Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 11/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_11/2012

Urteil vom 28. Februar 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 31. Oktober 2011.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 23. März 2010 verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen
den Anspruch der 1956 geborenen B.________ auf eine Rente der
Invalidenversicherung.

B.
Die Beschwerde der B.________ wies das Versicherungsgericht das Kantons St.
Gallen nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 31. Oktober 2011 ab.

C.
B.________ hat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben mit
dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 31. Oktober 2011 sei aufzuheben und ihr
mit Wirkung ab Januar 2005 mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen,
eventualiter die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

D.
Mit Verfügung vom 31. Januar 2012 ist das Gesuch von B.________ um
unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Prozesses abgewiesen
worden.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, gemäss Gutachten der MEDAS vom 10.
Dezember 2009 mit Ergänzung vom 21. Juni 2011 bestehe eine Arbeitsfähigkeit von
70 % in leidensangepassten Tätigkeiten. Darauf sei abzustellen. Der Umstand,
dass die Experten auf die Erstellung eines (aktuellen) MRI der
Lendenwirbelsäule verzichtet hätten, vermöge die Beweiskraft ihrer Einschätzung
nicht zu erschüttern.

1.2 Die dagegen gerichteten Vorbringen in der Beschwerde erschöpfen sich
weitgehend in unzulässiger appellatorischer Kritik an der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 105 Abs. 2 BGG; Urteile
9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3 und 4A_28/2007 vom 30. Mai 2007 E. 1.2,
nicht publ. in: BGE 133 III 421). Dies betrifft insbesondere die Aussage, der
klinische Befund der Wirbelsäule habe eine erhebliche Beeinträchtigung gezeigt
im Sinne von Hinweisen auf eine lumboradikuläre Reizsymptomatik (vgl. zur
Bedeutung der klinischen Untersuchung und bildgebender Verfahren in der
Wirbelsäulen-Diagnostik Alfred M. Debrunner, Orthopädie. Orthopädische
Chirurgie, 4. Aufl. 2002, S. 783 ff., 881; ferner Tilscher/Graf, Die Bedeutung
der bildgebenden Verfahren - Röntgen, CT, MRT - in der konservativen Orthopädie
und manuellen Medizin, in: Manuelle Medizin 1-2010, S. 16 ff.). Das von den
Gutachtern der MEDAS in die Beurteilung einbezogene MRI vom 28. September 2005
hatte zwar kleine Diskushernien auf Höhe L5/S1 gezeigt, jedoch keine
Anhaltspunkte für eine Kompression der Nervenwurzel S1 ergeben (Bericht Dr.
med. U.________, Rheumatologie, vom 5. Oktober 2005). Im Übrigen ist die
vorinstanzliche Feststellung unbestritten geblieben, die behandelnden Ärzte
hätten ebenfalls keine Veranlassung für eine lumbovertebrospinale
Kernspintomographie gehabt, sondern vielmehr ein MRI des Iliosakralgelenks
erstellt, woraus sich keine neuen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit den
LWS-Beschwerden ergeben hätten.

2.
2.1 Den Abzug vom Tabellenlohn gemäss BGE 126 V 75 hat die Vorinstanz
gesamthaft auf 10 % festgesetzt. Dabei hat sie von den in Betracht fallenden
Merkmalen (vgl. BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80) in erster Linie dasjenige der
leidensbedingten Einschränkung als gegeben erachtet. Mit ihren Vorbringen
vermag die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen, inwiefern ein Abzug von 10 %
das Ergebnis rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung ist (Urteil 9C_40/2011 vom
1. April 2011 E. 2.1).
2.2
2.2.1 Validen- und Invalideneinkommen sind - insoweit unbestritten -auf
derselben tabellarischen Grundlage ausgehend vom selben Tabellenlohn zu
ermitteln (vgl. Urteil 9C_882/2010 vom 25. Januar 2011 E. 7.3.1 mit Hinweis),
weshalb eine allfällige, gemäss Beschwerdeführerin statistisch ausgewiesene
generelle Benachteiligung von Personen über Fünfzig auf dem Arbeitsmarkt bei
beiden Vergleichseinkommen berücksichtigt ist und daher von vornherein keinen
Abzug vom Tabellenlohn rechtfertigt.
2.2.2 Weiter ging es im Urteil 9C_367/2011 vom 10. August 2011, auf das die
Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Alter verweist, um die erwerbliche
Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit bei Personen, deren Rente revisions- oder
wiedererwägungsweise herabgesetzt oder aufgehoben werden soll. Das
Bundesgericht entschied, dass Rentenbezügern, die das 55. Altersjahr
zurückgelegt oder die Rente mehr als 15 Jahre bezogen haben, eine
Selbsteingliederung grundsätzlich nicht zumutbar ist und daher vor einer
allfälligen Änderung des Rentenanspruchs Massnahmen zur Eingliederung
durchzuführen sind (E. 3). Daraus lässt sich schon deshalb nichts zu Gunsten
der Versicherten ableiten, weil ihre fünfzehnjährige Abwesenheit vom
Arbeitsmarkt im Unterschied zu den eine Rente beziehenden Personen nicht
invaliditätsbedingt ist. Abgesehen davon geht die nicht Gegenstand des
Verfahrens bildende Eingliederung dem Anspruch auf eine Rente vor (vgl. etwa
Urteil 9C_99/2010 vom 6. Dezember 2010 E. 3.1); diesbezügliche Fragen sind
daher für die Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 ohne Belang.
2.2.3 Sodann findet das Vorbringen keine Stütze in den medizinischen Akten, es
sei davon auszugehen, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit führe zu einem
rasanten Ansteigen des Medikamentenkonsums mit der Folge noch schnellerer
Ermüdbarkeit und auch Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit (vgl. auch
SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009 E. 2.3.2).
2.2.4 Eine allfällige mangelnde Flexibilität (keine Überstundenarbeit, kein
Einsatz als Ersatz für ausgefallene Mitarbeiter, überdurchschnittliche
Krankheitsabsenzen, schwankende Leistungsfähigkeit, leichte, aber überwindbare
depressive Episode) rechtfertigt keinen höheren Abzug resp. lässt die
vorinstanzliche Abzugsfestsetzung nicht als ermessensfehlerhaft erscheinen.
2.2.5 Nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin ergibt sich schliesslich aus dem
Urteil 9C_650/2008 vom 25. November 2008 (vgl. SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708
/2009 E. 2.3.2).

3.
Die im Übrigen nicht bestrittene Invaliditätsbemessung der Vorinstanz auf der
Grundlage einer Arbeitsfähigkeit von 70 % in leidensangepassten Tätigkeiten und
einem Abzug vom Tabellenlohn von 10 % ergibt einen Invaliditätsgrad von 37 %,
was für den Anspruch auf eine Rente nicht ausreicht (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die
Beschwerde ist somit unbegründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Februar 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler