Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.632/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}

6B_632/2012
                   
6B_653/2012

6B_654/2012

Urteil vom 30. Mai 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Keller.

Verfahrensbeteiligte
1.  X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. David Gibor,
Beschwerdeführer 1,

2.  Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel, Privatkläger,
Beschwerdeführer 2,

3.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdeführerin 3.

Gegenstand
Versuchte vorsätzliche Tötung in Notwehrexzess, Vergehen gegen das
Waffengesetz, willkürliche Beweiswürdigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 14. September 2012.

Sachverhalt:

A.

 Das Bezirksgericht Dielsdorf sprach X.________ am 24. November 2011 von den
Vorwürfen der versuchten vorsätzlichen Tötung zum Nachteil von Y.________ und
der Widerhandlung gegen das Waffengesetz frei.
Auf Berufung sämtlicher Parteien bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich
am 14. September 2012 den Freispruch vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen
Tötung in Anwendung von Art. 16 Abs. 2 StGB und verurteilte X.________ wegen
Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu Fr. 50.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren.

B.

 Nach den Sachverhaltsfeststellungen des Obergerichts wurde X.________ seit
Monaten von Y.________ bedroht. Hintergrund bildete der Vorwurf, dass
X.________ mit der Schwägerin von Y.________ ein Verhältnis hatte. Die Vorwürfe
wegen dieses - freilich nicht erstellbaren - Verhältnisses arteten in einen
Streit aus, der zu Übergriffen und (Todes-) Drohungen zwischen den Familien von
Y.________ und X.________ führte. Laut X.________ seien er und seine Ehefrau am
4. Januar 2010 von Y.________, dessen Bruder und dem Schwager geschlagen
worden. Der Bruder habe Anfang Februar 2010 zum Beispiel auch versucht, ihn auf
einem Parkplatz mit dem Auto zu überfahren. Gemäss Obergericht ist erstellt,
dass Y.________ am 12. April 2010 X.________ überraschend an dessen
Arbeitsplatz aufsuchte, mit einem Radschlüssel bedrohte und ihm einen Fusstritt
gegen die rechte Hüfte verpasste. Dabei fiel X.________ seine Waffe zu Boden.
Als er sich bückte oder wieder aufrichtete, gab er einen Schuss Richtung
Oberkörper/Kopfbereich von Y.________ ab.

C.

 X.________ (Verfahren 6B_653/2012), Y.________ (Verfahren 6B_654/2012) und die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Verfahren 6B_632/2012) erheben
Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben. X.________ begehrt, er sei vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das
Waffengesetz freizusprechen. Eventualiter sei die Sache im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Y.________ verlangt, X.________ sei wegen
versuchter vorsätzlicher Tötung und Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu
verurteilen. Eventualiter sei dieser wegen versuchter vorsätzlicher Tötung in
Notwehrexzess schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. Letzteren
Antrag stellt auch die Oberstaatsanwaltschaft. Y.________ ersucht zudem um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D.

 X.________ (Beschwerdeführer 1) beantragt, die Beschwerden der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerdeführerin 3) und von
Y.________ (Privatklägerschaft; Beschwerdeführer 2) seien abzuweisen. Der
Beschwerdeführer 2 beantragt die Abweisung der Beschwerde des Beschwerdeführers
1. Die Beschwerdeführerin 3 verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

 Die drei Beschwerden richten sich gegen denselben Entscheid und betreffen
ähnliche Rechtsfragen. Es rechtfertigt sich, sie gemeinsam zu behandeln und die
Verfahren zu vereinigen.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer 2 rügt eine willkürliche Beweiswürdigung der
Vorinstanz. Sie habe nicht auf seine Aussagen, sondern auf diejenigen des
Beschuldigten abgestellt und dadurch den Sachverhalt offensichtlich unrichtig
festgehalten. Sie habe die Aussagen inhaltlich falsch gewürdigt. Er habe das
Kerngeschehen stets identisch geschildert. Die vorinstanzlichen Einwände gegen
seine Aussagen beträfen nur Nebenpunkte. Diese Ungenauigkeiten erklärten sich
mit seinen psychischen Problemen, mit denen er seit dem Unfall kämpfe. Er habe
den Beschwerdeführer 1 unbewaffnet an dessen Arbeitsplatz aufgesucht und ihn
zur Rede stellen wollen. Dieser habe auf seinen Kopf gezielt und geschossen.
Der von ihm angeblich mitgeführte Radschlüssel sei nie gefunden worden. Auch
der Zeuge Basha Nazim habe kein Werkzeug bei ihm gesehen. Zudem stütze das
Schusswaffengutachten seine Sachverhaltsschilderung. Die Aussagen des
Beschwerdeführers 1 wiesen hingegen Lügensignale auf. Im Kerngeschehen seien
sie lebensfremd und voller Widersprüche. Er habe immer wieder neue Versionen
der Schussabgabe vorgebracht, die allesamt dem Schusswaffengutachten
widersprächen. Deshalb sei auch seine Behauptung nicht glaubhaft, dass er (der
Beschwerdeführer 2) eine Eisenstange mit sich geführt habe (Beschwerde, S.
4-9).

2.2. Die Vorinstanz erachtet die Aussagen des Beschwerdeführers 1 zum Fusstritt
und Radschlüssel als glaubwürdig. Es seien keine Übertreibungen ersichtlich.
Vielmehr habe er zurückhaltend und differenziert ausgesagt. Es wäre leicht
gewesen, ein naheliegenderes Angriffsmittel, wie etwa ein Messer, zu
bezeichnen. Er habe zudem nicht zutreffende Aussagen des Beschwerdeführers 2
auch zu seinem Nachteil umgehend korrigiert (Urteil, S. 10 f.). Die indirekten
Zeugenaussagen zum Tatgeschehen bestätigten, dass der Beschwerdeführer 2 einen
Radschlüssel mit sich geführt habe (Urteil, S. 13 ff.).
Die Aussagen des Beschwerdeführers 2 seien demgegenüber unglaubhaft. Wohl habe
er konstant bestritten, einen Radschlüssel oder ein ähnliches Instrument
mitgenommen und damit den Beschwerdeführer 1 bedroht oder ihn getreten zu
haben. Seine Schilderungen des Tathergangs seien aber widersprüchlich und
wiesen mehr als die bei schnellen Geschehensabläufen zu erwartenden
Ungenauigkeiten auf. Er habe etwa während der Hauptverhandlung zunächst
ausgesagt, der Beschwerdeführer 1 habe unvermittelt auf ihn geschossen, um nur
wenig später zu erklären, dieser habe ihn zuvor beschimpft. Kurz darauf sei er
wieder zu seiner ursprünglichen Aussage zurückgekehrt (Urteil, S. 11 ff.).

2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig
im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür
BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je mit Hinweisen). Eine entsprechende
Rüge muss klar und substantiiert begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Auf
eine rein appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 IV
1 E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen).

2.4. Ob die vorinstanzliche Beweiswürdigung in der Sache zutreffend ist, kann
das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Blickwinkel der Willkür im Sinne
von Art. 9 BV überprüfen. Es ist aus dieser Sicht nicht zu beanstanden, wenn
die Vorinstanz auf die Aussagen des Beschwerdeführers 1 zum Tathergang
abstellt. Insoweit der Beschwerdeführer 2 die Sachverhaltsfeststellungen in
Frage stellt, vermag er keine Willkür an den vorinstanzlichen Erwägungen
darzutun. Auf seine appellatorische Darstellung, wie sich aus seiner Sicht die
Tat abgespielt hat, ist nicht einzutreten.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer 2 kritisiert, der Beschwerdeführer 1 habe sich gemäss
Anklage und entgegen der Vorinstanz nicht in einer Notwehrsituation befunden.
Er habe bewusst und gewollt auf ihn geschossen. Er stellt auch in Abrede, dass
der Beschwerdeführer 1 in einem entschuldbaren Affekt gehandelt hat. Diesem sei
vielmehr eine rechtswidrige Überschreitung der Notwehr vorzuwerfen (Beschwerde,
S. 9 f.).

3.2. Die Beschwerdeführerin 3 rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht von einer
entschuldbaren Affekthandlung des Beschwerdeführers 1 ausgegangen. Dieser habe
aus kürzester Distanz auf den Beschwerdeführer 2 geschossen. Um einen
entschuldbaren Affekt zu begründen, hätte er wegen der sehr grossen
Gefährlichkeit seiner Abwehr ganz erheblich erregt sein müssen. Dies sei nicht
der Fall gewesen. Der Beschwerdeführer 2 habe ihn lediglich leicht getreten und
den Radschlüssel nur als Drohmittel eingesetzt. Der Beschwerdeführer 1 habe
Zeit gehabt, sich wegen der zu Boden gefallenen Tatwaffe zu bücken, diese
aufzuheben und danach den Schuss abzugeben. Der schwelende Konflikt zwischen
den Familien der Beschwerdeführer 1 und 2 rechtfertige auch keinen gezielten
Schuss aus kurzer Distanz Richtung Oberkörper- und Kopfbereich. Der
Beschwerdeführer 1 habe die Waffe zum Schutz vor befürchteten Übergriffen des
Beschwerdeführers 2 bereits vor der Tat getragen. Habe er aber mit Angriffen
gerechnet, liege keine (entschuldbare) Affekthandlung vor (Beschwerde, S. 5
f.).

3.3. Die Vorinstanz bejaht eine Notwehrsituation. Sie geht aber von einem
Notwehrexzess aus, da der Beschwerdeführer 1 den Angriff in nicht angemessener
Weise abgewehrt und dadurch die Grenzen der erlaubten Notwehr überschritten
habe. Es wäre ihm zumutbar gewesen, einen Warnschuss oder einen Schuss in
Richtung Beine des Beschwerdeführers 2 abzugeben (Urteil, S. 21-23).
Die Vorinstanz erwägt, der Notwehrexzess sei entschuldbar, wenn die Entstehung
des Affekts aus Sicht eines objektiv wertenden Betrachters als menschlich
begreiflich bzw. verständlich und die Schuld des Täters als vermindert
erscheine. Der Beschwerdeführer 1 habe sich seit mehreren Monaten wegen
tätlicher Angriffe und mehrerer Drohungen, unter anderem auch mit dem Tode, vor
dem Beschwerdeführer 2 gefürchtet. Er habe seine Wohnung praktisch nur noch für
die Arbeit verlassen, habe keine Kaffeepausen mehr gemacht und habe an
Angstzuständen (unter anderem mit Herzstörungen und Schwindel) gelitten. Der
Beschwerdeführer 1 sei am Arbeitsplatz vom Beschwerdeführer 2 in einem
Treppenhaus überrascht worden und habe nicht fliehen können. Da sie sich dort
allein aufgehalten hätten, sei er ihm schutzlos ausgeliefert gewesen. Die
bereits vorbestehende Angst habe sich dadurch drastisch verstärkt. Seine
Handlung sei entsprechend als verzweifelter Befreiungsversuch oder
Panikreaktion zu werten. Obwohl sich mehrere Patronen im Magazin befunden
hätten, habe er nur einmal geschossen. Er habe das in seiner Wahrnehmung
mildeste Mittel gewählt. Da er selbst mit schweren Verletzungen habe rechnen
müssen, erscheine der Notwehrexzess insgesamt als nachvollziehbar und
verständlich (Urteil, S. 23-28).

3.4. Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff
bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in
einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB,
rechtfertigende Notwehr). Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr
nach Artikel 15, so mildert das Gericht die Strafe. Überschreitet der
Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung
über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft (Art. 16 StGB, entschuldbare
Notwehr).

3.5. Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der
Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Eine Rolle spielen vor
allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten
Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung. Die
Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der
sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen
nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der
Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden
Massnahmen hätte begnügen können und sollen (BGE 136 IV 49 E. 3.2 mit
Hinweisen). Besondere Zurückhaltung ist bei der Verwendung von gefährlichen
Werkzeugen zur Abwehr (Messer, Schusswaffen etc.) geboten, da deren Einsatz
stets die Gefahr schwerer oder gar tödlicher Verletzungen mit sich bringt (BGE
136 IV 49 E. 3.3).

3.6. Gestützt auf ihre Sachverhaltsfeststellungen schliesst die Vorinstanz zu
Recht auf eine Notwehrsituation. Sie erwähnt, der Beschwerdeführer 1 wäre zu
besonderer Zurückhaltung verpflichtet gewesen und hätte den Gebrauch der Waffe
ankünden müssen. Ebenso wäre ihm ein Warnschuss oder ein Schuss Richtung Beine
des Beschwerdeführers 2 möglich gewesen (Urteil, S. 22). Der Beschwerdeführer 1
wehrte damit den Angriff in nicht angemessener Weise ab, weshalb er die Grenzen
der erlaubten Notwehr überschritt. Die Vorinstanz hat die Handlung des
Beschwerdeführers 1 zutreffend als Notwehrexzess eingestuft.

3.7. Ein Notwehrexzess ist gemäss Art. 16 Abs. 2 StGB entschuldbar, wenn die
Aufregung oder die Bestürzung des Täters allein oder zumindest vorwiegend auf
den rechtswidrigen Angriff zurückzuführen ist. Überdies müssen Art und Umstände
des Angriffs derart sein, dass sie die Aufregung oder die Bestürzung
entschuldbar erscheinen lassen. Nicht jede geringfügige Erregung oder
Bestürzung ist straflos (Urteil 6B_810/2011 vom 30. August 2012 E. 5.3.2 mit
Hinweisen). Der Richter hat einen umso strengeren Massstab anzulegen, je mehr
die Reaktion des Täters den Angreifer verletzt oder gefährdet. Erforderlich
ist, dass es dem Täter aufgrund der Aufregung oder Bestürzung über den Angriff
nicht möglich war, besonnen und verantwortlich zu reagieren (vgl. Urteil 6S.734
/1999 vom 10. April 2001 E. 4 zum Einsatz von Schusswaffen). Insoweit besteht
trotz der absoluten Formulierung ein gewisses Ermessen (BGE 102 IV 1 E. 3b).

3.8. In welchem Zustand sich die angegriffene Person befand, ist eine Tatfrage.
Rechtsfrage ist hingegen, ob dieser Zustand eine entschuldbare Aufregung oder
Bestürzung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 StGB begründet (Urteil 6S.38/2007 vom
14. März 2007 E. 2). Die Vorinstanz beschreibt den Zustand des
Beschwerdeführers 1 ausführlich und nimmt eine Gesamtwürdigung der wesentlichen
Umstände vor. Sie begründet eingehend, weshalb er sich bereits mehrere Monate
vor der Tat vor dem Beschwerdeführer 2 gefürchtet hat und seine Erregung umso
grösser war, als dieser ihn im verlassenen Treppenhaus überraschte, er dort
wegen der örtlichen Gegebenheiten nicht fliehen konnte und dem Angreifer
schutzlos ausgeliefert war.
Sie schliesst daraus allerdings zu Unrecht, dass der Notwehrexzess im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 StGB entschuldbar war. Wer sich bereits seit Monaten wegen
tätlicher Angriffe und mehrerer Drohungen, unter anderem auch mit dem Tode, vor
dem Beschwerdeführer 2 gefürchtet (Angstzustände, Herzstörungen, Schwindel) und
entsprechende Schutzvorkehren (das Haus nur zur Arbeit verlassen) getroffen
hat, kann sich nicht erfolgreich auf entschuldbaren Notwehrexzess berufen.
Seine Aufregung bzw. Bestürzung über die Begegnung im Treppenhaus mit dem
Beschwerdeführer 2 war nicht allein oder zumindest nicht vorwiegend auf den
rechtswidrigen Angriff zurückzuführen, sondern auf die bedrohliche Situation
der vergangenen Monate. Ein entschuldbarer Notwehrexzess liegt nicht vor.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer 1 rügt, die Vorinstanz habe die Bestimmungen des
Waffengesetzes verletzt. Sie verkenne die Bedrohungslage in der vorliegenden
Situation und den Sinn der verletzten Strafnorm, wenn sie feststelle, es hätten
genügend legale Verteidigungsmittel zur Verfügung gestanden. Er habe sich im
Wissen um seine Lebensgefahr entschlossen, eine Waffe zu tragen. Die mehrfach
kontaktierte Polizei habe ihn und seine Familie nicht vor den Übergriffen
schützen können oder wollen. Er habe daher nur die Möglichkeit einer Waffe zur
Abschreckung gesehen. Ein Pfefferspray, Alarmsirenen oder ein nicht unter das
Waffengesetz fallendes Messer hätten nichts bewirken können, wenn der
Beschwerdeführer 2 mit einem oder mehreren Kollegen bei ihm aufgetaucht wäre.
Er habe niemanden provoziert, sondern die Pistole rein defensiv getragen, um
das Schlimmste abzuwehren. Es sei im Übrigen widersprüchlich, wenn die
Vorinstanz eine Notwehrsituation bejaht und den Gebrauch der Waffe zulässt, ihn
jedoch dafür bestrafe, dass er diese auf sich getragen habe (Beschwerde, S. 5
ff.).

4.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer 1 sei geständig, die Pistole
ohne Berechtigung mitgeführt und damit gegen das Waffengesetz verstossen zu
haben. Sie verneint eine Notstandssituation, da die Subsidiarität nicht gegeben
sei. Trotz der unmittelbaren Gefahr wäre es dem Beschwerdeführer 1 unbenommen
gewesen, zu seinem Schutz ein legales Verteidigungsinstrument bei sich zu
tragen (Urteil, S. 28 f.).

4.3. Wer vorsätzlich ohne Berechtigung Waffen trägt, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 33 Abs. 1 lit. a des
Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (WG;
SR 514.54).
Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut
einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr
zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt
(Art. 17 StGB).

4.4. Die Vorinstanz erwähnt zutreffend, dass dem Beschwerdeführer 1 andere -
legale - Verteidigungsmittel zur Verfügung gestanden wären, und die vom
Beschwerdeführer 2 ausgehende Gefahr anders als mit einer Pistole abwendbar
gewesen wäre. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein Pfefferspray oder eine
Alarmsirene nicht auch geeignet gewesen wären. Die Tatsache, dass der
Beschwerdeführer 1 sich seit längerem bedroht fühlte, kann nicht dazu führen,
dass er ein nicht notwendiges Verteidigungsmittel mitführen durfte. Vielmehr
ist - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - gesondert zu prüfen, ob die
Gefahr im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nicht anders abgewehrt werden kann.
Nach den zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen wäre dies vorliegend möglich
gewesen. Die Verurteilung des Beschwerdeführers 1 wegen Widerhandlung gegen das
Waffengesetz verletzt kein Bundesrecht.

5.

5.1. Die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 ist abzuweisen. Die Beschwerde des
Beschwerdeführers 2 ist teilweise gutzuheissen. Im Übrigen ist sie abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 3
ist gutzuheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14.
September 2012 ist aufzuheben und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

5.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden der Beschwerdeführer 1 ganz und
der Beschwerdeführer 2 teilweise kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Soweit
der Beschwerdeführer 2 obsiegt, wird sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gegenstandslos. Im Übrigen ist sein Gesuch abzuweisen, da die Beschwerde
aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Seiner finanziellen Lage ist mit
herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

5.3. Der Beschwerdeführer 1 hat dem Beschwerdeführer 2 eine reduzierte
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführerin 3
wird keine Entschädigung zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 6B_653/2012, 6B_654/2012 und 6B_632/2012 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 wird abgewiesen. Die Beschwerde des
Beschwerdeführers 2 wird teilweise gutgeheissen. Im Übrigen wird sie
abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerde der
Beschwerdeführerin 3 wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 14. September 2012 wird aufgehoben und zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Das Gesuch des Beschwerdeführers 2 um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.

4.
Dem Beschwerdeführer 1 werden Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- auferlegt. Dem
Beschwerdeführer 2 werden Gerichtskosten von Fr. 400.-- auferlegt.

5.
Der Beschwerdeführer 1 hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers 2,
Rechtsanwalt Jürg Federspiel, Zürich, eine Entschädigung von Fr. 750.--
auszurichten.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Mai 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Keller

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben