Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.482/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_482/2012

Urteil vom 3. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hugo Werren,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Vergewaltigung, Förderung der Prostitution; Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer,
vom 28. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt führte eine Voruntersuchung gegen
mehrere Mitglieder des Vereins A.________ durch. X.________ war in diesem
Verfahren nicht Beschuldigter, sondern Auskunftsperson. Im Rahmen der
Beweiserhebungen wurde B.________, die früher für den Verein A.________ als
Prostituierte gearbeitet hatte, als Auskunftsperson und Zeugin befragt. Im
Rahmen ihrer Einvernahmen beschuldigte sie X.________ der Vergewaltigung. Das
Eidgenössische Untersuchungsrichteramt übermittelte die Strafanzeige am 15.
Oktober 2007 der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (kantonale Akten, act.
37 ff.).
Gemäss Anklage der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 7. Dezember 2010
arbeitete B.________ für X.________ im Herbst/Winter 2002 während ca. vier bis
sechs Wochen im Bordell "C.________" in D.________ als Prostituierte. Nachdem
sie es eines Abends abgelehnt hatte, mit ihm intim zu werden, soll er sie mit
der Hand und seinem Körpergewicht gewaltsam auf das Bett gedrückt und von
hinten an ihr den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollzogen haben.
B.________ habe die ganze Zeit geweint. X.________ wird weiter vorgeworfen,
B.________ in ihrer Tätigkeit als Prostituierte im Bordell "C.________"
überwacht und Ort, Zeit und Ausmass der Prostitution bestimmt zu haben. Sie
habe nicht frei wählen können, wann, wie oft und für welchen Preis sie sexuelle
Dienstleistungen anbieten wollte. Die Einnahmen habe sie umgehend abgeben
müssen. Schliesslich soll X.________ im Bordell Betäubungsmittel verkauft bzw.
abgegeben haben.

B.
Das Bezirksgericht Lenzburg stellte das Verfahren mit Urteil vom 28. Juli 2011
in Bezug auf den Vorwurf der Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
infolge Verjährung ein. Es sprach X.________ der Vergewaltigung (Art. 190 Abs.
1 StGB) und der Förderung der Prostitution (Art. 195 Abs. 3 StGB) schuldig und
verurteilte ihn zu einer unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 3 Jahren.
Auf Berufung von X.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau
am 28. Juni 2012 das bezirksgerichtliche Urteil.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, er sei von Schuld und
Strafe freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Für den Fall des Obsiegens sei ihm eine Genugtuung
zuzusprechen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Die in Bundeskompetenz u.a. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Art.
260ter StGB) geführte Untersuchung gegen mehrere Mitglieder des Vereins
A.________ hängt nicht mit dem kantonal geführten Verfahren gegen den
Beschwerdeführer zusammen. Aus dem Umstand, dass die Bundesanwaltschaft das
Verfahren gegen den Verein A.________ in Bezug auf den Vorwurf wegen Art.
260ter StGB einstellte, kann der Beschwerdeführer nicht ableiten, seine
Verurteilung wegen Vergewaltigung und Förderung der Prostitution sei
willkürlich. Die Empfehlung von Strafverfolgungsbehörden des Bundes, ein
Verfahren sei zu eröffnen bzw. nicht zu eröffnen, ist für die zuständigen
kantonalen Behörden nicht bindend. Ebenso wenig ist von Belang, wie jene
Behörden die Aussagen der Geschädigten B.________ beurteilten. Selbst wenn sie
deren Schilderungen für nicht glaubhaft hielten (siehe aber Schlussbericht des
Eidgenössischen Untersuchungsrichteramts, S. 510), folgt daraus nicht, dass die
gegenteilige Würdigung durch die Vorinstanz willkürlich ist. Die
diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers (Beschwerde, S. 15 ff., S.
18 ff., S. 20 ff.) gehen an der Sache vorbei.
Das gilt auch, soweit er behauptet, ein Eindringen von hinten in eine auf dem
Bauch liegende Frau sei unmöglich. Der Beschwerdeführer erweitert den von der
Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) in
unzulässiger Weise (Beschwerde, S. 23 f.). Inwiefern Abklärungen zu den
körperlichen Ausmassen der Geschädigten und des Beschwerdeführers hätten
notwendig sein sollen, ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich. Die Rügen
der Verletzung von Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV sind unbegründet.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet in mehrfacher Hinsicht eine nicht
effektive amtliche Verteidigung im Berufungsverfahren und eine Verletzung der
richterlichen Fürsorgepflicht durch die Vorinstanz. Er rügt Art. 3 Abs. 2 lit.
a (Grundsatz von Treu und Glauben) und lit. c StPO (gerechtes Verfahren/
rechtliches Gehör) und Art. 128 StPO (Stellung der Verteidigung) sowie Art. 29
Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK als verletzt.

2.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen der amtliche wie der
private Verteidiger die Interessen der Angeschuldigten in ausreichender und
wirksamer Weise wahrnehmen und die Notwendigkeit prozessualer Massnahmen im
Interesse der Angeschuldigten sachgerecht und kritisch abwägen. Der
Angeschuldigte hat Anspruch auf eine sachkundige, engagierte und effektive
Wahrnehmung seiner Parteiinteressen. Wird von den Behörden untätig geduldet,
dass der Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum
Nachteil des Angeschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann
darin eine Verletzung der von Verfassung und Konvention gewährleisteten
Verteidigungsrechte liegen. Als schwere Pflichtverletzung fällt allerdings nur
sachlich nicht vertretbares bzw. offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten
des Verteidigers in Betracht (BGE 126 I 194 E. 3d; 120 Ia 48 E. 2c/d; Urteil
des Bundesgerichts 6B_100/2010 vom 22. April 2010, in: Pra 2010 Nr. 104 S. 708,
E. 2.1, mit Hinweisen).
Die mit der Strafverfolgung betrauten Behörden haben nach Art. 32 Abs. 2 und
Art. 31 Abs. 2 BV für die Voraussetzungen eines fairen Strafverfahrens zu
sorgen (vgl. nunmehr auch Art. 3 StPO). Die daraus resultierende richterliche
Fürsorgepflicht gebietet dem Richter im Falle einer offenkundig ungenügenden
Verteidigung, den amtlichen Verteidiger zu ersetzen, und bei einer privaten
Verteidigung einzuschreiten sowie nach der Aufklärung des Angeschuldigten über
seine Verteidigungsrechte das zur Gewährleistung einer genügenden Verteidigung
Erforderliche vorzukehren (BGE 131 I 350 E. 4.1 und E. 4.2; 124 I 185 E. 3a;
Urteil 6B_172/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 1.3.1).
2.3
2.3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, sein amtlicher Verteidiger habe es
entgegen seinen Instruktionen unterlassen, die Vorakten aus einem Parallelfall
(Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 1. Juli 2004) beizuziehen. Die
Geschädigte habe im erwähnten Zürcher Fall mit der Anzeige einer angeblichen
Vergewaltigung eine erhebliche Genugtuung herausgeholt. Nach bewährtem Muster
versuche sie dasselbe bei ihm. Nach mathematischer Wahrscheinlichkeit sei es
indes kaum möglich, dass jemand innert einer eher kurzen Zeitspanne von zwei
Jahren gleich mehrfach vergewaltigt werde (Beschwerde, S. 5-8; siehe auch S.
20).
2.3.2 Mit seinen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer keine krasse
Pflichtverletzung in der amtlichen Verteidigung auf (vgl. zu Beispielen
schwerer Pflichtverletzung BGE 126 I 194 E. 3d S. 199 mit Hinweisen). Ob sein
damaliger Rechtsvertreter die fraglichen Vorakten beizuziehen gedachte oder
nicht, lag in seinem Ermessen. Der Beschwerdeführer zielt mit seiner Kritik
letztlich darauf ab, die personenbezogene Glaubwürdigkeit der Geschädigten in
Frage zu stellen. Dies ist unbehelflich. Jene sah davon ab, sich als
Zivilklägerin zu konstituieren, und machte gegenüber dem Beschwerdeführer keine
Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche geltend (kantonale Akten, act. 217;
vgl. erstinstanzliches Urteil, S. 20). Dass sie gemäss dem Vorbringen des
Beschwerdeführers ein weiteres Geschehen als Vergewaltigung zur Anzeige
brachte, ist ebenfalls nicht geeignet, ihre Glaubwürdigkeit als solche zu
schmälern, zumal entgegen der unzutreffenden Annahme des Beschwerdeführers
(Beschwerde, S. 6 f.) davon ausgegangen werden darf, dass im Milieu tätige
Prostituierte dem Risiko sexueller Gewalt in erhöhtem Ausmass ausgesetzt sind.
Auf die weiteren Versuche des Beschwerdeführers, den Ruf der Geschädigten als
glaubwürdige Person u.a. mit Hilfe des Schlussberichts des Eidgenössischen
Untersuchungsrichteramts zu untergraben, ist nicht näher einzugehen
(Beschwerde, S. 15 f., S. 18 ff.).
2.4
2.4.1 Der Beschwerdeführer beanstandet weiter, sein damaliger Verteidiger habe
- über seinen Kopf hinweg - dem Vorschlag der Vorinstanz zugestimmt, das
Berufungsverfahren schriftlich durchzuführen. Er sei dadurch seines Anspruchs
verlustig gegangen, sich dem Gericht persönlich zu stellen. Der Verzicht auf
ein mündliches Verfahren sei mit der objektiven Wahrung seiner Interessen nicht
vereinbar, zumal nicht nur Rechtsfragen, sondern in erster Linie Tatfragen
streitig gewesen seien. Mit der Anordnung des schriftlichen Verfahrens habe die
Vorinstanz ihre richterliche Fürsorgepflicht verletzt und seine in der
Berufungserklärung gestellten Beweisanträge ignoriert. Aus der Formulierung in
der Berufungserklärung ("soweit nicht gestützt auf die in den Akten enthaltenen
Zeugenaussagen ein Freispruch erfolgen kann, sind die beantragten Zeugen
nochmals einzuvernehmen") habe er darauf schliessen dürfen, die Vorinstanz
werde ihn bei schriftlich durchgeführtem Berufungsverfahren freisprechen
(Beschwerde, S. 8-11, S. 27 f.).
2.4.2 Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich. Schriftliche
Berufungsverfahren sollen nach der Schweizerischen Strafprozessordnung die
Ausnahme bilden. Abgesehen von den Einschränkungen in Art. 406 StPO kommt der
Verzicht auf ein mündliches Verfahren grundsätzlich nur in Frage, wenn über die
Akten und das erstinstanzliche Urteil hinaus keine weiteren Abklärungen (vor
allem das Verschaffen eines persönlichen Eindrucks von der beschuldigten
Person) und Beweiserhebungen notwendig sind (Niklaus Schmid, Schweizerische
Strafprozessordnung, Praxiskommentar, St. Gallen, 2009, Art. 406 N. 3). Nach
Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO kann die Verfahrensleitung mit dem Einverständnis
der Parteien das schriftliche Verfahren anordnen, wenn die Anwesenheit der
beschuldigten Person nicht erforderlich ist.
2.4.3 Der amtliche Verteidiger reichte der Vorinstanz am 24. Oktober 2011 die
Berufungserklärung ein. Er stellte mehrere Beweisanträge. Unter anderem
erneuerte er seine erstinstanzlichen Anträge, es seien E.________ und
F.________ als Zeugen zu befragen (kantonale Akten, act. S1/DH). Mit Verfügung
vom 28. November 2011 befand die Verfahrensleitung, dass die Anwesenheit des
Beschwerdeführers im Berufungsverfahren nicht erforderlich sei. Sie fragte die
Parteien deshalb an, ob sie mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens
an Stelle einer mündlichen Verhandlung einverstanden seien. Mit Eingabe vom 15.
Dezember 2011 führte der amtliche Verteidiger aus, er gehe aufgrund der Anfrage
