Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.530/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_530/2012

Urteil vom 19. Dezember 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Schöbi,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Lauper,
Beschwerdeführer,

gegen

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, Kramgasse 20, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versetzung in eine andere Vollzugseinrichtung; Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer,
vom 12. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ verbüsst seit dem 5. Februar 2002 eine lebenslängliche
Freiheitsstrafe wegen Mordes, zweifach vollendeten Mordversuchs und
wiederholter Vorbereitungshandlungen zu Mord. Er war zunächst in den Anstalten
Thorberg inhaftiert, wo er sich freiwillig einer störungs- und
deliktsspezifischen Behandlung beim Forensisch-Psychiatrischen Dienst der
Medizinischen Fakultät der Universität Bern unterzog. Am 12. September 2007
wurde er in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies verlegt. Dort nahm er
beim Psychiatrisch-Psychologischen Dienst des Amts für Justizvollzug des
Kantons Zürich (PPD) an einer freiwilligen Einzel- und Gruppentherapie zur
Tataufarbeitung teil, die er Mitte Dezember 2009 abbrach.

B.
Am 11. Februar 2011 lehnte die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Amts
für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern (ASMV) ein von X.________
wegen unzumutbarer Therapiemöglichkeiten gestelltes Gesuch um Verlegung in eine
andere Vollzugseinrichtung ab. Die dagegen erhobenen Beschwerden wiesen die
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern am 9. Dezember 2011 sowie das
Obergericht des Kantons Bern, letzteres auf dem Zirkulationsweg, am 12. Juli
2012 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den
obergerichtlichen Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Wiederaufnahme
des Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventuell sei er direkt
in eine andere Vollzugseinrichtung zu verlegen. Er ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 2 BGG unterliegen der Beschwerde in Strafsachen auch
Entscheide über den Vollzug von Strafen und Massnahmen (Art. 78 Abs. 2 lit. b
BGG). Beschwerdeberechtigt ist, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 81 Abs. 1 lit. b
BGG). Ein bloss generelles oder tatsächliches Interesse genügt nicht (BGE 133
IV 228 E. 2.3). Der Inhaftierte hat grundsätzlich kein Recht, den Ort des
Strafvollzugs zu wählen. Der Beschwerdeführer begründet sein Verlegungsgesuch
damit, dass die Voraussetzungen für die Umsetzung des Vollzugsziels gemäss Art.
75 Abs. 1 StGB aufgrund unzumutbarer Therapiebedingungen in der JVA Pöschwies
nicht gegeben seien. Er hat insoweit ein rechtlich geschütztes Interesse im
Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG an der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids (Urteil 6B_602/2012 vom 18. Dezember 2012 E. 1).

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) und
eine damit verbundene Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 2 BV). Die Vorinstanz habe zahlreiche form- und fristgerecht angebotene
Beweise nicht abgenommen und in unzulässig antizipierter Beweiswürdigung über
seine Beschwerde entschieden.

3.
3.1 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich
insbesondere das Recht der betroffenen Person, mit rechtzeitig und formgültig
angebotenen Beweisanträgen und Vorbringen gehört zu werden, soweit diese
erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind (
BGE 138 V 125 E. 2.1; 137 II 266 E. 3.2; 136 I 265 E. 3.2; je mit Hinweisen).
Ein Verzicht auf die Abnahme von weiteren Beweisen ist zulässig, wenn sich das
Gericht aufgrund der bereits erhobenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat
und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass die
abgelehnten Beweisanträge nichts an seiner Überzeugung zu ändern vermögen (BGE
136 I 299 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3; je mit Hinweisen).

3.2 Die Beweiswürdigung kann vor Bundesgericht gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. willkürlich im
Sinne von Art. 9 BV ist. Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid
offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dass
eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzugswürdiger erscheint,
genügt nicht (BGE 137 I 1 E. 2.4). Die angebliche Willkür ist in der Beschwerde
präzise zu rügen, und die Rüge ist zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Appellatorische Kritik, wie sie vor einer Instanz mit voller Kognition
vorgebracht werden kann, genügt nicht.

4.
4.1 Die Vorinstanz lehnte die Anträge auf Zeugen- und Parteieinvernahme mit der
Begründung ab, die sehr umfangreichen Vollzugsakten sowie die im Verfahren
zusätzlich eingeholten schriftlichen Eingaben gäben zu allen interessierenden
Gesichtspunkten Aufschluss. Sie verweist insofern ausdrücklich auf die
zahlreichen Stellungnahmen und Berichte der JVA Pöschwies respektive deren
Sozialdienste, des PPD, der Anstalten Thorberg und des Beschwerdeführers.
A.________, ehemaliger Mitarbeiter des PPD, und B.________, leitender
Psychologe des PPD, seien klar formulierte Fragen hinsichtlich der vom
Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe vorgelegt worden. Deren schriftliche
Stellungnahmen deckten sich mit früheren, bei den Akten befindlichen Berichten
des PPD, weshalb nicht einzusehen sei, welche neuen Erkenntnisse eine mündliche
Befragung erbringen solle. Eine Befragung des Beschwerdeführers sei nicht
erforderlich, da dieser seine Sicht der Dinge ausführlich und wiederholt
vorgetragen habe. Eine Einvernahme der ehemaligen Sozialarbeiterin der JVA
Pöschwies, C.________, und des Psychiaters D.________, erübrige sich, da sich
die Vorinstanz auch ohne deren Aussagen ein klares Bild von den Vollzugszielen
der JVA machen könne. Selbst wenn C.________ anlässlich einer gerichtlichen
Einvernahme die Behauptungen des Beschwerdeführers - die JVA habe wenig
Interesse an dessen Wiedereingliederung - bestätigen würde, stünden derartige
Behauptungen nicht im Einklang mit den Vollzugsakten. Dies gälte auch, soweit
D.________ der Meinung sein sollte, der Beschwerdeführer wäre zwecks
Tataufarbeitung in einer anderen Anstalt besser aufgehoben. Das Gegenteil könne
aufgrund der Vollzugsakten als erstellt erachtet werden. Der Verzicht auf
zusätzliche mündliche Einvernahmen lasse sich umso mehr rechtfertigen, als das
Verfahren nach Art. 31 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des
Kantons Bern vom 23. Mai 1989 (VRPG) schriftlich sei.

4.2 Der Beschwerdeführer rügt, die Einschätzung der Vorinstanz könne nur
Unverständnis auslösen. Sie beruhe auf einer Verkennung der tatsächlichen
Situation. Mit dieser Art (unzulässiger) antizipierter Beweiswürdigung sei er
entschieden nicht einverstanden. Er habe dargelegt, dass die unzumutbaren
Therapiebedingungen nur durch weitere Beweismassnahmen, insbesondere die
Einvernahme der involvierten Bezugspersonen, näher geklärt werden könnten. Die
Vorinstanz habe jedoch nicht von sämtlichen beantragten Bezugspersonen
schriftliche Berichte eingeholt; auch komme schriftlichen Äusserungen nicht die
gleiche Beweiskraft wie einer mündlichen Zeugeneinvernahme unter der strengen
Strafandrohung von Art. 307 StGB zu. Seine Parteibefragung stelle mehr als eine
blosse Meinungsäusserung dar. Zudem könne die Tatsache, dass C.________ sich
klar zugunsten von Wiedereingliederungsmassnahmen geäussert habe, nicht als
Argument für den Verzicht auf eine mündliche Befragung herangezogen werden.
4.3
4.3.1 Der Beschwerdeführer setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen, wenn
überhaupt, nur rudimentär auseinander. Er beschränkt sich darauf, die
Ausführungen der Vorinstanz in seiner Beschwerde wiederzugeben, begründet
jedoch nicht hinreichend, inwiefern sich die Ablehnung der Beweisanträge durch
die Vorinstanz auf die anhand der Aktenlage getroffenen
Sachverhaltsfeststellung hätte auswirken sollen und warum diese willkürlich
sei. Es genügt nicht, die vorinstanzliche Beweiswürdigung pauschal zu
kritisieren, denn das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine
freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Soweit der Beschwerdeführer
lediglich seine eigene Sicht der Dinge als vorzugswürdig bzw. richtig
bezeichnet, erschöpfen sich seine Einwände in einer unzulässigen
appellatorischen Kritik am Urteil, auf die nicht einzutreten ist.
4.3.2 Ebenso wenig vermag der Beschwerdeführer Willkür darzutun. Auch wenn sich
vorliegend angeboten hätte, C.________ und D.________ - zumindest schriftlich -
zu den Behauptungen des Beschwerdeführers anzuhören, konnte die Vorinstanz ohne
Einvernahmen in antizipierter Beweiswürdigung aufgrund der Vollzugsakten
willkürfrei entscheiden. Die Akten enthalten keinerlei Hinweise auf die
angeblichen Äusserungen von C.________ und D.________, sondern widerlegen die
Behauptungen des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz weist zutreffend darauf hin,
dass C.________ die Eintrittserhebungen vornahm, den Vollzugsplan erstellte, in
dem sie sich für Wiedereingliederungsmassnahmen aussprach, und sich beim ASMV
nach Therapiemöglichkeiten für den Beschwerdeführer erkundigte. Dieser nahm in
der Folgezeit - bis zum persönlichen Zerwürfnis mit seinem Therapeuten
A.________ - auch das Therapieangebot des PPD in Anspruch. Diese Fakten
sprechen gegen die Behauptung, die JVA Pöschwies habe wenig Interesse an einer
Wiedereingliederung des Beschwerdeführers. Weshalb die Beweiswürdigung der
Vorinstanz willkürlich sein soll, ist nicht ersichtlich und vom
Beschwerdeführer im Übrigen auch nicht dargetan.
Dies gilt auch hinsichtlich der schriftlichen Befragungen von A.________ und
B.________. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Eingaben falsch oder
unvollständig sind, denn sie werden durch die Vollzugsakten bestätigt. Der
Einwand, schriftlichen Berichten komme nicht die gleiche Beweiskraft zu wie
einer mündlichen Zeugeneinvernahme unter Strafandrohung, ist ungeeignet
darzulegen, inwieweit das vorinstanzliche Beweisergebnis willkürlich sein soll.
Der Beschwerdeführer trägt selbst vor, die Hauptproblematik des vorliegenden
Falles bestehe darin, dass die JVA Pöschwies bzw. der PPD sich auf eine
Vielzahl von selbst fabrizierten Vollzugsakten stützen könne, welche aus
offenliegenden Gründen seine Vorwürfe nicht bestätigten. Warum bei dieser
Sachlage eine gerichtliche Zeugeneinvernahme zu anderen Ergebnissen hätte
führen sollen, ist nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers muss die Vorinstanz nicht jede seiner Behauptungen als
gegeben annehmen, wenn jegliche Anhaltspunkte für deren Richtigkeit fehlen und
die vorhandenen Beweismittel klar gegen sie sprechen. Die Vorinstanz war
demnach nicht gehalten, Zeugen gerichtlich einzuvernehmen.
4.3.3 Die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers war nicht erforderlich.
Er hatte die Möglichkeit, sein Verlegungsbegehren umfassend darzulegen und zu
begründen. Er konnte zu sämtlichen Beweiserhebungen Stellung nehmen. Warum
seine Behauptungen beweiskräftiger oder glaubwürdiger hätten sein sollen, wenn
er diese mündlich wiederholt hätte, ist nicht ersichtlich und vermag auch der
Beschwerdeführer nicht darzutun. Sie werden durch die Vollzugsakten eindeutig
widerlegt. Die Vorinstanz hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass das
Verfahren vor den Verwaltungs- und Verwaltungsjustizbehörden gemäss Art. 31
VRPG schriftlich ist.

4.4 Die Vorinstanz durfte den Antrag auf Partei- und Zeugeneinvernahme ohne
Willkür (und Verletzung des rechtlichen Gehörs) in antizipierter
Beweiswürdigung abweisen. Ihre Erwägungen lassen keine Willkür erkennen.

5.
Auf den Eventualantrag ist nicht einzutreten, da der Beschwerdeführer keine
Verletzung von Art. 75 Abs. 1 StGB, Art. 30 Abs. 1 SMVG und Art. 8 SMVV rügt.

6.
Die Beschwerde ist unbegründet, soweit überhaupt darauf eingetreten werden
kann. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde von
vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Seinen finanziellen
Verhältnissen ist bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen
(Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Dezember 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held