Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.540/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_540/2012
6B_541/2012

Urteil vom 7. März 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiber Keller.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Uri,
Tellsgasse 3, 6460 Altdorf UR,
Beschwerdeführerin,

gegen

6B_540/2012
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. August W. Stolz,
Beschwerdegegnerin 1,

und

6B_541/2012
Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. August W. Stolz,
Beschwerdegegnerin 2.

Gegenstand
Versuchte Nötigung, Irrtum über die Rechtswidrigkeit

Beschwerden gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche
Abteilung, vom 15. März 2012.

Sachverhalt:

A.
A.________ (geb. 1992) und B.________ (geb. 1995) waren erfolgreiche Mitglieder
der Geräteriege D.________. Am 2. August 2007 trat ihr Trainer C.________
aufgrund diverser Meinungsverschiedenheiten per sofort zurück. Im Rahmen der
Neuorganisation der Geräteriege kam es zu weiteren Spannungen. Insbesondere die
beiden Mädchen hatten Mühe, sich mit der neuen Situation abzufinden. Nachdem
sie mehrmals die Trainingsmethoden der neuen Trainer kritisiert und sich über
mangelnde Unterstützung beklagt hatten, gingen sie privat bei C.________
trainieren. In der Folge wurden die beiden mündlich verwarnt und vom Training
suspendiert. Am 13. März 2008 schickte der Vorstand der Geräteriege, vertreten
durch X.________, den beiden Turnerinnen und deren Eltern eine Erklärung mit
der Androhung, die beiden Mädchen aus der Geräteriege auszuschliessen, wenn die
Erklärung nicht unterzeichnet und die darin enthaltenen Regeln nicht
eingehalten würden. Nachdem sich die Mädchen (und ihre Eltern) weigerten, die
Erklärung zu unterzeichnen, wurden beide per sofort aus der Geräteriege
ausgeschlossen. Unterzeichnet wurde die "Ausschlussverfügung" von X.________
und der Präsidentin des Damen- und Frauenturnvereins D.________, Y.________.

B.
Am 30. November/7. Dezember 2010 sprach das Landgericht Uri X.________ und
Y.________ der in Mittäterschaft begangenen versuchten Nötigung schuldig und
verurteilte beide zu einer bedingten Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 30.--.
Die Probezeit setzte es auf 2 Jahre fest. Die Schadenersatz- und
Genugtuungsforderungen von A.________ und B.________ wurden auf den Zivilweg
verwiesen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung von X.________ und
Y.________ hiess das Obergericht des Kantons Uri am 15. März 2012 gut. Es
sprach sie vom Vorwurf der Nötigung frei.

C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Uri führt Beschwerde in Strafsachen. Sie
verlangt, die beiden Urteile des Obergerichts aufzuheben und X.________ sowie
Y.________ wegen versuchter Nötigung schuldig zu sprechen. Sie seien mit einer
bedingten Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 30.--, bei einer Probezeit von 2
Jahren, zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

D.
Das Obergericht des Kantons Uri verzichtet auf eine Vernehmlassung. X.________
und Y.________ beantragen die kostenfällige Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerden betreffen denselben Sachverhalt und richten sich gegen zwei
inhaltlich gleiche Urteile. Die Verfahren 6B_540/2012 und 6B_541/2012 sind zu
vereinigen (Art. 24 BZP i.V.m. Art. 71 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz leitet aus ihren Sachverhaltsfeststellungen ab, dass es am
Tatbestandselement des ernsthaften Nachteils mangelt, weshalb keine Nötigung
nach Art. 181 StGB vorliegt (Urteil, S. 11 f.). Im Sinne einer
Eventualbegründung bejaht sie einen nicht vermeidbaren Verbotsirrtum gemäss
Art. 21 StGB (Urteil, S. 13 f.).

2.2 Ein Verbotsirrtum nach Art. 21 StGB liegt vor, wenn der Täter nicht weiss
und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält. War der Irrtum
vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 21 Satz 2 StGB). Was der
Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft innere Tatsachen (BGE 137 IV 1
E. 4.2.3; 125 IV 242 E. 3c S. 252; je mit Hinweisen), welche das Bundesgericht
nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüft (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.3 Die Beschwerdeführerin bezeichnet die Eventualbegründung der Vorinstanz als
nicht nachvollziehbar. Die Beschwerdegegnerinnen hätten sich zumindest in einem
vermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Sie hätten erkennen müssen oder
juristische Abklärungen treffen können, dass die Erklärung in unzulässiger
Weise in die Privatsphäre der betroffenen Mädchen und deren Eltern eingreife
(Beschwerde, S. 6 f.).

2.4 Die Beschwerde in Strafsachen ist zu begründen. Beruht der Entscheid wie
hier auf mehreren selbständigen Begründungen, die je für sich den Ausgang des
Rechtsstreits besiegeln, so hat die Beschwerdeführerin darzulegen, dass jede
von ihnen Recht verletzt (BGE 133 IV 119 E. 6.3). Die Beschwerdeführerin wendet
sich zwar gegen die vorinstanzliche Haupt- und Eventualbegründung. Sie
beanstandet jedoch nicht die Sachverhaltsfeststellungen in Bezug auf Art. 21
StGB und zeigt nicht auf, inwiefern die Vorinstanz willkürlich einen nicht
vermeidbaren Verbotsirrtum bejaht hat. Was sie gegen die tatsächlichen
Feststellungen einwendet, erschöpft sich in einer appellatorischen Kritik, die
den Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht genügt.

3.
Auf die Beschwerden ist nicht einzutreten. Dem Kanton Uri sind keine
Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdegegnerinnen
obsiegen, da es beim Freispruch vom Vorwurf der Nötigung bleibt. Der Kanton Uri
hat ihnen eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 6B_540/2012 und 6B_541/2012 werden vereinigt.

2.
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Uri hat der Beschwerdegegnerin 1 und der Beschwerdegegnerin 2 eine
Parteientschädigung von je Fr. 1'500.-- auszurichten.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Uri,
Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. März 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Keller