davon aus, dass die Vorinstanz nicht vorsehe, die beantragten Zeugen erneut zu
befragen. Er müsse daher mit dem Beschwerdeführer Rücksprache nehmen und die
Frage zur Form des Berufungsverfahrens eingehend mit ihm besprechen. Am 13.
Januar 2012 teilte der amtliche Verteidiger der Vorinstanz namens des
Beschwerdeführers mit, mit der schriftlichen Verfahrensdurchführung
einverstanden zu sein (kantonale Akten, act. SST.2011.230/DH). Am 8. März 2012
reichte der amtliche Verteidiger die schriftliche Berufungsbegründung ein.
2.4.4 Damit liegt ein ausdrücklicher Verzicht auf eine mündliche Verhandlung im
Sinne von Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO vor, der in Kenntnis aller wesentlichen
Umstände nach Rücksprache mit dem Mandanten in dessen Namen erklärt wurde. Der
amtliche Verteidiger ging lege artis vor. Von einer offensichtlichen oder
krassen Pflichtverletzung seinerseits kann keine Rede sein. Ebenso wenig ist im
vorinstanzlichen Vorschlag, das Verfahren schriftlich durchzuführen, eine
Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht zu erblicken. Nachdem die erste
Instanz den Sachverhalt anlässlich der mündlichen Verhandlung (mit Befragung
des Beschwerdeführers und der Geschädigten sowie von Zeugen) umfassend
abgeklärt hatte, durfte die Vorinstanz insbesondere anhand der
Berufungserklärung und der Akten davon ausgehen, die Tat- und Rechtsfragen ohne
weitere Beweiserhebungen und Abklärungen beurteilen zu können (siehe auch BGE
119 Ia 316 E. 2b und Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 im Zusammenhang
mit dem - hier nicht gerügten und damit nicht zu prüfenden - grundrechtlichen
Anspruch auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung). Sie schloss damit nicht
aus, den Beschwerdeführer mit allfälligen neuen Beweisen zu hören (vgl. NIKLAUS
OBERHOLZER, Grundzüge zum Strafprozess, Bern 2012, S. 576 Rz. 1633). Nicht
stichhaltig ist der Vorwurf, die Vorinstanz habe sich mit der Durchführung des
schriftlichen Verfahrens über seine Beweisanträge "ignorierend hinweggesetzt"
bzw. er habe bei Nichteinvernahme der beantragten Zeugen mit einem Freispruch
rechnen dürfen (vgl. nachstehend E. 3).
2.5
2.5.1 Der Beschwerdeführer rügt, der amtliche Verteidiger habe (nur) auf
Freispruch plädiert, zu den Folgen bei einer Verurteilung indes nicht Stellung
genommen. Die Vorinstanz habe ihn in Verletzung der richterlichen
Fürsorgepflicht dazu nicht aufgefordert (Beschwerde, S. 11-13).
2.5.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist grundsätzlich nicht zu
beanstanden, wenn sich die Verteidigung, die ihren Hauptantrag auf
Freisprechung nicht mit Ausführungen über das Strafmass schwächen will (sog.
Verteidigerdilemma), auf Ausführungen zum Schuldpunkt beschränkt und darauf
verzichtet, in einem Eventualstandpunkt zur Strafzumessung Stellung zu nehmen.
Dies gilt jedenfalls, wenn der Verzicht auf Ausführungen zum Strafpunkt für
alle Verfahrensbeteiligten erkennbar auf einer durchdachten und klar umrissenen
Verteidigungsstrategie beruht (vgl. Urteile 6B_172/2011 vom 23. Dezember 2011
E. 1.3.2 und 6B_100/2010 vom 22. April 2010, in: Pra 2010 Nr. 104 S. 708, E.
3.1). Von einer offenkundigen und schwerwiegenden Vernachlässigung der
Verteidigerpflichten kann in einem solchen Fall nicht die Rede sein. Das hat
zur Folge, dass der Richter nicht eingreifen und den Verteidiger nicht zur
Stellungnahme zum Strafpunkt anhalten muss. Denn die richterliche
Fürsorgepflicht kommt nur dort zum Tragen, wo nicht bloss
verteidigungstaktische Fragen zur Diskussion stehen, sondern ein eklatanter
Verstoss gegen allgemein anerkannte Verteidigerpflichten vorliegt. Das
Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden aufgrund ihrer Fürsorgepflicht knüpft
an eine Pflichtverletzung des Verteidigers an, woran es bei dieser
Konstellation gerade fehlt (vgl. Urteil 6B_172/2011 vom 23. Dezember 2011 E.
1.3.2; a.M. Viktor Lieber, Ungenügende Verteidigung und die Folgen -
Streiflichter zur neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in forumpoenale 1
/2013, S. 51 ff., S. 53 f.).
2.5.3 Der amtliche Verteidiger stellte in der erstinstanzlichen
Hauptverhandlung und im Berufungsverfahren Antrag auf Freisprechung des
Beschwerdeführers von Schuld und Strafe. Er befasste sich in seinen
Rechtsschriften umfassend mit den gegenüber seinem Mandanten erhobenen
Anschuldigungen der Vergewaltigung, der Förderung der Prostitution und der
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und legte seinen Standpunkt
einlässlich anhand einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit den Akten dar. Zum
Strafmass äusserte er sich bewusst nicht (vgl. hierzu kantonale Akten,
schriftliche Berufungsbegründung, S. 26 f. Ausführungen unter dem Titel
"Strafzumessung"). Bei dieser Sachlage durfte die Vorinstanz (und bereits die
erste Instanz) davon ausgehen, der Verzicht des amtlichen Verteidigers auf
Ausführungen zur Strafzumessung für den Eventualfall einer Verurteilung beruhe
auf einer durchdachten Verteidigungsstrategie, die vom Beschwerdeführer
mitgetragen werde. Dessen persönliche Anwesenheit im Berufungsverfahren war
daher auch unter diesem Aspekt nicht erforderlich (vgl. vorstehend E. 2.4).
Damit liegt weder ein fehlerhaftes Verteidigerverhalten noch ein Verstoss gegen
die richterliche Fürsorgepflicht vor. Wer auf ein Recht wirksam verzichtet,
kann sich im Nachhinein nicht auf einen Verfahrensmangel berufen mit dem
Argument, er hätte trotz seines Verzichts dazu aufgefordert werden müssen, von
seinem Recht Gebrauch zu machen (vgl. Urteil 6B_ 172/2011 vom 23. Dezember 2011
E. 1.4).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz hätte E.________,
F.________ und G.________ angesichts der Relevanz ihrer Aussagen für den
Verfahrensausgang erneut als Zeugen befragen und sich einen persönlichen
Eindruck über sie verschaffen müssen, bevor sie diese Zeugen antizipierend als
"nicht neutral" bzw. deren Aussagen als "nicht relevant" einstufte (Beschwerde,
S. 13 f., S. 17 f., S. 24 ff.). Die Vorinstanz verletze seine
Verteidigungsrechte (Art. 32 Abs. 2 BV), das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2
BV) sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV) und verstosse gegen das Fairnessgebot
(Art. 3 Abs. 2 StPO) und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 6 StPO).

3.2 E.________ und G.________ wurden im kantonalen Verfahren zweimal befragt,
das erste Mal durch die Kantonspolizei Aargau bzw. das Bezirksamt Lenzburg, das
zweite Mal als Zeugen durch das Bezirksgericht Lenzburg anlässlich der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung. F.________ wurde durch das Bezirksgericht
Lenzburg als Zeuge einvernommen (erstinstanzliches Urteil, S. 11-13, S. 19, S.
22).

3.3 Die Vorinstanz verzichtete (mit der Anordnung des schriftlichen Verfahrens
aufgrund des ausdrücklichen Einverständnisses der Parteien) auf die nochmalige
Befragung von E.________, G.________ und F.________. Sie setzt sich in ihren
Urteilserwägungen ausführlich mit deren Aussagen auseinander (vgl. Beschwerde,
S. 17, zum unzutreffenden Einwand, die Vorinstanz übergehe den Zeugen
G.________ bzw. dessen Aussagen "ignorierend") und kommt zum Schluss, diese
seien für die Erstellung des engeren Tatgeschehens nicht zielführend und
vermöchten den Beschwerdeführer von den Vorwürfen der Vergewaltigung und der
Förderung der Prostitution nicht zu entlasten (Entscheid, S. 14-17, S. 18 f.).
Das gelte selbst, wenn ihre Schilderungen, insbesondere diejenigen von
E.________, als wahr unterstellt würden (vgl. Entscheid, S. 15; siehe
Beschwerde, S. 22).

3.4 Dass E.________, G.________ und F.________ im Vorverfahren und im
erstinstanzlichen Hauptverfahren mangelhaft befragt wurden, macht der
Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht geltend. Er bringt auch nicht vor,
diese hätten über ihre bereits bei den Akten liegenden Schilderungen hinaus
weitere Angaben zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen machen können. Die
Vorinstanz würdigt die Aussagen von E.________, G.________ und F.________
nachvollziehbar. Ihre Schlussfolgerungen sind vertretbar. Eine nicht
verschlossene Türe und die Tatsache, dass der Beschwerdeführer und die
Geschädigte nach den Aussagen des Zeugen E.________ vollständig bekleidet
waren, als er hinzukam, sprechen in der Tat weder für noch gegen eine
Vergewaltigung (siehe Entscheid, S. 15 f.). Der Beschwerdeführer stellt der
Beweiswürdigung der Vorinstanz in rein appellatorischer Kritik lediglich seine
Sicht der Dinge gegenüber (Beschwerde, S. 23, wonach die Tatsachen der
angelehnten Tür und der Bekleidung erhebliche Zweifel an einer Vergewaltigung
begründeten). Darauf ist nicht einzutreten. Die Zeugnisse von E.________,
G.________ und F.________ sind nach der nicht zu beanstandenden Auffassung der
Vorinstanz nicht wesentlich für den Ausgang des Verfahrens. Auf deren
persönlichen Eindruck, den sie bei der Vorinstanz bei einer Befragung
hinterlassen hätten, kommt es mithin nicht an. Dies gilt umso mehr, als die
Vorinstanz aus der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von E.________ keinerlei
Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen zieht. Die Vorinstanz
durfte ohne Rechtsverletzung davon absehen, die angerufenen Zeugen im
Berufungsverfahren ein weiteres Mal anzuhören (vgl. zum Ganzen insbesondere
auch Art. 389 StPO).

