Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 109/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_109/2012 {T 0/2}

Urteil vom 19. Juni 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 19. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 20. Oktober 2011 sistierte die IV-Stelle Luzern die
A.________ (geboren 1963) seit 1. Juni 2002 ausgerichtete ganze Invalidenrente
mit sofortiger Wirkung. Aufgrund der bekannt gewordenen Aktivitäten des
Versicherten in einem Schachklub werde geprüft, ob die Leistungsausrichtung zu
Recht erfolgt.

B.
A.________ liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiegegen Beschwerde
führen u.a. mit dem Rechtsbegehren um Aufhebung der Verfügung. In ihrer
Vernehmlassung führte die IV-Stelle aus, dass an der Verfügung vom 20. Oktober
2011 nicht festgehalten werden könne, weshalb sie diese lite pendente aufhebe.
Demgemäss beantragte sie, das Verfahren als gegenstandslos abzuschreiben. Mit
Verfügung vom 19. Dezember 2011 erklärte das Verwaltungsgericht das
Beschwerdeverfahren als erledigt (Dispositiv-Ziffer 1) und verpflichtete die
IV-Stelle zur Entrichtung einer Parteientschädigung von Fr. 1'500.- an den
Versicherten (einschliesslich Auslagen und Mehrwertsteuer; Dispositiv-Ziffer
3).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 3 der vorinstanzlichen
Verfügung sei ihm eine Parteientschädigung von mindestens Fr. 3'500.- zu
bezahlen; eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung über die
Parteientschädigung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Ferner ersucht er
um die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
Während sich das kantonale Gericht in ablehnendem Sinne äussert und die
IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, soweit darauf einzutreten
sei, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
Am 26. März 2012 lässt der Versicherte eine weitere Eingabe einreichen.

Erwägungen:

1.
Die angefochtene Dispositiv-Ziffer 3 der vorinstanzlichen Verfügung setzt die
Parteientschädigung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern fest, in welchem der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer zufolge
Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsverfügung durch die IV-Stelle in
formeller Hinsicht als obsiegend gilt. Es handelt sich um einen Endentscheid im
Sinne von Art. 90 BGG.

2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.
3.1 Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Beschwerde führende Person im
kantonalen Verfahren Anspruch auf Ersatz der Parteikosten, wobei diese vom
Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der
Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen
werden.

3.2 Das Bundesgericht prüft frei, ob der vorinstanzliche Entscheid hinsichtlich
der Bemessung der Parteientschädigung den in Art. 61 lit. g ATSG statuierten
bundesrechtlichen Anforderungen genügt. Weil die Bemessung der
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren im Übrigen dem kantonalen Recht
überlassen ist (Art. 61 Satz 1 ATSG), prüft das Bundesgericht darüber hinaus
nur, ob die Höhe der Parteientschädigung vor dem Willkürverbot standhält. Das
gilt insbesondere mit Bezug auf den vom kantonalen Versicherungsgericht
angewendeten Tarif (SVR 2011 AHV Nr. 7 S. 23; Urteil 9C_688/2009 vom 19.
November 2009).

4.
4.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe das Verfahren als erledigt
erklärt, ohne ihm Kenntnis von der Vernehmlassung der IV-Stelle und Gelegenheit
zur Stellungnahme zu geben. Somit sei es ihm verwehrt worden, den
Stundenaufwand für die anwaltlichen Bemühungen kundzutun. Bei einem (tiefen)
Stundenansatz für die unentgeltliche Verbeiständung von Fr. 230.- gemäss
Weisung des Obergerichts des Kantons Luzern entspreche die gewährte
Parteientschädigung von Fr. 1'500.- einem Aufwand von sechs Stunden, zuzüglich
Mehrwertsteuer und Auslagen. Tatsächlich habe der Aufwand 14,75 Stunden
betragen, was bei der zugesprochenen Entschädigung von Fr. 1'500.- einen
willkürlich tiefen Stundenansatz von Fr. 91.- ergebe.

4.2 Die kantonale Instanz ist bei der Bemessung der Parteientschädigung von
Bundesrechts wegen nicht an die geltend gemachten Honoraransprüche gebunden,
weshalb Art. 29 Abs. 2 BV nicht verletzt ist, wenn auf die Einholung einer
Kostennote verzichtet wird. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das kantonale
Gericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es
keine Honorarnote seines Rechtsvertreters einholte, sind seine Vorbringen
unbegründet (SVR 2011 AHV Nr. 7 S. 23 mit Hinweisen).

4.3 Nach der Rechtsprechung kann die Parteientschädigung für das Verfahren vor
dem kantonalen Versicherungsgericht willkürfrei innerhalb einer Bandbreite von
Fr. 160.- bis Fr. 320.- pro Stunde (einschliesslich Mehrwertsteuer) festgelegt
werden (SVR 2002 AlV Nr. 3 S. 5 E. 4c). Mit dem zugesprochenen Honorar von Fr.
1'500.- wäre bei einem Stundenansatz von Fr. 180.-, wie er in der Regel als
Mindestansatz im Falle unentgeltlicher Verbeiständung gilt (SVR 2011 AHV Nr. 7
S. 23), somit ein Aufwand von knapp 8,5 Stunden entschädigt. Der
Beschwerdeführer macht unter Beilage der Kostennote seines Rechtsvertreters
einen Aufwand von 14,75 Stunden und einen Stundenansatz von Fr. 230.- geltend,
woraus die geforderte Parteientschädigung von Fr. 3'392.50, zuzüglich Auslagen
und Mehrwertsteuer, resultiert. Der geltend gemachte Aufwand von rund 15
Arbeitsstunden steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung der
Streitsache und zur Schwierigkeit des Prozesses; vielmehr erscheint er
unangemessen hoch. Wie das Verwaltungsgericht in der Vernehmlassung zutreffend
darlegt, wurde mit der angefochtenen Verfügung vom 20. Oktober 2011 die
Auszahlung der Invalidenrente an den Versicherten vorläufig sistiert. In
materieller Hinsicht war mit dieser Verfügung nichts entschieden. Insbesondere
war die laufende Rente damit nicht aufgehoben worden. Dies geht auch daraus
hervor, dass die IV-Stelle dem Beschwerdeführer bereits am 6. Februar 2012, 3 1
/2 Monate nach der vorläufigen Renteneinstellung verfügungsweise eröffnete, er
habe rückwirkend seit der Sistierung wiederum Anspruch auf Ausrichtung der
ganzen Rente. Unter diesen Umständen hätte sich eine Beschwerde gegen die
Sistierungsverfügung in erster Linie mit deren formellen Aspekten befassen
müssen. Der restliche vom Rechtsvertreter des Versicherten betriebene Aufwand,
der u.a. medizinische Aspekte und die Öffentlichkeit des Verfahrens, aber auch
die Vorgehensweise der Verwaltung betrifft und unter Einschluss der
prozessrechtlichen Thematik zu einer umfangreichen Beschwerdeschrift von 17
Seiten geführt hat, war überflüssig und ist von der IV-Stelle nicht zu
entschädigen. Denn unnötige Kosten begründen keinen Anspruch auf
Parteientschädigung (Urteil des Bundesgerichts 2A.378/2004 vom 16. Februar
2005). Die zugesprochene Parteientschädigung von Fr. 1'500.- verstösst nicht
gegen Art. 61 lit. g ATSG und hält vor dem Willkürverbot stand.

5.
Dem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung kann nicht
stattgegeben werden, da die Beschwerde als aussichtslos (zum Begriff der
Aussichtslosigkeit siehe BGE 129 I 135 E. 2.3.1, 128 I 236) bezeichnet werden
muss, weshalb die Voraussetzungen nach Art. 64 Abs. 1 BGG nicht erfüllt sind.
Die Gerichtskosten sind daher dem Verfahrensausgang entsprechend dem
unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Juni 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer