Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.72/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_72/2012

Urteil vom 12. Juli 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Adamczyk.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Brigit Rösli,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Mehrfache Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189
Abs. 1 StGB); Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 8. November 2011.

Sachverhalt:

A.
X.________ wird vorgeworfen, im Zeitraum von Anfang Februar 2006 bis 11. August
2006 seine damalige Ehefrau, A.________, in der gemeinsamen Wohnung an der
B.________strasse 32 in D.________ mehrfach vergewaltigt und sie am 11. Oktober
2008 in seiner Wohnung an der C.________strasse 14 in D.________ sexuell
genötigt zu haben.

B.
Das Bezirksgericht Uster sprach X.________ am 25. November 2010 der mehrfachen
Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung sowie der Freiheitsberaubung schuldig.
Vom Vorwurf der mehrfachen Drohung und der versuchten Vergewaltigung sprach es
ihn frei. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Für die
Dauer von 18 Monaten schob es den Vollzug der Freiheitsstrafe auf und setzte
die Probezeit auf zwei Jahre fest. Im Umfang von 18 Monaten erklärte das
Bezirksgericht die Freiheitsstrafe für vollziehbar, unter Anrechnung eines
Tages für ausgestandene Untersuchungshaft. Es stellte fest, dass X.________
gegenüber der Geschädigten aus den eingeklagten Ereignissen dem Grundsatze nach
schadenersatzpflichtig ist. Zur genauen Feststellung des Umfangs der
Schadenersatzansprüche verwies es die Geschädigte auf den Weg des
Zivilprozesses. Das Bezirksgericht verpflichtete X.________, der Geschädigten
Fr. 15'000.-- als Genugtuung zu bezahlen, zuzüglich 5% Zins ab 7. November
2008. Im Mehrbetrag wies es das Genugtuungsbegehren ab.

X.________ erhob Berufung mit dem Antrag, er sei vollumfänglich freizusprechen.

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 8. November 2011 die
erstinstanzlichen Schuldsprüche wegen mehrfacher Vergewaltigung und sexueller
Nötigung. Vom Vorwurf der Freiheitsberaubung sprach es X.________ frei. Es
verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Den zu vollziehenden
Teil der Freiheitsstrafe reduzierte es auf 12 Monate, unter Anrechnung eines
Tages für ausgestandene Untersuchungshaft. Es bestätigte die erstinstanzlichen
Entscheide betreffend Schadenersatz und Genugtuung.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts
sei aufzuheben. Er sei von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung und der
sexuellen Nötigung freizusprechen. Eventualiter seien weitere Beweiserhebungen
vorzunehmen. Subeventualiter sei das Verfahren an die Vorinstanz zwecks
weiterer Beweiserhebungen zurückzuweisen. Die Zivilforderungen seien auf den
Zivilweg zu verweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des
Staates.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer bestreitet wie bereits im kantonalen Verfahren die ihm
zur Last gelegten Straftaten. Zur Begründung macht er in der Beschwerde an das
Bundesgericht erstmals geltend, dass er als frommer Christ entsprechend den
Gepflogenheiten in seinem Herkunftsland Nigeria mit einer Frau während der
Menstruationszeiten keine sexuellen Handlungen vornehme. Die Geschädigte habe
zur fraglichen Zeit gelegentlich während zweier Monate menstruiert bzw.
Zwischenblutungen gehabt. Zum Beweis für diese Behauptungen verweist der
Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesgericht auf Zitate aus der Bibel,
offeriert ein Schreiben eines anglikanischen Seelsorgers aus Nigeria, das
nachgereicht werde, und beantragt die Befragungen des Hausarztes und des
Gynäkologen der Geschädigten.
Diese neuen Tatsachenbehauptungen und Beweisanträge sind nach der Meinung des
Beschwerdeführers gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG zulässig, da erst der angefochtene
Entscheid dazu Anlass gegeben habe. Die Untersuchungsbehörden und die beiden
Vorinstanzen hätten sich mit seinem Argument des sexuellen Fastens angesichts
konkret bestehender Anhaltspunkte befassen und den sich daraus ergebenden
entlastenden Umständen nachgehen müssen. Da sie dies jedoch unterlassen hätten,
sei der Grundsatz der Offizialmaxime gemäss Art. 6 Abs. 2 StPO bzw. § 21 aStPO/
ZH verletzt und gegen Bundesrecht gemäss Art. 95 lit. a BGG verstossen worden.
Überdies liege eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Willkürverbots von
Art. 9 BV vor.

1.2 Am 1. Januar 2011 trat die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO; SR
312.0) in Kraft. Der Entscheid der ersten Instanz erging am 25. November 2010.
Das kantonale Verfahren samt Rechtsmittelverfahren richtet sich daher gemäss
Art. 453 Abs. 1 StPO nach dem früheren Recht, also nach der Strafprozessordnung
des Kantons Zürich vom 14. Mai 1919 (aStPO/ZH). Soweit der Beschwerdeführer die
Schweizerische Strafprozessordnung als anwendbar erachtet und er sich in seiner
Beschwerde darauf beruft, ist er mit seinen Vorbringen nicht zu hören.

1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d. h. willkürlich im Sinne von Art.
9 BV ist (BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252) oder auf einer Verletzung von
schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Die Rüge der offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts
prüft das Bundesgericht nur insofern, als sie in der Beschwerde begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor,
wenn der angefochtene Entscheid auf einer unhaltbaren oder widersprüchlichen
Beweiswürdigung beruht, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 137 I 1 E. 2.4
S. 5). Für die Begründung von Willkür genügt es praxisgemäss nicht, dass das
angefochtene Urteil mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht
übereinstimmt oder eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar
erscheint oder gar vorzuziehen wäre (BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148 mit
Hinweisen).

1.4 Im bundesgerichtlichen Verfahren dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur
so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass
gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist. Zu den
Tatsachen, zu deren Vorbringen erst der angefochtene Entscheid Anlass gibt,
zählen insbesondere alle Umstände, die für die Anfechtung des Entscheids von
Bedeutung sind (Eröffnung, Zustellung, Fristwahrung etc.), ferner Tatsachen zur
Begründung gewisser formellrechtlicher Mängel (Verletzung des rechtlichen
Gehörs, unrichtige Besetzung der Richterbank), mit denen nicht zu rechnen war,
und schliesslich tatsächliche Vorbringen, die erst aufgrund einer neuen,
überraschenden rechtlichen Argumentation der Vorinstanz Rechtserheblichkeit
erlangt haben. Dazu gehören aber nicht Tatsachenbehauptungen, die der
Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren vorzutragen unterlassen hat, und die
deshalb von der Vorinstanz auch nicht berücksichtigt werden konnten (Urteil
4A_18/2010 vom 15. März 2010 E. 2.1 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 136 I
197).

1.5 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Offizialmaxime gemäss § 21
aStPO/ZH. Seinen Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, dass er den
Untersuchungsgrundsatz gemäss § 31 aStPO/ZH als nicht eingehalten erachtet.
Nach dieser Bestimmung soll der Untersuchungsbeamte den belastenden und den
entlastenden Tatsachen mit gleicher Sorgfalt nachgehen.
Aus der Regelung von § 31 aStPO/ZH wird in der Literatur abgeleitet, dass der
Untersuchungsbeamte innerlich offen sein müsse auch für andere denkbare
Geschehensabläufe als die anfängliche These von Tat und Täter. Zwar sei den
belastenden und entlastenden Momenten von Amtes wegen nachzugehen. Doch sei es
naheliegend, dass die Anregung, gewisse entlastende Umstände abzuklären, von
einem Verfahrensbeteiligten, vor allem dem Beschuldigten oder Geschädigten
stamme und häufig mit konkreten Beweisanträgen verbunden sei. Angesichts der
relativen Bedeutung der Untersuchung für das Strafurteil nehme die Praxis eine
Verletzung dieser Norm nur an, "wenn die Untersuchungsbehörde es in
offensichtlich stossender Weise unterlasse, sich aufdrängende
Entlastungsbeweise abzunehmen" (Urteil 6B_799/2008 vom 31. März 2009 E. 1.1;
DONATSCH/SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4.
Mai 1919, Zürich 1996, § 31 N. 5 ff.; KÜNG/HAURI/BRUNNER, Handkommentar zur
Zürcher Strafprozessordnung, Bern 2005, § 31 N. 1 f.).

1.6 Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Bemerkung des
Beschwerdeführers in der polizeilichen Einvernahme, er habe auch sexuell
gefastet, nicht zum Anlass nahm, abzuklären, ob sich dieses Fasten auch,
religiös motiviert, auf die Menstruationszeiten der Geschädigten bezog. Weder
der Wortlaut noch der Sinn seiner Aussage (Einvernahme durch die Kantonspolizei
Zürich vom 15. Dezember 2008, act. 6 S. 5) legten Nachforschungen in diese
Richtung nahe, grenzte doch der Beschwerdeführer mit seiner Umschreibung das
sexuelle Fasten dahin gehend ein, dass dieses einen Teilaspekt seines religiös
motivierten Verzichts auf Essen und Trinken darstelle. Auch der Umstand, dass
der Beschwerdeführer erklärte, er sei gottesfürchtig, sowie die Tatsache, dass
er in Nigeria aufwuchs, mussten die Vorinstanz nicht veranlassen, hinsichtlich
religiöser Gepflogenheiten in Nigeria und deren Einflüssen auf das
Sexualverhalten des Beschwerdeführers Abklärungen vorzunehmen. Ebenso wenig
musste die Vorinstanz die Bemerkung der Geschädigten, sie habe regelmässig
Zwischenblutungen gehabt bzw. sei in jener Zeit in Abänderung gewesen, zum
Anlass nehmen, weiter dem sexuellen Verhalten des Beschwerdeführers während der
Menstruationszeiten der Geschädigten nachzugehen.
Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, den Untersuchungsbehörden
vorzutragen, dass er aus religiösen Gründen keinen Sex mit der Geschädigten
während der Menstruationszeiten hatte. Dieses nicht naheliegende Argument hätte
er von sich aus während der Strafuntersuchung vorbringen können und müssen.
Anlässlich der Einvernahmen und Gerichtsverhandlungen wurden ihm die
Tatvorwürfe, welche sich auf einen Zeitraum von mehreren Monaten bezogen,
vorgehalten. Der Beschwerdeführer hätte angesichts der Möglichkeit, dass auch
Menstruationsphasen der Geschädigten in diese Zeitspanne fielen, ohne Weiteres
seinen Einwand geltend machen können. Der ihm zur Seite gestellte amtliche
Verteidiger und eine jeweils für die Übersetzung zuständige Fachperson waren
befähigt, ihn bei allfälligen Verständigungsschwierigkeiten zu unterstützen.

1.7 Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe keinen Sex mit der
Geschädigten während deren Menstruationszeiten gehabt und die entsprechend
gestellten Beweisanträge sind neu. Sie sind unzulässig, da der angefochtene
Entscheid keinen Anlass dazu gegeben hat. Die Rüge, die Vorinstanz habe den
Untersuchungsgrundsatz verletzt, ist unbegründet.

1.8 Die Vorinstanz durfte gestützt auf die Schilderungen der Geschädigten,
denen sie willkürfrei eine hohe Glaubwürdigkeit beimisst, die inkriminierten
Handlungen als erstellt erachten. Die Rüge, das verfassungsrechtliche
Willkürverbot sei verletzt worden, ist unbegründet.

2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Juli 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Adamczyk