Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1043/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1043/2012

Urteil vom 8. Mai 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Basel-Stadt,
Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________,
vertreten durch Advokat Dr. Michael Kull,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 28. November 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1966 geborene S.________, Mutter eines 2005 geborenen Sohnes, meldete sich
im Oktober 2006 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit
Verfügung vom 2. Februar 2009 sprach ihr die IV-Stelle Basel-Stadt eine ganze
Invalidenrente vom 1. März 2007 bis 31. August 2008 und eine halbe
Invalidenrente ab 1. September 2008 bei einem Invaliditätsgrad von 55 % zu. Im
März 2010 leitete die Verwaltung von Amtes wegen ein Revisionsverfahren ein,
wobei sie neu einen Invaliditätsgrad von 34 % ermittelte. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens hob sie die Rente mit Verfügung vom 23. März 2012 auf das
Ende des der Zustellung folgenden Monats auf.

B.
Mit Entscheid vom 28. November 2012 hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Basel-Stadt die dagegen erhobene Beschwerde (teilweise) gut, hob die
Verfügung vom 23. März 2012 auf und sprach der Versicherten ab 1. Mai 2012 eine
Viertelsrente zu.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. November 2012 sei aufzuheben und die
Verfügung vom 23. März 2012 zu bestätigen. Zudem ersucht sie darum, der
Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.
S.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und unentgeltliche
Rechtspflege beantragen. Das kantonale Gericht verlangt ebenfalls die
Abweisung, das Bundeamt für Sozialversicherungen hingegen die Gutheissung des
Rechtsmittels.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Verfügung vom 2. Februar 2009 in Bezug auf die
Statusfrage für zweifellos unrichtig gehalten und somit deren
wiedererwägungsweise Aufhebung durch die IV-Stelle (vgl. Art. 53 Abs. 2 ATSG)
implizite bestätigt. Unter Verweis auf den Abklärungsbericht Haushalt vom 2.
März 2011 hat sie die Versicherte als ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu
80 % erwerbstätig klassifiziert und die Invalidität nach der gemischten Methode
(Art. 28a Abs. 3 IVG) bemessen.
Für den Erwerbsbereich hat das kantonale Gericht gestützt auf das Gutachten des
Dr. med. F.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 29.
August 2011 festgestellt, es sei weiterhin von einer 50 prozentigen
Restarbeitsfähigkeit der Versicherten in angepassten Tätigkeiten auszugehen.
Das Valideneinkommen hat es, ausgehend vom zuletzt tatsächlich erzielten
Verdienst, auf Fr. 41'964.- festgesetzt. Für das Invalideneinkommen hat es den
Tabellenlohn der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für
Statistik (LSE) herangezogen (Tabelle TA 1, Total Frauen, Anforderungsniveau 4)
und nach Berücksichtigung der betriebsüblichen Wochenarbeitszeit sowie der
gesundheitlichen Einschränkung eine Parallelisierung um 6,23 % (BGE 135 V 297
E. 5.1 S. 300 f. und E. 6.1.3 S. 304) vorgenommen. Vom resultierenden Betrag
von Fr. 24'722.79 hat es 10 % abgezogen (BGE 126 V 75 E. 5 S. 78 ff.) mit der
Begründung, die Versicherte sei wegen ihrer Depression auf einen
verständnisvollen Arbeitgeber angewiesen; zudem habe die IV-Stelle anlässlich
der Rentenzusprechung im Februar 2009 ebenfalls einen leidensbedingten Abzug
von 10 % gewährt. Somit hat das kantonale Gericht das Invalideneinkommen auf
Fr. 22'250.50 festgesetzt, woraus sich ein - gewichteter - Invaliditätsgrad von
(gerundet) 38 % ergibt.
Was den Haushaltsbereich anbelangt, so lässt sich dem Abklärungsbericht
Haushalt vom 2. März 2011 eine Einschränkung von 23 % entnehmen. Die Vorinstanz
hat zwar festgestellt, dass Dr. med. F.________ und der Facharzt des Regionalen
Ärztlichen Dienstes aus rein psychiatrischer Sicht eine Einschränkung in dieser
Höhe nicht nachvollziehen konnten. Sie hat indessen trotzdem auf den
Abklärungsbericht Haushalt abgestellt mit dem Hinweis, dass bei Verwertung der
attestierten Restarbeitsfähigkeit eine volle Leistungsfähigkeit im Haushalt
nicht wahrscheinlich sei. Nach entsprechender Gewichtung beträgt der
Invaliditätsgrad im Haushalt 4,6 %. Bei einem resultierenden
Gesamtinvaliditätsgrad von (gerundet) 43 % hat die Vorinstanz einen Anspruch
auf eine Viertelsrente (Art. 28 Abs. 2 IVG) bejaht.

2.2 Die IV-Stelle hält bei der Festsetzung des Invalideneinkommens einen Abzug
vom Tabellenlohn für unzulässig. Zudem ist sie der Auffassung, für die
Beeinträchtigung im Haushalt sei nicht der Abklärungsbericht, sondern die
fachärztliche Einschätzung ausschlaggebend.

3.
3.1 Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen
Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert
(Tabellenlohn) um maximal 25 % zu kürzen, wenn persönliche und berufliche
Merkmale wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre,
Nationalität resp. Aufenthaltskategorie oder Beschäftigungsgrad Auswirkungen
auf die Lohnhöhe haben und die versicherte Person deswegen die verbliebene
Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E.
5.2 S. 301; 126 V 75 E. 5b/aa-cc S. 80).
Die Frage, ob ein Abzug vorzunehmen sei, ist eine vom Bundesgericht frei zu
prüfende Rechtsfrage (vgl. BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72).
3.2
3.2.1 Nach einer Einkommensparallelisierung fällt in der Regel lediglich ein
behinderungsbedingter Abzug in Betracht, da dieselben invaliditätsfremden
Faktoren nicht nochmals im Leidensabzug berücksichtigt werden (BGE 135 V 297 E.
5.3 S. 302). Die Rechtsprechung gewährt insbesondere dann einen Abzug auf dem
Invalideneinkommen, wenn eine versicherte Person selbst im Rahmen körperlich
leichter Hilfsarbeitertätigkeit in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist (
BGE 126 V 75 E. 5a/bb S. 78). Sind hingegen leichte bis mittelschwere Arbeiten
zumutbar, ist allein deswegen auch bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit noch
kein Abzug gerechtfertigt, weil der Tabellenlohn im Anforderungsniveau 4
bereits eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten umfasst
(Urteile 9C_187/2011 vom 30. Mai 2011 E. 4.2.1; 9C_72/2009 vom 30. März 2009 E.
3.4). Eine psychisch bedingt verstärkte Rücksichtnahme seitens Vorgesetzter und
Arbeitskollegen ist bisher von der Gerichtspraxis nicht als eigenständiger
abzugsfähiger Umstand anerkannt worden (SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009
E. 2.3.2; Urteil 8C_712/2012 vom 30. November 2012 E. 4.2.1).
3.2.2 Dem der Verfügung vom 2. Februar 2009 zugrunde liegenden tridisziplinären
Gutachten des Universitätsspitals X.________ vom 24. Juni 2008 lässt sich
entnehmen, dass der Versicherten unter rheumatologischen und neurologischen
Aspekten, wie auch in gesamtmedizinischer Betrachtung, leichte und
mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeiten ohne längeres Arbeiten über Kopf
zu 50 % zumutbar waren. Daran hat sich gemäss verbindlicher (E. 1)
vorinstanzlicher Feststellung (E. 2.1) bis zum Erlass der Verfügung vom 23.
März 2012 nichts Wesentliches verändert. Inwiefern die Beschwerdeführerin über
die attestierte Arbeitsunfähigkeit hinaus in der Ausübung einer
leidensadaptierten Tätigkeit eingeschränkt sein soll, ist nicht ersichtlich und
wird auch nicht dargelegt. In Bezug auf das Verständnis eines allfälligen
Arbeitgebers sind keine Gründe für eine Änderung der Rechtsprechung (BGE 136
III 6 E. 3 S. 8; 135 I 79 E. 3 S. 82; 134 V 72 E. 3.3 S. 76) auszumachen in dem
Sinn, dass eine psychiatrische Diagnose regelmässig eine Lohnminderung
begründen würde. Ein leidensbedingter Abzug ist daher grundsätzlich nicht
angezeigt.

3.3 Der Umstand, dass die IV-Stelle in der Verfügung vom 2. Februar 2009 einen
Abzug von 10 % berücksichtigte, rechtfertigt nicht, hier gleich vorzugehen.
Einerseits wurde die genannte Verfügung wegen zweifelloser Unrichtigkeit
wiedererwägungsweise aufgehoben (E. 2.1), was die Beschwerdegegnerin nicht
beanstandet hat und mit Blick auf Art. 53 Abs. 2 ATSG als bundesrechtskonform
erscheint. Anderseits ist nicht nachvollziehbar und legt die Versicherte auch
nicht dar (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG), weshalb es im konkreten Fall gegen das
Gebot von Treu und Glauben resp. den Vertrauensgrundsatz (Art. 9 BV; BGE 131 II
627 E. 6.1 S. 636, E. 6.1; 131 V 472 E. 5 S. 480 f.) verstossen oder sonstwie
willkürlich sein soll (Art. 9 BV; BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133; 133 I 149 E.
3.1 S. 153 mit Hinweisen), wenn die Verwaltung ein bestimmtes Element der
Invaliditätsbemessung für die Zukunft nicht mehr unrichtig handhaben will.
Schliesslich ist mit Bezug auf die von der Beschwerdegegnerin ebenfalls
angerufene Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) eine einheitliche Anwendung der in der
Rechtsprechung entwickelten Regeln (E. 3.2.1) geradezu geboten.

3.4 Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob die Vorinstanz die Invalidität im
Haushalt zutreffend ermittelt hat: Wird dem Valideneinkommen von Fr. 41'964.-
ein Invalideneinkommen von Fr. 24'722.79 gegenübergestellt (E. 2.1), beträgt
der mit 80 % gewichtete Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich 32,87 %. Bei
unveränderter Berücksichtigung der Einschränkung im Haushalt von 4,6 %
resultiert gesamthaft ein Invaliditätsgrad von höchstens 37 % (gerundet), was
den Anspruch auf eine Invalidenrente ausschliesst (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die
Beschwerde ist begründet.

4.
Mit dem Urteil in der Sache wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung gegenstandslos.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin
grundsätzlich die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 BGG; BGE
125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 28. November 2012 wird aufgehoben und die Verfügung
der IV-Stelle Basel-Stadt vom 23. März 2012 bestätigt.

2.
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat
Dr. Michael Kull wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 1'000.- ausgerichtet.

5.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Mai 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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