Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.754/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_754/2012

Urteil vom 18. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

1.  X.A.________,
2.  Y.A.________,
vertreten durch Advokat Alain Joset,
3.  Z.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Eventualvorsatz betreffend ein Tötungsdelikt,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 19. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
X.A.________ griff am frühen Morgen des 21. November 2009 B.________
unvermittelt von hinten an und stiess ihn zu Boden. Anschliessend schlugen und
traten er, sein Bruder Y.A.________ und Z.________ mehrmals mit Fäusten und
Fusstritten auf Kopf und Oberkörper des am Boden liegenden B.________ ein.
Zudem schlug Z.________ der Lebenspartnerin von B.________, C.________,
seitlich ins Genick und trat ihr mehrmals in die Rippen. C.________ trug
Schwellungen der Kopfhaut, eine leichte Verfärbung am Jochbein,
Hautunterblutungen an der rechten Oberschenkelinnenseite sowie zwei
Rippenbrüche davon. B.________ rief den sich entfernenden Angreifern
Beschimpfungen nach, woraufhin diese ihn erneut attackierten. Y.A.________
versetzte ihm einen K.o.-Schlag oder -Fusstritt. B.________ fiel rückwärts auf
den Hinterkopf und blieb bewusstlos liegen. Z.________ versetzte dem am Boden
liegenden noch einen Tritt. B.________ erlitt eine Schwellung und Schürfwunde
sowie Weichteilquetschungen am Hinterkopf, Schürfwunden an den Handinnenflächen
und Knien und einen Bruch der Elle. Anschliessend traten Y.A.________ und
Z.________ mehrmals auf den am Boden von X.A.________ im Schwitzkasten
gehaltenen D.________ ein, der B.________ zur Hilfe geeilt war. D.________
blieb unverletzt.
Auf seinem Heimweg wurde D.________ von Z.________ und den Brüdern A.________
erkannt und verfolgt. Als sie D.________ eingeholt hatten, schlug Z.________
ihm ins Gesicht. D.________ wurde zu Boden geworfen und von den drei Angreifern
mit zahlreichen Faustschlägen und Fusstritten, vor allem gegen den Kopf und ins
Gesicht, traktiert. Sie liessen erst von ihm ab, als E.________ Hilfe leistete.
D.________ erlitt Brüche des rechten Jochbeins, des rechten Augenhöhlenbogens
und des Nasenbeins. Es bestand keine unmittelbare Lebensgefahr für ihn.

B.
Das Appellationsgericht Basel-Stadt verurteilte X.A.________ und Y.A.________
sowie Z.________ im Berufungsverfahren am 19. Oktober 2012 unter anderem wegen
mehrfach versuchter schwerer und einfacher Körperverletzung zu unbedingten
Freiheitsstrafen. Es bestätigte die mit erstinstanzlichem Urteil vom 15.
Dezember 2010 angeordnete Einweisung von Z.________ in eine Einrichtung für
junge Erwachsene und den damit verbundenen Aufschub der Freiheitsstrafe.

C.
Gegen das Urteil des Appellationsgerichts führen sowohl die Staatsanwaltschaft
Basel-Stadt (6B_754/2012) als auch Y.A.________ (separates Verfahren 6B_45/
2013) Beschwerde in Strafsachen. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt beantragt
sinngemäss, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und zu neuer Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. X.A.________, Y.A.________ und Z.________ seien
wegen versuchten Mordes, zumindest aber wegen versuchter vorsätzlicher Tötung
schuldig zu sprechen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Subsumtion des dem angefochtenen Urteils
zugrunde liegenden Sachverhalts verletze Bundesrecht. Die Vorinstanz habe die
im Urteil aufgeführten äusseren Umstände bzw. die vorsatzintendierenden
Argumente nicht genügend oder gar nicht gewürdigt und zu Unrecht einen
Eventualvorsatz der Beschwerdegegner in Bezug auf ein Tötungsdelikt verneint.

2.
Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdegegner hätten bei allen drei Angriffen
eine Schädigung der Opfer beabsichtigt bzw. in Kauf genommen, die über die
tatsächlichen (einfachen) Körperverletzungen hinaus gehe. Ihnen sei bekannt,
dass stumpfe Gewalteinwirkung gegen Kopf und Rumpf zu Verletzungen der inneren
Organe und in der Folge zu lebensbedrohlichen Blutungen oder Beeinträchtigungen
der Organfunktionen führen könne. Wer einen am Boden liegenden Menschen
Fusstritte gegen Kopf und Bauch bzw. "einfach überall hin" versetze, müsse mit
lebensgefährlichen Verletzungen rechnen. Ein Tötungsvorsatz könne jedoch nicht
angenommen werden. Die Beschwerdegegner hätten lediglich leichtes Schuhwerk
(Turnschuhe) getragen, aus einer spontanen Laune ohne vorherige Planung
angegriffen und die Opfer nicht bis zur Regungslosigkeit geschlagen. Die
verursachten Verletzungen stellten in rechtlicher Hinsicht ausschliesslich
einfache Körperverletzungen dar. Zu keinem Zeitpunkt habe eine akute
Lebensgefahr für die Opfer bestanden. Die Beschwerdeführer hätten bei ihrem
Vorgehen nicht mit einem unmittelbaren Todeseintritt rechnen müssen. Aufgrund
der äusseren Umstände könne im Lichte der bundesgerichtlichen und kantonalen
Rechtsprechung nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer den
Tod der Opfer in Kauf genommen hätten.

3.

3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es wendet das Recht von
Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die
geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 274 E. 1.6; 135 II
384 E. 2.2.1).

3.2.

3.2.1. Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen
und Willen ausführt oder wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in
Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB), aber dennoch handelt, weil er sich mit dem
Erfolg abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 mit
Hinweis).

3.2.2. Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft eine innere
Tatsache und ist Tatfrage. Rechtsfrage ist hingegen, nach welchen tatsächlichen
Voraussetzungen bewusste Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz
gegeben ist (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.1; 130 IV 58 E. 8.5). Es ist allerdings
nicht zu übersehen, dass sich insoweit Tat- und Rechtsfragen teilweise
überschneiden. Das Sachgericht hat daher die in diesem Zusammenhang relevanten
Tatsachen möglichst erschöpfend darzustellen, damit erkennbar wird, aus welchen
Umständen es auf Eventualvorsatz geschlossen hat. Denn der Sinngehalt der dazu
entwickelten Formeln lässt sich nur im Lichte der tatsächlichen Umstände des
Falls erschliessen. Das Bundesgericht kann in einem gewissen Ausmass die
richtige Bewertung dieser Umstände im Hinblick auf den Rechtsbegriff des
Eventualvorsatzes überprüfen (BGE 133 IV 9 E. 4.1; 133 IV 1 E. 4.1; je mit
Hinweisen), tut dies jedoch mit einer gewissen Zurückhaltung (vgl. BGE 134 IV
189 E. 1.3 mit Hinweisen).

3.2.3. Der Eventualvorsatz auf Tötung unterscheidet sich vom Gefährdungsvorsatz
dadurch, dass der Täter bei der Lebensgefährdung darauf vertraut, der Tod des
Opfers werde nicht eintreten. Bleibt dem Zufall überlassen, ob die Gefahr sich
verwirklicht oder nicht, liegt (versuchte) eventualvorsätzliche Tötung vor
(Urteil 6B_655/2012 vom 15. Februar 2013 E. 3.5 mit Hinweisen).

3.2.4. Für den Nachweis des Vorsatzes darf der Richter vom Wissen des Täters
auf den Willen schliessen, wenn sich diesem die Verwirklichung der Gefahr als
so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen,
vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE
137 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweis). Je grösser die Wahrscheinlichkeit der
Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Rechtsgutsverletzung wiegt,
desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die
Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (BGE 135 IV 12 E. 2.3.2; 133 IV 222
E. 5.3). Allerdings kann nicht unbesehen aus dem Wissen des Täters um die
Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden.
Sicheres Wissen um die unmittelbare Lebensgefahr, also um die Möglichkeit des
Todes, ist nicht identisch mit sicherem Wissen um den Erfolgseintritt und kann
sowohl mit (eventuellem) Tötungsvorsatz als auch bewusster Fahrlässigkeit
bezüglich der Todesfolge einhergehen. Ein Tötungsvorsatz ist zu verneinen, wenn
der Täter trotz der erkannten möglichen Lebensgefahr handelt, aber darauf
vertraut, die Todesgefahr werde sich nicht realisieren. Zur Annahme eines
Tötungsvorsatzes müssen zum Wissenselement weitere Umstände hinzukommen (BGE
133 IV 9 E. 4.1; zur Verneinung des Eventualvorsatzes vgl. Urteil 6B_775/2011
vom 4. Juni 2012 E. 2.4). Solche Umstände liegen namentlich vor, wenn der Täter
das ihm bekannte Risiko in keiner Weise kalkulieren und dosieren kann und der
Geschädigte keinerlei Abwehrchancen hat (BGE 133 IV 1 E. 4.5; 131 IV 1 E. 2.2).

4.

4.1. Soweit die Beschwerdeführerin ihrer Beschwerde einen anderen oder
erweiterten Sachverhalt zugrunde legt, als die Vorinstanz feststellt, ohne
darzutun, inwiefern die tatsächlichen Feststellungen willkürlich sind,
erschöpfen sich ihre Rügen in appellatorischer Kritik. Dies ist zum Beispiel
der Fall, wenn sie vorbringt, sie gehe davon aus, dass "auf das Opfer
"eingekickt" wurde, als es bereits offensichtlich verletzt und regungslos am
Boden lag," und darin einen weiteren Umstand sieht, der einen über die
Verursachung einer schweren Körperverletzung hinausgehenden Vorsatz indiziere
(Beschwerde S. 9 a.E.). Auf eine solche Kritik ist nicht einzutreten (Art. 97
Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 136 I 65 E. 1.3.1 mit Hinweisen).

4.2. Die Vorinstanz setzt sich zur Beurteilung der Frage, ob die
Beschwerdegegner mit Lebensgefährdungs- oder Tötungsvorsatz gehandelt haben,
mit zahlreichen einschlägigen bundesgerichtlichen und kantonalen Entscheiden
auseinander. Sie legt detailliert dar, warum sie unter Berücksichtigung der
einschlägigen Rechtsprechung im zu beurteilenden Fall aufgrund der äusseren
Umstände und Abläufe des Tatgeschehens einen Tötungsvorsatz der
Beschwerdeführer verneint. Die Beschwerdeführerin geht auf die vorinstanzlichen
Erwägungen weitgehend nicht ein. Sie beschränkt sich darauf, abstrakte
Ausführungen zur potenziellen (Lebens-) Gefährlichkeit von Fusstritten gegen
Kopf und Rumpf eines Menschen zu machen, ohne jedoch aufzuzeigen, inwiefern die
Vorinstanz aufgrund der konkreten Tathandlungen und -abläufe einen
Tötungsvorsatz der Beschwerdegegner hätte bejahen müssen.
Der Ansicht der Beschwerdeführerin, bei potenziell lebensgefährlichen
Körperverletzungshandlungen sei zwingend von einem Tötungsvorsatz auszugehen,
kann nicht gefolgt werden. Wäre dies der Fall, müsste immer (auch) von einem
versuchten Tötungsdelikt ausgegangen werden, wenn der Täter die Möglichkeit
einer Lebensgefahr erkennt, aber darauf vertraut, diese werde sich nicht
realisieren. Art. 122 Abs. 1 StGB und Art. 129 StGB würden im Wege der
Konkurrenz stets hinter das eventualvorsätzliche Tötungsdelikt zurücktreten und
hätten keine (eigenständige) Bedeutung. Dies widerspricht der gesetzlichen
Konzeption und gefestigten Rechtsprechung. Ein Tötungsvorsatz kann nicht
leichthin angenommen werden, sondern es müssen weitere objektive Umstände
hinzutreten, die es rechtfertigen, diesen zu bejahen. Derartige Umstände legt
die Beschwerdeführerin nicht dar. Die Vorinstanz durfte aufgrund des
Tatgeschehens und der Verletzungen der Opfer darauf schliessen, dass die
Beschwerdeführer die Verwirklichung des Todesrisikos nicht einfach leichtfertig
ignoriert haben und deren Handeln die Inkaufnahme von Todesfolgen nicht
indiziert. Der Schuldspruch wegen mehrfacher versuchter schwerer
Körperverletzung verletzt kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist unbegründet,
soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Den Beschwerdegegnern ist keine Parteientschädigung zuzusprechen,
da ihnen im Verfahren vor Bundesgericht keine Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held

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