Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.744/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_744/2012

Urteil vom 9. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Pasquini.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel,
Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 28, Postfach, 8027
Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung, psychiatrische Begutachtung (Verbrechen gegen das
Betäubungsmittelgesetz etc.)

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
vom 29. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 29. August 2012
zweitinstanzlich der mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz (teilweise in Gehilfenschaft) schuldig und stellte die
Rechtskraft des Schuldspruchs wegen mehrfacher Geldwäscherei fest. Es
verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten
(unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 242 Tagen).

B.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, Dispositiv-Ziffer 2
(Strafpunkt) des Urteils des Obergerichts sei aufzuheben. Vor der Ausfällung
einer Strafe sei sie psychiatrisch zu begutachten. Sie sei, insbesondere wegen
verminderter Schuldfähigkeit, deutlich milder zu bestrafen. Ihrer Beschwerde
sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Zudem ersucht sie um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, Beweise abzunehmen und Tatsachen
festzustellen, über die sich das kantonale Gericht nicht ausgesprochen hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 136 III 209 E. 6.1 S. 214 f. mit Hinweisen). Neue
Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der
Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der
Beschwerde darzulegen ist (BGE 134 V 223 E. 2.2.1 S. 226 mit Hinweis). Hierbei
handelt es sich um unechte Noven. Echte Noven, d. h. Tatsachen, die sich
zugetragen haben, nachdem vor der Vorinstanz keine neuen Tatsachen mehr
vorgetragen werden durften, sind vor Bundesgericht unbeachtlich (BGE 135 I 221
E. 5.2.4 S. 229; 133 IV 342 E. 2.1 S. 344; je mit Hinweisen).
Soweit die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht neue Tatsachen vorbringt, ist
darauf nicht einzutreten. Ebenfalls nicht zu berücksichtigen sind der neu
eingereichte Bericht von Dr. med. A.________ vom 10. Dezember 2012 (act. 2/3),
der ein unzulässiges Novum darstellt, und die darauf gestützten tatsächlichen
Ausführungen (Beschwerde S. 6 ff.).

2.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz verletze Art. 20 StGB und
Art. 29 Abs. 2 BV, indem sie keine sachverständige Begutachtung zur
Schuldfähigkeit angeordnet habe. Mit der Schlussfolgerung, es hätten keine
Hinweise auf eine verminderte Schuldfähigkeit im Zeitpunkt der Taten
vorgelegen, verstosse die Vorinstanz gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) und
den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweislastregel (Art. 32 Abs. 1 BV). Die
Vorinstanz stelle zwar nicht in Abrede, dass sie an einer
Persönlichkeitsstörung und an Depressionen leide, erwäge aber zu Unrecht, die
Krankheitssymptome seien die Folgen der Straftaten gewesen. Aufgrund der
gesamten Umstände hätte die Vorinstanz ernsthafte Zweifel an der
Schuldfähigkeit haben müssen (Beschwerde S. 3-8).
2.1
2.1.1 Gemäss Art. 20 StGB ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die
Begutachtung durch einen Sachverständigen an, wenn ernsthafter Anlass besteht,
an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln (vgl. auch aArt. 13 Abs. 1 StGB).
Ein Gutachten ist nicht nur einzuholen, wenn das Gericht tatsächlich Zweifel an
der Schuldfähigkeit hat, sondern auch, wenn es nach den Umständen des Falls
ernsthafte Zweifel haben sollte (BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 mit Hinweisen).
Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen beizuziehen, besteht nur, wenn
Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen
Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und
Täterpersönlichkeit oder ein völlig unübliches Verhalten. Bei der Prüfung
dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass nicht jede geringfügige
Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt, um eine Verminderung
der Schuldfähigkeit anzunehmen. Die betroffene Person muss vielmehr in hohem
Masse in den Bereich des Abnormen fallen, da der Begriff des normalen Menschen
nicht eng zu fassen ist. Ihre Geistesverfassung muss mithin nach Art und Grad
stark vom Durchschnitt nicht bloss der Rechts-, sondern auch der
Verbrechensgenossen abweichen. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und
nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde
Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder
diese gar herbeiführen konnte, so hat eine schwere Beeinträchtigung nicht
vorgelegen (BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 f. mit Hinweisen).
2.1.2 Die verminderte Schuldfähigkeit ist, wie die Schuldunfähigkeit, ein
Zustand des Täters (BGE 134 IV 132 E. 6.1 S. 136). In welchem Zustand sich der
Täter zur Tatzeit befand, ist eine Tatfrage. Rechtsfrage ist, ob die Vorinstanz
den Begriff der (verminderten) Schuldfähigkeit richtig auslegt und anwendet (
BGE 107 IV 3 E. 1a S. 4).
2.1.3 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; siehe Art. 105 Abs. 1
und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234; zum Begriff der Willkür BGE 138
I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen). Die Rüge der Verletzung von Grundrechten
(einschliesslich der Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der
Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und
substanziiert begründet werden, andernfalls darauf nicht eingetreten wird (Art.
106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit
Hinweisen).

