Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.621/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_621/2012

Urteil vom 23. Mai 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Peter Weibel,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
2. Y.________,
vertreten durch Fürsprecherin Sabine Schmutz,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Versuchte Anstiftung zu Mord,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer,
vom 27. Januar 2012.

Sachverhalt:

A.
Die türkische Staatsangehörige X.________ war die Schwiegermutter von
Y.________. Sie beschuldigte die Schwiegertochter mehrmals bei ihrer Familie
und ihrem Vater in der Türkei eines unehrenhaften Lebenswandels, namentlich der
Prostitution, und gab ihrem Vater zu verstehen, dass er wegen seiner Tochter
"Hörner" trage. Am 23. Juli 2007 schrieb sie an eine Nachbarsfamilie in der
Türkei einen Brief, in welchem sie die Schwiegertochter ("dieses stinkende
Weib, diesen Y.________-hund") der Untreue gegenüber dem Ehemann (die "Hure
Y.________" sei mit ihrem Freund, einem Kurden, geflohen), der Prostitution
sowie des Diebstahls bezichtigte und Vater und Brüder aufrief, ihre Ehre zu
reinigen ("Ihr Vater, ihre Brüder sollen ihre Ehre reinigen"). Einen Brief
ähnlichen Inhalts schrieb sie am 20. Februar 2008 an den Gemeindepräsidenten
des Heimatdorfes in der Türkei. Der Vater teilte seiner Tochter am 4. Mai 2008
mit, er habe durch den Brief erfahren, dass sie "eine Hure geworden" sei. Der
Gemeindepräsident habe ihm gesagt: "Wenn ich dich wäre, würde ich dieses
Mädchen reinigen." Und der Vater fügte an: "Falls der Brief (...) wahr ist,
würden deine Brüder dich in der Türkei nicht leben lassen meine Tochter."

B.
Das Kollegialgericht Bern-Mittelland verurteilte X.________ am 26. Januar 2011
wegen versuchter Anstiftung zu vorsätzlicher Tötung zu 42 Monaten
Freiheitsstrafe.

Auf Berufung insbesondere der Staatsanwaltschaft qualifizierte das Obergericht
des Kantons Bern die Tat am 27. Januar 2012 als versuchte Anstiftung zu Mord
und erkannte auf 7 Jahre Freiheitsstrafe.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung oder
eventuell zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihr
die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, ein Schuldspruch wegen versuchter Anstiftung
könne nur erfolgen, wenn nachgewiesen werde, dass sie zumindest annehmen
musste, ihre Äusserungen seien geeignet gewesen, einen Tatentschluss
hervorzurufen. Das sei nicht der Fall. Nach ihrer Aussage an der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung habe die Geschädigte nie erwartet, dass ihre
Familie sie deswegen mit dem Tode bedrohen würde. Für ihren Vater sei der
Wahrheitsgehalt der Äusserung entscheidend gewesen.

Die Vorbringen sind unbehelflich. Wie die Beschwerdeführerin und die
Geschädigte bestätigten, bedeutet der Ausdruck "Ehre reinigen", "dass man eine
Frau tötet" (Urteil S. 12). Nach der erstinstanzlichen Zusammenfassung der
Aussagen der Geschädigten bezweckten die Anschuldigungen der
Beschwerdeführerin, die Familie so unter Druck zu setzen, dass ihr nichts
anderes übrig blieb, als sie zu töten (Urteil S. 14). Wie die Vorinstanz
willkürfrei feststellt, rief die Beschwerdeführerin den Vater und die Brüder
dazu auf, ihre Ehre zu reinigen, wobei feststeht, dass damit die Tötung der
Geschädigten gemeint war. Der Vater stellte unmissverständlich klar, dass die
Geschädigte umgebracht wird, wenn sich die Verdächtigungen bewahrheiten (Urteil
S. 21).

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr Verhalten könne nicht als Anstiftung
zu einem Tötungsdelikt und schon gar nicht als Anstiftung zu Mord qualifiziert
werden.

2.1 Wer jemanden zu einem Verbrechen zu bestimmen versucht, wird wegen Versuchs
dieses Verbrechens bestraft (Art. 24 Abs. 2 StGB).

Nach dem massgebenden Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) rief die
Beschwerdeführerin den Vater und die Brüder der Geschädigten auf, diese zu
töten. Sie handelte mit direktem Vorsatz. Dass es nicht zur Tat kam, war dem
Umstand zuzuschreiben, dass die Geschädigte ihren Vater von der Unwahrheit der
Anschuldigungen zu überzeugen vermochte (Urteil S. 23). Es handelte sich um
eine vollendet versuchte (erfolglose) Anstiftung zu einem Tötungsdelikt.

2.2 Vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) ist als Mord zu qualifizieren, wenn der
Täter besonders skrupellos handelt, namentlich sein Beweggrund, der Zweck der
Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind (Art. 112 StGB).

Nach den in gewissen Kulturen verbreiteten Vorstellungen soll die Tötung der
nicht gefügigen oder unbotmässigen Frau oder Tochter die so genannte "Ehre" der
Familie oder Sippe wiederherstellen. Neben den tödlichen Konsequenzen im
Einzelfall nimmt dieses Instrument in den Händen der "Familie" den Frauen die
Möglichkeit ihrer individuellen Entwicklung und Lebensgestaltung. Es übt eine
lähmende, tödliche Drohung aus und terrorisiert auch unausgesprochen die dieser
Herrschaft unterworfenen Frauen. Der zerstörenden Wirkung auf die
Individualität sowie der jederzeit möglichen Denunziation und andauernden
Herabsetzung sind die betroffenen Frauen zumeist schutzlos ausgesetzt. Ein
familiäres Todesurteil haben in der Regel Familienmitglieder, insbesondere
(jüngere) Brüder oder Neffen, zu vollstrecken (vgl. Urteil 6S.44/2007 vom 6.
Juni 2007). Das Verbrechen wird im allgemeinen Sprachgebrauch als "Ehrenmord"
bezeichnet. Es liegt nahe, die Tötung der Frau oder Tochter zwecks "Reinigung"
der Ehre grundsätzlich als Mord zu qualifizieren. Beweggrund, Zweck der Tat und
Art der Ausführung erscheinen in solchen Konstellationen besonders verwerflich
(BGE 127 IV 10; Urteil 6S.44/2007 vom 6. Juni 2007).

Die Vorinstanz stützt sich auf BGE 127 IV 10. Auf diesen Entscheid kann
verwiesen werden. Nach ihren weiteren Feststellungen entsprach die Geschädigte
ihren ehelichen Pflichten nicht gemäss den Vorstellungen ihres Ehemannes und
der Beschwerdeführerin. Sie verliess ihn, nachdem er in eine psychiatrische
Klinik eingewiesen worden war. Die Beschwerdeführerin verfolgte ihr Ziel auf
heimtückische und perfide Weise. Nach erfolglosen Telefonaten erhöhte sie mit
Briefen an die Nachbarn und den Gemeindepräsidenten in der Türkei den Druck auf
die Familie. Sie wusste, dass die "Familienehre" damit massiv in Frage gestellt
und die Familie gezwungen wurde, umgehend zu handeln.

Mit der Qualifikation des angestifteten Verbrechens als Mord (Urteil S. 27)
verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt die Strafe als unangemessen hart. Die persönlichen
Verhältnisse, die massiven gesundheitlichen Einschränkungen, das
fortgeschrittene Alter und die Strafempfindlichkeit würden unzureichend
gewichtet.

Versuchte Anstiftung zum Mord wird wie Mordversuch bestraft (Art. 24 Abs. 2
StGB). Die Strafe ist lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe
nicht unter zehn Jahren (Art. 112 StGB). Bei versuchter Tatbegehung kann das
Gericht die Strafe mildern (Art. 22 Abs. 1 StGB) und ist nicht an die
angedrohte Mindeststrafe gebunden (Art. 48a Abs. 1 StGB). Verschieden schwer
wiegenden Anstiftungsversuchen ist Rechnung zu tragen. Die erfolglose
Anstiftung, bei welcher der Anstifter den Tatentschluss beim Angestifteten
nicht zu wecken vermag, erscheint weniger gravierend (Urteil 6S.44/2007 vom 6.
Juni 2007 E. 4.5.5).

Die Beschwerdeführerin befand sich zur Tatzeit in einer chronischen
psychosozialen Dauerbelastung. Die Vorinstanz verweist dazu auf BGE 127 IV 10
(vgl. E. 1b, 1e und E. 4). Für die Vorinstanz kommt eine Strafminderung wegen
Strafempfindlichkeit nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin, die seit
vierzig Jahren in der Schweiz lebt, zeigte sich bis zuletzt äusserst
hasserfüllt und völlig uneinsichtig. Die medizinische Betreuung ist im
Strafvollzug grundsätzlich gewährleistet. Sie ist nicht berufstätig und hat
keine familiären Pflichten. Die Täterkomponenten wirken sich im Ergebnis
neutral aus. Es liegen keine aussergewöhnlichen Umstände vor, so dass diese
Beurteilung nicht zu beanstanden ist (Urteile 6B_446/2011 vom 27. Juli 2012 E.
9.4 und 6B_470/2009 vom 23. November 2009 E. 2.5).

Die Vorinstanz legt die Einsatzstrafe bei zwölf Jahren fest. Diese reduziert
sie wegen des Versuchs deutlich. Gemäss der Rechtsprechung (BGE 121 IV 49 E.
1b) setzt sie die Einsatzstrafe um fünf Jahre herab. Das Strafmass erscheint
nicht als unangemessen hart und liegt im vorinstanzlichen Ermessen (vgl. BGE
134 IV 17 E. 2.1).

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
gutzuheissen. Es sind keine Kosten zu erheben. Der Rechtsvertreter der
Beschwerdeführerin ist aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (Art. 64
Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten auferlegt.

4.
Fürsprecher Peter Weibel wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Mai 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Schneider

Der Gerichtsschreiber: Briw

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