Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 122/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_122/2012

Urteil vom 5. Juni 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Hochreutener,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 21. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
S.________, geboren 1985, erlitt unmittelbar nach dem dritten Realschuljahr im
September 2001 bei einem Verkehrsunfall eine Unterschenkelfraktur. In der Folge
war sein Gesundheitszustand mehrere Jahre stabil. S.________ absolvierte
erfolgreich eine zweijährige Verkäuferlehre in einem Baumarkt. In der Folge
liess er sich im Sicherheitsbereich ausbilden und anstellen; schliesslich
absolvierte er bei der X.________ AG ab August 2006 eine Maurerlehre, die er
mit Auszeichnung abgeschlossen hat. Bei dieser Firma arbeitete er nach seiner
Lehre weiter als Maurer. Wegen zunehmender Schmerzen im durch den Unfall
betroffenen Unterschenkel unterzog sich S.________ 2008 einer Operation, die
nicht die erhoffte Besserung brachte. Es verblieb eine Fussheberschwäche, die
körperlich schwere Arbeiten auf dem Bau als nicht mehr geeignet erscheinen
liess (Gutachten des Dr. R.________, FMH Chirurgie und Intensivmedizin vom 30.
November 2008; Bericht der Dres. L.________ und H.________, Zentrum für
Fusschirurgie an der Klinik Y.________, vom 27. Oktober 2010). Der
Unfallversicherer meldete S.________ im Mai 2010 bei der Invalidenversicherung
an und beantragte "Umschulung zu weniger körperlicher Tätigkeit"; bei längerer
körperlicher Arbeit träten Ermüdungserscheinungen auf. Die IV-Stelle des
Kantons Thurgau führte erwerbliche Abklärungen durch und zog die medizinischen
Unterlagen des Unfallversicherers bei.
Mit Verfügung vom 23. August 2010 stellte die Verwaltung S.________
Arbeitsvermittlung in Aussicht und lud ihn zu Standortgesprächen ein, in denen
die Option "Besuch der Baupolierschule" aufgeworfen wurde. Nach entsprechenden
Vorbescheiden verneinte indes die IV-Stelle mit Verfügung vom 2. September 2011
unter anderem einen Anspruch auf Kostengutsprache für Umschulung. Der
Versicherte sei in einer angepassten Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig; er
erleide keine Erwerbseinbusse von mindestens 20 %, da das Arbeitsverhältnis bei
der Baufirma X.________ AG im bisherigen Rahmen und mit derselben Entlöhnung
fortgesetzt werde. Die Arbeitgeberin ermögliche dem Versicherten den Besuch der
Baupolierschule. Gleichzeitig verfügte die IV-Stelle den Abschluss der
Arbeitsvermittlung und verneinte einen Rentenanspruch.

B.
Gegen die Verfügung vom 2. September 2011 betreffend Ablehnung des
Umschulungsanspruchs (Besuch Baupolierschule) führte S.________ Beschwerde,
welche das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 21.
Dezember 2011 abwies.

C.
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie "die gesetzlichen
Eingliederungsmassnahmen, insbesondere eine Umschulung". Eventuell sei die
IV-Stelle anzuweisen, weitere Abklärungen zur invaliditätsbedingten
Notwendigkeit einer Massnahme beruflicher Art vorzunehmen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde; Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf Stellungnahmen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf Umschulung.
Die hiefür massgeblichen Rechtsgrundlagen (Art. 17 Abs. 1 IVG; vgl. auch Art. 8
Abs. 1 IVG und Art. 6 IVV) hat die Vorinstanz zutreffend dargelegt
(angefochtener Entscheid, E. 2; vgl. BGE 130 V 488 E. 4.2 S. 489 mit
Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Das kantonale Gericht erwog in seiner Hauptbegründung, der Versicherte sei
als Maurer zweifellos zu 50 % arbeitsunfähig. Im Ergebnis sei dies aber nicht
von Bedeutung, weil der Anspruch auf Umschulung (zum Baupolier) wegen fehlender
Gleichwertigkeit verneint werden müsse. Ziel einer Umschulung sei es, dem
Versicherten eine im Vergleich zu seiner früheren Arbeit annähernd
gleichwertige Erwerbsmöglichkeit zu vermitteln. Beim Baupolier handle es sich
um eine Führungsfunktion, welche durch einen Kaderlehrgang erreicht werde. Ein
Baupolier erziele entsprechend seiner höheren Verantwortung ein klar höheres
Einkommen als ein gelernter Maurer, weshalb diese Tätigkeiten nicht
gleichwertig seien. Zudem erscheine wenig plausibel, dass der Versicherte als
Maurer zu 50 % arbeitsunfähig, als Baupolier hingegen voll oder doch in
grösserem Umfang arbeitsfähig sein solle. Im Übrigen würde dem Versicherten,
der auch eine Ausbildung zum Verkäufer absolviert habe, zusätzlich eine
Erwerbstätigkeit im Gross- oder Detailhandel offenstehen, wo das Tragen
schwerer Lasten eher vermeidbar wäre als bei der Tätigkeit als Polier.

3.2. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine
Gleichwertigkeit der Tätigkeit als Maurer einerseits und als Baupolier
anderseits verneint. Mit der Umschulung zum Baupolier erreiche er nur einen
relativ kleinen lohnmässigen Aufstieg. Dies gelte umso mehr, als ihm nur ein
Teil der Stellen als Baupolier offenstünden, nämlich ausschliesslich jene,
welche einen geringen Anteil an eigentlicher handwerklicher Tätigkeit mit
längerem Stehen bzw. mit schweren Arbeiten beinhalteten. Der Mindestlohn für
einen ausgebildeten Baupolier betrage Fr. 81'705.- (für das Jahr 2009).
Berücksichtige man die Tatsache, dass er aufgrund seiner leidensbedingten
Einschränkung Lohneinbussen in Kauf nehmen müsse, könne ohne Weiteres noch von
annähernder Gleichwertigkeit gesprochen werden. Im Übrigen sei der Mindestlohn
eines (gesunden) Baupoliers im Vergleich zu seinem Lohn bei der Firma
X.________ von Fr. 71'552.- nicht erheblich höher. Soweit das kantonale Gericht
annehme, er könne auch als Verkäufer im Handel einen annähernd gleich hohen
Verdienst erzielen, sei dies nicht zutreffend, da er auch dort wegen seiner
Behinderung eingeschränkt wäre und daher weniger als einen durchschnittlichen
Lohn erreichen könne. Schliesslich habe das kantonale Gericht nicht geprüft, ob
im Rahmen einer Austauschbefugnis wenigstens Anspruch bestehe auf
Umschulungsmassnahmen in der Höhe von Kosten einer Ausbildung, die auf eine dem
Maurer gleichwertige Tätigkeit hinführe.

4.

4.1. Das kantonale Gericht hat festgestellt, der Beschwerdeführer leide nach
dem Unfall im Jahr 2001 und den nach der Operation 2008 aufgetretenen
Komplikationen unter einer Fussheberschwäche und unter dadurch bedingten
Überbelastungsschmerzen, weshalb die Ärzte eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit als
Maurer und eine volle Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit als
realistisch betrachteten, wie dies auch im Verlaufsbericht (Case Report) der
IV-Stelle korrekt wiedergegeben worden sei. Diese Feststellung lässt sich auf
die übereinstimmenden medizinischen Akten stützen; sie ist für das
Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz hat ihr indes
zu Unrecht keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Vielmehr ist damit eine
erste Voraussetzung für die Gewährung einer Umschulung erfüllt: Der Versicherte
ist wegen der Art und Schwere des eingetretenen Gesundheitsschadens nicht nur
in der bisher ausgeübten Tätigkeit als Maurer ausgewiesenermassen in einem
erheblichen Masse eingeschränkt; somit wird, wie sogleich zu zeigen sein wird,
die rechtsprechungsgemässe quantitative Hürde für die Gewährung einer
Umschulung überwunden. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer in seiner
Lehrfirma, wie er im Mai 2010 angegeben hatte, einstweilen weiterhin den
bisherigen Maurerlohn bezieht.

4.2. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer in einer leidensangepassten
Tätigkeit einen massgebenden invaliditätsbedingten Minderverdienst erleidet.
Dies trifft zu, wenn in den für ihn ohne zusätzliche Ausbildung offenstehenden,
noch zumutbaren Erwerbstätigkeiten eine bleibende oder längere Zeit dauernde
Erwerbseinbusse von rund 20 % besteht (BGE 124 V 108 E. 2b S. 110; vgl. auch
BGE 130 V 488). In einer Eventualbegründung hat das kantonale Gericht diese
Frage verneint und erwogen, der Beschwerdeführer könne in seinem Erstberuf als
Verkäufer im Handel annähernd viel verdienen wie als Maurer; zudem seien das
berufliche Fortkommen und damit die Erwerbsaussichten als gelernter Verkäufer
im Vergleich zum gelernten Maurer gleichwertig.

4.2.1. Die Festlegung der - für den Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG
massgebenden - hypothetischen Vergleichseinkommen beschlägt eine
letztinstanzlich unter dem eingeschränkten Blickwinkel von Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 2 BGG überprüfbare Tatfrage, soweit sie auf konkreter
Beweiswürdigung beruht; eine frei zu prüfende Rechtsfrage hingegen, soweit sich
der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft
etwa die Frage, ob statistische Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die
massgebliche Tabelle ist und ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig
begründeter) Leidensabzug vorzunehmen sei (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; in BGE
134 V 322 nicht publizierte E. 1.2 des Urteils 8C_255/2007 vom 12. Juni 2008;
ferner SVR 2009 IV Nr. 34 S. 95, 9C_24/2009 E. 1.2; SVR 2009 IV Nr. 6 S. 11,
9C_189/2008 E. 1 und 4).

4.2.2. Bei der Bestimmung der mutmasslichen Erwerbseinbusse bezifferte das
kantonale Gericht den Invalidenlohn gestützt auf statistische Angaben in der
Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik (LSE) 2010 (Tabelle A1) als
Verkäufer im Grosshandel auf Fr. 76'387.90 bzw. im Detailhandel auf Fr.
63'503.65. Verglichen mit dem (Validen-) Lohn als Maurer ergebe sich ein
Invaliditätsgrad von 0 % (Grosshandel) bzw. von 12 % (Detailhandel). Einen
Leidensabzug nahm die Vorinstanz nicht vor; dies zu Unrecht. In jenem Bereich
des Detailhandels, in dem der Beschwerdeführer tätig gewesen war (Bau und
Hobby), mussten, wie er plausibel vorbringt, mitunter schwere Lasten getragen
werden. Dies ist dem Beschwerdeführer nicht mehr möglich. Besteht aber auch in
der Verweisungstätigkeit nur eine beschränkte Einsatzmöglichkeit (hier: kein
schweres Tragen, kein langes Stehen), rechtfertigt es sich, einen
leidensbedingten Abzug zu gewähren. Dieser ist auf mindestens 10 % zu
veranschlagen. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 71'552.- (Lohn als Maurer)
und einem Invalideneinkommen von Fr. 57'153.- (Verkäufer im Detailhandel
abzüglich 10 %) besteht eine - voraussichtlich bleibende (SVR 2010 IV Nr. 52 S.
160, 9C_125/2009 E. 5) - massgebliche Einbusse von etwas über 20 %. Mittels
Verweisung des Beschwerdeführers auf seine frühere Tätigkeit als Verkäufer kann
somit der Umschulungsanspruch nicht verneint werden.

4.2.3. Die Erwerbseinbusse wäre auch bei einer erneuten Beschäftigung im
Sicherheitsbereich nicht geringer: Der Beschwerdeführer hat gemäss seinem
Lebenslauf von November 2006 bis November 2008 in dieser Branche gearbeitet; in
dieser Zeit ist er auch ausgebildet worden. Die kurze Zeit dieser Anstellung -
parallel zur Maurerlehre - weist indes auf eine wenig vertiefte bzw. relativ
kurze Ausbildungszeit hin. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, der
Beschwerdeführer weise auf diesem Gebiet eine Ausbildung aus, die einer
Berufslehre gleichkommt. Dementsprechend beschränkter wären in diesem
Tätigkeitsbereich denn auch die Möglichkeiten der zukünftigen Lohnentwicklung
(vgl. BGE 124 V 108). Die Durchschnittslöhne im Bereich Persönliche
Dienstleistungen bewegen sich in einem tieferen Rahmen; sie betragen im Jahr
2008 rund Fr. 4'300.- (LSE, Tabelle A1 und A3, Anforderungsniveau 4, Bereiche
90-93). Ohnehin ist fraglich, ob der Beschwerdeführer in diesem Berufsfeld, wo
meist längeres Stehen und Gehen erforderlich ist, dauerhaft erwerbstätig sein
könnte.

5.
Das kantonale Gericht hat die Gleichwertigkeit der bisherigen und der mit
beantragter Umschulung angestrebten Tätigkeit hauptsächlich mit dem Argument
verneint, es handle sich beim Baupolier - im Unterschied zum Maurer - um eine
Führungsfunktion, welche durch einen Kaderlehrgang erreicht werde. Der
Baupolier erziele entsprechend seiner höheren Verantwortung auch klar ein
höheres Einkommen.

5.1. Ob eine annähernde Gleichwertigkeit der Erwerbsmöglichkeit in der alten
und neuen Tätigkeit vorliegt, beschlägt eine vom Bundesgericht frei
überprüfbare Rechtsfrage (E. 4.2.1 hievor).

5.2. Die annähernde Gleichwertigkeit der beiden Tätigkeiten ist aus den
folgenden Gründen gegeben.

5.2.1. Im Einzelfall kann selbst eine Ausbildung, die eine - verglichen mit der
Arbeit vor Invaliditätseintritt - anspruchsvollere Tätigkeit erlaubt,
übernommen werden, wenn Art und Ausmass der Invalidität und deren berufliche
Auswirkungen so schwerwiegend sind, dass die Arbeitsleistung nur auf dieser
höheren Berufsstufe optimal verwertet werden kann (Urteil I 104/87 vom 10. März
1988 E. 2c [ZAK 1988 S. 467]). Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf den
per 1. Januar 2012 in Kraft gesetzten Art. 6 Abs. 1bis IVV, wonach auch
Ausbildungsmassnahmen als Umschulung gelten, die zu einer höherwertigen als die
vorhandene Ausbildung führen, sofern sie zur Erhaltung oder Verbesserung der
Erwerbsfähigkeit notwendig sind.
Die Fussheberschwäche behindert den Beschwerdeführer bei körperlich
anstrengenden Tätigkeiten, beim längeren Gehen und Stehen. Wie erwähnt ist
unbestritten, dass der Beschwerdeführer längerfristig den Beruf als Maurer
nicht mehr oder höchstens zu 50 % ausüben könnte. Ebenso ist er in der Ausübung
seiner früher erlernten und ausgeübten Tätigkeiten als Verkäufer und
Sicherheitsangestellter deutlich eingeschränkt. Bei dieser Ausgangslage ist der
Beschwerdeführer erst nach einer beruflichen Massnahme in der Lage, einen mit
dem Valideneinkommen vergleichbaren Lohn zu erzielen. Fraglich ist nun, ob die
beantragte Umschulung - Besuch der Baupolierschule im Gewerblichen Berufs- und
Weiterbildungszentrum St. Gallen, Baukaderschule, Höhere Fachschule für
Technik, St. Gallen (www.gbssg.ch) -, die der Beschwerdeführer offenbar mit
Unterstützung seines Arbeitgebers Ende 2010 mit einem Praktikum bereits
begonnen hat, eine wesentliche Verbesserung der zukünftigen
Erwerbsmöglichkeiten darstellt. Nach der Profilbeschreibung des Berufsberaters
der IV-Stelle vom 4. November 2010 erledigt ein Polier zwar auch administrative
Arbeiten (wie Bauabrechnung, Kostenkontrolle, Qualitätsnachweis, Planung von
Einsatzabläufen), die sitzend verrichtet werden. Jedoch muss er in seiner
Eigenschaft als Baustellenchef zusätzlich Präsenz auf dem Bau zeigen; bei der
Ausübung dieses wesentlichen Teils des Pflichtenhefts wäre der Versicherte
deutlich eingeschränkt. Indessen kann von der Weiterbildung zum Polier, welche
an die Berufserfahrung des Beschwerdeführers im Baubereich knüpft, gleichwohl
eine nachhaltige Eingliederung erwartet werden: Nach Feststellung des
Berufsberaters der IV-Stelle eröffnet das betreffende Fähigkeitszeugnis dem
Beschwerdeführer Erwerbsmöglichkeiten wie diejenige eines
Aussendienstmitarbeiters Baustoffe oder eines Projektmitarbeiters; weiter
könnte er sich in den Bereichen Administration, Personal- und Bauplanung,
Organisation und Disposition sowie Controlling betätigen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen relativ jungen
Versicherten handelt. Je länger die noch bevorstehende Aktivitätsdauer, desto
eingliederungswirksamer ist eine Massnahme (vgl. Art. 8 Abs. 1bis zweiter Satz
IVG).
Was die annähernde Gleichwertigkeit der Verdienstmöglichkeiten in den erwähnten
Tätigkeiten anbelangt, so ist davon auszugehen, dass sich dieses Erfordernis in
erster Linie auf die nach erfolgter Eingliederung zu erwartende
Verdienstmöglichkeit bezieht (BGE 130 V 488 E. 4.2 S. 489). Die
Lohn-Grössenordnungen verhalten sich wie folgt: Als Aussendienstmitarbeiter
Baustoffe oder Projektmitarbeiter usw. könnte der Beschwerdeführer gemäss den
Erhebungen des Bundesamts für Statistik (Schweizerische Lohnstrukturerhebung
2010, Tabelle A1, Baugewerbe, Anforderungsniveaus 1+2 [Verrichtung höchst
anspruchsvoller und schwierigster [1] resp. selbständiger und qualifizierter
[2] Arbeiten]) mit einem Einkommen von Fr. 6'500.- (standardisierter
Monatslohn: 41 /3 Wochen à 40 Arbeitsstunden) rechnen. In der angestammten
Tätigkeit eines gelernten Maurers liegt der Medianlohn bezogen auf
Anforderungsniveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt) bei Fr.
5'742.-. Die Lohndifferenz beläuft sich insoweit auf 11,7 Prozent. Selbst die
Minimallöhne für Poliere und Werkmeister (nach Baukadervertrag im Durchschnitt
der Lohnzonen Fr. 6'316.- [2013]) liegen derzeit bloss 12,4 Prozent über den
Basislöhnen für gelernte Bau-Facharbeiter von durchschnittlich Fr. 5'533.-
(Landesmantelvertrag 2013 für Baustellenpersonal; vgl. zu allen Zahlen:
www.baumeister.ch, Basislöhne [Minimallöhne] im Bauhauptgewerbe). Da die hier
in Betracht fallenden Tätigkeiten - wie etwa diejenige eines
Aussendienstmitarbeiters Baustoffe - im Unterschied zu derjenigen des Poliers
nicht per se mit Führungsfunktionen verbunden sind, ist der effektiv zu
erwartende Lohn überwiegend wahrscheinlich tiefer anzusiedeln. Jedenfalls mit
Blick auf die verbleibende lange Aktivitätsdauer und die
Eingliederungswirksamkeit der strittigen Massnahme ist damit auch das
Erfordernis der Gleichwertigkeit gegeben.

5.2.2. Nicht ersichtlich ist, inwiefern die in den Gesprächsnotizen des
Eingliederungsverantwortlichen der IV-Stelle vom 4. November 2010 thematisierte
Option eines Quereinstiegs in ein neues Berufsfeld ohne entsprechende
Qualifikationen eine zweckmässigere Alternative sein könnte. Der
Beschwerdeführer verfügt nicht bereits über eine ausreichend solide
kaufmännische Ausbildung und IT-Kenntnisse, um als Quereinsteiger
beispielsweise im Bereich Innendienst oder Sekretariat ohne Weiteres einen Lohn
zu erzielen, der demjenigen eines ausgewiesenen Fachmanns in der Baubranche
nahekommt.

6.
Sind die Voraussetzungen für die beantragte Umschulung nach dem Gesagten
erfüllt, so erübrigen sich Ausführungen zur Austauschbefugnis.

7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer stehen Parteientschädigungen zu (Art. 68 Abs. 1 und 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 21. Dezember 2011 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Thurgau vom 2. September 2011 werden aufgehoben. Es wird festgestellt,
dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Umschulungsmassnahmen in Form des
Besuchs der Baupolierschule St. Gallen hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juni 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub

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