Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.611/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_611/2012, 6B_693/2012

Urteil vom 19. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

6B_611/2012
1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdegegner,

und

6B_693/2012
1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Entschädigung für amtliche Verteidigung,

Beschwerden gegen die Entscheide des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 13. September 2012 (6B_611/2012) und der Anklagekammer des Kantons St.
Gallen vom 26. September 2012 (6B_693/2012).

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht St. Gallen verurteilte X.________ am 15. September 2011 wegen
Sachbeschädigung, Landfriedensbruchs (Sachverhalt St. Gallen) sowie Gewalt und
Drohung gegen Behörden und Beamte zu einer bedingten Geldstrafe von 210
Tagessätzen zu Fr. 30.--. Vom Vorwurf des Landfriedensbruchs im Sachverhalt Wil
und der Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz sprach es ihn frei. Die
Verfahrenskosten (ausgenommen die Kosten der amtlichen Verteidigung) auferlegte
es je zur Hälfte X.________ bzw. dem Staat (Dispositiv-Ziff. 7). Es
entschädigte die amtliche Verteidigerin, Rechtsanwältin Y.________, mit Fr.
13'090.-- und verpflichtete X.________, die Entschädigung im Betrag von Fr.
6'090.-- an den Staat zurückzuzahlen, sobald es seine wirtschaftlichen
Verhältnisse erlauben (Dispositiv-Ziff. 8).

B.
B.a Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen legte gegen die Höhe der
Entschädigung der amtlichen Verteidigerin beim Kantonsgericht St. Gallen
Berufung ein. Gleichzeitig erhob sie vorsorglich Beschwerde bei der
Anklagekammer des Kantons St. Gallen. Sie beantragte in beiden Verfahren, Ziff.
8 des Entscheids des Kreisgerichts aufzuheben, die Entschädigung der amtlichen
Verteidigerin auf max. Fr. 6'000.-- zuzüglich Barauslagen festzulegen und
X.________ zu verpflichten, max. Fr. 2'670.-- an den Staat zurückzuzahlen,
sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben. Im Berufungsverfahren
verlangte sie zudem, Ziff. 7 des angefochtenen Entscheids sei in der Position
amtliche Verteidigung entsprechend anzupassen.
B.b Das Kantonsgericht trat am 13. September 2012 auf die Berufung nicht ein.
Die Anklagekammer erliess am 26. September 2012 ebenfalls einen
Nichteintretensentscheid.

C.
Die Staatsanwaltschaft führt gegen beide Entscheide Beschwerde in Strafsachen
mit dem Antrag, das Kantonsgericht bzw. die Anklagekammer anzuweisen, in der
Sache materiell zu entscheiden.

D.
Das Kantonsgericht und die Anklagekammer verzichteten auf eine Stellungnahme.
Rechtsanwältin Y.________ liess sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.
Die Verfahren 6B_611/2012 und 6B_693/2012 sind zu vereinigen, da sie die
gleiche Sache betreffen und identische Rechtsfragen aufwerfen.

2.
Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor
der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Die
Staatsanwaltschaft hat ein rechtlich geschütztes Interesse (Art. 81 Abs. 1 lit.
b Ziff. 3 BGG). Ihr steht das Beschwerderecht in Strafsachen ohne Einschränkung
zu (BGE 134 IV 36 E. 1.4). Die Staatsanwaltschaft kann namentlich auch die Höhe
der Entschädigung für die private Verteidigung im Sinne von Art. 429 Abs. 1
lit. a StPO anfechten (Urteil 6B_168/2012 vom 27. August 2012 E. 2 und 3).
Gleich zu entscheiden ist, wenn es um die Entschädigung des amtlichen
Verteidigers geht. Die Beschwerdeführerin weist zutreffend darauf hin, dass die
Interessen des amtlichen Verteidigers bei der Festsetzung des Honorars
denjenigen des Verurteilten widersprechen. Der Verurteilte, der die
Verteidigerentschädigung bei günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen
zurückzahlen muss, ist an einer tiefen Entschädigung interessiert, während der
Verteidiger einen hohen Betrag will. Dies rechtfertigt die
Rechtsmittellegitimation der Staatsanwaltschaft.

3.
3.1 Das Kantonsgericht stellt sich auf den Standpunkt, die Festsetzung der Höhe
des Honorars für die amtliche Verteidigung bilde nicht Bestandteil des Urteils.
Dieser Entscheid ergehe in Form eines Beschlusses und unterliege gemäss Art.
135 Abs. 3 StPO der Beschwerde. Ob die Staatsanwaltschaft zur Anfechtung des
Beschlusses mittels Beschwerde legitimiert sei, falle in die Kompetenz der
Beschwerdeinstanz. Aus der Nichterwähnung der Staatsanwaltschaft in Art. 135
Abs. 3 StPO als Beschwerdeberechtigte könne nicht geschlossen werden, sie sei
zur Berufung legitimiert. Stünde gegen den Entscheid über die Entschädigung des
amtlichen Verteidigers sowohl die Berufung an das Kantonsgericht als auch die
Beschwerde an die Anklagekammer offen, könnte dies zur widersinnigen Folge
führen, dass die eine Instanz das Honorar der amtlichen Verteidigung erhöhe,
während es die andere reduziere.
Welchen Anteil der Entschädigung der amtlichen Verteidigung die beschuldigte
Person dem Kanton zurückbezahlen müsse, sobald es ihre wirtschaftlichen
Verhältnisse erlauben, bestimme sich einerseits nach der Höhe der
Entschädigung, andererseits nach dem Umfang des der beschuldigten Person
auferlegten Anteils an den Verfahrenskosten. Nur Letzteres werde im
Kostenentscheid, der Teil des (materiellen) Urteils bilde, festgelegt und könne
mit Berufung angefochten werden. Ziff. 7 des Entscheids des Kreisgerichts
betreffend die Aufteilung der Verfahrenskosten sei nicht angefochten. Die
Anpassung der Position "amtliche Verteidigung" werde in der Berufungserklärung
nur verlangt, sofern die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin neu bemessen
werde.

3.2 Der Präsident der Anklagekammer ersuchte das Präsidium des Kantonsgerichts
mit Schreiben vom 11. Juni 2012 darum, sich dahin gehend zu einigen, dass die
Festsetzung der Entschädigung für die amtliche Verteidigung der Berufung und
nicht der Beschwerde unterliegt (Verfahren 6B_611/2012 act. 2, Beilage 4). Das
Kantonsgericht liess dieses Schreiben vorerst unbeantwortet und stellte der
Anklagekammer am 14. September 2012 ihren Nichteintretensentscheid zu. Im
Entscheid vom 26. September 2012 argumentiert die Anklagekammer, die
Staatsanwaltschaft könne nach dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut von
Art. 135 Abs. 3 StPO gegen die Festsetzung der Entschädigung der amtlichen
Verteidigung nicht Beschwerde führen. Dies erscheine folgerichtig, da es nicht
um die Durchsetzung des Strafanspruchs gehe. Art. 135 Abs. 3 StPO gehe Art. 381
StPO als lex specialis vor.

4.
Gegen die Höhe der Entschädigung für die amtliche Verteidigung ist die
Staatsanwaltschaft zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert (oben E. 2).
Entsprechend muss ihr auch der Rechtsmittelweg im Kanton offen stehen (vgl.
Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BGG). Die Rechtsmittellegitimation der Staatsanwaltschaft
gemäss Art. 381 Abs. 1 StPO bezieht sich auf alle Punkte des fraglichen
Entscheids, mit Ausnahme des Zivilpunkts (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische
Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 2 zu Art. 381 StPO; ähnlich
MARTIN ZIEGLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011,
N. 3 zu Art. 381 StPO; RICHARD CALAME, in: Commentaire romand, Code de
procédure pénale suisse, 2011, N. 5 zu Art. 381 StPO). Die Staatsanwaltschaft
kann ein Rechtsmittel zugunsten oder zuungunsten der beschuldigten oder
verurteilten Person ergreifen (Art. 381 Abs. 1 StPO). Zu prüfen bleibt damit
lediglich, ob sie gegen die Höhe der Entschädigung für die amtliche
Verteidigung Berufung (Art. 398 ff. StPO) oder Beschwerde (Art. 393 ff. StPO)
erheben muss.

5.
5.1 Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird,
ergehen in Form eines Urteils (Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Urteil ist auch
über die Kosten- und Entschädigungsfolgen zu entscheiden (Art. 81 Abs. 3 lit. a
und Abs. 4 lit. b; Art. 351 Abs. 1 StPO). Zu den Verfahrenskosten gehören u.a.
die Auslagen für die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche
Verbeiständung (Art. 422 Abs. 1 und 2 lit. a StPO). Art. 135 Abs. 2 StPO sieht
vor, dass das urteilende Gericht die Entschädigung des amtlichen Verteidigers
am Ende des Verfahrens festsetzt. Gleiches gilt für das Honorar des
unentgeltlichen Rechtsbeistands der Privatklägerschaft (Art. 138 Abs. 1 i.V.m.
Art. 135 Abs. 2 StPO). Da die Auslagen für die amtliche Verbeiständung und die
unentgeltliche Rechtspflege Bestandteil der Verfahrenskosten bilden, hat das
Gericht darüber im Sachurteil zu befinden.

5.2 Gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz oder
teilweise abgeschlossen wurde, können die Staatsanwaltschaft und die übrigen
Parteien gemäss Art. 398 Abs. 1 i.V.m. Art. 381 f. StPO Berufung erklären. Dies
gilt auch, wenn ausschliesslich Nebenfolgen des Urteils oder die Kosten-,
Entschädigungs- und Genugtuungsfolgen streitig sind (Art. 399 Abs. 4 lit. e und
f StPO; vgl. auch Art. 406 Abs. 1 lit. d StPO). Die Beschwerde ist im Vergleich
zur Berufung subsidiär (Art. 20 Abs. 1 und Art. 394 lit. a StPO; Botschaft vom
21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1312).
Die Staatsanwaltschaft und die anderen Parteien, die (bei günstigen
wirtschaftlichen Verhältnissen) für die Verfahrenskosten aufzukommen haben,
müssen die Reduktion der Entschädigung für die amtliche Verteidigung daher im
Berufungsverfahren verlangen.
Der amtliche Verteidiger und der unentgeltliche Rechtsbeistand der
Privatklägerschaft sind nicht Verfahrensparteien (Art. 104 Abs. 1 StPO). Ihre
Rechtsmittellegitimation hinsichtlich der Festsetzung des Honorars ergibt sich
nicht aus Art. 382 StPO, sondern aus der besonderen Regelung in Art. 135 Abs. 3
lit. a StPO bzw. Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. a StPO. Danach
steht dem amtlichen Verteidiger und dem unentgeltlichen Rechtsbeistand der
Privatklägerschaft gegen den Entschädigungsentscheid des erstinstanzlichen
Gerichts im Sinne von Art. 135 Abs. 2 StPO lediglich die Beschwerde offen.

5.3 In der Lehre wird die Auffassung vertreten, das Honorar des amtlichen
Verteidigers sei nicht im Urteil selbst, sondern nachträglich in einem
separaten Entscheid festzusetzen. Dies ergebe sich indirekt aus Art. 135 Abs. 3
StPO. Da gegen den Entscheid über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers
die Beschwerde gegeben sei, müsse die Entschädigung Gegenstand einer Verfügung
oder eines Beschlusses bilden. Dieses Vorgehen empfehle sich nicht zuletzt
deshalb, weil bei Erlass des Endentscheids die vollständigen Kosten der
amtlichen Verteidigung noch nicht feststünden, da beispielsweise noch eine
Beratung betreffend Weiterzug des Entscheids anstehen könne (NIKLAUS SCHMID,
a.a.O., N. 4 zu Art. 135 StPO; THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 12 zu Art. 135 StPO). Dessen
ungeachtet sei die Tragung der Verteidigungskosten im Kostendispositiv des
Urteils aufzuführen (SCHMID, a.a.O., N. 2 zu Art. 426 StPO). Damit geht eine
Spaltung des Rechtsmittelwegs einher, da die Honorarfestsetzung mit Beschwerde,
die Tragung der Verteidigerkosten jedoch mit der Hauptsache, d.h. in der Regel
mit Berufung angefochten werden muss (SCHMID, a.a.O., N. 5 zu Art. 135 StPO;
vgl. auch DOMEISEN, a.a.O., N. 15 zu Art. 135 StPO).

5.4 Gegen die erwähnte Lehrmeinung spricht, dass der Gesetzgeber den Entscheid
über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers ausdrücklich dem "urteilenden
Gericht" zuwies. Die im bundesrätlichen Entwurf (Art. 133 Abs. 2 und Art. 136
Abs. 1 E-StPO) noch vorgesehene Regelung, wonach immer die Verfahrensleitung
über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers und des unentgeltlichen
Rechtsbeistands der Privatklägerschaft zu befinden hat, fand im Parlament keine
Zustimmung bzw. wurde vom Bundesrat anlässlich der parlamentarischen Beratungen
gar als falsch bezeichnet (AB 2006 S 1014). Die Festsetzung des Honorars für
die amtliche Verteidigung im Urteil entspricht der Praxis verschiedener
Gerichte und namentlich auch des Bundesstrafgerichts, auf dessen Vorschlag hin
das Parlament das urteilende Gericht für zuständig erklärte (AB 2006 S 1014).
Dies ist auch insofern sinnvoll, als über die Kostentragung, welche Bestandteil
des Urteils ist (vgl. Urteil 6B_112/2012 vom 5. Juli 2012 E. 1.3 betreffend die
Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtspflege der
Privatklägerschaft), nur entschieden werden kann, wenn feststeht, welche Kosten
überhaupt entstanden sind. Eine Festsetzung der Kostenauflage in Unkenntnis von
Höhe und Ursache der betroffenen Kosten könnte im Einzelfall zu nicht
sachgerechten Ergebnissen führen. Das Gericht wäre zudem gezwungen, die Tragung
der Verteidigungskosten anteilsmässig oder in Prozenten zu regeln. Die
Festlegung eines fixen Betrags (wie vorliegend Fr. 6'090.-- von Fr. 13'090.--,
was sich bei Teilfreisprüchen aufdrängen kann) wäre ausgeschlossen.
Auch die Entschädigung für die private Verteidigung ist zwingend im Urteil
festzusetzen (Urteil 6B_472/2012 vom 13. November 2012 E. 2.4). Nicht
einzusehen ist, weshalb die Auslagen für die private Rechtsverbeiständung vor
Ergehen des Urteils beziffert werden müssen (Art. 429 Abs. 2 und Art. 433 Abs.
2 StPO), dem amtlichen Verteidiger Gleiches aber nicht zumutbar sein soll.
Nicht praktikabel erscheint zudem die mit der vorgeschlagenen Lösung
einhergehende Spaltung des Rechtsmittelwegs. Das Gesetz sieht zugunsten der
Parteien für sämtliche Entscheide im Zusammenhang mit dem Strafurteil das
einheitliche Rechtsmittel der Berufung vor. Das Gericht kann auf den
Rechtsmittelweg nicht Einfluss nehmen, indem es über zwingende Nebenfolgen des
Strafurteils in einem separaten Entscheid befindet.

5.5 Die Sichtweise, wonach die Staatsanwaltschaft und die übrigen Parteien
gegen das Honorar für die amtliche Verteidigung Berufung erheben können, steht
zudem im Einklang mit den Materialien. Der bundesrätliche Entwurf sah in Art.
436 E-StPO noch vor, dass der Entscheid über die Verfahrenskosten bei der
Beschwerdeinstanz anzufechten ist, "wenn er nicht im Rahmen eines anderen
Rechtsmittels geprüft werden kann". Gemäss der bundesrätlichen Botschaft bezog
sich die in diesem Artikel vorgesehene Anfechtung der Verfahrenskosten auch auf
den Betrag der Honorare der amtlichen Verteidigung (BBl 2006 1328). Art. 436
E-StPO wurde vom Parlament gestrichen. Dies wurde damit begründet, dass die im
Entwurf vorgesehene beschränkte Rechtsmittellegitimation der Privatklägerschaft
auf den Schuld- und Zivilpunkt (Art. 390 E-StPO) vom Parlament erweitert und
der Privatklägerschaft - ausser hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion - die
Rechtsmittellegitimation grundsätzlich zuerkannt wurde (Art. 382 Abs. 2 StPO),
womit sich Art. 436 E-StPO als überflüssig erwies (AB 2006 S 1055 und 1059).
Daraus ergibt sich unmissverständlich, dass die Höhe des Honorars des amtlichen
Verteidigers mit dem Entscheid über die Verfahrenskosten angefochten werden
kann und hierfür die allgemeinen Regeln von Art. 381 f. StPO betreffend die
Rechtsmittellegitimation der Parteien gelten, wobei die Beschwerde subsidiär
zur Berufung ist.

5.6 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber bewusst das urteilende
Gericht für die Festsetzung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers für
zuständig erklärt. Dieser Entscheid - wie auch derjenige über die Entschädigung
für die private Verteidigung und die weiteren Verfahrenskosten - ist Gegenstand
des Urteils und kann von den Parteien mit Berufung angefochten werden, während
sich der amtliche Verteidiger gegen die Höhe der Entschädigung mit Beschwerde
zur Wehr setzen muss (Art. 135 Abs. 3 StPO).
Die Zuständigkeiten der beiden Rechtsmittelinstanzen können sich folglich
überschneiden, wenn eine Partei Berufung erhebt und der amtliche Verteidiger
die seines Erachtens zu tiefe Entschädigung mit Beschwerde anficht. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass die Berufung ein reformatorisches Rechtsmittel
ist. Die Beschwerde ist im Vergleich zur Berufung subsidiär. Tritt das
Berufungsgericht auf die Berufung ein, so fällt es ein neues Urteil, welches
das erstinstanzliche Urteil ersetzt (Art. 408 StPO). Damit entfällt das
Anfechtungsobjekt des parallelen Beschwerdeverfahrens. Ist dies der Fall, sind
die Einwände des amtlichen Verteidigers gegen die Höhe seiner Entschädigung
jedoch mit der Berufung zu behandeln.

6.
Das Kreisgericht entschied über die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin
zu Recht mit dem materiellen Strafentscheid. Die Beschwerdeführerin hat die
Änderung dieses Urteils im Berufungsverfahren zu verlangen (Art. 381 Abs. 1
StPO; Art. 398 Abs. 1 i.V.m. Art. 394 lit. a StPO). Das Kantonsgericht trat auf
die Berufung zu Unrecht nicht ein.

7.
Die Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts (Verfahren 6B_611/2012)
ist gutzuheissen und diejenige gegen den Entscheid der Anklagekammer (Verfahren
6B_693/2012) abzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs.
4 BGG).
Den Beschwerdegegnern sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine Auslagen
entstanden, weshalb ihnen keine Parteientschädigung zuzusprechen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 13.
September 2012 wird gutgeheissen und die Angelegenheit zu neuer Entscheidung an
das Kantonsgericht zurückgewiesen.

2.
Die Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom
26. September 2012 wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld