Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.606/2012
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_606/2012

Urteil vom 6. Februar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Anklageprinzip, rechtliches Gehör (mehrfache versuchte Gewalt und Drohung gegen
Behörden und Beamte etc.),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 27. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Die Ehe von X.________ wurde nach einem langwierigen Prozess vom Bezirksgericht
Meilen am 15. Dezember 2008 geschieden. Im Verlauf des Scheidungsverfahrens,
und auch nach dessen Abschluss, stellte X.________ dem zuständigen
Gerichtspräsidenten Y.________ verschiedene Drohschreiben zu. Teilweise legte
er kopierte Zeitungsartikel mit Schlagzeilen wie "Bei Scheidungsprozess Blutbad
im Gerichtssaal" oder "Sorgerechtsstreit endet tödlich" bei. Auch änderte er
einen Artikel der Zeitung "20minuten" ab, versah diesen mit einem Bild des
Gerichtspräsidenten und verfasste als Bildunterschrift den Titel "Rechtloser
Vater tötet korrupten Richter".

B.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 10. März 2011 wegen
mehrfacher versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen
einer weiteren, hier nicht interessierenden, Straftat zu einer Geldstrafe von
360 Tagessätzen zu Fr. 30.-- und einer Busse von Fr. 100.--. Den Vollzug der
Geldstrafe schob es auf und setzte die Probezeit auf drei Jahre fest.

Auf Berufung von X.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am
27. August 2012 im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil. Es sprach ihn
zusätzlich der mehrfachen Drohung schuldig und bestrafte ihn mit einer
bedingten Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu Fr. 20.-- sowie einer Busse von Fr.
100.--.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das obergerichtliche
Urteil aufzuheben, die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.
1.1
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Anklagegrundsatzes geltend. Im
Zusammenhang mit dem Vorwurf der versuchten Gewalt und Drohung gegen Behörden
und Beamte bezeichne die Anklage nicht, zu welchen konkreten Amtshandlungen er
mit welchen Briefen das Bezirksgericht Meilen zu nötigen versucht habe.

1.2 Die Vorinstanz hält fest, dass die Anklage zunächst die dem
Beschwerdeführer zum Vorwurf gemachten Schreiben mit den darin enthaltenen
Drohungen im Einzelnen aufführe. Im Anschluss daran umschreibe sie aber auch,
was der Beschwerdeführer mit seinen Drohbriefen beabsichtigt habe. Im
Zusammenhang mit dem bevorstehenden Entscheid über das Sorge- und Besuchsrecht
habe er Druck auf den zuständigen Richter ausüben und damit seinen im
Scheidungsprozess gestellten Begehren Nachdruck verschaffen wollen. Damit
bringe die Anklage in hinreichend konkretisierter Art zum Ausdruck, was dem
Beschwerdeführer vorgeworfen wird.

1.3 Nach Art. 9 Abs. 1 StPO kann eine Straftat nur gerichtlich beurteilt
werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines
genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat.
Der aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff.
3 lit. a und b EMRK abgeleitete Anklagegrundsatz verlangt, dass die Anklage
einerseits die Person bestimmt, gegen die sich das Strafverfahren richtet und
andererseits den Sachverhalt umreisst, der Gegenstand der gerichtlichen
Beurteilung bildet (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten
Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu
umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip
bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person
(Informationsfunktion) und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE
126 I 19 E. 2a mit Hinweisen). Das Gericht ist an den in der Anklage
wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung
durch die Anklagebehörde (vgl. BGE 133 IV 235 E. 6.3 mit Hinweisen). Überspitzt
formalistische Anforderungen dürfen an die Anklageschrift nicht gestellt werden
(vgl. Urteil 6B_966/2009 vom 25. März 2010 E.3.3).
Die Anklageschrift schildert den Sachverhalt hinreichend präzise, sodass die
Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind.
Sie bestimmt das Prozessthema und ermöglicht eine wirksame Verteidigung. Die
dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Schreiben werden in der Anklageschrift
unter Angabe des Empfängers, des Datums, des wesentlichsten Inhalts und der
Beilagen aufgeführt. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich geständig, diese
Schreiben verfasst und zugestellt zu haben, sodass er nicht ernsthaft behaupten
kann, er habe seine Verteidigungsrechte wegen fehlender Kenntnis der ihm
vorgeworfenen Handlungen nicht hinreichend wahren können.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, dass er allenfalls indirekte
Drohungen ausgesprochen, diese aber nicht auf eine bestimmte Amtshandlung
bezogen habe.

2.2 Die Vorinstanz erwägt, dass der Beschwerdeführer mit seinen Drohbriefen
Druck auf den für das anhängige Scheidungsverfahren zuständigen Richter habe
ausüben wollen. Damit habe er erreichen wollen, dass dieser seinen Anträgen
bezüglich Sorge- und Besuchsrecht stattgebe. Die mit den Drohungen erfolgte
Nötigung sei somit klar auf die vom Gerichtspräsidenten im Rahmen des
Scheidungsprozesses vorzunehmenden Amtshandlungen ausgerichtet gewesen.

2.3 Das vom Beschwerdeführer mit seinen nötigenden Handlungen angestrebte Ziel
ist hinreichend konkretisiert. Entscheidend ist nicht, welche konkreten
Anordnungen er mit seinen Drohbriefen bewirken wollte. Vielmehr muss es
genügen, dass der Beschwerdeführer "Recht und Gerechtigkeit" schaffen
(Beschwerde S. 5) und damit konkret Einfluss auf sein hängiges
Scheidungsverfahren nehmen wollte. Bezeichnenderweise führte er denn auch
anlässlich der psychiatrischen Begutachtung aus, mit den Drohbriefen habe sich
alles geändert. Schnell habe er gemerkt, dass er nur auf diese Weise seine
Anliegen und Wünsche zumindest teilweise habe umsetzen können (kantonale Akten,
ER/HD act. 20/9).

3.
3.1 Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, er habe sich in einer
psychischen Ausnahmesituation befunden. Dadurch seien seine Handlungsoptionen
in einer Weise beschränkt gewesen, welche sein Vorgehen jedenfalls zu
entschuldigen vermöge. Mit dieser, bereits im Berufungsverfahren vorgebrachten,
Argumentation habe sich die Vorinstanz nicht befasst.

3.2 Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers hat sich die Vorinstanz mit
der Frage der psychischen Ausnahmesituation unter dem Gesichtspunkt der
Schuldfähigkeit intensiv auseinandergesetzt (Urteil S. 27-31). Sie gelangt
gestützt auf das von ihr eingeholte Ergänzungsgutachten (kantonale Akten, act.
93/1) zum Schluss, dass es dem Beschwerdeführer jederzeit möglich war, das
Unrecht seiner Taten einzusehen, jedoch seine Fähigkeit, gemäss dieser Einsicht
zu handeln, aufgrund der schweren Persönlichkeitsstörung in geringem Grad
eingeschränkt war.

3.3 Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, das geeignet wäre, die zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz in Zweifel zu ziehen. Die von ihm aufgeworfene
Frage der "Entschuldbarkeit" bildet in strafrechtsdogmatischer Hinsicht einen
Bestandteil der Schuldfähigkeit, welche die Vorinstanz mit zutreffenden
Erwägungen ausführlich gewürdigt hat.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos
erschien. Seiner finanziellen Lage ist mit herabgesetzten Gerichtskosten
Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Februar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw