren der
ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege folgt (BGE 129 V 450 E. 2 S. 452),
bedingt sie die Darlegung sämtlicher rechtserheblicher Tatsachen und
Beweismittel zu sämtlichen anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Zwar gilt
auch im Rahmen der beruflichen Vorsorge der Untersuchungsgrundsatz (Art. 73
Abs. 2 BVG); dieser wird aber durch die Mitwirkungspflichten der Parteien
beschränkt (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195). Dazu gehört in erster Linie die
Substanziierungspflicht, die besagt, dass die wesentlichen
Tatsachenbehauptungen und -bestreitungen in den Rechtsschriften enthalten sein
müssen (vgl. bereits Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts B 61/00 vom 26.
September 2001 E. 1a/bb und B 21/02 vom 11. Dezember 2002 E. 3.2). Die
Bestreitungslast darf nicht zu einer Umkehr der Behauptungs- und Beweislast
führen. Zudem sind an den Untersuchungsgrundsatz geringere Anforderungen zu
stellen, wenn die Parteien anwaltlich vertreten sind (Niccolo Raselli,
Verfahrensrechtliche Probleme bei der Beurteilung von Streitigkeiten aus
Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung, in: SZS 2005 S. 283;
Staehelin/Vischer, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1996, N. 31 zu Art. 343 OR; BGE
9C_73/2011 vom 17. Januar 2012 E. 5.2.3).
3.2.2.2 Der Beschwerdeführer verweist zur Stützung seines Standpunktes, wonach
er bereits 2004 aus psychischen Gründen nicht mehr voll arbeitsfähig gewesen
sei, auf verschiedene ärztliche Berichte, u.a. das psychiatrische Gutachten des
Dr. med. W.________ vom 24. Oktober 2008. Damit vermag er indessen im Rahmen
der ihm obliegenden Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) auch bei freier
Tatsachenprüfung nicht darzutun, inwiefern der in den Juni 2006 gelegte Beginn
der Wartezeit bzw. Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach Art. 23 lit. a BVG
offensichtlich unhaltbar ist. Dies gilt umso mehr, als die IV-Stelle (auch)
diesbezüglich im Wesentlichen auf die Expertise vom 24. Oktober 2008 abgestellt
hatte. Selbst wenn im August 2004 eine relevante Arbeitsunfähigkeit bestand und
der enge sachliche Konnex mit der Invalidität bejaht wird, ergäbe sich daraus
nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers. Aufgrund der Akten ist in Bezug auf
die Frage des engen zeitlichen Konnexes von Beweislosigkeit auszugehen, was zu
seinen Lasten geht (Art. 8 ZGB; BGE 117 V 261 E. 3b S. 264; Urteil 9C_210/2011
vom 21. April 2011 E. 2.1 in fine).

3.3 Die auf der nicht bundesrechtswidrigen Annahme des Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit nach Art. 23 lit. a BVG im Juni 2006 beruhenden (weiteren)
vorinstanzlichen Erwägungen (vorne E. 1) sind nicht bestritten. Die Beschwerde
ist somit unbegründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. April 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler