Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1034/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1034/2012

Urteil vom 5. April 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
C.________ Sammelstiftung,
vertreten durch lic. iur. Daniel C. Bürgi,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13.
November 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1974 geborene A.________ war von Januar 2005 bis Dezember 2007 zu einem
Pensum von 70 % als Direktorin des Istituto S.________ angestellt und deshalb
bei der C.________ Sammelstiftung (nachfolgend: Pensionskasse) für die
berufliche Vorsorge versichert. Im Februar 2008 meldete sie sich unter Verweis
auf posttraumatische Belastungsstörung und Dissoziation bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung
des Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle des Kantons Thurgau eine
Einschränkung von 100 resp. 87 %, weshalb sie A.________ mit Verfügungen vom
16. Juli 2009 eine ganze Invalidenrente ab 1. Juni 2008 zusprach. Vorbescheid
und Verfügung stellte sie auch der Pensionskasse zu.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2010 verneinte die Pensionskasse eine
Leistungspflicht aus beruflicher Vorsorge mit der Begründung, die
Erwerbsfähigkeit der Versicherten sei bereits beim Eintritt in die Kasse
erheblich eingeschränkt gewesen.

B.
In Gutheissung der von A.________ erhobenen Klage verpflichtete das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 13. November 2012 die
Pensionskasse, ihr ab dem 1. Juni 2008 eine ganze Invalidenrente aus
obligatorischer beruflicher Vorsorge zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 1. Mai 2012
bzw. ab späterem Fälligkeitsdatum auszurichten.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Pensionskasse, der Entscheid vom 13. November 2012 sei aufzuheben und es sei
festzustellen, dass der IV-Entscheid keine Bindungswirkung entfalte und sie
nicht zuständig sei zur Ausrichtung von Invalidenleistungen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1
2.1.1 Nach Art. 23 lit. a BVG (SR 831.40) hat Anspruch auf eine Invalidenrente
aus beruflicher Vorsorge, wer im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens
40 % invalid ist und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur
Invalidität geführt hat, versichert war. Entscheidend im Rahmen von Art. 23 BVG
ist einzig der Eintritt der relevanten Arbeitsunfähigkeit (zu diesem Begriff
vgl. BGE 130 V 343 E. 3.1 S. 345 f. mit Hinweisen; SZS 2003 S. 521, B 49/00 E.
3), unabhängig davon, in welchem Zeitpunkt und in welchem Masse daraus ein
Anspruch auf Invalidenleistungen entsteht. Die Versicherteneigenschaft muss nur
bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gegeben sein, dagegen nicht
notwendigerweise auch im Zeitpunkt des Eintritts oder der Verschlimmerung der
Invalidität. Für eine einmal aus - während der Versicherungsdauer aufgetretener
- Arbeitsunfähigkeit geschuldete Invalidenleistung bleibt die
Vorsorgeeinrichtung somit leistungspflichtig, selbst wenn sich nach Beendigung
des Vorsorgeverhältnisses der Invaliditätsgrad ändert. Entsprechend bildet denn
auch der Wegfall der Versicherteneigenschaft keinen Erlöschungsgrund (Art. 26
Abs. 3 BVG e contrario; BGE 123 V 262 E. 1a S. 263; 118 V 35 E. 5 S. 45).
Umgekehrt entfällt im Anwendungsbereich von Art. 23 lit. a BVG die
Leistungspflicht einer Vorsorgeeinrichtung, wenn die massgebliche
Arbeitsunfähigkeit bereits vor der Entstehung des Versicherungsverhältnisses
eintrat (Urteil 9C_536/2012 vom 28. Dezember 2012 E. 2.1.1; HANS-ULRICH
STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 333 f. N. 914; derselbe, Die
berufliche Vorsorge, in: Murer/Stauffer [Hrsg.], Die Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. 2006, S. 52 und 56;
ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Kommentar zum BVG, Zürich 2009, N. 8 zu Art. 23
BVG).
2.1.2 Die Arbeitsunfähigkeit ist relevant, wenn sie mindestens 20 % beträgt
(Urteil 9C_772/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.2; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts B 48/97 vom 7. Oktober 1998 E. 1) und sich auf das
Arbeitsverhältnis sinnfällig auswirkt oder ausgewirkt hat. Es muss
arbeitsrechtlich in Erscheinung treten, dass die versicherte Person im
bisherigen Beruf (BGE 134 V 20 E. 5.3 S. 27) an Leistungsvermögen eingebüsst
hat, so etwa durch einen Abfall der Leistungen mit entsprechender Feststellung
oder gar Ermahnung des Arbeitgebers oder durch gehäufte, gesundheitlich
bedingte Arbeitsausfälle. Der Zeitpunkt des Eintritts der
berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit muss mit dem im
Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 125 V 146 E. 2c S. 150 mit
Hinweisen; Plädoyer 2009/6 S. 68, 9C_717/2009 E. 3.3; Urteil 8C_635/2012 vom
11. Februar 2013 E. 2, je mit Hinweisen) echtzeitlich nachgewiesen sein. Dieser
Nachweis darf nicht durch nachträgliche Annahmen und spekulative Überlegungen
ersetzt werden (Urteile 9C_273/2012 vom 20. November 2012 E. 4.1.1; 9C_368/2008
vom 11. September 2008 E. 2).
2.2
2.2.1 Vorinstanzliche Feststellungen zur Art des Gesundheitsschadens (Befund,
Diagnose etc.) und zur Arbeitsfähigkeit, die Ergebnis einer Beweiswürdigung
sind, sind für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (E. 1; vgl. BGE 132 V
393 E. 3.2 S. 397). Tatfrage ist auch jene nach dem Zeitpunkt des Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (SVR 2008 BVG Nr.
31 S. 126, 9C_182/2007 E. 4.1.1). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist dagegen,
nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung darüber erfolgt (SVR 2009 BVG Nr.
7 S. 22, 9C_65/2008 E. 2.2; Urteil 9C_670/2010 vom 23. Dezember 2010 E. 1.2).
2.2.2 Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf
(Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338; MARKUS SCHOTT, Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 9 f. zu Art. 97 BGG). Es liegt noch
keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls
in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (Urteil
9C_570/2007 vom 5. März 2008 E. 4.2). Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa
dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die
Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne
sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens
entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen
unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteile 8C_5/2010 vom
24. März 2010 E. 1.2; 9C_368/2008 vom 11. September 2008 E. 4.2).

3.
3.1 Es steht fest, dass die Versicherte an einem invalidisierenden
Gesundheitsschaden leidet und ihr deswegen spätestens seit 22. Juni 2007 die
bisherige Tätigkeit nicht mehr zumutbar ist. Ferner werden der Invaliditätsgrad
von 100 resp. 87 % und der allfällige Rentenbeginn (vgl. Art. 26 Abs. 1 BVG;
vgl. BGE 129 V 73 E. 4.2.2 S. 76; SVR 2011 BVG Nr. 12 S. 44, 9C_693/2009 E.
5.1) nicht in Abrede gestellt. Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht
der Pensionskasse nur mit Blick auf den Zeitpunkt, in welchem die relevante
Arbeitsunfähigkeit eintrat. Mangels Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids
durch die Versicherte bildet lediglich der Rentenanspruch aus obligatorischer,
nicht aber aus weitergehender beruflicher Vorsorge Streitgegenstand.

3.2 Die Vorinstanz hat gestützt auf die medizinischen Unterlagen festgestellt,
dass - abgesehen von einer knapp zweimonatigen abgestuften Arbeitsunfähigkeit
im Jahr 2005 - eine länger dauernde Einschränkung der Arbeitsfähigkeit erst ab
22. Juni 2007 bescheinigt werde. Die Versicherte sei bei einer Anstellungsdauer
von insgesamt drei Jahren während mehr als zwei Jahren beim Istituto S.________
tätig gewesen. Eine frühere ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit von
mindestens 20 % sei einzig für die Zeit vom 16. April bis 15. Mai 2000
aktenkundig. Die Versicherte habe im Jahr 2001 die Eidgenössische
Maturitätsprüfung abgelegt und berufsbegleitend zur Tätigkeit beim Istituto
S.________ eine Zusatzausbildung zur Heimleiterin absolviert, was einen guten
Gesundheitszustand voraussetze. Durch die gleichzeitige Bewältigung des
Arbeitspensums und der Ausbildung sei sie nahezu vollzeitlich ausgelastet
gewesen. Somit sei die nachmalig zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit
während des Versicherungsverhältnisses mit der Beschwerdeführerin eingetreten.
3.3
3.3.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz die
Feststellung betreffend den Eintritt der massgeblichen Arbeitsunfähigkeit (E.
2.1.2) ohne Bindung (vgl. BGE 129 V 73 E. 4.2.2 S. 76; SVR 2011 BVG Nr. 12 S.
44, 9C_693/2009 E. 5.1) an den - in dieser Hinsicht nicht aussagekräftigen -
Entscheid der IV-Stelle, sondern als Ergebnis freier Beweiswürdigung getroffen.
Daran ändert nichts, dass im Ergebnis der festgestellte Zeitpunkt übereinstimmt
mit jenem, den die IV-Stelle als Beginn des Wartejahres gemäss Art. 28 Abs. 1
lit. b IVG betrachtete. Weiter ist es bundesrechtkonform, für den Eintritt der
massgeblichen Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich auf echtzeitliche ärztliche
Einschätzungen abzustellen (E. 2.1.2) und nicht auf subjektive Angaben und
Auffassungen der versicherten Person, zumal solche auch nicht genügten, wenn
daraus eine Leistungspflicht abgeleitet werden könnte. Zudem hat die Vorinstanz
nebst den ärztlich attestierten Einschränkungen weitere Aspekte berücksichtigt,
sodass diesbezüglich nicht von Willkür (vgl. E. 2.2.2) gesprochen werden kann.
Ferner ist nicht von Belang, dass die Versicherte bereits seit der Kindheit
resp. seit Jahren gesundheitlich beeinträchtigt ist; ausschlaggebend ist nicht
ein Gesundheitsschaden an sich, sondern die daraus resultierende Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit. Sodann spielt keine Rolle, aus welchen Gründen die
früheren Tätigkeiten lediglich im Teilzeitpensum ausgeübt wurden; entscheidend
ist, ob die Versicherte bei Stellenantritt im Istituto S.________ und seither
ununterbrochen (vgl. Art. 88a Abs. 1 IVV [SR 831.201]; BGE 134 V 20 E. 3.2.1 S.
22) in ihrer Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Aus der Bestätigung
der U.________ vom 20. Februar 2012 ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin
neben ihrem Arbeitspensum im Umfang von 70 % zwischen dem 19. April 2005 und
29. Juni 2006 rund 120 Arbeitstage - d.h. durchschnittlich rund zwei Tage pro
Woche - für die erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung zur Heimleiterin
aufwendete. Inwiefern schliesslich unter diesen Umständen der vorinstanzliche
Verzicht auf weitere Abklärungen eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
(vgl. Art. 73 Abs. BVG) darstellen und nicht in zulässiger antizipierender
Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90
E. 4b S. 94) erfolgt sein soll, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht
dargelegt.
3.3.2 Nach dem Gesagten beruhen die vorinstanzlichen Feststellungen (E. 3.2)
nicht auf einer Rechtsverletzung. Sie sind auch nicht offensichtlich unrichtig
(E. 2.2.2), weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich bleiben (E. 1).

3.4 Schliesslich kann die Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten, indem
sie sich auf die objektive Beweislast beruft. Nachdem die Arbeitsunfähigkeit
spätestens ab 22. Juni 2007 feststand, stellt die Behauptung, dass die
Versicherte bereits ab Stellenantritt und seither ununterbrochen erheblich
arbeitsunfähig gewesen sein soll, eine rechtsaufhebende Tatsache (vgl. Art. 8
ZGB; AJP 2012 S. 1472, 4A_709/2011 E. 3.3) dar. Ist sie - wie hier (E. 3.3) -
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (E. 2.1.2) erstellt, hat die
Pensionskasse die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Die Beschwerde ist
unbegründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. April 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann