Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.725/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_725/2012

Urteil vom 18. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernhard Isenring,
Beschwerdeführerin,

gegen

1.  Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Alban Brodbeck,
2.  Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Mehrfache Vergewaltigung, mehrfache sexuelle Nötigung; Genugtuung; Willkür,
Grundsatz in dubio pro reo,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 28.
September 2012.

Sachverhalt:

A.

 Die Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus erhob am 25. September 2009 Anklage
gegen Y.________ wegen mehrerer Sexualdelikte u.a. zum Nachteil von X.________.
Er soll diese von Sommer 2003 bis September 2004 zahlreiche Male (bis zu 2 Mal
die Woche) unter Gewaltandrohung gegen ihren Willen zum Beischlaf sowie zum
oralen und analen Verkehr genötigt haben. Habe sich X.________ gewehrt, habe er
sie ins Gesicht geschlagen sowie an den Haaren gezogen und, falls sie geschrien
habe, ihr ein Kissen auf den Mund gedrückt.

B.

 Das Kantonsgericht Glarus sprach Y.________ am 27. Oktober 2010 neben anderen
Delikten u.a. wegen mehrfacher Vergewaltigung und mehrfacher sexueller Nötigung
zum Nachteil von X.________ schuldig und verurteilte ihn zu sechs Jahren
Freiheitsstrafe und einer Busse von Fr. 200.--. Ferner verpflichtete es ihn zur
Leistung von Schadenersatz und Genugtuung an die Privatklägerin.
Das Obergericht des Kantons Glarus sprach Y.________ am 28. September 2012 von
den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung und der mehrfachen sexuellen
Nötigung zum Nachteil von X.________ frei. Es verurteilte ihn wegen sexueller
Nötigung zum Nachteil von A.________ und wegen grober Verletzung der
Verkehrsregeln zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten bei einer Probezeit von
drei Jahren und zu einer Busse von 200.--. Aufgrund der Freisprüche hob das
Obergericht die X.________ erstinstanzlich zugesprochene Genugtuung von Fr.
15'000.-- auf und verwies die Privatklägerin im Übrigen mit ihren
Schadenersatz- und Genugtuungsanträgen auf den Zivilweg.

C.

 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das obergerichtliche
Urteil vom 28. September 2012 sei aufzuheben, soweit Y.________ von den
Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung und der mehrfachen sexuellen Nötigung
freigesprochen wurde. Y.________ sei im Sinne der Anklage zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren zu verurteilen. Er sei zu verpflichten, ihr
eine Genugtuung von Fr. 15'000.-- und Schadenersatz von Fr. 42'500.-- zu
bezahlen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die
Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
X.________ ersucht ferner um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung und eine
Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Führe man sich ihre glaubhaften
und konstanten Aussagen und die unglaubhaften Bestreitungen des als Lügner
entlarvten Beschwerdegegners vor Augen, sei es offensichtlich unhaltbar, wenn
die Vorinstanz an der Glaubhaftigkeit ihrer Sachverhaltsschilderungen zweifle
und ihn gestützt auf den Grundsatz "in dubio pro reo" freispreche.

1.2. Die Vorinstanz würdigt die Aussagen und das Aussageverhalten der
Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners sowie von weiteren Personen aus
dem Umfeld der Beteiligten. Sie befasst sich mit dem Umstand, dass drei Frauen
unabhängig voneinander Anzeige gegen den Beschwerdegegner wegen Sexualdelikte
erstatteten, setzt sich mit den Erkenntnissen des über diesen erstellten
psychiatrischen Gutachtens auseinander und untersucht das Verhalten der
Beschwerdeführerin nach dem Verkehrsunfall vom 24. Januar 2004, bei welchem der
Beschwerdegegner erheblich verletzt wurde. In einer Gesamtwürdigung gelangt die
Vorinstanz zum Ergebnis, dass zwar verschiedene Indizien für eine Tatschuld des
Beschwerdegegners sprächen, jedoch ebenso wesentliche Aspekte unüberwindbare
Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Sachverhaltsschilderung der
Beschwerdeführerin begründeten. Der Beweis, dass diese im Sinne der Anklage zu
Sexualakten gezwungen wurde, lasse sich nicht erbringen. Die bei den
Tatbeständen der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung vorausgesetzte
Zwangslage könne nicht mit der erforderlichen Überzeugung bejaht werden.

1.3. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich
unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137
III 226 E. 4.2 S. 234; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552
E. 4.2; je mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar und substanziiert
begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E.
4.2.3; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als
Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das
Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende selbstständige Bedeutung zu (BGE 127
I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a; je mit Hinweisen; Urteil 6B_98/2013 vom 10. Juni
2013 E. 1.2).

1.4. Was in der Beschwerde vorgebracht wird, vermag Willkür und eine Verletzung
des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht zu begründen.

1.4.1. Die Beschwerdeführerin trägt zumindest teilweise nur ihre eigene Sicht
der Dinge vor. Sie zeigt nicht auf, inwiefern die Erwägungen der Vorinstanz
schlechterdings unhaltbar wären. Die Kritik ist insofern appellatorisch. Das
ist namentlich der Fall, soweit sie darlegt, wie ihr Verhalten nach dem
Verkehrsunfall des Beschwerdegegners vom 24. Januar 2004 (vgl. nachstehend E.
1.4.4) sowie die Aussagen ihrer Mutter und Schwester richtigerweise zu würdigen
wären (Beschwerde, S. 15, 16). Auf den Umstand, dass sie teilweise
appellatorische Kritik übt, weist die Beschwerdeführerin im Übrigen selber
ausdrücklich hin (Beschwerde, S. 18).

1.4.2. Entgegen dem unzutreffenden Einwand der Beschwerdeführerin (Beschwerde,
S. 17) berücksichtigt die Vorinstanz, dass drei Frauen unabhängig voneinander
gegen den Beschwerdegegner Anzeige erstatteten (Entscheid, S. 66, 68).

1.4.3. Unbegründet ist das Vorbringen in der Beschwerde, die Vorinstanz hätte
die Aussagen der Zeuginnen B.________ und C.________ nicht verwerten oder
zumindest nicht massgeblich darauf abstellen dürfen, weil der Beschwerdegegner
sie vor ihren Befragungen kontaktiert habe (Beschwerde, S. 13, 15 ff.). Die
Beschwerdeführerin legt nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern
zufolge dieser Kontakte gesetzliche Beweisverwertungsverbote vorliegen könnten.
Dass der Beschwerdegegner diverse Zeugen vor deren Einvernahmen kontaktierte,
ist aktenkundig. Die Vorinstanz prüft daher jedes einzelne Zeugnis sorgfältig
auf dessen Beweiskraft hin (Entscheid, S. 32 f.; 75 f.). Dass B.________ und
C.________ aufgrund der Kontaktierung durch den Beschwerdegegner nicht (mehr)
in der Lage gewesen sein sollten, wahrheitsgemäss auszusagen, schliesst die
Vorinstanz ohne Willkür aus (Entscheid, S. 76). Der Einwand der
Beschwerdeführerin, es müsse geradezu vermutet werden, dass der
Beschwerdegegner die Zeuginnen beeinflusst oder gar eingeschüchtert haben
könnte, beruht auf blosser Spekulation. Dass die Vorinstanz aus dem Zeugnis von
D.________ auf den Verdacht einer Absprache schliesst, bedeutet nicht, dass sie
auch in Bezug auf die Aussagen der Zeuginnen B.________ und C.________ von
einer Beeinflussung hätte ausgehen müssen. Die diesbezügliche Kritik der
Beschwerdeführerin geht an der Sache vorbei (Beschwerde, S. 15, 16 f.).

1.4.4. Nicht willkürlich ist, dass die Vorinstanz den Beschwerdegegner wegen
sexueller Nötigung zum Nachteil von A.________ schuldig spricht, ihn hingegen
von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Beschwerdeführerin
freispricht (so aber Beschwerde, S. 9 f.; 10 f.). Wohl ist in beiden Fällen die
Ausgangslage insofern vergleichbar, als die Aussagen beider Frauen jenen des
Beschwerdegegners gegenüberstehen ("Aussage gegen Aussage"; vgl. Beschwerde, S.
11, 17). Allerdings gelangt die Vorinstanz im Fall der Beschwerdeführerin zum
Schluss, dass verschiedene Sachumstände unüberwindbare Zweifel an der
Glaubhaftigkeit ihrer Schilderungen weckten. Die Vorinstanz weist in diesem
Zusammenhang insbesondere auf das ihr unerklärlich scheinende Verhalten der
Beschwerdeführerin nach dem Verkehrsunfall des Beschwerdegegners vom 24. Januar
2009 hin. So habe diese den Beschwerdegegner - trotz des laut ihren
Schilderungen bereits seit Monaten anhaltenden massiven sexuellen Missbrauchs -
für Wochen unablässig im Spital und in der Rehaklinik in Bellikon besucht und
es dort zu sexuellen Kontakten auf einer Toilette kommen lassen, die sie
nachher als erzwungen bezeichnete. Sie sei weiterhin mit ihm in der
Öffentlichkeit aufgetreten, als wäre nichts geschehen, habe sich mit ihm auf
gemeinsame Einkaufstouren begeben und ihn bei Behördengängen (Sozialamt)
begleitet. Die Beschwerdeführerin, die ihren ehelichen Wohnsitz in Zürich hatte
und in Wallisellen arbeitete, musste im Übrigen nach der Vorinstanz jeweils zum
Beschwerdegegner nach Niederurnen/GL fahren, um sich mit ihm zu treffen. Dass
dieser sie in Zürich oder an ihrem Arbeitsort je behelligt hätte, habe sie nie
geltend gemacht (Entscheid, S. 77 f., 82). Vor diesem Hintergrund durfte die
Vorinstanz ohne Willkür ernsthafte Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen
der Beschwerdeführerin und damit am Anklagesachverhalt haben. Von einer
"absolut widersprüchlichen" Argumentation der Vorinstanz kann nicht gesprochen
werden (vgl. vorstehend E. 1.4.1).

1.5. Insgesamt zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf und ist auch nicht
ersichtlich, dass und inwiefern das vorinstanzliche Beweisergebnis
schlechterdings nicht mehr vertretbar und damit willkürlich ist. Der Freispruch
"in dubio pro reo" ist nicht zu beanstanden.

2.

 Die Beschwerdeführerin begründet die Rechtsbegehren auf Schadenersatz und
Genugtuung mit den "Delikten" bzw. "strafbaren Handlungen" des
Beschwerdegegners (Beschwerde, S. 18 f.). Da dieser von den Anschuldigungen der
mehrfachen Vergewaltigung und der mehrfachen sexuellen Nötigung zum Nachteil
der Beschwerdeführerin freigesprochen wurde und es beim Freispruch bleibt, ist
darauf nicht einzutreten.

3.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die
Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Ihre angespannte finanzielle Situation ist bei der Bemessung der Gerichtskosten
angemessen zu berücksichtigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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