Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 116/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_116/2012 {T 0/2}

Urteil vom 15. März 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 2. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 3. März 2009 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau der 1956
geborenen G.________ eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab 1. Dezember
2005 zu. Als Ergebnis des im Juni 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens hob
die IV-Stelle nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 1.
April 2011 die Rente auf.

B.
Die Beschwerde der G.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
mit Entscheid vom 2. Dezember 2011 ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 2. Dezember 2011 sei aufzuheben und
die IV-Stelle zu verpflichten, ihr weiterhin eine ganze Invalidenrente
auszurichten.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat die wiedererwägungsweise Aufhebung der ganzen Rente durch
die IV-Stelle gestützt auf Art. 53 Abs. 2 ATSG mit folgender Begründung
bestätigt: Die Zusprechung einer Invalidenrente sei zweifellos unrichtig
gewesen, weil nach der Rechtsprechung (BGE 135 V 58) das aus wirtschaftlichen
Gründen unterdurchschnittliche Valideneinkommen als selbständig Erwerbstätige
auf einen durchschnittlichen Tabellenlohn aufzurechen und der
Beschwerdeführerin zur Verwertung der Restarbeitsfähigkeit die Aufgabe ihres
Couture-Ateliers zu Gunsten einer lukrativeren unselbständigen Erwerbstätigkeit
zumutbar sei (recte: gewesen wäre).

2.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Berechnung des Invaliditätsgrades bei
Selbständigerwerbenden sei geprägt von vielen Ermessensentscheiden. Dies
betreffe insbesondere die aufgrund einer Interessenabwägung zu beurteilende
Frage der Zumutbarkeit eines Berufswechsels und damit der Aufgabe der
selbständigen Erwerbstätigkeit. Die Überprüfung auf zweifellose Unrichtigkeit
im Rahmen einer Wiedererwägung sei jedoch auf absolut klare Fälle beschränkt,
was ein Rückkommen auf die Verfügung vom 3. März 2009 und die Aufhebung der
ganzen Rente gestützt auf Art. 53 Abs. 2 ATSG ausschliesse.

3.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem
anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 133 II 249
E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254; SVR 2011 BVG Nr. 39 S. 145, 9C_954/2010 E. 1).

3.1 Die IV-Stelle ermittelte den Invaliditätsgrad von 70 % nach der gemischten
Methode bei einem Anteil der Erwerbstätigkeit von 0,75 (Art. 28a Abs. 3 IVG und
BGE 125 V 146). Die invaliditätsbedingte Einschränkung im erwerblichen Bereich
bestimmte sie in Anwendung des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens (BGE 128
V 29 E. 1 S. 31 mit Hinweisen). Dabei setzte sie den wirtschaftlichen Wert der
einzelnen Betätigungen (Administration/Organisation/Bestellungen; Zuschneiden,
Muster zeichnen; Nähen an der Maschine, bügeln; Beratung, Anprobe) gleich hoch
an, was praktisch auf einen Vergleich der vor und nach Eintritt der
gesundheitlichen Beeinträchtigung geleisteten Arbeitspensen (35 bzw. 6 Stunden
in der Woche) hinauslief (vgl. Bericht über die Abklärung an Ort und Stelle
[Selbständigerwerbende] vom 11. Oktober 2006). Es kann offenbleiben, ob diese
Anwendung des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens zu einer im Ergebnis als
zweifellos unrichtig zu bezeichnenden Rentenzusprechung führte (vgl. auch BGE
128 V 29 E. 4c und 4d S. 33 f.).

3.2 Die Beschwerdeführerin hatte unbestrittenermassen auf Ende 2008, somit vor
Erlass der Verfügung vom 3. März 2009, ihr Geschäft aufgegeben. Damit fielen
die Voraussetzungen für die Ermittlung des erwerbsbezogenen Invaliditätsgrades
im ausserordentlichen Bemessungsverfahren dahin (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts I 260/98 vom 17. August 1998 E. 3). Spätestens ab dem
Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe hätte somit der erwerbliche Invaliditätsgrad
nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG in
Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG) unter der Annahme einer Arbeitsfähigkeit
von 60 % in leidensangepassten Tätigkeiten gemäss dem Gutachten der
medizinischen Abklärungsstelle X.________ vom 29. April 2008 ermittelt werden
müssen. Insofern ist die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle, die zur
Zusprechung einer ganzen Rente führte, zweifellos unrichtig.

3.3 Werden zu Gunsten der Beschwerdeführerin Validen- und Invalideneinkommen
ausgehend vom selben Tabellenlohn und unter Vornahme eines maximalen Abzuges
nach BGE 126 V 75 von 25 % ermittelt, ergibt sich ein erwerbsbezogener
Invaliditätsgrad von 40 % ([0,75 - 0,6 x 0,75] /0,75 x 100 %; SVR 2008 IV Nr. 2
S. 3, I 697/05 E. 5.4). Daraus resultiert bei im Übrigen unveränderten
Berechnungsfaktoren eine Gesamtinvalidiät von 37 % (0,75 x 40 % + 0,25 x 27 %;
zum Runden BGE 130 V 121), was für den Anspruch auf eine Invalidenrente nicht
ausreicht (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde ist somit unbegründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. März 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler