Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.513/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_513/2012

Urteil vom 24. Juni 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Pasquini.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan A. Buchli,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
abgekürztes Verfahren (Art. 358 ff. StPO)

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 23. August 2012.

Sachverhalt:

A.

 Das Bezirksgericht Zürich sprach X.________ im abgekürzten Verfahren der
mehrfachen qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.

 Das Obergericht des Kantons Zürich wies die von X.________ erhobene Berufung
mit Beschluss ab.

B.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Beschluss des
Obergerichts und das Urteil des Bezirksgerichts seien aufzuheben. Die Akten
seien an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung des ordentlichen Verfahrens
zurückzuweisen. Eventualiter sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und die
Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. X.________
ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

C.

 Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

 Anfechtungsobjekt der Beschwerde an das Bundesgericht ist der
letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Das ist vorliegend
der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich. Soweit der Beschwerdeführer
die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Zürich verlangt, ist auf seine
Beschwerde nicht einzutreten.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 362 Abs. 5 i.V.m. Art.
361 Abs. 2 StPO. Obwohl er sich an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung auf
sein Aussageverweigerungsrecht berufen habe, nehme die Vorinstanz an, es habe
seinerseits eine gültige Zustimmung zur Anklageschrift vorgelegen. Diese
umfasse nach Art. 362 Abs. 5 StPO begriffsnotwendig die Anerkennung des
Anklagesachverhalts. Gemäss Art. 361 Abs. 2 StPO befrage das Gericht die
beschuldigte Person an der Hauptverhandlung und stelle fest, ob sie den
Sachverhalt anerkenne, welcher der Anklage zugrunde liege und ob diese
Erklärung mit der Aktenlage übereinstimme. Der Wortlaut dieser Bestimmung lasse
nur den Schluss zu, dass die beschuldigte Person den Anklagesachverhalt an der
Hauptverhandlung anerkennen, mithin ihr bereits abgelegtes Geständnis vor dem
Gericht wiederholen müsse. Lege die beschuldigte Person kein erneutes
Geständnis ab, seien die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten
Verfahren nicht erfüllt. Anerkenne diese an der Hauptverhandlung den
Sachverhalt nicht, sei es durch Widerruf des Geständnisses oder durch
Aussageverweigerung, seien die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung
eines ordentlichen Vorverfahrens zurückzuweisen. Der Schluss der Vorinstanz,
die Aussageverweigerung sei anders zu behandeln, als ein ausdrücklicher
Widerruf des Geständnisses, sei nicht nachvollziehbar. In beiden Fällen könne
das Gericht nicht feststellen, ob diese "Erklärung" mit der Aktenlage (Art. 361
Abs. 2 lit. b StPO) übereinstimme und die Anklage stimme nicht mit dem Ergebnis
der Hauptverhandlung überein (Art. 362 Abs. 1 lit. b StPO).

2.2. Die Vorinstanz hält fest, der Beschwerdeführer habe an der
staatsanwaltschaftlichen Einvernahme den Sachverhalt und dessen rechtliche
Würdigung gemäss Anklageschrift anerkannt. Sein Verteidiger habe ihm das
abgekürzte Verfahren zuvor erläutert. Nach dem Aushandeln und der Besprechung
des Urteilsvorschlags der Staatsanwaltschaft habe der Beschwerdeführer
zugestimmt und das abgekürzte Verfahren beantragt. In der Folge sei die
schriftliche Bestätigung erfolgt. Nach der Ansetzung der Hauptverhandlung durch
die erste Instanz, habe der Verteidiger den Staatsanwalt informiert, der
Beschwerdeführer wolle das Risiko einer höheren als der vereinbarten Strafe
eingehen, um im ordentlichen Verfahren eine tiefere Strafe zu erwirken. Deshalb
ersuche er darum, die Anklage zurückzuziehen. Sodann habe der Verteidiger der
ersten Instanz mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei mit dem Urteilsvorschlag
nicht mehr einverstanden und werde an der Verhandlung vermutlich sein
Geständnis widerrufen. An der Hauptverhandlung habe der Beschwerdeführer
bestätigt, den Anklagesachverhalt im Vorverfahren anerkannt zu haben. Heute
wisse er jedoch nicht, was er sagen solle. Nachdem er auf das
Aussageverweigerungsrecht hingewiesen worden sei, habe er von weiteren Aussagen
abgesehen (Entscheid S. 4 ff. E. 2).

 Die Vorinstanz erwägt, den dem Gericht obliegenden Prüfungspflichten gemäss
Art. 362 Abs. 1 StPO könne auch Genüge getan werden, ohne dass die beschuldigte
Person an der Hauptverhandlung aussage. Deren einlässliche Äusserung an der
Verhandlung sei nicht notwendig, sofern sich das Gericht anderweitig davon
überzeugen könne, dass das - im Vorverfahren vorbehaltlos erfolgte - Geständnis
plausibel sei. Die erste Instanz habe den Beschwerdeführer zur Frage der
Anerkennung des Sachverhalts befragt, nur habe sich dieser auf das
Aussageverweigerungsrecht berufen. Die Aussageverweigerung als Teil des
Aussageverhaltens des Beschuldigten würdigend, könne das Gericht zum Schluss
kommen, diese Erklärung ergebe zusammen mit den Akten ein schlüssiges Bild und
die Anklage stimme mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung sowie den Akten
überein. Der Beschwerdeführer habe nicht etwa das Geständnis widerrufen,
sondern lediglich die Aussage verweigert. Sinn und Zweck des abgekürzten
Verfahrens liessen es als nicht sachgerecht erscheinen, dass ein Beschuldigter
dieses Verfahren allein durch eine Aussageverweigerung an der Hauptverhandlung
zu Fall bringen könne. Dem Verhalten des Beschwerdeführers - zumal in
Kombination mit den Äusserungen des Verteidigers - könne entnommen werden, dass
er das abgekürzte Verfahren aufheben, nicht aber auf den in Bezug auf die
Strafzumessung erheblichen Vorteil des Geständnisses verzichten wolle. Er habe
sich die Sache nach der Zustimmung zur Anklageschrift anders überlegt und wolle
nicht mehr daran gebunden sein, weil er die ausgehandelte Strafe als zu hoch
empfinde. Dem stehe aber Art. 360 Abs. 2 letzter Satz StPO entgegen, der ins
Gesetz aufgenommen worden sei, um Missbräuche zwecks Verfahrensverzögerung zu
verhindern (Entscheid S. 10-18 E. 3.2 f.).

2.3. Gemäss Art. 358 Abs. 1 StPO kann die beschuldigte Person der
Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung die Durchführung des abgekürzten
Verfahrens beantragen, wenn sie den Sachverhalt, der für die rechtliche
Würdigung wesentlich ist, eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im
Grundsatz anerkennt. Die Anklageschrift enthält im abgekürzten Verfahren unter
anderem den Hinweis an die Parteien, dass sie mit der Zustimmung zur
Anklageschrift auf ein ordentliches Verfahren und auf Rechtsmittel verzichten
(Art. 360 Abs. 1 lit. h StPO). Die Staatsanwaltschaft eröffnet die
Anklageschrift den Parteien, welche innert zehn Tagen zu erklären haben, ob sie
ihr zustimmen oder sie ablehnen. Die Zustimmung ist unwiderruflich (Art. 360
Abs. 2 StPO; vgl. NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung,
Praxiskommentar [nachfolgend: Praxiskommentar], Zürich 2009, N. 11 zu Art. 360
StPO der in Anbetracht der gerichtlichen Überprüfung der Stichhaltigkeit der
Anerkennung von einer relativen Unwiderruflichkeit ausgeht; DERSELBE, Handbuch
des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], Zürich 2009, S.
632 N. 1382; gl.M. JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, Bern 2013, S.
436 N. 17069). Mit der Unwiderruflichkeit der Zustimmung soll sichergestellt
werden, dass die beschuldigte Person das abgekürzte Verfahren nicht zur
Verfahrensverzögerung missbrauchen kann, indem sie zunächst eine Absprache
erzielt, diese aber in letzter Minute ablehnt (Botschaft zur Vereinheitlichung
des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005 [nachfolgend: Botschaft StPO], BBl
2006 S. 1296).

 Mit der Berufung gegen ein Urteil im abgekürzten Verfahren kann eine Partei
nur geltend machen, sie habe der Anklageschrift nicht zugestimmt oder das
Urteil entspreche dieser nicht (Art. 362 Abs. 5 StPO). Die beschränkte
Rechtsmittelmöglichkeit hängt mit dem summarischen Charakter des abgekürzten
Verfahrens zusammen. Da die Parteien der Anklageschrift im Wissen um die Folgen
zustimmen, ist die Beschränkung der Berufungsgründe rechtsstaatlich akzeptabel
(Botschaft StPO, BBl 2006 S. 1297; Schmid, Handbuch, S. 635 N. 1389; Bertrand
Perrin, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, Basel 2011, N.
14 zu Art. 362 StPO). Der Berufungsgrund der fehlenden Zustimmung einer Partei
zur Anklageschrift hat den Fall im Auge, in welchem das Gericht trotz fehlender
Zustimmung ein Urteil im abgekürzten Verfahren fällt (Bertrand Perrin, a.a.O.,
N. 15 zu Art. 362 StPO; Kuhn/Perrier, Quelques points problématiques du Code de
procédure pénale suisse, in: Jusletter 22. September 2008, Rz. 28; Aline
Breguet, La procédure simplifiée dans le CPP: un réel progrès-, in: Jusletter
16. März 2009, Rz. 67). Damit ist gemeint, dass Staatsanwaltschaft und Gericht
zu Unrecht die Zustimmung einer Partei nach Art. 387 VE (d.h. Art. 360 Abs. 2
StPO) bejaht hätten (Begleitbericht des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements vom Juni 2001 zum Vorentwurf für eine Schweizerische
Strafprozessordnung, S. 235 [nachfolgend: Begleitbericht]). Es stellt sich die
Frage, ob Willensmängel der an sich erfolgten Zustimmung durch diesen
Berufungsgrund abgedeckt sind (Greiner/Jaggi, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 43 ff. zu Art. 362 StPO und N. 22
f. zu Art. 360 StPO; Kuhn/Perrier, a.a.O., Rz. 29; Bertrand Perrin, a.a.O., N.
16 zu Art. 362 StPO; Donatsch/Frei, Die Prüfungspflichten des Gerichts beim
abgekürzten Verfahren, in: Festschrift für Hans Wiprächtiger, "Toujours agité -
jamais abattu", Basel 2011, S. 80 f.). Verwehrt ist die Rüge der beschuldigten
Person, sie habe dem abgekürzten Verfahren zwar zugestimmt, sei aber in
Wirklichkeit nicht geständig, der Sachverhalt sei nicht bewiesen oder der
Tatbestand nicht erfüllt (Botschaft StPO, BBl 2006 S. 1297; in Bezug auf das
Geständnis differenzierend Miriam Mazou, La procédure simplifiée dans le
nouveau Code de procédure pénale: principes et difficultés, ZStrR 129/2011 S.
13 f. und S. 19, welche für die Zulassung der Berufung unterscheidet, ob die
beschuldigte Person ihr Geständnis bereits an der Hauptverhandlung widerruft
oder erst nach der Verhandlung vorbringt, sie lehne die Anklageschrift ab;
sinngemäss gl.M. Moreillon/Parein-Reymond, Petit commentaire, Code de procédure
pénale, Basel 2013, N. 11 zu Art. 361 StPO ).

2.4. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend und gemäss Vorinstanz ist auch
nicht ersichtlich, dass das Urteil nicht der Anklageschrift entspräche
(Entscheid S. 18 E. 3.3). Unbestritten ist, dass das abgekürzte Verfahren
gesetzeskonform eingeleitet wurde. Der Beschwerdeführer anerkannte im
Vorverfahren den der Anklage zugrunde liegenden und mit der Aktenlage
übereinstimmenden Sachverhalt. Er bestätigte, der Anklageschrift im abgekürzten
Verfahren unwiderruflich zuzustimmen und auf Rechtsmittel zu verzichten. Er
macht nicht geltend, er habe sich bei dieser Erklärung in einem Irrtum befunden
(Beschwerde S. 10, Entscheid S. 6 f. E. 3.1.1 f.). Inwiefern die Berufung gegen
ein Urteil im abgekürzten Verfahren im Falle eines Willensmangels zulässig ist,
kann vorliegend offenbleiben. Der Beschwerdeführer stellt sich aber auf den
Standpunkt, es mangle an seiner Zustimmung zur Anklageschrift, weil er sich an
der erstinstanzlichen Hauptverhandlung auf sein Aussageverweigerungsrecht
berufen habe. Daher fehle es an der Erneuerung seiner Anerkennung des
Sachverhalts.

2.5. Das Bundesgericht hat sich bislang noch nicht dazu geäussert, ob ein
Urteil im abgekürzten Verfahren voraussetzt, dass die beschuldigte Person ihr
Geständnis in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bestätigt.

2.5.1. Gemäss Art. 361 Abs. 1 und 2 StPO führt das erstinstanzliche Gericht
eine Hauptverhandlung durch, an welcher es die beschuldigte Person befragt und
feststellt, ob diese den Sachverhalt anerkennt, welcher der Anklage zu Grunde
liegt, und ob diese Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmt. Wenn nötig
befragt es auch die übrigen anwesenden Personen. Ein Beweisverfahren findet
indes nicht statt (Art. 361 Abs. 3 und 4 StPO). Soweit beim abgekürzten
Verfahren keine besonderen Vorschriften bestehen, namentlich zur
Hauptverhandlung, sind die allgemeinen Regeln anwendbar (vgl. Begleitbericht S.
231; Bertrand Perrin, a.a.O., N. 3 zu Art. 361 StPO; Jo Pitteloud, Code de
procédure pénale suisse, Zürich/St. Gallen 2012, S. 705 N. 1035; Greiner/Jaggi,
a.a.O., N. 3 zu Art. 361 StPO; John Noseda, in: Commentario, Codice svizzero di
procedura penale, Zürich/St. Gallen 2010, N. 10 zu Art. 358 StPO; Schmid,
Praxiskommentar, N. 1 zu Art. 361 StPO; Christian Schwarzenegger, in: Kommentar
zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 1 zu Art. 361 StPO). Das
Gericht befindet frei darüber, ob (a) die Durchführung des abgekürzten
Verfahrens rechtmässig und angebracht ist, (b) die Anklage mit dem Ergebnis der
Hauptverhandlung und den Akten übereinstimmt und (c) die beantragten Sanktionen
angemessen sind (Art. 362 Abs. 1 StPO).

2.5.2. Der Botschaft lässt sich nicht entnehmen, ob das Gericht die ihm
obliegenden Prüfungspflichten hinreichend wahrnehmen kann, wenn die
beschuldigte Person an der Hauptverhandlung zwar anwesend ist, aber schweigt
(Botschaft StPO, BBl 2006 S. 1294 ff.).

2.5.3. Nach Greiner/Jaggi kann sich das Gericht bei der Befragung der
beschuldigten Person an der erstinstanzlichen Verhandlung vergewissern, dass
die Anklageschrift tatsächlich auf dem freien Willen sämtlicher Beteiligter
beruht. Die Befragung stelle ein wesentliches Element der Schutzfunktion des
gerichtlichen Bestätigungsverfahrens dar. Das Gericht müsse sichergehen, ob
überhaupt ein Geständnis vorliege und ob es sämtliche zur Anklage gebrachten
Sachverhalte abdecke. Sodann müsse es sich versichern, dass die Erklärung,
welche die beschuldigte Person in der Verhandlung abgebe, mit der Aktenlage
übereinstimme. Die Autoren sind der Auffassung, die Befragung der beschuldigten
Person sei unabdingbar, weil das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung klären
müsse, ob diese den Sachverhalt anerkenne, welcher der Anklage zugrunde liege.
Ohne Befragung könne das Gericht seiner Prüfungspflicht kaum nachkommen,
weshalb ein abgekürztes Verfahren in Abwesenheit der beschuldigten Person nicht
möglich scheine (a.a.O., N. 11 ff. und N. 19 zu Art. 361 StPO mit Hinweisen;
gl.M. mit eingehender Begründung Faller/Reymond/Vuille, Une procédure
simplifiée au sens des art. 358 ss CPP peut-elle se dérouler par défaut-, ZStR
130/2012 76 ff., S. 87 ff.; ebenso Stefan Christen, Anwesenheitsrecht im
schweizerischen Strafprozessrecht mit einem Exkurs zur Vorladung, Diss. 2010,
S. 224 lit. c; gl.M. Jeanneret/Kuhn, a.a.O., S. 436 N. 17072; Moreillon/
Parein-Reymond, a.a.O., N. 6 zu Art. 361 StPO; John Noseda, a.a.O., N. 2 zu
Art. 361 StPO; Jo Pitteloud, a.a.O., S. 706 N. 1036; Bertrand Perrin, a.a.O.,
N. 14 ff. zu Art. 361 StPO; a.M. Niklaus Schmid, Praxiskommentar, N. 3 zu Art.
361 StPO; derselbe, Handbuch, S. 633 Fn. 87; wahrscheinlich auch a.M.
Schwarzenegger, a.a.O., N. 4 zu Art. 361 StPO). Greiner/Jaggi erachten eine
Dispensation der beschuldigten Person höchstens in absoluten Ausnahmefällen als
denkbar (a.a.O., N. 20 zu Art. 361 StPO mit Hinweis; gl.M. Jo Pitteloud,
a.a.O., S. 706 N. 1036; Faller/Reymond/Vuille, a.a.O., S. 91, plädieren für
eine grosszügige Zulassung von Dispensationen).

2.5.4. Sven Zimmerlin nimmt an, aufgrund des erforderlichen Geständnisses der
beschuldigten Person setze das abgekürzte Verfahren deren Verzicht auf das
Aussageverweigerungsrecht voraus. Das Gericht habe zu prüfen, ob die
Voraussetzungen des abgekürzten Verfahrens vorliegen. Indem die beschuldigte
Person die Anerkennung des Sachverhalts zurücknehme, könne sie ein ordentliches
Verfahren erzwingen. Voraussetzung für die Gültigkeit der abgegebenen
Verzichtserklärungen der beschuldigten Person sei die strikte Einhaltung der
gesetzlichen Formalien. Dazu gehöre neben der Bestellung eines amtlichen
Verteidigers sowohl die Unterrichtung der beschuldigten Person über die
Bedeutung ihrer Zustimmung zur Anklageschrift als auch die gerichtliche
Kontrolle des Geständnisses bzw. der Anerkennung des Sachverhalts (inkl. deren
Zustandekommen) sowie der Angemessenheit der Sanktionen (Sven Zimmerlin, Der
Verzicht des Beschuldigten auf Verfahrensrechte im Strafprozess, Diss. 2008, S.
239 N. 702, S. 241 N. 707 und S. 248 N. 724).

2.5.5. FELIX BOMMER ist der Auffassung, dass man in der Anerkennung des
Sachverhalts gemäss Art. 361 Abs. 2 lit. a StPO eine Erneuerung des
Geständnisses sehen müsse, das bereits zu Beginn des abgekürzten Verfahrens
abgelegt worden sei. Nur eine positive Erklärung könne daraufhin überprüft
werden, ob sie mit der Aktenlage übereinstimme (Art. 361 Abs. 2 lit. b StPO).
Fehle eine solche, müsse das abgekürzte Verfahren abgebrochen werden ( FELIX
BOMMER, Schweizerische Strafprozessordnung und Schweizerische
Jugendstrafprozessordnung, Kurzer Prozess mit dem abgekürzten Verfahren-, Bern
2010, S. 155).

2.6. Das gerichtliche Bestätigungsverfahren ist einer der gesetzlich
vorgesehenen Schutzmechanismen im abgekürzten Verfahren. Die Befragung der
beschuldigten Person anlässlich der Hauptverhandlung stellt dabei ein
wesentlicher Bestandteil dar. Die Anerkennung des angeklagten Sachverhalts
durch die beschuldigte Person gemäss Art. 361 Abs. 2 lit. a StPO muss als
Erneuerung des Geständnisses verstanden werden, das diese bereits im
Vorverfahren ablegte. Angesichts des Ausnahmecharakters des abgekürzten
Verfahrens kann auf eine solche Bestätigung nicht verzichtet werden. Wenn sich
die beschuldigte Person an der Hauptverhandlung auf ihr
Aussageverweigerungsrecht beruft, kann das Gericht seine Prüfungspflichten
nicht wahrnehmen. In einem solchen Fall kann es lediglich feststellen, dass die
Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren nicht erfüllt sind,
weshalb die Akten nach Art. 362 Abs. 3 Satz 1 StPO an die Staatsanwaltschaft
zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückzuweisen sind. Die
Verweigerung der Aussage an der Gerichtsverhandlung führt zwar faktisch zur
Möglichkeit, die (grundsätzlich unwiderrufliche, vgl. Art. 360 Abs. 2 StPO)
Zustimmung zur Anklageschrift zu widerrufen. Diese Folge ist aber hinzunehmen,
wenn sich das Gericht nicht persönlich davon überzeugen kann, dass die
beschuldigte Person den angeklagten Sachverhalt anerkennt. Andernfalls könnte
ebenso gut auf die Durchführung einer Hauptverhandlung und das gerichtliche
Bestätigungsverfahren verzichtet werden.

3.

 Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich ist aufzuheben und die Sache zur
neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich
hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Entschädigung ist
seinem Rechtsvertreter zuzusprechen. Damit wird das Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich wird aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt
Stephan A. Buchli, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Juni 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Pasquini

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