Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 119/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_119/2012

Urteil vom 21. März 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Uri,
Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf,
Beschwerdeführerin,

gegen

E.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Rothenbühler, Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Uri
vom 16. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 21. Dezember 1999 sprach die IV-Stelle Uri dem 1958 geborenen
E.________ eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab 1. Februar 1999 zu. In
der Folge wurde der Rentenanspruch mehrmals bestätigt, letztmals mit Mitteilung
vom 10. Dezember 2004. Im Rahmen eines weiteren im Juli 2009 eingeleiteten
Revisionsverfahrens sprach die IV-Stelle E.________ Integrationsmassnahmen in
Form eines Belastungstrainings zu. Mit Verfügung vom 4. Februar 2011 hob sie
wiedererwägungsweise die ganze Rente auf Ende des folgenden Monats auf.

B.
Die Beschwerde des E.________ hiess die Verwaltungsrechtliche Abteilung des
Obergerichts des Kantons Uri mit Entscheid vom 16. Dezember 2011 in dem Sinne
gut, dass es die Verfügung vom 4. Februar 2011 aufhob und die Sache an die
IV-Stelle zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und neu
verfüge.

C.
Die IV-Stelle Uri führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 16. Dezember 2011 sei aufzuheben.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision oder
Wiedererwägung der Verfügung vom 21. Dezember 1999 (Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG)
geprüft und verneint. In Bezug auf das Vorliegen eines Revisionsgrundes
(insbesondere Wiedererlangung der Eingliederungsfähigkeit) nach Art. 17 Abs. 1
ATSG hat sie die Akten nicht als spruchreif erachtet und die Sache an die
IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. Die
Beschwerde führende IV-Stelle bestreitet einzig die vorinstanzliche
Beurteilung, dass die eine ganze Rente zusprechende Verfügung vom 21. Dezember
1999 mangels zweifelloser Unrichtigkeit nicht wiedererwägungsweise aufgehoben
werden kann. Die Verneinung der Wiedererwägungsvoraussetzungen kann einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG bewirken
(vgl. BGE 133 V 477), wie die IV-Stelle richtig vorbringt (Urteil 8C_290/2010
vom 21. September 2010 E. 1.3). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten, da
auch die weiteren formellen Gültigkeitserfordernisse gegeben sind.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, beim Beschwerdeführer sei im Juni 1999
eine Spondylodesenoperation durchgeführt worden. Dr. med. P.________ habe im
Arztbericht vom 5. August 2000 festgehalten, die gesundheitliche Situation sei
seither unverändert geblieben. Bezüglich der Arbeitsfähigkeit habe sich nichts
Neues ergeben, da der Patient infolge seiner Schmerzen auch keine leichtere,
etwa sitzende Arbeit ausführen könne. Eine Umschulung sei somit auch nicht
sinnvoll. Im Übrigen habe Dr. med. L.________ in seinem rheumatologischen
Gutachten vom 3. September 1999 lediglich festgehalten, eine Verbesserung dürfe
prognostisch erwartet, könne zurzeit jedoch nicht abschliessend beurteilt
werden. Gemäss dem Bericht über die Ergebnisse der beruflichen Abklärung vom
12. September 2000 hätten aufgrund der aktuellen Situation keine Angaben über
eine künftige berufliche Tätigkeit gemacht werden können und es sei eine
Abklärung in der BEFAS beantragt worden. Aus diesen nicht bestrittenen
Feststellungen hat die Vorinstanz gefolgert, die der ursprünglichen
Rentenzusprechung vom 21. Dezember 1999 zugrunde liegende Annahme einer
gesundheitlich bedingten Eingliederungsunfähigkeit könne nicht als zweifellos
unrichtig im wiedererwägungsrechtlichen Sinne bezeichnet werden. Die Aufhebung
der betreffenden Verfügung gestützt auf Art. 53 Abs. 2 ATSG falle daher ausser
Betracht.

2.2 Die IV-Stelle bringt insoweit richtig vor, dass bei der
Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich (Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis
31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung; heute: Art. 16 ATSG) in der
Verfügung vom 21. Dezember 1999 die Erwerbsunfähigkeit der Arbeitsunfähigkeit
als Drucker gleichgesetzt wurde, was ein starkes Indiz für zweifellose
Unrichtigkeit sei. Gleichwohl vermag sie damit nicht darzutun, inwiefern die
vorinstanzliche Auffassung, die Annahme einer damals bestandenen gesundheitlich
bedingten Eingliederungsunfähigkeit sei nicht zweifellos unrichtig, Bundesrecht
verletzt. Daran ändert nichts, dass die Vorinstanz auch den nach Erlass der
Verfügung vom 21. Dezember 1999 erstellten Arztbericht des Dr. med. P.________
vom 5. August 2000 und den Bericht der Berufsberatung vom 12. September 2000 in
die Beurteilung miteinbezog. Bereits aufgrund des Gutachtens vom 3. September
1999 kann die Annahme der Eingliederungsunfähigkeit im Verfügungszeitpunkt
nicht als zweifellos unrichtig bezeichnet werden. Im Übrigen hat die Vorinstanz
dargelegt, weshalb nicht auf die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des
regionalen ärztlichen Dienstes vom 9. November 2009 abgestellt werden kann. Mit
ihrem Vorbringen, gestützt auf die Expertise vom 3. September 1999 hätte bei
der Invaliditätsbemessung von einer Arbeitsfähigkeit von 100 % ausgegangen
werden müssen, übt die IV-Stelle unzulässige appellatorische Kritik an der
vorinstanzlichen Beweiswürdigung (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 II 353 E. 5.1 S.
356; Urteil 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3).

2.3 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet. Immerhin ist Folgendes zu
beachten: Im rheumatologischen Gutachten vom 3. September 1999, worauf die
IV-Stelle einzig abstellte, wurde festgehalten, die postoperative Behandlung
habe eben erst begonnen. Im Moment werde ein Rehabilitationsprogramm
durchgeführt. Eine weitere Verbesserung dürfe prognostisch erwartet werden.
Zweieinhalb Monate nach dem Operationsdatum sei aber eine abschliessende
Beurteilung bezüglich der Prognose nicht möglich. Ein Resultat sei innert ca.
dreier Monate absehbar. Die IV-Stelle liess somit eine nicht abschliessende
Aktenlage für die Rentenzusprechung am 21. Dezember 1999 genügen. Unter diesen
Umständen schloss alt Art. 41 IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002,
resp. Art. 17 ATSG nicht aus, zu einem späteren Zeitpunkt eine eingehendere
Abklärung der Sache vorzunehmen und gestützt auf deren Ergebnisse tatsächlicher
Natur über den laufenden Rentenanspruch neu zu befinden (SVR 2009 IV Nr. 20 S.
52, 9C_342/2008 E. 3.2 [nicht publ. in: BGE 135 I 1]). Mit anderen Worten wird
der Rentenanspruch allenfalls neu zu beurteilen sein ungeachtet, ob der
Revisionsgrund im Sinne der Wiedererlangung der Eingliederungsfähigkeit nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG (vorne E. 1) gegeben ist.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse AGRAPI und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. März 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler