Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.649/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_649/2012

Urteil vom 25. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Dr. Christian von Wartburg,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach,
4001 Basel,
2. A.Y.________,
3. B.Y.________,
4. C.Y.________,
5. D.Y.________,
6. E.Y.________,
alle vertreten durch Advokat Christoph Dumartheray,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unterlassung von Nothilfe; Sachverhaltsirrtum; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 13. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte X.________ am 16. Dezember 2009 wegen
fahrlässiger Tötung von F.Y.________ und mehrfacher einfacher Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von
150 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Vom Vorwurf der Unterlassung der Nothilfe sprach
es sie frei. X.________ wurde zusammen mit dem anderweitig verurteilten
G.________ zu Genugtuungszahlungen von insgesamt Fr. 14'000.-- an die
Hinterbliebenen des Verstorbenen verpflichtet. Die gegen sie geltend gemachten
Schadenersatzforderungen wurden unter Festlegung einer Haftungsquote von 20 %
dem Grundsatz nach gutgeheissen.

B.
X.________ erhob Berufung gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und
die zugesprochenen Zivilforderungen. Das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt verurteilte sie am 13. Juni 2012 wegen Unterlassung der Nothilfe
und der nicht angefochtenen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Vom Vorwurf der
fahrlässigen Tötung sprach es sie frei. Im Übrigen bestätigte es das
erstinstanzliche Urteil.
In tatsächlicher Hinsicht hält die Vorinstanz folgenden Sachverhalt für
erwiesen: X.________ hielt sich zusammen mit G.________ sowie F.Y.________ in
ihrer damaligen Wohnung in Basel auf. Alle drei konsumierten dort über mehrere
Tage bis in den Morgen des 15. März 2004 verschiedene Betäubungsmittel.
F.Y.________ nahm mit Wissen von X.________ und G.________ unter anderem eine
sehr hohe Dosis Amphetamin, mehrere Tabletten MDMA sowie LSD, GHB, Ketamin und
Cannabis zu sich. Nachdem er am Montagmorgen um zirka 10.30 Uhr drei weitere
MDMA-Pillen eingenommen hatte, begann F.Y.________ grosse Unruhe zu zeigen und
stürzte. X.________ und G.________ legten den wild um sich schlagenden und laut
schreienden F.Y.________ auf eine Matratze am Boden und fesselten seine Hände
und Füsse mit verschiedenen Materialien wie Halstuch, Fahrradspanngurt und
Klebeband. Da sich F.Y.________ nicht beruhigen liess, wickelten sie ihn in ein
Duvet ein, schlangen eine Schnur darum und legten eine Futonmatratze auf ihn.
Nachdem sich die Symptome nach zwei Stunden nicht gebessert hatten,
verabreichten sie ihm das rezeptpflichtige Antiepileptikum Tegretol. X.________
und G.________ stellten fest, dass F.Y.________ sich beruhigte, jedoch im
Gesicht blau anlief und nicht mehr atmete. Daraufhin verständigte X.________
telefonisch die Sanität und G.________ begann mit Reanimationsmassnahmen. Die
eintreffende Sanität fand F.Y.________ mit einem Kreislaufstillstand und ohne
nachweisbare Atemfunktion vor. Nach vergeblichen Reanimationsmassnahmen wurde
45 Minuten später dessen Tod festgestellt. F.Y.________ verstarb an einem
Herz-Kreislauf-Versagen bei massiver Überwärmung des Körpers infolge einer
kombinierten Überdosierung von Amphetamin und MDMA.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des
Appellationsgerichts sei aufzuheben, und sie sei vom Vorwurf der Unterlassung
der Nothilfe freizusprechen. Die Zivilforderungen seien abzuweisen. X.________
ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz erwägt, dass die von der Beschwerdeführerin und G.________
angesichts des Zustands von F.Y.________ getroffenen Massnahmen auch bei
weitester Auslegung nicht als "Hilfe" im Sinne von Art. 128 StGB qualifiziert
werden könnten. Die Vorkehrungen hätten lediglich dazu gedient, F.Y.________
ruhig zu stellen. Dass Überdosierungen mit verschiedenen Betäubungsmitteln,
auch solche mit Amphetamin und MDMA, fatale Gesundheitsfolgen nach sich ziehen
und unter Umständen sogar tödlich ausgehen können, bedürfe aus medizinischer
Sicht keiner besonderen Fachkenntnisse, sondern gehöre zum Allgemeinwissen.
Dies gelte umso mehr, wenn bei einem (befreundeten) Konsumenten
aussergewöhnliche, zuvor noch nie beobachtete Symptome aufträten. Es handle
sich um eine Schutzbehauptung, dass die Beschwerdeführerin nicht erkannt habe,
F.Y.________ befinde sich in Lebensgefahr. Denn sie und G.________ hätten um
die Art und die hohe Dosierung der von F.Y.________ konsumierten Drogen
gewusst.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, den Sachverhalt in
willkürlicher Weise festgestellt und gleichzeitig Art. 13 StGB verletzt zu
haben. G.________ und sie hätten nicht realisiert, dass F.Y.________ sich in
akuter Lebensgefahr befunden habe, sondern irrtümlich angenommen, dessen
Probleme seien lediglich psychischer Natur.

2.2 Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung innere Tatsachen und ist Tatfrage.
Rechtsfrage ist hingegen, ob im Lichte der festgestellten Tatsachen der Schluss
auf Eventualvorsatz begründet ist (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 17; 130 IV 58 E. 8.5
S. 62; je mit Hinweisen). Die Feststellungen der Vorinstanz zum Sachverhalt
prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 97 Abs. 1
BGG). Die Verletzung des Willkürverbots ist ausdrücklich in der Beschwerde
vorzubringen und zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Beschwerde führende
Partei muss sich mit den Entscheidgründen der Vorinstanz auseinandersetzen und
präzise angeben, worin sie die Rechtsverletzung erblickt bzw. inwiefern der
Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet. Auf rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 134 V 53 E. 3.3 S. 60; 134 II E. 2.1 und 2.2 S. 245 f.; je mit
Hinweisen).
2.3
2.3.1 Was die Beschwerdeführerin gegen die Annahme eventualvorsätzlichen
Handelns vorbringt, ist nicht stichhaltig. Sie räumt selbst ein, gewusst zu
haben, dass F.Y.________ bereits eine Überdosis verschiedener Drogen konsumiert
hatte, als er drei weitere Pillen MDMA einnahm, woraufhin sich bei ihm
alarmierende Symptome psychischer und körperlicher Art wie Stürze,
(vorübergehender) Verlust der Körperbeherrschung, Verkrampfungen und Ähnliches
zeigten. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, gewusst zu haben, dass eine
Überdosis Betäubungsmittel - insbesondere bei Mischkonsum und hohen Dosen -
fatale, sogar tödliche Folgen nach sich ziehen kann. Inwieweit bei dieser
Sachlage die vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin habe um die
akute Lebensgefahr von F.Y.________ gewusst, willkürlich sein soll, ist weder
ersichtlich noch dargelegt. Die Beschwerdeführerin nimmt mit ihren Einwendungen
in tatsächlicher Hinsicht lediglich eine eigene Beweiswürdigung vor, ohne sich
detailliert mit den vorinstanzlichen Erwägungen zum inneren Sachverhalt
auseinanderzusetzen. Sie legt anhand des angefochtenen Urteils nicht dar,
inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten, offensichtlichen Mangel leidet
und unhaltbar ist (Beschwerde, S. 19 f.). Ein solches Vorgehen ist nicht
geeignet, Willkür darzutun. Die Sachverhaltsrügen sind unbegründet, soweit sie
überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2
BGG genügen.
2.3.2 Mit Blick auf den willkürfrei festgestellten Sachverhalt ist nicht zu
beanstanden, dass die Vorinstanz keine Anhaltspunkte für den behaupteten
Sachverhaltsirrtum im Sinne von Art. 13 StGB sah und diesen nicht näher
thematisierte. Da die Beschwerdeführerin wusste, dass F.Y.________ eine
möglicherweise tödliche Überdosis verschiedener Drogen zu sich genommen hatte,
handelte sie nicht in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, sondern
setzte sich über die hiermit verbundenen tödlichen Risiken hinweg. Der Umstand,
dass sie den Notarzt erst rief, als F.Y.________ bereits blau im Gesicht
anlief, belegt entgegen ihren Ausführungen nicht, dass sie die Lebensgefahr
nicht erkannt hatte. Es zeigt vielmehr, dass sie erst bereit war, die
gesetzlich vorgeschriebenen und erforderlichen Hilfeleistungen zu ergreifen,
als die bestehende Lebensgefahr in den Todeserfolg umschlug.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 128 StGB. Die
Vorinstanz habe die von ihr (und G.________) ergriffenen Massnahmen zu Unrecht
nicht als Hilfeleistung, sondern als "Ruhigstellen" gewürdigt. Auch wenn sich
die Vorkehrungen rückblickend als falsch herausgestellt hätten, ändere dies
nichts daran, dass sie das ihr Erkennbare und Mögliche unternommen habe.

3.2 Gemäss Art. 128 StGB macht sich namentlich strafbar, wer einem Menschen,
der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm nach den
Umständen zugemutet werden könnte. Für den objektiven Tatbestand genügt es,
dass der Täter der bedürftigen Person nicht hilft. Ob die Hilfe erfolgreich
gewesen wäre, ist belanglos (BGE 121 IV 18 E. 2a S. 20 mit Hinweisen zur
Unterlassung der Nothilfe bei Lebensgefahr; Urteil 6B_267/2008 vom 9. Juli 2008
E. 4.3 mit Hinweisen). Die Hilfeleistungspflicht entfällt, wenn offensichtlich
kein Bedürfnis dafür besteht. Hilfe muss mithin als geboten oder doch zumindest
als sinnvoll erscheinen (Urteil 6B_162/2011 vom 8. August 2011 E. 6.2 mit
Hinweisen). Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dies schliesst
insbesondere die Kenntnis der eigenen Verpflichtung und das Wissen um die
unmittelbare Lebensgefahr ein.

3.3 Dass die Vorinstanz in den von der Beschwerdeführerin (und G.________)
getroffenen Massnahmen, F.Y.________ auf eine Matratze zu legen, in ein Duvet
einzuwickeln und mit Schnur, Halstuch, Fahrradspanngurt und Klebeband an Händen
und Füssen zu fixieren, keine Hilfe im Sinne von Art. 128 StGB erblickt, ist
nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin räumt selbst ein, dass die
getroffenen Vorkehrungen sich rückblickend als falsch herausgestellt haben und
somit objektiv nicht geeignet waren, die erforderliche medizinische Versorgung
für F.Y.________ sicherzustellen. Ob der Verstorbene durch die Vorkehrungen vor
möglichen (weiteren) Sturzverletzungen geschützt werden sollte, ist ohne
Bedeutung, denn sie dienten nicht zur Abwendung der akuten Lebensgefahr infolge
der Überdosierung. Ebenso wenig ist der Schluss der Vorinstanz auf
Eventualvorsatz bundesrechtswidrig. Sie durfte vom willkürfrei festgestellten
Wissen um die Einnahme einer möglicherweise tödlichen Überdosis verschiedener
Drogen auf die Inkaufnahme der konkreten Lebensgefahr schliessen. Dass es
geboten und ihr zumutbar war, einen Arzt zu rufen, bestreitet die
Beschwerdeführerin nicht. Die Verurteilung wegen Unterlassung der Nothilfe
verletzt kein Bundesrecht.

4.
Auf das Entschädigungsbegehren und den Antrag auf Abweisung der
Zivilforderungen ist nicht einzutreten, da die Beschwerdeführerin diese
(konkludent) ausschliesslich mit den beantragten Freisprüchen begründet.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die
Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrer finanziellen Lage
ist bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'600.-- werden der Beschwerdeführerin
auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held