2.2 Was die Beschwerdeführerin in tatsächlicher Hinsicht einwendet, erschöpft
sich in unzulässiger appellatorischer Kritik. Sie beschränkt sich darauf, ihre
Ausführungen vor der Vorinstanz zu wiederholen bzw. ihre eigene Sicht der Dinge
darzulegen (kantonale Akten act. 57 S. 8 und act. 60 S. 5 f.; Beschwerde S. 5
f.). Das reicht nicht, um Willkür darzutun. Ferner geht die Beschwerdegegnerin
entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht davon aus, die
Schuldfähigkeit sei eingeschränkt (Beschwerde S. 6 f.). Sie erwähnte lediglich,
"bei den Gehilfenschaften war die Beschuldigte der Meinung, dass ein guter Teil
dieser Handlungen nicht strafbar seien. Bei den Verkäufen natürlich klar"
(kantonale Akten act. 35 S. 8; erstinstanzliches Protokoll S. 7).

2.3 Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz besteht kein Anlass, schon
gar kein ernsthafter, an der vollen Schuldfähigkeit der Beschwerdeführerin im
Zeitpunkt der Taten zu zweifeln. Auf diese Ausführungen kann verwiesen werden
(Urteil S. 11 f.). Auch in Würdigung der von der Beschwerdeführerin erneut
geltend gemachten besonderen Umstände, namentlich ihrer langjährigen
Erkrankungen, sind keine objektiven Anhaltspunkte vorhanden, wonach sich deren
Geistesverfassung im Zeitpunkt der Taten in hohem Masse im Bereich des Abnormen
befunden hätte. Zweifel an der Schuldfähigkeit sind nur begründet, wenn die
Auffälligkeiten in Zusammenhang mit den vorgeworfenen Straftaten stehen. Es ist
bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auf die Einholung
eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit verzichtet hat.
Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet. Daher sind auch
die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen der Verletzung von Art. 19 Abs. 2
StGB, des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und des
Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweislastregel (Art. 32 Abs. 1 BV)
unbegründet.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die von der Vorinstanz ausgefällte
Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten erweise sich als unvertretbar
hoch. Die Vorinstanz attestiere ihr zu Unrecht keine erhöhte
Strafempfindlichkeit (Beschwerde S. 8 f.).

3.2 Die Grundsätze der Strafzumessung hat das Bundesgericht wiederholt
dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen).

3.3 Die Vorinstanz verweist im Strafpunkt teilweise auf die erstinstanzlichen
Ausführungen und nimmt Ergänzungen und Korrekturen vor. Sie setzt sich mit den
wesentlichen schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt sämtliche
Zumessungsfaktoren zutreffend. Auf ihre Ausführungen kann verwiesen werden
(Urteil S. 6 ff.).
Die Strafempfindlichkeit des Täters infolge gesundheitlicher Probleme fällt als
strafmindernder Faktor nur in Betracht, wenn Abweichungen vom Grundsatz einer
einheitlichen Leidempfindlichkeit geboten sind, wie etwa bei
Gehirnverletzungen, Schwerkranken, Taubstummen (Urteil 6B_572/2010 vom 18.
November 2010 E. 4.5 mit Hinweisen) oder unter Haftpsychose Leidender (HANS
WIPRÄCHTIGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, N. 117 zu Art.
47 StGB mit Hinweisen). Folglich verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn
sie die Strafempfindlichkeit der Beschwerdeführerin trotz der geltend gemachten
gesundheitlichen Schwierigkeiten als durchschnittlich einstuft. Sie weist
weiter zu Recht darauf hin, dass die Verbüssung einer längeren Freiheitsstrafe
für jeden, der in ein günstiges berufliches und/oder familiäres Umfeld
eingebettet ist, eine gewisse Härte darstellt. Als unmittelbare gesetzmässige
Folge einer unbedingten Freiheitsstrafe muss dies nur bei aussergewöhnlichen
Umständen strafmindernd berücksichtigt werden (Urteile 6B_169/2011 vom 8. Juni
2011 E. 3.4.2, 6B_470/2009 vom 23. November 2009 E. 2.5 mit Hinweisen). Solche
Umstände sind hier nicht erkennbar. Die von der Beschwerdeführerin angeführten
Belastungen gehen nicht in aussergewöhnlichem Masse über die mit einem
Strafvollzug verbundene Einschränkung hinaus. Es ist somit nicht zu
beanstanden, dass die Vorinstanz keine besondere Strafempfindlichkeit annimmt.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Mit dem
Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge
Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der
finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist bei der Festsetzung der
Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Beschwerde S. 9; Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Pasquini