Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 131/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_131/2012

Urteil vom 14. Februar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel, Schönmattstrasse 4, 4153 Reinach
BL,
Beschwerdeführerin,

gegen

G.________,
Beschwerdegegner,

S.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Felix Rajower,

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
20. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
Gestützt auf eine Arbeitgeberkontrolle hielt die Revisionsstelle der
Ausgleichskassen fest, dass die Vorsorgestiftung der P.________ AG für die
Firma S.________ AG in den Jahren 2001 und 2002 Einmaleinlagen in die
Pensionskasse der P.________ AG getätigt hatte, um die Frühpensionierung von
fünf Mitarbeitern auszufinanzieren. Auf den 1941 geborenen, im März 2001
pensionierten G.________ entfiel ein Betreffnis von Fr. 209'117.-. Die
Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel erhob von der S.________ AG
Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt Fr. 98'779.50 (Verfügung vom 30.
November 2006). Die Ausgleichskasse wies die Einsprache des G.________ ab
(Entscheid vom 11. Mai 2007).

G.________ erhob Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau.
Dieses wies die Sache zur weiteren Abklärung und allfälligen neuen Verfügung an
die Ausgleichskasse zurück (Entscheid vom 26. August 2008). Mit Entscheid vom
6. April 2010 hielt die Ausgleichskasse an ihrem ursprünglichen Erkenntnis
fest. Dabei sei der Nettobetrag von Fr. 209'117.- auf ein Bruttobetreffnis von
Fr. 220'239.- aufzurechnen. Dies ergebe Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge
von je Fr. 11'358.15 (ohne Verwaltungskosten und Verzugszinse). Im
Individuellen Konto von G.________ werde für das Jahr 2001 ein entsprechendes
Einkommen gutgeschrieben.

B.
G.________ führte beim kantonalen Versicherungsgericht Beschwerde gegen den
Einspracheentscheid vom 6. April 2010. Das Gericht lud die S.________ AG zum
Verfahren bei. Mit Entscheid vom 20. Dezember 2011 hiess es die Beschwerde
teilweise gut, hob den Einspracheentscheid vom 6. April 2010 auf und wies die
Sache zur weiteren Abklärung und zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die
Ausgleichskasse zurück.

C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 6. April 2010 zu
bestätigen.

Die beigeladene S.________ AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit
auf das Rechtsmittel einzutreten sei; die Sache sei zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. G.________, das kantonale Gericht und das Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Strittig ist, ob die Ausgleichskasse auf der Einmaleinlage in die
Pensionskasse der P.________ AG, welche die Vorsorgestiftung der P.________ AG
aus Anlass der vorzeitigen Pensionierung des Beschwerdeführers getätigt hatte,
zu Recht Sozialversicherungsbeiträge erhob. Die Vorinstanz stellte fest, die
fragliche Leistung unterstehe nicht der AHV-Beitragspflicht. Die Sache sei
allerdings noch an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie abkläre, ob
die Nichtbeitragspflichtigkeit der fraglichen Zuwendung eine Reduktion der
Altersrente bewirke. Zudem habe sie die vom Arbeitgeber bereits geleisteten
Arbeitgeber- und -nehmerbeiträge zurückzuerstatten.

1.2 Rückweisungsentscheide sind grundsätzlich Zwischenentscheide im Sinne von
Art. 92 f. BGG (vgl. BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481). Wenn indes die Rückweisung
nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient und der unteren
Instanz somit kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt, handelt es sich
materiell nicht um einen Zwischenentscheid, der bloss unter den Voraussetzungen
der Art. 92 und 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar wäre, sondern um einen
Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007
E. 1.1). So verhält es sich hier, nachdem das kantonale Gericht die Streitfrage
nach der Beitragspflicht abschliessend entschieden hat. Auf die Beschwerde ist
daher einzutreten.

2.
Die Beigeladene und die Vorinstanz vertreten die Auffassung, der
Einspracheentscheid vom 6. April 2010 sei schon aus formellen Gründen
aufzuheben. Nach dem Rückweisungsentscheid des kantonalen Gerichts vom 26.
August 2008 erliess die Ausgleichskasse nicht eine neue einsprachefähige
Verfügung, sondern direkt den besagten Einspracheentscheid, weil im Dispositiv
des Rückweisungsentscheids (nur) der angefochtene Einspracheentscheid
aufgehoben worden sei. Daraus durfte die Ausgleichskasse zwar nicht ableiten,
die vorangegangene Verfügung sei aufrechterhalten geblieben; im Rahmen des
einheitlichen Verwaltungsverfahrens ersetzt der Einspracheentscheid die
ursprüngliche Verfügung (BGE 131 V 407 E. 2.1.2 S. 411). Dennoch ist das
Vorgehen der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden: Der Beschwerdegegner und
die Beigeladene haben durch die umgehende Bestätigung des Einspracheentscheids
vom 11. Mai 2007 keinen Rechtsnachteil erlitten; die Abklärungen der
Ausgleichskasse brachten damals nichts hervor, was in einem neuen
Einspracheverfahren zu behandeln gewesen wäre.

3.
3.1 Vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit (massgebender Lohn)
werden paritätisch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge erhoben (Art. 5 und
Art. 12 bis 14 AHVG). Als massgebender Lohn gilt jedes Entgelt für in
unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit
(Art. 5 Abs. 2 erster Satz AHVG). Gestützt auf Art. 5 Abs. 4 AHVG kann der
Bundesrat Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende
Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den
massgebenden Lohn ausnehmen. Der Bundesrat hat von dieser Befugnis in den Art.
6 ff. AHVV Gebrauch gemacht.

3.2 Das kantonale Gericht erwog unter anderem, die fragliche Leistung in die
Pensionskasse sei von der patronalen Vorsorgestiftung der P.________ AG - und
nicht vom Arbeitgeber selber - erbracht worden. Demnach stehe fest, dass die
Einmalzahlung nicht AHV-beitragspflichtig sei; die Beitragsunterstellungen
gemäss AHVV beträfen nur Leistungen des Arbeitgebers.

3.3 Die Vorinstanz zeichnet damit eine Erwägung aus dem Urteil 9C_435/2008 vom
21. Oktober 2008 nach. In BGE 137 V 321 E. 2 S. 325 (Entscheid 9C_12/2011 vom
8. August 2011) hat das Bundesgericht indessen klargestellt, es bleibe, der
langjährigen Rechtsprechung folgend, bei einer objektbezogenen
Betrachtungsweise. Somit wird nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete
Arbeit als beitragspflichtiges Einkommen erfasst, sondern grundsätzlich jede
wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende Entschädigung oder
Zuwendung, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift davon
ausgenommen ist (BGE 133 V 556 S. 4 S. 558; vgl. auch Art. 5 Abs. 4 AHVG).
Dabei spielt grundsätzlich keine Rolle, ob die Zuwendung direkt vom Arbeitgeber
oder von einem Dritten, so einer patronalen Wohlfahrtsstiftung, ausgerichtet
wird.
3.4
3.4.1 Die Leistung der Vorsorgestiftung der P.________ AG erfolgte anlässlich
der vorzeitigen Pensionierung des Beschwerdegegners (Zirkularbeschluss des
Stiftungsrats vom 11. Dezember 2000). Damit hängt sie wirtschaftlich ohne
Weiteres mit dem (früheren) Arbeitsverhältnis zusammen. Allerdings gehören
reglementarische Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen, welche die
Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990
über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) erfüllen, nach Art. 8 lit. a
AHVV nicht zum massgebenden Lohn. Unter diesem Titel sind von der
Beitragspflicht nur Vorsorgebeiträge befreit, welche der Arbeitgeber gestützt
auf ihm grundsätzlich entzogene, jedenfalls nicht ad hoc im Einzelfall
abänderbare normative Grundlagen schuldet. Dabei kann es sich um regelmässige,
periodische oder allenfalls anlässlich einer vorzeitigen Pensionierung
anfallende Einlagen handeln. Reglementarisch (oder statutarisch) geschuldet
sind Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen freilich nicht schon
dann, wenn das Reglement eine Einlage des Arbeitgebers bloss zulässt; es muss
sie für eine bestimmte, im Arbeitsverhältnis begründete Situation vorschreiben.
Beiträge patronaler Wohlfahrtsfonds sind grundsätzlich ohne Weiteres solchen
des Arbeitgebers gleichzustellen (vgl. oben E. 3.3). Leistet somit ein
Wohlfahrtsfonds anstelle des von der Vorsorgeeinrichtung reglementarisch hierzu
verpflichteten Arbeitgebers, so gehören diese Vorsorgebeiträge unter dem Titel
des Art. 8 lit. a AHVV nicht zum massgebenden Lohn (BGE 137 V 321 E. 1.2.3 S.
324 mit Hinweisen).
3.4.2 Nicht anwendbar sind hier die Art. 6 Abs. 2 lit. h AHVV (dazu BGE 137 V
321 E. 4.1 S. 333) und Art. 8ter Abs. 1 lit. c AHVV (in der bis Ende 2007
geltenden Fassung). Gemäss letzterer Norm gehören Sozialleistungen im Rahmen
einer Vorruhestandsregelung des Arbeitgebers nicht zum massgebenden Lohn,
soweit sie acht Monatslöhne nicht übersteigen. Bei dieser altrechtlichen
Bestimmung geht es (im Unterschied zum hier einschlägigen Art. 8 lit. a AHVV)
nicht darum, dass Arbeitgeber resp. patronale Wohlfahrtsstiftungen etwa
Ausgleichsleistungen der Vorsorgeeinrichtungen bei Frühpensionierungen
finanzieren, sondern um freiwillig erbrachte Zuwendungen des Arbeitgebers,
welche etwa Vorsorgelücken füllen oder Versicherungsleistungen ergänzen sollen
(vgl. BGE a.a.O. E. 3.3.1 S. 330).
3.4.3 Unter Vorbehalt des in E. 3.4.1 in fine Gesagten erbringen nicht dem
Freizügigkeitsgesetz unterstehende patronale Wohlfahrtsfonds in aller Regel
Ermessensleistungen ohne Versicherungscharakter (BGE 137 V 321 E. 3.1 S. 328
mit Hinweisen). So verhält es sich auch hier:

Nach Darstellung der Pensionskasse finanziert die patronale Vorsorgestiftung
der P.________ in einer gewissen Konstellation vorzeitige Pensionierungen; dies
werde jeweils "individuell entschieden". Dieser Beschrieb der
Finanzierungsquellen datiert zwar vom 15. September 2006; indessen wird nicht
geltend gemacht, dass sich die allgemeinen Voraussetzungen seit der hier
interessierenden Einlage im Jahr 2001 geändert haben. Im Falle des
Beschwerdegegners entschied der Stiftungsrat der patronalen Vorsorgestiftung
der P.________ durch Zirkularbeschluss vom 11. Dezember 2000, die
Finanzierungskosten für dessen vorzeitige Pensionierung auf den 1. März 2001
von rund Fr. 205'700.- an die Pensionskasse zu vergüten. Das Reglement I,
Ausgabe 1999, der Pensionskasse der P.________ AG bestätigt, dass dieser
Vorgang auf einem individuell getroffenen Entscheid und nicht auf einer
reglementarischen Grundlage im Sinne des Art. 8 lit. a AHVV beruhte. Denn für
vorzeitige Pensionierungen auf Antrag der Firma wird dort lediglich vorgesehen,
dass die Pensionskasse für eine näher umschriebene Personenkategorie, der auch
der Beschwerdegegner angehört (vgl. den Beschrieb vom 15. September 2006 und
das Schreiben der Revisionsstelle der Ausgleichskassen vom 27. Februar 2009),
angesichts zu kürzender Altersrenten (Art. 30 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 29
Abs. 2) "im Einvernehmen mit der Firma" eine wesentliche Verbesserung dieser
Leistungen zugunsten des Versicherten vornimmt (Art. 30 Abs. 2; vgl. auch das
Schreiben vom 4. November 2005 der Pensionskasse an die Revisionsstelle der
Ausgleichskassen). Im Element der Einvernehmlichkeit kommt Freiwilligkeit zum
Ausdruck; damit wird klar, dass die reglementarischen Vorgaben dem Destinatär
keinen einklagbaren Rechtsanspruch darauf einräumen, dass der Arbeitgeber (oder
ein diesem zugehöriger Wohlfahrtsfonds) Beiträge an steuerbefreite
Vorsorgeeinrichtungen leiste (vgl. BGE 137 V 321 E. 3.1 S. 329; oben E. 3.4.1).

3.5 Damit ist die Einmaleinlage der patronalen Vorsorgestiftung der P.________
AG zwecks Ausfinanzierung der Frühpensionierung des Beschwerdegegners im Jahr
2001 als massgebender Lohn im Sinne von Art. 5 AHVG zu qualifizieren.

4.
In Anwendung von Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG wird auf die Erhebung von
Gerichtskosten verzichtet, zumal der Beschwerdegegner das kantonale
Beschwerdeverfahren vor Klärung der Rechtslage durch BGE 137 V 321 angehoben
hatte und er sich dem strittigen Entscheid der Beschwerdeführerin
letztinstanzlich nicht mehr widersetzte. Ebenso rechtfertigt es sich, die
vorinstanzliche Parteikostenzusprechung zu belassen (vgl. Urteil 9C_135/2012
vom 4. April 2012 E. 2).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Dezember 2011 wird aufgehoben
und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel vom
6. April 2010 bestätigt.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der S.________ AG, dem Versicherungsgericht
des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 14. Februar 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub