Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.681/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_681/2012

Urteil vom 12. März 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Pasquini.

Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Advokat Oliver Borer,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach,
4001 Basel,
2. A.________, vertreten durch Advokatin Evelyne Alder,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
antizipierte Beweiswürdigung; Beizug einer sachverständigen Person (Art. 182
StPO); Konfrontationsrecht

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 6. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Appellationsgericht Basel-Stadt sprach X.________ mit Urteil vom 11.
September 2012 und 6. Oktober 2012 zweitinstanzlich der sexuellen Nötigung, der
einfachen Körperverletzung, der Drohung, der mehrfachen Nötigung und mehrfachen
Tätlichkeiten, alles zum Nachteil seiner damaligen Lebenspartnerin A.________,
und der mehrfachen groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. In einem
Punkt sprach es ihn von der Anklage der Drohung frei. Es verurteilte ihn zu
einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu Fr. 100.-- und zu
einer Busse von Fr. 600.--. Das Appellationsgericht verpflichtete X.________
zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 366.90 und einer Genugtuung
von Fr. 4'000.-- an A.________. Im Mehrbetrag verwies es deren Forderungen auf
den Zivilweg (betreffend Schadenersatz) bzw. wies sie ab (betreffend
Genugtuung).

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des
Appellationsgerichts sei teilweise aufzuheben, und er sei von den Vorwürfen der
sexuellen Nötigung, der einfachen Körperverletzung, der Drohung und der
mehrfachen Nötigung sowie Tätlichkeiten freizusprechen. Sämtliche
Zivilforderungen von A.________ seien abzuweisen. Im Übrigen sei das Urteil zu
bestätigen. Eventualiter sei es aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Staatsanwaltschaft und die kantonalen Instanzen
hätten seine Anträge auf Einvernahme von Entlastungszeugen zu Unrecht in
antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen und dadurch Art. 139 Abs. 1 [recte: 2]
und Art. 318 Abs. 2 StPO verletzt (Beschwerde S. 4 -7 N. 7-9).
Auf die Vorbringen des Beschwerdeführers, welche gegen die Staatsanwaltschaft
bzw. das erstinstanzliche Urteil gerichtet sind, ist nicht einzutreten.
Anfechtungsobjekt der Beschwerde an das Bundesgericht bildet der
letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Das ist vorliegend
das Urteil des Appellationsgerichts. Die Vorinstanz begründet die Abweisung der
Beweisanträge ausführlich (Urteil S. 3 f. E. 2.1). Der Beschwerdeführer setzt
sich mit diesen zutreffenden Erwägungen nicht substanziiert auseinander. Auf
seine Beschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör und auf ein faires Verfahren. Während des Untersuchungsverfahrens sei er
nie mit der Beschwerdegegnerin 2 konfrontiert worden. Anlässlich der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung habe er deren Einvernahme im Nebenraum
lediglich akustisch mitverfolgen können. Er habe ihr selber keine Fragen
stellen oder ihre Mimik und Gestik beobachten können. Die ihm vorgeworfenen
Taten seien vergleichbar mit denjenigen im Entscheid 6B_324/2011 vom 26.
Oktober 2011 beurteilten Handlungen und bei Weitem nicht so schwer wie die im
Urteil 6B_207/2012 vom 17. Juli 2012. Daher sei nicht nachvollziehbar, warum
auf eine zumindest indirekte Konfrontation mittels audiovisueller Übertragung
verzichtet worden sei. Zudem sei unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin 2
noch Monate nach dem angeblichen Vorfall vom 29. Mai 2009 eine
partnerschaftliche und sexuelle Beziehung zu ihm gepflegt habe. Es seien somit
keine Gründe ersichtlich, die einer indirekten Konfrontation mittels
audiovisueller Übertragung entgegenstünden. Die ausgebliebene Konfrontation sei
unverhältnismässig und verstosse gegen die Verfahrensgarantien von Art. 29 Abs.
2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Art. 6 Ziff. 3 EMRK
(Beschwerde S. 9-11 N. 14-17).

2.2 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe die Befragung der
Beschwerdegegnerin 2 akustisch mitverfolgt. Er habe ihr über seinen Verteidiger
Fragen stellen und im Anschluss an die Einvernahme der Beschwerdegegnerin 2 zu
ihren Aussagen Stellung nehmen können. Opfer sexueller Übergriffe seien wegen
der belastenden Situation nur zurückhaltend mehrfach zu befragen. Der Antrag
des Beschwerdeführers auf direkte, eventualiter indirekte Konfrontation mittels
Videoübertragung sei abzuweisen (Urteil S. 6 f. E. 2.3).
2.3
2.3.1 Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des
Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer
Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Eine
belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der
Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und
hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an
den Belastungszeugen zu stellen. Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind,
muss der Beschuldigte namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer
Aussage prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und
infrage stellen zu können (BGE 133 I 33 E. 2.2; 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E.
3.1 und E. 4.2; je mit Hinweisen). Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des
rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV
gewährleistet (BGE 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E. 3.1 mit Hinweisen).
In der Regel ist das Fragerecht dem Beschuldigten und seinem Verteidiger
gemeinsam einzuräumen. Die Mitwirkung des Beschuldigten kann für die
Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen entscheidend sein,
insbesondere wenn dieser über Vorgänge berichtet, an denen beide beteiligt
waren (Urteile 6B_324/2011 vom 26. Oktober 2011 E. 1.2; 6B_45/2008 E. 2.4; mit
Hinweisen).
2.3.2 Das Konfrontationsrecht des Beschuldigten wird in gewissen
Konstellationen durch die Opferrechte eingeschränkt. Bei Straftaten gegen die
sexuelle Integrität darf eine Gegenüberstellung gegen den Willen des Opfers nur
angeordnet werden, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches
Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann (Art. 35 lit. d OHG [SR
312.5; Fassung in Kraft bis am 31. Dezember 2010] bzw. Art. 153 Abs. 2 StPO).
Bei der Handhabung des Konfrontationsrechts sind die Interessen der
Verteidigung und diejenigen des Opfers gegeneinander abzuwägen. Es ist in jedem
Einzelfall zu prüfen, welche Vorgehensweisen und Ersatzmassnahmen infrage
kommen, um die Verteidigungsrechte des Angeschuldigten so weit als möglich zu
gewährleisten und gleichzeitig den Interessen des Opfers gerecht zu werden (BGE
129 I 151 E. 5 S. 159 mit Hinweis). Massnahmen zum Schutz von Opfern können
z.B. darin bestehen, dass das Opfer nur durch den Verteidiger, allenfalls durch
Zwischenschaltung einer besonders ausgebildeten Person, befragt wird oder indem
die Einvernahme des Opfers audiovisuell in einen anderen Raum übertragen wird,
von wo aus der Beschuldigte sie verfolgen und in unmittelbarem zeitlichem
Konnex Fragen stellen kann (Urteil 1P.650/2000 vom 26. Januar 2001 E. 3d mit
Hinweisen). Muss der Beschuldigte den Saal während der Einvernahme verlassen,
können dessen Verteidigungsrechte auch gewahrt sein, wenn sein Verteidiger
während der Befragung anwesend ist, Fragen stellen kann und diesem die
Möglichkeit gegeben wird, Unterbrechungen der Einvernahme zu verlangen, um
seinen Mandanten zu informieren und nach Wiederaufnahme des Verfahrens
Ergänzungsfragen zu stellen (Urteil 6P.46/2000 vom 10. April 2001 E. 1c/bb).
Eine Videoübertragung ist in solchen Fällen nicht unter allen Umständen
zwingend (BGE 129 I 151 E. 5 S. 159; Urteil 6P.172/2004 vom 3. Oktober 2005 E.
2.2.3). Vielmehr ist zu beachten, dass bei Opfern von Sexualdelikten nicht nur
die persönliche Begegnung mit dem Täter, sondern auch die Befragung zum
Tatgeschehen während einer audiovisuellen Direktübertragung an diesen zu einer
psychischen Belastung führen kann. Auch aus dem vom Beschwerdeführer zitierten
Urteil 6B_324/2011 vom 26. Oktober 2011 ergibt sich nichts anderes.

2.4 Bei der Wahl der Vorkehren zum Schutz der Opfer verfügt das Gericht über
ein gewisses Ermessen. Der dem Beschwerdeführer vorgeworfene sexuelle Übergriff
zum Nachteil seiner damaligen Lebenspartnerin wiegt nicht leicht, insbesondere
da er mit wiederkehrender Gewalt sowie Drohungen einherging und zudem nicht die
einzige Tat blieb, wie dies im Verfahren 6B_324/2011 der Fall war (Urteil S. 9
E. 3.4; erstinstanzliches Urteil S. 2-5 und S. 19-22). Der Umstand, dass die
Beschwerdegegnerin 2 trotz des Übergriffs noch eine sexuelle Beziehung zu ihm
pflegte, vermag an der Schwere der Tat nichts zu ändern. Gemäss Einschätzung
des Zeugen B.________ habe sich die Beschwerdegegnerin 2 in der Situation
derart gefangen und unter Druck gesetzt gefühlt, dass sie allenfalls wieder
nachgeben und die Anzeige zurückziehen werde (Urteil S. 6 E. 2.2). Der
Beschwerdeführer macht nicht geltend, er habe die früheren Einvernahmen der
Beschwerdegegnerin 2 nicht zur Kenntnis nehmen können. Sodann konnte er ihrer
Einvernahme anlässlich des erstinstanzlichen Verfahrens akustisch folgen, ihr
im nahen zeitlichen Kontext über seinen Verteidiger Ergänzungsfragen stellen
und anschliessend Stellung beziehen. Inwiefern er zur Prüfung der
Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 zusätzlich zur eigenen
Wahrnehmung ihrer Körpersprache während der Einvernahme bedurft hätte, legt er
nicht hinreichend dar. Dies ist auch nicht ersichtlich. Überdies ergeben sich
aus den Akten keine Hinweise darauf, dass er im erstinstanzlichen Verfahren
eine audiovisuelle Übertragung beantragt oder geltend gemacht hätte, durch die
akustische Übertragung seien seine Verteidigungsrechte eingeschränkt. Unter
diesem Aspekt erscheint sein Vorbringen auch als verspätet. Die Vorinstanz
durfte den Antrag des Beschwerdeführers auf direkte, allenfalls indirekte
Konfrontation mittels Videoübertragung abweisen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe mehrmals die Einholung eines
Glaubhaftigkeitsgutachtens beantragt. Dies sei jeweils abgewiesen worden. Er
erblickt darin eine Verletzung von Art. 182 StPO (Beschwerde S. 7-9 N. 10-13).

3.2 Gemäss Art. 182 StPO ziehen Staatsanwaltschaft und Gerichte eine oder
mehrere sachverständige Personen bei, wenn sie nicht über die besonderen
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die zur Feststellung oder Beurteilung
eines Sachverhalts erforderlich sind. Die Prüfung der Glaubhaftigkeit von
Aussagen ist primär Aufgabe des Gerichts. Eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung
durch eine sachverständige Person drängt sich nach der Rechtsprechung nur bei
besonderen Umständen auf. Dies ist etwa der Fall, wenn bruchstückhafte oder
schwer interpretierbare Äusserungen eines Kleinkinds zu beurteilen sind, bei
ernsthaften Anzeichen geistiger Störungen, welche die Aussageehrlichkeit des
Zeugen beeinträchtigen könnten, oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
der Zeuge unter dem Einfluss von Drittpersonen steht (BGE 129 IV 179 E. 2.4 S.
184; 128 I 81 E. 2 S. 86; 118 Ia 28 E. 1c S. 31 f.; je mit Hinweisen). Dem
Gericht steht bei der Beantwortung der Frage, ob aufgrund der konkreten
Umstände des Einzelfalles der Beizug eines Sachverständigen notwendig ist, ein
Ermessensspielraum zu (Urteil 6B_244/2009 vom 21. Juli 2009 E. 3.3 mit
Hinweis). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

3.3 Die Vorinstanz begründet schlüssig, weshalb sie den Antrag auf Beizug einer
sachverständigen Person abweist. Sie erwägt, die in sich stimmigen Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 wiesen nicht auf eine geistige Störung hin, die eine
Begutachtung erfordern würde. Ebenfalls keine Zweifel riefen der Hinweis des
Beschwerdeführers auf die von ihr möglicherweise vor Jahren erlebten sexuellen
Übergriffe oder die von ihm aufgeworfene Frage, ob die diagnostizierte
posttraumatische Belastungsstörung vorbestanden haben könnte, hervor. Selbst
wenn die Beschwerdegegnerin 2 unter früheren sexuellen Übergriffen leiden und
diese nicht verarbeitet haben sollte, müsse dies ihre Wahrnehmungs-,
Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit nicht beeinflussen (Urteil S. 4-6 E. 2.2).
Indem die Vorinstanz gestützt auf diese Einschätzung sinngemäss besondere
Umstände verneint und keinen Experten zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der
Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 beizieht, verletzt sie kein Bundesrecht.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. März 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Pasquini