Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.555/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_555/2012

Urteil vom 17. Dezember 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Stadtrichteramt Zürich, Gotthardstrasse 62, 8002 Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Nichtbefolgen der polizeilichen Anordnungen; Busse,

Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 6. Juli 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Stadtrichteramt Zürich büsste X.________ am 3. Februar 2010 wegen
Nichtbefolgens von polizeilichen Anordnungen bei einer Personenkontrolle mit
Fr. 100.-- bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag. Dagegen erhob dieser
am 10. Februar 2010 Einsprache, worauf das Stadtrichteramt eine Untersuchung
durchführte.

Am 26. Mai 2011 lud das Stadtrichteramt X.________ zu einer Einvernahme auf den
6. Juli 2011 vor. Dieser nahm den Termin nicht war. Eine telefonische Nachfrage
ergab, dass er sich in Deutschland aufhielt und ohne Rückmeldung nicht
erschienen war, weil er glaubte, die Behörden müssten ihn ohnehin zweimal
vorladen. Das Stadtrichteramt teilte ihm mit, seine Annahme sei falsch. Aus
Kulanzgründen erging nach telefonischer Vereinbarung des Termins dennoch eine
zweite Vorladung auf den 19. Juli 2011. Am 18. Juli 2011, also einen Tag vor
dem Einvernahmetermin, meldete sich X.________ per Natel beim Stadtrichteramt
und erklärte, er sei in Deutschland und wolle seine Ferien verlängern, weshalb
er am nächsten Tag nicht zur Einvernahme erscheinen könne. Nach einer Rückfrage
mit seinem Vertreter präzisierte er telefonisch, dass bei einem
Familienmitglied in Dresden ein psychischer Notfall vorliege, wozu er jedoch
nicht mehr sagen könne. In der Folge erschien er weder zur Einvernahme, noch
kam er der Aufforderung des Stadtrichteramtes nach, glaubhaft darzutun oder zu
belegen, dass er überhaupt in Deutschland war und dass der behauptete Notfall
vorlag.

Am 3. November 2011 stellte das Stadtrichteramt fest, die Verfügung vom 3.
Februar 2010 sei rechtskräftig. X.________ sei trotz ordnungsgemässer Vorladung
unentschuldigt nicht zur Einvernahme erschienen, weshalb die Einsprache gemäss
Art. 355 Abs. 2 der eidgenössischen Strafprozessordnung (StPO) als
zurückgezogen gelte. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des
Kantons Zürich am 6. Juli 2012 ab, soweit darauf einzutreten war.

X.________ wendet sich ans Bundesgericht und beantragt, die Verfügung des
Obergerichts vom 6. Juli 2012 sei aufzuheben. Die Sache sei zu neuer
Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen mit der Feststellung, dass zum
Zeitpunkt der Einvernahmen nicht die StPO, sondern noch das alte Zürcher
Strafprozessrecht (StPO/ZH) anwendbar war. Eventuell solle das Bundesgericht in
der Sache selber entscheiden.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Auffassung der Vorinstanz, zum
Zeitpunkt der vom Stadtrichteramt anberaumten Einvernahmen sei die
eidgenössische StPO massgeblich gewesen, könne nicht gefolgt werden (Beschwerde
S. 5).

Die eidgenössische StPO gilt seit dem 1. Januar 2011. Für Einsprachen gegen
Strafbefehle blieb das bisherige kantonale Verfahrensrecht anwendbar, wenn der
angefochtene Entscheid vor dem 1. Januar 2011 erging (Art. 453 Abs. 1 StPO,
worauf in Art. 455 StPO verwiesen wird). Einen Spezialfall stellten jene Fälle
dar, in denen im Kanton eine analoge Regelung zu Art. 355 StPO bestand und sich
jene Behörde, die den Strafbescheid erlassen hatte, nach einem Rechtsbehelf
selber nochmals mit der Sache befasste und dieser neue Entscheid erst nach dem
1. Januar 2011 erging. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die
Behörde habe in solchen Fällen die Sache nach der neuen eidgenössischen StPO zu
behandeln und abzuschliessen (HANSPETER USTER, in: Basler Kommentar StPO, 2011,
Art. 455 N 3; NIKLAUS SCHMID, StPO Praxiskommentar, 2009, Art. 455 N 4). Die
Vorinstanz stützt sich auf diese Lehrmeinungen.

Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben. Nach dem früheren Zürcher
Verfahrensrecht, welches eine analoge Regelung zu Art. 355 StPO kannte, galt
ein Begehren um gerichtliche Beurteilung einer Strafverfügung nach zweimaligem
unentschuldigtem Nichterscheinen zu einer Einvernahme ebenfalls als
zurückgezogen (Art. 343 Abs. 2 StPO/ZH). Es stellt sich einzig die Frage, ob
der Beschwerdeführer zweimal unentschuldigt nicht zur Einvernahme erschien und
seine Einsprache auch nach der StPO/ZH als zurückgezogen galt.

3.
3.1 Zunächst erschien der Beschwerdeführer zum ersten Einvernahmetermin nicht,
weil er meinte, das Stadtrichteramt werde ihn ohnehin noch ein zweites Mal
vorladen müssen. Es bedarf keiner Ausführungen, dass dieses trölerische
Verhalten keine Entschuldigung für das Nichterscheinen darstellen kann.

3.2 In Bezug auf den zweiten Einvernahmetermin kann auf die zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefochtenen Entscheid S.
4-8 E. 2).
Den zweiten Einvernahmetermin wollte der Beschwerdeführer zunächst nur
verschoben haben, weil er sich entschieden habe, seine Ferien zu verlängern.
Das Verlängern von Ferien kann jedenfalls nicht als rechtsgenügende
Entschuldigung dienen, wenn der Termin zuvor ausdrücklich mit dem Betroffenen
abgesprochen worden war.

Nach einer Rücksprache mit seinem Vertreter ergänzte der Beschwerdeführer die
Begründung denn auch mit einem "psychischen Notfall", der bei einem
Familienmitglied in Dresden vorliege. Zuvor hatte er demgegenüber nur von einer
Verlängerung seiner Ferien gesprochen, obwohl die Erwähnung des Notfalls als
Begründung seines Verschiebungsgesuches naheliegender gewesen wäre. Bei dieser
Sachlage durften seine Angaben allein nicht als glaubhaft eingestuft werden.
Das Stadtrichteramt beharrte zu Recht auf der Einreichung von Belegen.

Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei von Anfang an bereit gewesen, Belege
für seinen Aufenthalt in Deutschland und für die psychische Situation seines
Angehörigen nachzureichen (Beschwerde S. 8). Aus unbekannten Gründen hat er
dies trotz Aufforderung nicht getan und nichts mehr von sich hören lassen. Das
Stadtrichteramt kam zum Schluss, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage,
Belege für seine Behauptungen beizubringen, und es sei ihm nur darum gegangen,
die Einvernahme einmal mehr zu verschieben. Angesichts seines Verhaltens ist
diese Folgerung, wie die Vorinstanz zu Recht feststellt, naheliegend und nicht
zu beanstanden. Dass der Beschwerdeführer "offensichtlich" zur "Durchführung
eines Einvernahmeverfahrens gewillt" wäre (Beschwerde S. 9), trifft nicht zu.

3.3 Der Beschwerdeführer erschien zweimal unentschuldigt nicht zur Einvernahme,
obwohl er jeweils ordnungsgemäss vorgeladen worden war. Seine Einsprache hätte
auch unter der alten Zürcher Strafprozessordnung als zurückgezogen gegolten.

4.
Am Rande rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Begründungspflicht (vgl.
Beschwerde S. 9/10). Was er vorbringt, ist nicht nachvollziehbar. Die
Vorinstanz stellt ausdrücklich fest, das Stadtrichteramt habe den Umstand, dass
die Vorladung nicht widerrufen wurde, vor der Verfügung vom 3. November 2011
weder dem Beschwerdeführer noch dessen Vertreter mitgeteilt, noch hätte sie
dies den beiden mitteilen müssen (angefochtener Entscheid S. 8 E. 2.3). Es ist
nicht ersichtlich, was die Vorinstanz in diesem Zusammenhang noch hätte
ergänzen sollen.

5.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen. Bei diesem
Ausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64
BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Zu seinen
finanziellen Verhältnissen legt der Beschwerdeführer zwar einen Arbeitsvertrag
vor (act. 2), ohne sich aber zu seinen weiteren Vermögensverhältnissen zu
äussern (vgl. zu den Begründungsanforderungen BGE 125 IV 161 E. 4). Eine
Reduktion der Gerichtskosten kommt nicht in Betracht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Dezember 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn