Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.746/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_746/2012

Urteil vom 9. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vischer,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090
Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Urlaub; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3.
Abteilung, 3. Kammer,
vom 8. November 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bezirksgericht Bülach verwahrte X.________ am 19. Februar 1997. Der
Massnahme liegen mehrere Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von
minderjährigen Knaben zugrunde. Zuvor hatte der Vollzug einer ambulanten
Massnahme abgebrochen werden müssen, weil sie erfolglos war.

Am 25. November 1999 bewilligte das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich
(AfJ) X.________ erstmals einen unbegleiteten Beziehungsurlaub von zwölf
Stunden unter Auflagen. In der Folge absolvierte er rund 50 derartige Urlaube,
bis das AfJ die Gewährung unbegleiteter Urlaube gestützt auf eine Anordnung des
Vorstehers der kantonalen Justizdirektion (JD), die im Zusammenhang mit dem
Urlaubsmissbrauch eines anderen Verwahrten stand, am 4. September 2006 auf
unbestimmte Zeit und später am 25. Juli 2008 bis zum Vorliegen einer
Stellungnahme der Fachkommission betreffend Vollzugslockerungen sistierte.

Am 30. Januar 2009 stellte X.________ ein Gesuch um Gewährung eines begleiteten
Urlaubs von zwölf Stunden. Das AfJ gewährte ihm indessen am 21. April 2009 nur
jährlich maximal vier begleitete Urlaube von fünf Stunden unter Einhaltung
verschiedener Auflagen.

Am 5. Januar 2012 widerrief das AfJ die Verfügung vom 25. November 1999, mit
welcher X.________ ein unbegleiteter Urlaub von zwölf Stunden gewährt worden
war (Ziff. I). Zudem wies es das Gesuch vom 30. Januar 2009 um Gewährung eines
begleiteten Urlaubs von zwölf Stunden ab (Ziff. II).

Die JD wies einen dagegen gerichteten Rekurs am 21. Mai 2012 ab (Ziff. I).

X.________ wandte sich mit kantonaler Beschwerde ans Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich. Er machte im Wesentlichen geltend, die Ablehnung von
unbegleiteten Urlauben durch das AfJ widerspreche dem neuesten Gutachten,
welches solche Urlaube unter gewissen Voraussetzungen bzw. Auflagen für möglich
erachte. Sodann sei es schikanös, die Ablehnung eines begleiteten Urlaubs von
zwölf Stunden mit den beschränkten Personalressourcen der Vollzugsanstalt zu
begründen.
Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde am 8. November 2012 teilweise gut
und hob Ziff. I der Verfügung der JD vom 21. Mai 2012 sowie Ziff. II der
Verfügung des AfJ vom 5. Januar 2012 im Sinne der Erwägungen auf. Im Übrigen
wies es die Beschwerde ab, soweit sie Ziff. I der Verfügung des AfJ vom 5.
Januar 2012 betraf. Das Verwaltungsgericht kommt in Bezug auf Ziff. I der
Verfügung des AfJ vom 5. Januar 2012 zum Schluss, die Verweigerung
unbegleiteter Urlaube erweise sich als gerechtfertigt (E. 4.2). In Bezug auf
Ziff. II der Verfügung vom 5. Januar 2012 stellt das Gericht fest, dass das AfJ
X.________ einen begleiteten Urlaub von acht Stunden hätte gewähren müssen.
Insoweit wurde das AfJ eingeladen, die entsprechenden Modalitäten einzuleiten
(E. 5.3).

X.________ beantragt mit Beschwerde beim Bundesgericht, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 8. November 2012 sei aufzuheben. Es seien ihm
unbegleitete Urlaube von zwölf Stunden zu gewähren.

2.
In Bezug auf die unbegleiteten Urlaube hat die Vorinstanz das kantonale
Rechtsmittel abgewiesen und damit das Verfahren abgeschlossen. Auf die
Beschwerde ist unter dem Gesichtswinkel von Art. 90 BGG einzutreten.

3.
Die Vorinstanz stützt sich bei der Frage, ob dem Beschwerdeführer zusätzlich zu
den vier bewilligten begleiteten Beziehungsurlauben noch unbegleitete Urlaube
zu gewähren sind, teilweise auf ein aktuelles psychiatrisches Gutachten aus dem
Jahre 2011 (vgl. angefochtenen Entscheid S. 8/9 E. 3). Auf die Erwägungen der
Vorinstanz, die den Lösungsvorschlag des Gutachters allerdings nicht übernimmt,
kann verwiesen werden (vgl. Entscheid S. 9-11 E. 4).

Aufgrund der Ausführungen des Gutachters weist der Beschwerdeführer ein hohes
Gefährdungspotenzial für einen einschlägigen Rückfall auf, sofern er ausserhalb
des Strafvollzugs unbegleitet gelassen wird. Bereits zehn Minuten allein in
Gegenwart von Knaben können ausreichen, einen Kontakt anzubahnen, vor allem
dann, wenn sich dem Beschwerdeführer die Gelegenheit bietet, die Begegnungen zu
wiederholen und so allmählich eine Beziehung aufzubauen. Die Gefahr der
Anbahnung einer sexuellen Beziehung zu minderjährigen Knaben ist allerdings
gering, wenn der Beschwerdeführer während der Urlaube kontinuierlich in der
Obhut einer anderen Person verbleibt, die ihn in potenziell
deliktsbegünstigenden Situationen nicht alleine lässt.
Nach der Darstellung des Gutachters kann es sich bei der Begleitung auch um
eine private Bezugsperson handeln, sofern sie konkrete Kenntnisse von der Natur
und dem Schweregrad der Straftaten des Beschwerdeführers hat, seine
deliktsrelevanten Verhaltensmuster kennt und vor diesem Hintergrund bereit ist,
ihn entsprechend bei Urlauben zu begleiten und in riskanten Situationen nicht
allein zu lassen. Sie sollte in einer Sitzung entsprechend aufgeklärt werden
und so eine Idee erlangen, wie man Risikosituationen erkennen bzw. den
Beschwerdeführer aus einer solchen heraushalten kann.

Im Gegensatz zur Meinung des Gutachters ist eine private Bezugsperson nach
Auffassung der Vorinstanz, die auf die Ausführungen der Justizdirektion
verweist, für die Aufgabe, den Beschwerdeführer während seiner Urlaube zu
begleiten und zu überwachen, nicht geeignet (vgl. Entscheid S. 10/11 E. 4.2 mit
Hinweis auf KA act. 4 E. 5.3). Eine Privatperson könne bei Verdachtsmomenten in
einen Loyalitätskonflikt geraten, zumal es sich bei zwei der zur Diskussion
stehenden Begleiter um Söhne und gleichzeitig ehemalige Opfer des
Beschwerdeführers handle, dieser seine Taten nach wie vor zu rechtfertigen
versuche und sich sein Tatverhalten durch ein manipulatives Vorgehen
ausgezeichnet habe. Es könne nicht erwartet werden, dass nahe Angehörige und
Freunde die nötige Distanz zum Beschwerdeführer hätten, um sein Verhalten
völlig objektiv zu beurteilen. Loyalitätskonflikte seien unvermeidbar, weil die
Bezugsperson schon bei geringsten Verdachtsmomenten umgehend die Behörden
einschalten müsste. Regelmässige Ausflüge an bestimmte, nicht stets
kontrollierbare Aufenthaltsorte, wie zum Beispiel das Einkaufszentrum Glatt,
könnten im Übrigen ein unkontrolliertes Anbandeln beispielsweise auf den
Toiletten ermöglichen. Selbst gemäss dem Gutachten sei es nicht realistisch zu
erwarten, dass der Beschwerdeführer bei allen Urlauben nie in die Nähe von
Knaben gerate. Vor dem Hintergrund des hohen Risikos für einen Rückfall,
angesichts der möglichen Loyalitätskonflikte einer privaten Begleitperson und
der Bedenken hinsichtlich der "Informationsoffenheit" des Beschwerdeführers,
der entgegen seinen Angaben gegenüber dem Gutachter seinen Sohn und seine
Schwiegertochter nicht umfassend über seine Delikte informiert habe, sowie des
Umstands, dass bereits äusserst kurze wiederholte Kontakte zu einem Übergriff
führen können, bestünden erhebliche Zweifel an der ausreichenden Wirksamkeit
der im Gutachten als möglich erachteten Begleitung durch eine private
Bezugsperson.
Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers (vgl. im Einzelnen Beschwerde S.
8-11 Ziff. 6-9) erscheinen diese Erwägungen nicht als konstruiert oder gar
willkürlich, sondern als stichhaltig. Es ist nicht zu beanstanden, dass die
Vorinstanz trotz der vor 2006 klaglos absolvierten Urlaube auf ein aktuelles
Gutachten von 2011 abstellt, welches beim Beschwerdeführer von einer hohen
Rückfallgefahr ausgeht. Dieser Gefahr muss bei Urlauben durch geeignete und zum
Ziel führende Vorkehrungen begegnet werden. Aus den von der Vorinstanz
genannten Gründen erscheinen Freunde oder Verwandte des Beschwerdeführers als
ungeeignet, das Rückfallrisiko auszuschalten. Zwar kann ihnen an einer Sitzung,
wie vom Gutachter vorgeschlagen, erklärt werden, wie gefährliche Situationen zu
erkennen und zu vermeiden sind. Aber mit dieser Belehrung ist nicht
sichergestellt, dass Freunde oder Verwandte des Beschwerdeführers es auch
wirklich schaffen, Risikosituationen konsequent zu vermeiden, und in einer
allfälligen Gefahrenlage richtig und gegebenenfalls gegen den Willen des
Beschwerdeführers zu handeln. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz ist nicht zu
beanstanden.

Die Beschwerde ist abzuweisen.

4.
Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen von Gutachter und Vorinstanz
erschienen die Rechtsbegehren nicht von vornherein als aussichtslos, weshalb
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege in Anwendung von Art. 64 BGG
gutzuheissen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 3'000.-- entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich,
3. Abteilung, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn