Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.625/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_625/2012

Urteil vom 27. Juni 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Robert Frauchiger,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Stationäre therapeutische Massnahme (Art. 59 StGB).

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, vom 16. August 2012.

Sachverhalt:

A.

 Das Bezirksgericht Rheinfelden sprach X.________ am 27. Oktober 2011 unter
anderem des Raubs, des mehrfach versuchten Raubs, des geringfügigen Diebstahls,
der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und der Widerhandlung gegen
das Waffengesetz schuldig. Es bestrafte ihn unter Berücksichtigung einer im
mittleren Grad eingeschränkten Schuldfähigkeit mit einer Freiheitsstrafe von
zwei Jahren und sechs Monaten sowie mit einer Busse von Fr. 500.--.
Gleichzeitig widerrief es den bedingten Vollzug für eine Freiheitsstrafe von
180 Tagen. Das Bezirksgericht ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme
in einer geschlossenen Einrichtung an. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es
zu Gunsten der Massnahme auf.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Berufung von X.________ am 16.
August 2012 ab. Es bestätigte das bezirksgerichtliche Urteil vollumfänglich.
Überdies beschloss es, dass X.________ zur Sicherung des Massnahmevollzugs in
die Interkantonale Strafanstalt Bostadel zurückgeht.

B.

 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, es sei das
obergerichtliche Urteil vom 16. August 2012 aufzuheben und eine
vollzugsbegleitende ambulante Massnahme anzuordnen. Die Verfahrenskosten seien
dem Staat aufzuerlegen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Erwägungen:

1.

 Schuldspruch und Strafmass sind unbestritten. Der Beschwerdeführer ficht die
Anordnung der stationären therapeutischen Massnahme an. Es stehe namentlich
keine im Sinne von Art. 56 und Art. 59 StGB geeignete Vollzugseinrichtung zur
Verfügung. Er sei seit mehr als 28 Monaten inhaftiert. Zurzeit befinde er sich
in der Strafanstalt Bostadel. Ein Massnahmevollzug im Sinne des Gesetzes finde
nicht statt. Die einmal wöchentlich durchgeführte Therapiesitzung von jeweils
60 Minuten entspreche einer vollzugsbegleitenden ambulanten Massnahme. Seine
Unterbringung in einer Strafanstalt mangels Verfügbarkeit einer geeigneten
Einrichtung sei nicht gesetzeskonform und mit dem Massnahmeziel einer
stationären therapeutischen Behandlung nicht vereinbar. Wann er in eine
geeignete Einrichtung eingewiesen werden könne, sei nicht absehbar. Die
Massnahmeanordnung erweise sich deshalb als rechtsfehlerhaft (Beschwerde, S. 7
ff.). Im Hinblick auf die verlangte Anordnung einer vollzugsbegleitenden
ambulanten Behandlung sei überdies festzustellen, dass die von ihm angeblich
ausgehende Gefahr drastisch übertrieben werde. Bis zu seinem 55. Lebensjahr
habe er sich nicht strafbar gemacht. Im Mai 2008 habe er bei einem
Fahrradunfall Kopfverletzungen erlitten, die zum Verlust seiner
Existenzgrundlage als Chirurg geführt hätten. Seine erste Straftat habe er im
Februar 2010 und somit erst zwei Jahre nach dem Unfall begangen. Damit habe er
gezeigt, dass er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen rechtskonform
leben könne. Das Motiv für die Straftaten seien fehlende Geldmittel gewesen und
weniger die gesundheitlichen Schwierigkeiten (Beschwerde, 10 f.). Die
Vorinstanz verletze mit ihrem Entscheid Art. 56 Abs. 2 und 5, Art. 56a Abs. 1,
Art. 59 Abs. 2 und 3, Art. 76 Abs. 2 StGB sowie Art. 10 und Art. 36 Abs. 3 BV.

2.

