Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.678/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_678/2012

Urteil vom 30. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Matthias Bregy,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Amt der Region Oberwallis,
Kantonsstrasse 6, 3930 Visp,
2. Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Fritz Anthamatten,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Vergewaltigung; in dubio pro reo,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
des Kantons Wallis, I. Strafrechtliche Abteilung,
vom 20. September 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht I für die Bezirke Brig, Östlich Raron und Goms verurteilte am
29. Juni 2011 X.________ wegen zahlreicher versuchter und vollendeter
Sexualstraftaten zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und verwahrte ihn. In
zahlreichen Anklagepunkten sprach es ihn frei oder stellte das Verfahren wegen
Verjährung sowie in einem Fall mangels Strafantrags ein.

B.
Die I. Strafrechtliche Abteilung des Kantonsgerichts des Kantons Wallis fand am
20. September 2012 X.________ in mehrheitlicher Abweisung seiner Berufung der
mehrfachen versuchten und der mehrfachen vollendeten sexuellen Handlungen mit
Kindern, der mehrfachen versuchten und der mehrfachen vollendeten sexuellen
Nötigung, der mehrfachen versuchten Vergewaltigung, der Vergewaltigung, der
qualifizierten Vergewaltigung, der einfachen Körperverletzung und der Drohung
schuldig. In zahlreichen Anklagepunkten sprach sie ihn frei oder stellte das
Verfahren wegen Verjährung sowie in einem Fall mangels Strafantrags ein. Sie
verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren und 8 Monaten (mit
Anrechnung von Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft) und ordnete eine stationäre
Massnahme gemäss Art. 59 StGB an. Sie verurteilte ihn (u.a.) zur Zahlung einer
Genugtuung von Fr. 50'000.-- und einer Parteientschädigung von Fr. 8'250.-- an
Y.________.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das
kantonsgerichtliche Urteil in den Ziff. 5 (Schuldpunkt), 6 (Strafpunkt), 8
(Genugtuung), 9 (Untersuchungskosten des Kantons Waadt), 10 und 11
(Gerichtskosten erster und zweiter Instanz), 12 (Verteidigerkosten) sowie 13
(Parteientschädigung) aufzuheben und ihn von den Vorwürfen der versuchten und
der vollendeten Vergewaltigung in den Fällen 28 und 31 freizusprechen. Er sei
mit einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren zu bestrafen. Diese sei zugunsten einer
Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 3 StGB aufzuschieben oder mit einer Massnahme zu
verbinden. Genugtuung und Parteientschädigung im Fall 31 seien aufzuheben. Die
Verteilung der kantonalen Gerichtskosten und der Untersuchungskosten des
Kantons Waadt seien zu ändern. Er sei für das erstinstanzliche, das
zweitinstanzliche und das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer wandte sich persönlich in mehreren Eingaben an das
Bundesgericht. Die Eingaben nach Ablauf der Beschwerdefrist sind unbeachtlich.
Neben der vom Verteidiger eingereichten Beschwerdeschrift kommt den übrigen
Eingaben keine eigenständige Bedeutung zu, soweit sie den bundesrechtlichen
Begründungsanforderungen nicht genügen.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer anerkennt im Fall 28, dass er in der Nacht des 16./17.
März 2000 auf dem Zimmer der noch nicht 16-jährigen A.________, B.________ und
C.________ war und dort Trichlorethylen ausleerte, um die Mädchen zu betäuben.
Er bestreitet, dass er mit A.________ den Beischlaf vollzog und diesen mit den
beiden anderen vollziehen wollte. Das habe die Vorinstanz trotz fehlender
Beweise angenommen. Aus Spermaspuren lasse sich nicht auf einen vollzogenen
Geschlechtsverkehr schliessen. Keines der Mädchen behaupte, penetriert worden
zu sein oder dies bei einem anderen Mädchen beobachtet zu haben. Er sei in
dubio pro reo freizusprechen.

2.2 Die Vorinstanz schliesst aus den Spermaspuren vom Bett der B.________ sowie
von Slip und Vagina der A.________, dass der Beschwerdeführer zumindest bei
A.________ den Beischlaf vollzog (Urteil S. 50). Das finde genügend Halt in den
Opferaussagen. Zwar könne A.________ keine Aussagen machen, da sie von ihren
Freundinnen erst habe aufgeweckt werden müssen. Die Aussagen der beiden anderen
belegten zumindest den Versuch einer Penetration. Sie bemerkten beim Aufwachen,
dass der Beschwerdeführer sich und ihnen den Slip ausgezogen hatte und auf
B.________ lag. Das indiziere den Willen zum Geschlechtsverkehr und sei ein
zielgerichtetes Verhalten (Urteil S. 51). Damit sei jenseits jeglichen
vernünftigen Zweifels erwiesen, dass er vaginal in die betäubte A.________
eindrang und so den Beischlaf vollzog. Bei den beiden anderen Mädchen habe er
das gleiche Vorgehen gewählt, sei aber durch ihr Aufwachen unterbrochen worden
(Urteil S. 52).

2.3 Der Beschwerdeführer rügt keine willkürliche Beweiswürdigung gemäss den
Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG (vgl.
BGE 138 I 171 E. 1.4), sondern macht einen mangels Beweismittel unhaltbaren
Schluss auf seine Schuld und damit eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro
reo geltend.

Der Grundsatz ist verletzt, wenn bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses
offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel
an der Schuld fortbestehen (BGE 127 I 38 E. 2a; 120 Ia 31).

In einem Indizienprozess muss das Tatgeschehen aus den Umständen erschlossen
werden. Der Beschwerdeführer ging planmässig vor. Er leerte in der Zimmermitte
das Trichlorethylen aus, verliess das Zimmer kurzfristig und kehrte zurück, um
das Betäubungsmittel erneut auszuschütten. Er wollte sichergehen, dass die
Mädchen betäubt waren. Sie bemerkten die Situation erst, als sie aufwachten.
Aufgrund der Spermabefunde, der übereinstimmenden Aussagen der Mädchen und der
gesamten Tatumstände durfte die Vorinstanz auf einen Geschlechtsverkehr mit
A.________ (vaginale Spermaspuren) und bezüglich der beiden anderen Mädchen auf
die tatsächlichen Umstände eines Vergewaltigungsversuchs schliessen, ohne den
Grundsatz in dubio pro reo zu verletzen.

2.4 Bei diesem Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) ist die Annahme einer
Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB) sowie des mehrfachen Versuchs dazu (Art.
22 Abs. 1 i.V.m. Art. 190 Abs. 1 StGB) nicht zu beanstanden. Soweit der
Beschwerdeführer als Voraussetzung einer (vollendeten) Vergewaltigung die
"naturgemässe Vereinigung der Geschlechtsteile" (BGE 99 IV 151 E. 1) betont,
ist anzumerken, dass ein geringes Eindringen genügt und eine Ejakulation nicht
erforderlich ist (BGE 99 IV 151 E. 1).

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet im Fall 31 seine Täterschaft und verzichtet
ausdrücklich auf eine Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen. Die
Schilderungen von Y.________ (nachfolgend: Opfer) passten nicht zu seinem
Täterprofil. Gutachten bestätigten sein Interesse an Fetischismus und
Voyeurismus, jedoch weder Gewaltneigung noch unbedingtes Verlangen nach
Geschlechtsverkehr. Nach der Gutachterin passe der Anklagevorwurf nicht zum
Tatmuster. Der Umstand, dass die vorgeworfenen Vergewaltigungen zu Beginn und
in der Mitte (des gesamten strafrechtlichen Verhaltens) stattgefunden hätten,
lasse eine Progredienz und damit ihn als möglichen Täter ausscheiden. Es
blieben einzig die Aussagen des Opfers zehn Jahre nach der Tat. Ein möglicher
Inzest sei nicht abgeklärt worden. Die visuelle und auditive Identifizierung
durch das Opfer sei unsicher erfolgt. Die Verletzungen hätten zu
Narbenbildungen führen müssen, die nicht abgeklärt worden seien. Der
Anwesenheit einer Drittperson bei einem Vorfall sei nicht nachgegangen worden.

Die Bestreitung der Täterschaft erweist sich als unbehelflich und erscheint
zudem appellatorisch. Die Vorinstanz beurteilt die Aussagen des Opfers zum
Tatgeschehen als glaubhaft. Für die von einem ehemaligen Lehrer geäusserte
"vage Vermutung" eines Inzests findet sie keine Hinweise (Urteil S. 54 f.). Die
Vorinstanz prüft eingehend die Frage der Täterschaft (Urteil S. 56 ff.).
Insgesamt ging es um Vorfälle aus den Jahren 1993, 1998 und 2007, wobei die
ersten zwei verjährt sind (Urteil S. 54). In allen drei Fällen erkannte das
Opfer den Beschwerdeführer als Täter. Es legte die Gründe seiner Unsicherheit
in der visuellen und auditiven Konfrontation offen. Dass sie nicht 100 Prozent
sicher war, lässt sich mit der äusserlichen Veränderung im Zuge des
Alterungsprozesses des Beschwerdeführers erklären (Urteil S. 58). Anhaltspunkte
für falsche Anschuldigungen sind nicht zu finden (Urteil S. 59). Die
gutachterlichen Äusserungen, nach welchen das brutale Tatvorgehen in diesem
Anklagepunkt dem Täterprofil "eigentlich" nicht entspricht, können die Aussagen
des Opfers nicht entkräften (Urteil S. 63). Die Vorinstanz konnte willkürfrei
auf die Täterschaft des Beschwerdeführers schliessen.

Unbestritten ist die Tat als qualifizierte Vergewaltigung im Sinne von Art. 190
Abs. 3 StGB einzustufen.

4.
Die übrigen Anträge stellt der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den
beantragten Freisprüchen und begründet sie nicht weiter (Beschwerde S. 13).
Darauf ist nicht einzutreten.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der
Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Seinen finanziellen Verhältnissen ist
praxisgemäss mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs.
2 und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Wallis, I.
Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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