Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.734/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_734/2012

Urteil vom 15. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Reetz,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Strafrecht, Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Kostenauferlegung; Willkür, Unschuldsvermutung etc.,

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Strafrecht, vom 4. September 2012.

Sachverhalt:

A.

 Die Lebenspartner B.________ und C.________ trennten sich am 21. März 2010. Am
17. April 2010 bedrängte er sie und hinderte sie kurze Zeit an der Wegfahrt.
Anschliessend fuhr er ihr gegen ihren Willen nach. Er wollte unbedingt den
Namen ihres neuen Partners erfahren. Obwohl sie anhielt und ihn aufforderte,
sie nicht weiter zu verfolgen, setzte er sich bewusst über diese Aufforderung
hinweg. Daraufhin begab sie sich zur Polizei und erstattete Anzeige
(angefochtener Entscheid S. 7 unten/8 oben Ziff. 2.5).

B.

 Gestützt auf diesen Sachverhalt und einen anderen vom 25. März 2010
verurteilte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft B.________ am 22. November
2011 per Strafbefehl wegen mehrfacher, teilweise versuchter Nötigung,
mehrfacher übler Nachrede, mehrfacher Beschimpfung und Missbrauchs einer
Fernmeldeanlage zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu
Fr. 1'200.-- sowie einer Busse von Fr. 5'000.--. Sie auferlegte ihm die
Verfahrenskosten und verpflichtete ihn, C.________ für das Verfahren zu
entschädigen. Deren Genugtuungsforderung verwies sie auf den Zivilweg.

 B.________ erhob gegen den Strafbefehl Einsprache.

 In einer Vereinbarung vom 19. April 2012 erklärten sich B.________ und
C.________ aus sämtlichen allfällig bestehenden Forderungen als vollständig
auseinander gesetzt. Sie ziehe ihre Strafanzeige zurück, verzichte auf eine
Genugtuung und sei an einer Bestrafung des B.________ nicht mehr interessiert.
"Die Parteikosten sollen wettgeschlagen werden" (kantonale Akten, act. 531).

C.

 Das Strafgerichtspräsidium Basel-Landschaft stellte am 3. Juli 2012 das
Verfahren gegen B.________ ein und auferlegte ihm die Verfahrenskosten von
insgesamt Fr. 2'849.--.

 Die Beschwerde des B.________ gegen diesen Entscheid wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft am 4. September 2012 ab (Verfahrenskosten Fr. 1'050.--).

D.

 B.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt zur Hauptsache, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und er sei betreffend das kantonale
Verfahren von jeglicher Kostenpflicht zu befreien und mit Fr. 52'665.90 zu
entschädigen.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 426 Abs. 2 StPO und Art. 28
ZGB. Das einmalige Nachfahren weise keine persönlichkeitsverletzende Intensität
auf. Zudem habe die Vorinstanz die Unschuldsvermutung und ihre
Begründungspflicht verletzt sowie den Sachverhalt offensichtlich unrichtig
festgestellt.

2.

 Wird das Verfahren eingestellt, so können die Verfahrenskosten der
beschuldigten Person ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie
rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen
Durchführung erschwert hat (Art. 426 Abs. 2 StPO).

 Diese Bestimmung kodifiziert die Praxis des Bundesgerichts und der
EMRK-Organe, wonach eine Kostenauflage möglich ist, wenn der Angeschuldigte in
zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene
Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch die Einleitung des Strafverfahrens
veranlasst hat (BGE 116 Ia 162; Botschaft des Bundesrats zur Vereinheitlichung
des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 II 1326).

 Art. 28 ZGB schützt die Persönlichkeit vor widerrechtlichen Verletzungen.
Geschützt ist unter anderem das Recht auf örtliche Bewegungsfreiheit, sich an
einen Ort zu begeben, dort zu verweilen oder ihn zu verlassen ( Deschenaux/
Steinauer, Personnes physiques et tutelle, Bern 2001, 4. Auflage, S. 172 N
546). Verletzt ist das Recht, wenn der Wille der betroffenen Person missachtet
wird ( Christian Brückner, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, S. 118 N
392). Auch der von e iner Verletzung Bedrohte soll geschützt werden: Die
drohende Gefahr einer Verletzung der Persönlichkeit ist bereits eine Form der
Verletzung, ebenso Störungen im Anschluss an eine Verletzung, die zwar beendet
ist, deren Auswirkungen aber eine Person weiterhin beeinträchtigen (Botschaft
des Bundesrats über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 5.
Mai 1982, BBl 1982 II 661; Pierre Tercier, Le nouveau droit de la personne,
Zürich 1984, S. 80 N 544).

2.1. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die Vorinstanz habe den
Sachverhalt unter lit. A. willkürlich festgestellt.

 Indem er seine Ex-Partnerin Wochen nach der Trennung bedrängte und kurze Zeit
an der Wegfahrt hinderte sowie ihr anschliessend gegen ihren Willen nachfuhr,
und zwar auch noch, nachdem sie ihn aufgefordert hatte, sie nicht weiter zu
verfolgen, hat er ihre örtliche Bewegungsfreiheit (Art. 28 ZGB) klar verletzt.

 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers weicht sein Verhalten deutlich vom
Durchschnittsverhalten ab. Und zwar auch, wenn man berücksichtigt, dass er
während vier Jahren das Privat- und Berufsleben mit der Ex-Partnerin verbracht
hatte. Dass sie ihn irgendwie provoziert hätte, macht er nicht geltend. Der
Vorfall ereignete sich mehrere Wochen, nachdem sie sich getrennt hatten. Zudem
musste ihm als praktizierender Anwalt bewusst sein, dass er durch sein
Verhalten ihre Bewegungsfreiheit einschränkte und mit seiner Absicht, den Namen
ihres neuen Partners zu erfahren, ihre Privatsphäre tangierte, wozu er kein
Recht hatte. Er hat somit widerrechtlich und schuldhaft gehandelt. Auch der
adäquate Kausalzusammenhang ist zu bejahen, hätte doch die Staatsanwaltschaft
gestützt auf den eingeklagten Sachverhalt ohne weiteres eine Strafuntersuchung
eröffnet.

2.2. Die Rügen des Beschwerdeführers gehen grösstenteils an der Sache vorbei.

2.2.1. Der Beschwerdeführer wiederholt, er sei seiner Ex-Partnerin bloss einmal
nachgefahren. Damit widerspricht er dem verbindlichen Sachverhalt, was
unzulässig ist. Dieser ist als Ganzes zu würdigen (E. 2.1).

 Er bringt vor, er habe seine Ex-Partnerin nicht in Angst und Schrecken
versetzt. Ob sie sich aus Angst und Verzweiflung an die Polizei wandte
(angefochtener Entscheid S. 8), kann offen bleiben, weil solches im Rahmen der
örtlichen Bewegungsfreiheit nicht vorausgesetzt wird. Damit geht auch sein
Hinweis auf den Bundesgerichtsentscheid 1P.18/2007 vom 30. Juli 2007 fehl, der
ein Verhalten, das andere terrorisiert und verängstigt und diese in ihrem
seelischen Wohlbefinden gefährdet bzw. erheblich stört, als
persönlichkeitsverletzend beurteilt (E. 3.3.5). Unzutreffend ist auch der
Hinweis auf BGE 125 III 70. Dort war eine Genugtuung zu beurteilen, die nur
geschuldet ist, "sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt" (Art. 49
OR). Im zitierten Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 3. Oktober
2006 hatte dieses nicht die örtliche Bewegungsfreiheit zu beurteilen.

 Es trifft zu, dass Art. 28 ZGB eine gewisse Intensität der
Persönlichkeitsverletzung voraussetzt. Dies ist bei einem klaren Eingriff in
die örtliche Bewegungsfreiheit zu bejahen (E. 2.1). Damit erweist sich die
Argumentation des Beschwerdeführers, Art. 426 Abs. 2 StPO sei bloss in
wirklichen Ausnahmefällen und nicht schon bei einer Abweichung vom
Durchschnittsverhalten anwendbar, als nicht stichhaltig. Dasselbe gilt für
seinen Einwand, vorausgesetzt sei eine gewisse Intensität der
Widerrechtlichkeit (Grundsatz der Verhältnismässigkeit).

2.2.2. Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe ihren Entscheid
auf subjektive Angaben der Ex-Partnerin gestützt, wonach sie sich gezwungen
gesehen habe, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen, und sich aufgrund
des Verhaltens des Beschwerdeführers geängstigt, belästigt gefühlt und in
ärztliche Behandlung begeben habe.

 Diese Vorbringen sind für die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer die
örtliche Bewegungsfreiheit seiner Ex-Partnerin verletzt hat, bedeutungslos.
Folglich ist in diesem Zusammenhang auf seine Rügen der willkürlichen
Beweiswürdigung sowie der Verletzung der Unschuldsvermutung und der
Begründungspflicht nicht einzutreten.

2.2.3. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht
verletzt, indem sie sich weder zu seiner Schuld noch zum Kausalzusammenhang
geäussert habe.

 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe seine Ex-Partnerin Wochen
nach der Trennung in ihrer Persönlichkeit verletzt, um den Namen ihres neuen
Partners zu erfahren, wozu er kein Recht gehabt habe. Zudem entspreche es nicht
dem Normalfall, dass im Rahmen einer Beziehungsbeendigung die Strafbehörden
bemüht werden müssten. Damit genügte sie ihrer Begründungspflicht.
Zu den gerügten Art. 52 f. StPO musste sie sich nicht äussern, zumal die erste
Instanz den Kostenentscheid nicht darauf stützte, sondern lediglich in einer
kurzen Alternativbegründung einen Kommentator zu diesen Bestimmungen zitiert
hatte (Entscheid des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 3. Juli 2012, S. 12 f.
Ziff. 3.1).

2.2.4. Im Übrigen grenzt die Forderung des Beschwerdeführers, der Staat habe
seine Verteidigungskosten zu tragen, an ein "venire contra factum proprium",
nachdem er mit seiner Ex-Partnerin vereinbart hatte, die Parteikosten sollen
wettgeschlagen werden. Es käme überdies zum störenden Ergebnis, dass er als
Unruhestifter vom Staat entschädigt würde, während sie, die sein Persönlichkeit
verletzendes Verhalten erdulden musste, ihre Parteikosten selbst tragen muss.

3.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Damit
wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BBG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner

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