 Eine stationäre Massnahme bewirkt regelmässig einen erheblichen
Freiheitsverlust für den Betroffenen. Die Grundrechte sind dadurch unmittelbar
tangiert. Staatliche Eingriffe in die Freiheitsrechte setzen ein öffentliches
Interesse voraus und müssen verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV). Das
Gebot der Verhältnismässigkeit ist im StGB konkretisiert worden. Die Anordnung
einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die
Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und
Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist (Art. 56 Abs. 2 StGB).
Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der
Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, wenn ein
Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies
erfordert und wenn die Voraussetzungen von Art. 59 bis 61, 63 oder 64 StGB
erfüllt sind (Art. 56 Abs. 1 StGB). Das Gericht ordnet eine Massnahme in der
Regel nur an, wenn eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht (Art. 56 Abs.
5 StGB).
Nach Art. 59 Abs. 1 StGB ist für die Anordnung einer stationären
therapeutischen Massnahme erforderlich, dass der Täter psychisch schwer gestört
ist, sein Verbrechen oder Vergehen im Zusammenhang mit seiner psychischen
Störung steht und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit
seiner Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Die stationäre
Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer
Massnahmevollzugseinrichtung (Art. 59 Abs. 2 StGB). Solange die Gefahr besteht,
dass der Täter flieht oder weitere Straftaten begeht, wird er in einer
geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt im
Sinne von Art. 76 Abs. 2 StGB behandelt werden, sofern die nötige
therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet wird (Art. 59 Abs. 3
StGB).
Sind mehrere Massnahmen in gleicher Weise geeignet, ist aber nur eine
notwendig, so ordnet das Gericht diejenige an, die den Täter am wenigsten
beschwert (Art. 56a Abs. 1 StGB).

3.

3.1. Die Vorinstanz stützt die Anordnung der stationären therapeutischen
Massnahme namentlich auf das psychiatrische Gutachten der Psychiatrischen
Dienste Aargau, Psychiatrische Klinik Königsfelden (PKK), vom 25. März 2011,
den Kurzbericht der PKK vom 26. Oktober 2011 sowie deren Austrittsbericht vom
23. Januar 2012 und den Therapiebericht der Strafanstalt Bostadel vom 29. Mai
2012.

3.2. Nach dem Gutachten weist der Beschwerdeführer als Folge eines
Fahrradunfalls vom 25. Mai 2008 mit schwerer traumatischer Hirnverletzung eine
chronische organische Persönlichkeitsstörung schweren Ausmasses auf (kantonale
Akten, act. 74, S. 36, 38). Die ihm vorgeworfene Delinquenz steht mit der
festgestellten Störung in Zusammenhang (act. 74, S. 41, 45). Daneben hätten
aber auch äussere Umstände (finanzielle Not) eine Rolle gespielt (act. 74, S.
39). Laut dem Gutachten sind ähnliche Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu erwarten (act. 74, S. 45). Die Gefahr neuerlicher Delikte könne bei
erfolgreichem Verlauf mit einer Verhaltenstherapie verringert werden. Ohne den
Aufbau alternativer Verhaltensweisen werde es zu erneuten Straftaten kommen
(act. 74, S. 42, 45). Eine stationäre Behandlung der Störung auf der
forensischen Abteilung einer psychiatrischen Klinik erscheine derzeit am
sinnvollsten (act. 74, S. 45, S. 46). Die Abteilung sollte in den ersten
Wochen, eventuell Monaten, bis der Beschwerdeführer absprachefähig sei,
geschlossen sein (act. 74, S. 43). Eine ambulante Behandlung mit stationärem
Beginn, welche bei einem einsichtigeren und kooperativeren Menschen als dem
Beschwerdeführer ausreichend wäre, könne in seinem Fall wegen fehlender
Bereitschaft und Problemeinsicht nicht durchgeführt werden (act. 74, S. 43;
Entscheid, S. 20, 23).

3.3. Der Beschwerdeführer trat am 23. August 2011 in den vorzeitigen
Massnahmevollzug in die Psychiatrische Klinik Königsfelden ein. Aus deren
Kurzbericht vom 26. Oktober 2011 geht hervor, dass er sich seit seiner Aufnahme
angepasst und höflich verhalten hat. Der bisherige Aufenthalt habe unter der
Massgabe bestanden, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, problematische
Verhaltens- und Sichtweisen aufzuzeigen und eine Krankheitseinsicht zu
erreichen. Einzig im Bereich des Beziehungsaufbaus habe ein gewisser Erfolg
erzielt werden können. Ein weiterer Behandlungsversuch von mehreren Monaten
erscheine als zweckmässig. Laut dem Austrittsbericht der PKK vom 23. August
2012 konnten keine tragfähige therapeutische Beziehung und keine
Behandlungsmotivation aufgebaut werden. Der Beschwerdeführer sehe selber keine
gesundheitlichen Defizite oder anhaltende Folgen seines Unfalls. Auffällig sei
sein sehr "mechanisches Verständnis" von Therapie. Es sei jedoch verfrüht, die
Motivierbarkeit auszuschliessen. Das Risiko weiterer Straftaten sei weiterhin
sehr hoch (Entscheid, S. 24, 28).

3.4. Am 23. Januar 2012 wurde der Beschwerdeführer in die Justizvollzugsanstalt
Bostadel versetzt (Entscheid, S. 24, 28). Nach dem Therapiebericht vom 29. Mai
2012 wurden fünfzehn wöchentlich stattfindende Therapiesitzungen von 60 Minuten
durchgeführt. Laut dem Therapeuten konnte ein gewisses Störungsbewusstsein
hergestellt werden und zeigte sich eine Therapiewilligkeit, die auf
Veränderungsbereitschaft schliessen lasse. Dem Beschwerdeführer sei es
gelungen, eine therapeutische Beziehung zum Therapeuten herzustellen. Er lasse
sich auf die Therapie ein. Therapieziel sei eine Verbesserung der
Selbstwahrnehmung in Bezug auf die Persönlichkeitsstörung. Das sei
Voraussetzung für eine Verhaltensänderung. Eine Fortsetzung der Therapie sei
angezeigt (Entscheid, S. 25).

4.

4.1. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, sind die Voraussetzungen für die
Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme nach Art. 56 Abs. 1
i.V.m. Art. 59 Abs. 1 StGB erfüllt. Es steht fest, dass die
Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers im Sinne des Gesetzes schwer ist
und die Straftaten damit in Zusammenhang stehen. Weiter ist erstellt, dass der
grundsätzlich behandlungsfähige und behandlungsbedürftige Beschwerdeführer nach
wie vor stark rückfallgefährdet ist, sich die schwere Persönlichkeitsstörung
nicht von alleine zurückbildet und derzeit ausschliesslich eine stationäre
Therapie geeignet ist, die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Straftaten zu
verringern.
Inwiefern die gutachterliche Gefährlichkeitsbeurteilung "drastisch übertrieben"
sein soll, ist entgegen einem Vorbringen in der Beschwerde nicht ersichtlich.
Nach der schlüssig hergeleiteten und breit abgestützten Beurteilung der
Legalprognose durch Gutachter und Therapeuten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit
ähnliche Straftaten wie die bisher verübten zu erwarten. Der Beschwerdeführer
beging u.a. mehrere, zum Teil versuchte Raubstraftaten. Überdies wurde er wegen
Gewalt gegen Behörden und Beamte verurteilt, weil er einem Gefangenenwart eine
Plastikgabel an den Hals setzte und seine Freilassung verlangte. Wie die
Vorinstanz zutreffend ausführt, zeigt namentlich das letztgenannte Delikt die
Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers. Bei den Straftaten, die von diesem zu
erwarten sind, geht es somit keineswegs um Bagatellkriminalität. Es handelt
sich vielmehr um erhebliche Rechtsgutverletzungen, die geeignet sind, den
Rechtsfrieden nachhaltig zu stören (Entscheid, S. 27).
Das als hoch bzw. sehr hoch eingeschätzte Rückfallrisiko für ähnliche Delikte
und das öffentliche Interesse an der Verhinderung solcher Straftaten
rechtfertigen den mit einer stationären Behandlung verbundenen Eingriff in die
Freiheitsrechte des Beschwerdeführers. Nach der Erkenntnis der Experten kann
nur die als notwendig und geeignet erachtete stationäre Verhaltenstherapie die
als ungünstig beurteilte Legalprognose massgeblich verbessern. Damit ist
gleichzeitig gesagt, dass die vollzugsbegleitende ambulante Behandlung als
nicht zweckmässig ausser Betracht fällt. Soweit der Beschwerdeführer seine
finanziellen Schwierigkeiten als primär ursächlich für die Delinquenz
bezeichnet und er die Änderung seiner Lebensumstände (Beantragung einer IV,
Schaffung einer adäquaten Wohnsituation etc.) im Hinblick auf eine
Risikoverminderung für wesentlicher einstuft als seine therapeutische
Behandlung, weicht er in unzulässiger Weise vom diesbezüglich schlüssigen
Gutachten und den darauf gestützten Feststellungen der Vorinstanz ab (Art. 105
Abs. 1 BGG). Auf diese Kritik ist nicht einzutreten.

4.2.

4.2.1. Weitere Voraussetzung für die Anordnung einer stationären Massnahme
bildet die Verfügbarkeit einer "geeigneten Einrichtung" (Art. 56 Abs. 5 i.V.m.
Art. 59 Abs. 2 und 3 StGB). Die Eignung der Institution für den Betroffenen
trägt massgeblich zum Erfolg oder Scheitern der Massnahme bei. Eine Massnahme
soll deshalb nicht ohne Rücksicht auf die Frage angeordnet werden, ob es
überhaupt eine Institution gibt, in welcher die Behandlung durchgeführt werden
kann (Art. 56 Abs. 5 StGB). Es genügt indes, dass sich das urteilende Gericht -
auf der Grundlage der Informationen der Vollzugsbehörde oder gegebenenfalls
eines Gutachtens - vergewissert, dass eine geeignete Vollzugseinrichtung für
die Massnahme zur Verfügung steht. Das Gericht soll nicht Vollzugsaufgaben
übernehmen und die geeignete Institution selber bestimmen. Die Zuweisung im
Einzelfall erfolgt durch die zuständige Vollzugsbehörde (Botschaft zur
Ände-rung des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. September 1998, BBl
1998 1979 ff. S. 2073; SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafrecht II, Strafen und
Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 165; siehe auch MARIANNE HEER, Basler Kommentar,
Strafrecht I, 2. Aufl., Art. 56 N. 86 ff.).

4.2.2. Die für den Beschwerdeführer empfohlene stationäre Verhaltenstherapie
kann nach dem psychiatrischen Gutachten vom 25. März 2011 in der geschlossenen
forensischen Abteilung einer psychiatrischen Klinik vollzogen werden. Der
Beschwerdeführer wurde deshalb im Rahmen des vorzeitigen Massnahmevollzugs am
23. August 2011 in die Psychiatrische Klinik Königsfelden eingewiesen. Weil er
auf tägliche Aufenthalte im Freien bestand, die ihm wegen der anhaltend hohen
Fluchtgefahr (Entscheid, S. 23 mit Hinweis auf die Ausführungen im
erstinstanzlichen Urteil, S. 43 ff., S. 47: Flucht aus dem Gefängnis
Wauwilermoos, Fluchtversuch aus dem Bezirksgefängnis Aarau, Fluchtversuch aus
der PKK) jedoch nicht gewährt wurden, weshalb er die ihm angebotene Therapie in
der Folge zumindest teilweise verweigerte, wurde der Beschwerdeführer am 23.
Januar 2012 in die Justizvollzugsanstalt Bostadel versetzt, wo er therapeutisch
behandelt wird (Entscheid, S. 28).

4.2.3. Es ist nicht ersichtlich und kann übrigens auch nicht aus dem bisherigen
Verlauf des vorzeitigen Massnahmevollzugs geschlossen werden, dass keine
geeignete Einrichtung (in der Schweiz) vorhanden ist, in welcher die über den
Beschwerdeführer angeordnete stationäre Massnahme vollzogen werden kann, und
dass daher die Anordnung der Massnahme gemäss Art. 56 Abs. 5 StGB unzulässig
ist. Neben geeigneten psychiatrischen Einrichtungen oder
Massnahmevollzugseinrichtungen (Art. 59 Abs. 2 StGB), in welchen stationäre
Massnahmen in der Regel zu vollziehen sind, kommen nach dem Gesetz bei
Wiederholungs- und Fluchtgefahr auch geschlossene Einrichtungen als geeignete
Vollzugsinstitutionen in Frage, darunter ausdrücklich auch Strafanstalten (Art.
59 Abs. 3 StGB; ANDREA BAECHTOLD, Strafvollzug, Straf- und Massnahmenvollzug an
Erwachsenen in der Schweiz, 2. Aufl. 2009, S. 263; siehe auch Entscheid, S. 28
mit Hinweis auf TRECHSEL/PAUEN BORER, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, Rz. 25 zu
Art. 56 StGB).

4.2.4. Geschlossene Strafanstalten oder geschlossene Abteilungen offen
geführter Strafanstalten im Sinne von Art. 76 Abs. 2 StGB sind gemäss Art. 59
Abs. 3 StGB nur dann als für den Vollzug einer stationären therapeutischen
Massnahme geeignete Einrichtungen anzusehen, "sofern die nötige therapeutische
Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist". Ob die dem Beschwerdeführer
in der Strafanstalt Bostadel zurzeit konkret angebotene Therapie den
inhaltlichen (Minimal-) Anforderungen an den Vollzug stationärer
therapeutischer Behandlungen in Strafanstalten genügt, betrifft indessen nicht
die materiellrechtliche Voraussetzung einer Massnahme, sondern die Frage des
Vollzugs, welcher nicht Gegenstand des Verfahrens bildet. Auf die Einwände in
der Beschwerde, die sich gegen den bisherigen vorzeitigen Massnahmevollzug, die
konkrete Behandlung des Beschwerdeführers in der Strafanstalt Bostadel und
seine dortige Unterbringung richten, kann nicht eingetreten werden.

4.3. Die Anordnung der stationären therapeutischen Massnahme ist damit nicht zu
beanstanden. Mit Rücksicht auf den Grundsatz, dass stationäre Massnahmen im
Regelfall in psychiatrischen Einrichtungen oder Massnahmevollzugseinrichtungen
zu vollziehen sind (Art. 59 Abs. 2 StGB; vgl. MARIANNE HEER, Stationäre
therapeutische Massnahmen nach der Revision des AT-StGB - der Beginn einer
Verwässerung des Konzepts, in: Gefängnis als Klinik, Bern 2008, S. 131), ist
indes darauf hinzuwirken, dass der Beschwerdeführer sobald als möglich in einer
spezialisierten Institution untergebracht wird. Die ersten diesbezüglichen
Schritte (zur Aufnahme in der Klinik Rheinau) wurden unternommen (siehe
Beschwerde, S. 8, Beschwerdebeilage 14). Solange sich der Beschwerdeführer zum
stationären Massnahmevollzug in der Strafanstalt Bostadel befindet, ist
sicherzustellen, dass ihm die nötige therapeutische Behandlung durch
Fachpersonal zukommt. Nach dem Therapiebericht der Strafanstalt Bostadel vom
29. Mai 2012 hat der Beschwerdeführer im Verlaufe der Behandlung gewisse
Fortschritte erzielt, Veränderungsbereitschaft gezeigt und sich auf die
Therapie eingelassen. Die weitere Durchführung der Massnahme wird vom
Therapeuten als notwendig erachtet. Die dem Beschwerdeführer angebotene
Behandlung weist folglich in die richtige Richtung (Entscheid, S. 28 f.).
Anzumerken ist allerdings, dass stationäre Behandlungen nach Art. 59 StGB
namentlich hinsichtlich Stundenfrequenz und Konfrontationsdichte tendenziell
eine hohe Intensität aufweisen müssen, weshalb lediglich eine Therapiestunde
pro Woche jedenfalls mittelfristig nicht als ausreichend im Sinne eines
stationären Therapieangebots bezeichnet werden kann (vgl. NOLL/GRAF/STÜRM/
URBANIOK, Die Anforderungen an den Vollzug stationärer Massnahmen in einer
geschlossenen Strafanstalt nach Art. 59 Abs. 3 StGB, in AJP 12/2008 S. 1553
ff., 1554; siehe auch NOLL/GRAF/STÜRM/BORCHARD/SPILLER/ URBANIOK, Erste
Praxiserfahrungen mit stationären Massnahmen nach Art. 59 Abs. 3 StGB, AJP 5/
2010, S. 593 ff.).

5.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung. Seine finanzielle Bedürftigkeit ist ausgewiesen, und die
Vorbringen waren nicht von vornherein offensichtlich unzulässig. Das Gesuch ist
deshalb gutzuheissen. Demnach sind keine Kosten zu erheben und ist dem
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Entschädigung aus der
Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, und es wird dem
Beschwerdeführer Fürsprecher Robert Frauchiger als unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Fürsprecher Robert Frauchiger wird mit Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse
entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Juni 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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