Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.512/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_512/2012

Urteil vom 30. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. X.________,
2. Y.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Marc-Antoine Kämpfen,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 11. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
A.________ war am 13. Mai 2008 als Maurer auf einer Baustelle eines Neubaus in
Dübendorf (ZH) tätig. Er stürzte von einem Baugerüst ca. sieben Meter in die
Tiefe und zog sich dabei verschiedene Verletzungen zu. Y.________ und
X.________ waren beim Architekturbüro angestellt, das mit dem Neubau betraut
war.

B.
Das Bezirksgericht Uster, Einzelgericht in Strafsachen, sprach Y.________ und
X.________ am 29. Juni 2011 vom Vorwurf der fahrlässigen einfachen
Körperverletzung frei.

Das Obergericht des Kantons Zürich trat am 11. Juli 2012 im Berufungsverfahren
auf die Anklage nicht ein und stellte das Strafverfahren gegen Y.________ und
X.________ ein.

C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen.
Sie beantragt im Wesentlichen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich sei aufzuheben. Die Sache sei zum Entscheid, ob auf die Berufung
einzutreten sei, und zur allfälligen Durchführung der Berufungsverhandlung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland hat die aus ihrer Sicht für den Bauunfall
vom 13. Mai 2008 verantwortlichen Y.________ und X.________ (Beschwerdegegner)
mit insgesamt vier Anklageschriften vom 15. September 2009, 24. März 2010, 20.
September 2010 und 8. März 2011 beim zuständigen Einzelrichter in Strafsachen
der fahrlässigen Körperverletzung angeklagt.

Der erstinstanzliche Einzelrichter trat am 18. Januar 2010 auf die Anklage vom
15. September 2009 nicht ein. Eine ergänzte Anklage vom 24. März 2010 liess er
am 1. Juni 2010 einstweilen nicht zu. Daraufhin reichte die
Untersuchungsbehörde am 20. September 2010 bei der ersten Instanz eine
gleichlautende Anklageschrift ein. Dies führte am 17. Dezember 2010 zu einer
weiteren einstweiligen Nichtzulassung. Am 8. März 2011 übermittelte die
Untersuchungsbehörde dem zuständigen Einzelrichter abermals eine gleichlautende
Anklage. Dessen Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung
datiert vom 29. Juni 2011. Die Vorinstanz stellte im Berufungsverfahren am 11.
Juli 2012 das Strafverfahren gegen die Beschwerdegegner ein.

1.1 Die Vorinstanz verweist einleitend auf die Erwägungen des Einzelrichters in
Strafsachen vom 18. Januar 2010 (vorinstanzliche Akten act. 22). Danach
umschreibe die erste Anklageschrift zu wenig genau, woraus sich eine
Garantenstellung der Beschwerdegegner ergeben könnte. Ungenügend sei die
Anklage auch betreffend die zur Last gelegte Sorgfaltspflichtverletzung. Zudem
sei der tatbestandsrelevante Sachverhalt, insbesondere die Garantenstellung, in
der Untersuchung zu wenig abgeklärt worden. Eine Rückweisung einer mangelhaften
Anklage zur Verbesserung sei gemäss § 182 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons
Zürich vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (StPO/ZH; LS 321; aufgehoben
per 1. Januar 2011) nur möglich, wenn das Gericht aufgrund der bereits
erhobenen Beweise zur Überzeugung gelangte, dass der Tatbestand erfüllt sei.
Eine Beweisergänzung im Sinne von § 183 Abs. 2 aStPO/ZH sei lediglich im Rahmen
einer im betreffenden Punkt mängelfreien Anklage statthaft. Die Verbindung
einer Rückweisung zur Anklagekorrektur mit einer solchen zur Beweisergänzung
sei bezüglich des gleichen Mangels unzulässig. Die Anklageschrift genüge dem
Akkusationsprinzip nicht, und der Mangel könne nicht behoben werden. Da es an
einer Prozessvoraussetzung fehle, sei das Verfahren durch einen
Nichteintretensentscheid zu erledigen.

Die Verfügung vom 18. Januar 2010 sei, so die Vorinstanz, rechtskräftig. Damit
stelle sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes "ne bis in idem" die Frage,
ob auf die jüngste Anklage vom 8. März 2011 eingetreten werden könne. Die
Nichteintretensverfügung vom 18. Januar 2010 sei nicht mit einer Rückweisung
verbunden gewesen, die Anklage zu verbessern und die Untersuchung zu ergänzen.
Die Mängel der Anklageschrift seien nicht behebbar gewesen. Ein Vorgehen im
Sinne von § 182 Abs. 3 aStPO/ZH sei nur zulässig, wenn der Richter aufgrund der
bereits vorliegenden Beweise zur Überzeugung gelange, eine korrekt formulierte
Anklage führe zum Schuldspruch. Die Verfügung vom 18. Januar 2010 stelle einen
verfahrenserledigenden definitiven Nichteintretensentscheid dar (§ 167 Ziff. 3
aStPO/ZH analog). Dieser habe den Charakter eines Sachentscheids. Auf eine
Anklage, die den Beschuldigten den gleichen Lebenssachverhalt vorwerfe, dürfe
nicht eingetreten werden. Damit wäre auf die zweite und dritte Anklage nicht
einzutreten gewesen. Dasselbe gelte (in Anwendung von Art. 329 Abs. 4 StPO in
Verbindung mit Art. 320 Abs. 1 und 4 StPO sowie Art. 437 Abs. 1 und 2 StPO) in
Bezug auf die vierte Anklage vom 8. März 2011. Die erste Instanz hätte das
Verfahren wegen eines unüberwindbaren Verfahrenshindernisses einstellen müssen.
Dies sei im Berufungsverfahren nachzuholen (Entscheid S. 7 ff.).

1.2 Seit dem 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO;
SR 312.0) in Kraft. Ist ein Entscheid vor Inkrafttreten der StPO gefällt
worden, werden dagegen erhobene Rechtsmittel nach bisherigem Recht und von den
bisher zuständigen Behörden beurteilt (Art. 453 Abs. 1 StPO). Für Rechtsmittel
gegen erstinstanzliche Entscheide, die nach dem 31. Dezember 2010 gefällt
werden, gilt neues Recht (Art. 454 Abs. 1 StPO). Ausschlaggebend für die
Anwendbarkeit des alten oder neuen Prozessrechts ist mithin das
erstinstanzliche Entscheiddatum (BGE 137 IV 219 E. 1.1 S. 221 mit Hinweisen).
Das erstinstanzliche Urteil datiert vom 29. Juni 2011. Die Vorinstanz wendet,
indem sie gestützt auf Art. 403 Abs. 1 lit. c StPO auf die Anklage vom 8. März
2011 nicht eintritt, zutreffend das neue Strafprozessrecht an. Eine vor dem 1.
Januar 2011 verfügte Einstellung eines Strafverfahrens kann unabhängig von den
Bedingungen nach bisherigem Verfahrensrecht unter der Voraussetzung von Art.
323 StPO wieder aufgenommen werden. Art. 320 Abs. 4 StPO gilt auch für
Einstellungsverfügungen, die vor Inkrafttreten der StPO rechtskräftig wurden
(NIKLAUS SCHMID, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010,
N. 210). Neues Prozessrecht ist damit auch betreffend den richterlichen
Nichteintretensentscheid vom 18. Januar 2010 massgebend.
1.3
1.3.1 Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen Art. 403 Abs. 1 und Art.
408 StPO. Die Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" sei eine negative
Prozessvoraussetzung. Die Vorinstanz sei auf die Berufung "offenbar sinngemäss"
eingetreten. Deshalb könne nicht in Anwendung von Art. 403 StPO auf die Anklage
nicht eingetreten werden, da die erste Instanz diesen Entscheid hätte fällen
müssen. Korrekterweise hätte die Vorinstanz auf die Berufung nicht eintreten
und die Sache zur Neubeurteilung an die erste Instanz zurückweisen müssen.
Werde auf die Berufung eingetreten, so sei die Berufungsverhandlung
durchzuführen (Beschwerde S. 3 ff.).
1.3.2 Das Berufungsgericht entscheidet nach Art. 403 Abs. 1 StPO auf Antrag
einer Partei oder auf Veranlassung der Verfahrensleitung, ob auf die Berufung
einzutreten ist. Das Gesetz sieht drei Gründe vor, welche zu einem
Nichteintretensentscheid führen. Zwei Gründe stehen im Zusammenhang mit dem
Berufungsverfahren (lit. a und b) und ein Grund betrifft die
Prozessvoraussetzungen respektive Prozesshindernisse (lit. c). Der Grundsatz
"ne bis in idem" stellt eine negative Prozessvoraussetzung (Prozesshindernis)
dar (BGE 114 Ia 143 E. 4b S. 146 f. mit Hinweisen; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 41 Rz. 8; NIKLAUS
OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 617 ff. und N.
1399; DONATSCH/SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich,
1997, N. 9 zu § 166 StPO/ZH).

Der Nichteintretensentscheid des Berufungsgerichts bringt das Verfahren ohne
Sachprüfung zum Abschluss (LUZIUS EUGSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 8 zu Art. 403 StPO). Tritt das Berufungsgericht
auf das Rechtsmittel ein, fällt es nach durchgeführtem mündlichen oder
schriftlichen Berufungsverfahren ein neues Urteil (Art. 408 StPO). Es kann auch
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das erstinstanzliche Gericht
zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung und zur Fällung eines neuen
Urteils zurückweisen (Art. 409 StPO).
1.3.3 Bereits aus den zitierten Gesetzesbestimmungen geht hervor, dass einem
kassatorischen Beschluss (Art. 409 StPO) ein Eintreten auf das Rechtsmittel
vorausgeht. Dies verkennt die Beschwerdeführerin, indem sie ausführt, die
Vorinstanz hätte auf die Berufung nicht eintreten und "die Sache zur richtigen
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Bezirksgericht zurückweisen
müssen".

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Vorinstanz hätte unter
Berücksichtigung des Grundsatzes "ne bis in idem" nicht reformatorisch
entscheiden dürfen (Art. 408 StPO), sondern die Sache an die erste Instanz
zurückweisen müssen, worauf diese einen Nichteintretensentscheid gefällt hätte
(vgl. Art. 409 Abs. 3 StPO). Der erstinstanzliche Entscheid wäre hierauf durch
die Vorinstanz im Rechtsmittelverfahren zu überprüfen gewesen. Diese
Argumentation geht an der Sache vorbei. Die Vorinstanz ist auf die Berufung der
Beschwerdeführerin nicht eingetreten (siehe nachfolgend). Selbst wenn die
Vorinstanz auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin eingetreten wäre, so ist
die kassatorische Wirkung einer Berufung nur in Ausnahmefällen zu bejahen, das
heisst bei wesentlichen Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens wie
beispielsweise bei Verweigerung von Teilnahmerechten oder nicht gehöriger
Verteidigung. Die Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens und Urteils müssen
derart gravierend sein, dass die Rückweisung zur Wahrung der Parteirechte
unumgänglich erscheint (Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 8.4.2;
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBl 2006 1318 Ziff. 2.9.3.3). Es wird von der Beschwerdeführerin nicht dargetan
und ist nicht ersichtlich, inwiefern hier ein kassatorischer Entscheid der
Vorinstanz zur Wahrung der Parteirechte unumgänglich gewesen wäre. Vielmehr
hätte er einen formalistischen Leerlauf bedeutet.

Bei einem definitiven Verfahrenshindernis ist die Einstellung des Verfahrens
durch die Rechtsmittelinstanz möglich (vgl. Art. 403 StPO sowie Art. 379 StPO
in Verbindung mit Art. 329 Abs. 4 StPO; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des
schweizerischen Strafprozessrechts, 2009 [zit. Handbuch], N. 1278; DERSELBE,
Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009 [zit.
Praxiskommentar], N. 9 zu Art. 403 StPO; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 41 Rz. 15). Die Vorinstanz
gab den Parteien am 24. Mai 2012 gemäss Art. 403 Abs. 1 und 2 StPO Gelegenheit,
sich zur Frage einer Verfahrenseinstellung zu äussern (vorinstanzliche Akten
act. 91). Sie trat in der Folge ohne Weiterungen in Anwendung von Art. 403 Abs.
1 lit. c StPO auf die Anklage vom 8. März 2011 nicht ein und stellte das
Strafverfahren gegen die Beschwerdegegner ein. Damit ist sie entgegen dem
Dafürhalten der Beschwerdeführerin nicht auf die Berufung eingetreten. Ihr
Vorgehen ist nicht zu beanstanden, und die Rüge der Verletzung von Bundesrecht
(Art. 403 Abs. 1 und Art. 408 StPO) ist unbegründet.
1.4
1.4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Nichteintretensentscheid vom 18.
Januar 2010 stelle kein Prozesshindernis dar. Die Vorinstanz verletze Art. 403
Abs. 1 lit. c und Art. 329 Abs. 1 lit. c StPO und gehe von einem unzutreffenden
Verständnis des Grundsatzes "ne bis in idem" aus. Die Beschwerdeführerin
verweist auf Art. 11 StPO, Art. 4 des Protokolls Nr. 7 vom 22. November 1984
zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101.07),
Art. 14 Abs. 7 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche
und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) und Art. 9 BV. Zur Begründung
führt sie an, der Nichteintretensentscheid sei ohne jede materielle
Rechtsprüfung erfolgt. Die Anklage sei zur Korrektur und zur Ergänzung der
Untersuchung zurückgewiesen worden. Inhaltlich sei eine einstweilige
Nichtzulassung erfolgt. Die Untersuchungsbehörde habe sich darauf beschränkt,
die mangelhafte Anklageschrift zu verbessern und erneut einzureichen. Inwiefern
diesem Vorgehen der Grundsatz "ne bis in idem" entgegenstehen soll, sei nicht
nachvollziehbar. Der Nichteintretensentscheid sei erfolgt, da eine Rückweisung
einer Anklage zur Abänderung oder Ergänzung im Sinne von § 182 Abs. 3 aStPO/ZH
nicht mit einer Rückweisung zur Beweisergänzung im Sinne von § 183 Abs. 2 aStPO
/ZH verbunden werden könne. Dabei handle es sich nicht um einen unabänderlichen
prozessualen Grund (Beschwerde S. 5 ff.).
1.4.2 Der Grundsatz "ne bis in idem" wird garantiert durch Art. 4 des
Protokolls Nr. 7 zur EMRK vom 22. November 1984 (SR 0.101.07). Danach darf
niemand wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem
Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen
worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder
bestraft werden. Der Grundsatz ist zudem in Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II (SR
0.103.2) festgehalten. Er lässt sich auch aus der Bundesverfassung ableiten (
BGE 128 II 355 E. 5.2 S. 367; 125 II 402 E. 1b S. 404; je mit Hinweisen).
Schliesslich darf nach Art. 11 Abs. 1 StPO wegen der gleichen Straftat nicht
erneut verfolgt werden, wer in der Schweiz rechtskräftig verurteilt oder
freigesprochen worden ist (vgl. BGE 137 I 363 E. 2.1 S. 364 f. mit Hinweisen;
siehe auch Art. 300 Abs. 2 StPO). Die Anwendung des Prinzips "ne bis in idem"
setzt unter anderem voraus, dass dem Richter im ersten Verfahren die
Möglichkeit zugestanden haben muss, den Sachverhalt unter allen
tatbestandsmässigen Punkten zu würdigen (BGE 135 IV 6 E. 3.3 S. 10 mit
Hinweis).

Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden
Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO). Sie erwächst in materielle
Rechtskraft. Der Grundsatz "ne bis in idem" stünde deshalb einer erneuten
strafrechtlichen Verfolgung wegen der gleichen Straftat grundsätzlich entgegen.
Die Rechtskraft der Einstellung ist jedoch beschränkt, da diese entgegen einem
richterlichen Urteil regelmässig nicht auf einer umfassenden Prüfung der Sach-
und Rechtslage beruht (GRÄDEL/HEINIGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 14 zu Art. 320 StPO; OBERHOLZER, a.a.O., N. 1409;
SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1263; DONATSCH/SCHMID, a.a.O., N. 1 ff. zu § 45
StPO/ZH). Nach Art. 11 Abs. 2 StPO sind die Wiederaufnahme eines eingestellten
oder nicht anhand genommenen Verfahrens (Art. 310 und Art. 319 ff. StPO) und
die Revision (Art. 410 ff. StPO) vorbehalten. Dies steht u.a. mit Art. 8 BV im
Einklang (Botschaft, a.a.O., 1133 Ziff. 2.1.2). Art. 4 Abs. 2 des Protokolls
Nr. 7 zur EMRK sieht die Wiederaufnahme des Verfahrens unter anderem vor, wenn
neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen. Nach BGE 120 IV 10 E. 2b
S. 13 kann ein eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen werden, sofern die
Behörden neue Tatsachen oder Beweismittel entdeckt haben.

Die Schweizerische Strafprozessordnung regelt die Wiederaufnahme eines durch
Einstellungsverfügung rechtskräftig beendeten Verfahrens in Art. 323 StPO.
Danach ist die Wiederaufnahme möglich, wenn neue Beweismittel oder Tatsachen
bekannt werden, die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der
beschuldigten Person sprechen (Abs. 1 lit. a) und sich nicht aus den früheren
Akten ergeben (Abs. 1 lit. b). Die Beweislage muss sich geändert haben (SCHMID,
Handbuch, a.a.O., N. 1264). Möglich ist auch, dass Umstände wie die
Geringfügigkeit (Art. 52 StGB), die Wiedergutmachung (Art. 53 StGB) oder die
Betroffenheit des Täters durch seine Tat (Art. 54 StGB) zur Einstellung geführt
haben und diesbezüglich neue Tatsachen eine Wiederaufnahme notwendig machen
(NATHAN LANDSHUT, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010,
N. 14 und 20 zu Art. 323 StPO). Art. 329 StPO, der die gerichtliche Prüfung der
Anklage zum Gegenstand hat, verweist im Zusammenhang mit der Einstellung des
Verfahrens in Abs. 4 auf Art. 320 StGB. Die Wiederaufnahme im Sinne von Art.
323 StPO ist grundsätzlich auch bei gerichtlichen Einstellungen im Sinne von
Art. 329 Abs. 4 StPO möglich (vgl. SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 19 zu
Art. 329 StPO; BRIGITTE TAG, Allgemeine Verfahrensregeln, in: Schweizerische
Strafprozessordnung, Ausgewählte Aspekte aus Zürcher Sicht, 2010, S. 34).
1.4.3 Der erstinstanzliche Einzelrichter trat am 18. Januar 2010 auf die
Anklage der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 15. September 2009 nicht ein.
Er erwog im Wesentlichen, dass eine Anklagekorrektur im Sinne von § 182 Abs. 3
aStPO/ZH wie auch eine Beweisergänzung gemäss § 183 Abs. 2 aStPO/ZH
erforderlich seien. Jedoch sei die Verbindung einer gerichtlichen Aufforderung
im Sinne der erstgenannten Bestimmung mit der Rückweisung zur Beweisergänzung
im gleichen Punkt unter Hinweis auf die kantonalzürcherische Rechtsprechung
nicht möglich (Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 24.
Februar 2003, in: ZR 102/2003 Nr. 54; vgl. etwa auch Entscheide des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. August 2012, Prozess-Nr. SB120214; 30.
Oktober 2009, Prozess-Nr. SB090312; 21. September 2009, in: ZR 109/2010 Nr. 23;
DONATSCH/SCHMID, a.a.O., N. 13 und 16 zu § 182 StPO/ZH). Der Mangel sei nicht
behebbar. Der Entscheid des erstinstanzlichen Einzelrichters vom 18. Januar
2010 blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft. Die Vorinstanz
qualifiziert ihn zutreffend als definitives Nichteintreten respektive
definitive Nichtzulassung (§ 167 Ziff. 3 aStPO/ZH analog). Es handelt sich nach
den korrekten Erwägungen der Vorinstanz nicht um eine einstweilige
Nichtzulassung, und die Anklage wurde nicht zur Ergänzung zurückgewiesen
(Beschwerde S. 7). Dies geht aus den Erwägungen wie auch aus dem
Entscheiddispositiv unzweifelhaft hervor. Dafür spricht auch der Hinweis auf
das kantonale Rechtsmittel. Nur die definitive Nichtzulassung der Anklage war
mit Rekurs anfechtbar, nicht aber die einstweilige Nichtzulassung im Sinne von
§ 167 Ziff. 2 aStPO/ZH (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2005, Rz.
999 und Fn. 121). Die definitive Nichtzulassung bewirkte den Abschluss des
gegen die Beschwerdegegner geführten Verfahrens, ohne dass eine zusätzliche
Einstellung des Verfahrens durch die Untersuchungsbehörde nötig war (DONATSCH/
SCHMID, a.a.O., N. 13 zu § 167 StPO/ZH).

Die altrechtliche definitive Nichtzulassung, welcher beschränkte materielle
Rechtskraft zukommt, führt nach Art. 320 Abs. 4 StPO grundsätzlich zum Verbot
der doppelten Strafverfolgung ("ne bis in indem"). Es stellt sich die Frage, ob
die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme im Sinne von Art. 323 StPO zu
bejahen gewesen wären. Die Anklageschrift vom 8. März 2011 entspricht den
früheren Anklageschriften vom 20. September 2010 und 24. März 2010. Sie erfuhr
gegenüber der ersten Anklage vom 15. September 2009 leichte Ergänzungen. Die
Staatsanwaltschaft See/Oberland führte darin zusätzlich im Wesentlichen aus,
seit wann die Beschwerdegegner im besagten Architekturbüro angestellt waren und
was zu ihrem gemeinsamen Verantwortlichkeitsbereich als Projekt- und Bauleiter
gehörte. Zudem hielt die Staatsanwaltschaft neu fest, die Beschwerdegegner
hätten darauf vertraut, dass nur Zimmerleute über die fragliche ungesicherte
Stelle zwischen Aussen- und Innengerüst gingen und der Urheber der
Manipulationen das Gerüst wieder in Ordnung brächte. Diese Anklageergänzung
erfolgte in teilweiser Berücksichtigung der richterlichen Erwägungen vom 18.
Januar 2010. Sie zeigt auf, dass sich die Beweislage in Bezug auf die rund ein
Jahr zurückliegende Verfahrenseinstellung unverändert präsentierte. Neue
Beweismittel oder Tatsachen im Sinne von Art. 323 StPO werden in der ergänzten
Anklage nicht genannt. Die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme im Sinne der
genannten Bestimmung waren nicht gegeben. Es ist deshalb nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz auf die in gleicher Sache erfolgte Anklage vom 8. März 2011
nicht eintritt, nachdem die Untersuchung zu Beginn des Jahres 2010 durch die
formell und materiell rechtskräftige definitive Nichtzulassung der Anklage zum
Abschluss gekommen war. Damit kann dahingestellt bleiben, ob die
Untersuchungsbehörde die Wiederaufnahme überhaupt formell verfügte. Die
Vorinstanz berücksichtigt zutreffend das Verbot der doppelten Strafverfolgung
("ne bis in idem"), und eine Bundesrechtsverletzung liegt nicht vor.

2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG). Den Beschwerdegegnern ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihnen im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga

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