3.5 Im Übrigen war der Beschwerdeführer damit einverstanden, das Verfahren
schriftlich durchzuführen. Er verzichtete ausdrücklich auf eine mündliche
Verhandlung und damit - implizit - auf die in der Berufungserklärung
beantragten Zeugeneinvernahmen. Die Anfrage der Verfahrensleitung der
Vorinstanz, das Verfahren schriftlich durchzuführen, kann nicht so verstanden
werden, dass die Vorinstanz im Sinne der Berufungserklärung ("soweit nicht
gestützt auf die in den Akten enthaltenen Zeugenaussagen ein Freispruch
erfolgen kann, sind die beantragten Zeugen nochmals einzuvernehmen") bei
Durchführung des schriftlichen Verfahrens einen Freispruch des
Beschwerdeführers ins Auge fasste. Die diesbezüglichen Ausführungen in der
Beschwerde sind abwegig.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer beanstandet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
(Art. 29 Abs. 2 BV). Er habe sich zur Berufungsantwort der Beschwerdegegnerin
nicht äussern können (Beschwerde, S. 29 f.).

4.2 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst das
Recht, von jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen und
sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob die Stellungnahme neue
Tatsachen oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu
beeinflussen vermag. Das auf Art. 29 Abs. 2 BV gestützte Replikrecht gilt für
alle gerichtlichen Verfahren (BGE 133 I 98 E. 2.1 und E. 2.2 S. 99 f.; 132 I 42
E. 3.3 S. 45 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR).
Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung besteht dieses Replikrecht
unabhängig davon, ob ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet, eine Frist zur
Stellungnahme angesetzt oder die Eingabe lediglich zur Kenntnisnahme oder zur
Orientierung zugestellt worden ist (BGE 132 I 42 E. 3.3.3 und E. 3.3.4 S. 47;
133 I 98 E. 2.2 S. 99). Dabei wird erwartet, dass eine Partei, die eine Eingabe
ohne Fristansetzung erhält und dazu Stellung nehmen will, dies umgehend tut
oder zumindest beantragt; ansonsten wird angenommen, sie habe auf eine weitere
Eingabe verzichtet (BGE 133 I 100 E. 4.8 S. 105 mit Hinweisen; zur Publikation
vorgesehenes Urteil 1C_142/2012 vom 18. Dezember 2012 E. 2.2; vgl. auch Urteil
5A_42/2011 vom 21. März 2011 E. 2.2.2 mit Hinweisen, in: Pra 2011 Nr. 92 S.
657).

4.3 Der Beschwerdeführer war im vorinstanzlichen Verfahren anwaltlich
vertreten. Sein Rechtsvertreter musste die bundesgerichtliche Rechtsprechung
zum Replikrecht kennen und wissen, dass ihm auch bei der blossen Zustellung
"zur Kenntnisnahme" ein Replikrecht zustand, das er innert angemessener Frist
einzufordern hatte, ansonsten Verzicht angenommen würde.

4.4 Die Vorinstanz stellte dem Beschwerdeführer bzw. seinem Rechtsvertreter die
(lediglich) eine Seite umfassende Stellungnahme der Beschwerdegegnerin am 13.
Juni 2012 mit dem Vermerk "zur Kenntnisnahme" zu. Das vorinstanzliche Urteil
erging am 28. Juni 2012 und wurde am 18. Juli 2012 versandt.

4.5 Von einem Rechtsuchenden kann nicht erwartet werden, dass er innert weniger
Tage reagiert, wenn er Unterlagen, die von den Verfahrensbeteiligten
eingereicht bzw. zu den Akten genommen werden, ohne Frist zur Stellungnahme
lediglich zur Kenntnisnahme erhält (Urteil 2C_794/2008 vom 14. April 2009 E.
3). In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wurden etwa folgende Zeitabläufe,
die einer Partei nach Zustellung einer Vernehmlassung für die Replik zur
Verfügung standen, bevor der Entscheid gefällt wurde, als unzulässig beurteilt:
Zwei Tage (Urteil 1B_25/2010 vom 17. Februar 2010 E. 2.2), vier Tage (Urteil
1B_407/2012 vom 21. September 2012 E. 3), sieben Tage (Urteil 2C_794/2008 vom
14. April 2009 E. 3.5) und acht Tage (Urteil 1P.798/2005 vom 8. Februar 2006 E.
2.3). In einer etwas allgemeineren Formulierung hielt das Bundesgericht fest,
dass jedenfalls vor Ablauf von zehn Tagen nicht, hingegen nach 20 Tagen von
einem Verzicht auf das Replikrecht ausgegangen werden dürfe (Urteil 6B_629/2010
vom 25. November 2010 E. 3.3.2).

4.6 Der Beschwerdeführer nahm die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin am 14.
Juni 2012 in Empfang. Ihm standen bis zur Urteilsfällung am 28. Juni 2012 rund
zwei Wochen zur Verfügung, um Gegenbemerkungen einzureichen oder zumindest um
die Ansetzung einer Frist zur Stellungnahme zu ersuchen. Er tat beides nicht.
Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz den Schluss ziehen, der
Beschwerdeführer habe auf sein Replikrecht verzichtet, zumal er auch im
Zeitraum bis zum Versand des Urteils am 18. Juli 2012 nichts von sich hören
liess. Die Rüge der Verletzung des Replikrechts dringt nicht durch.

5.
5.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, mit dem angefochtenen Entscheid werde
kein neues Urteil gefällt, sondern die Berufung lediglich abgewiesen. Dadurch
werde Art. 408 StPO verletzt (Beschwerde, S. 26 f.).

5.2 Tritt das Berufungsgericht auf die Berufung ein, so fällt es gemäss Art.
408 StPO ein neues Urteil, welches das erstinstanzliche Urteil ersetzt.

5.3 Die Vorinstanz weist im Dispositiv des angefochtenen Entscheids die
Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie bestätigt damit implizit das
erstinstanzliche Urteil, welches im Dispositiv die angewendeten
Gesetzesbestimmungen bezeichnet, die Anordnung über die Erledigung des
Verfahrens in Bezug auf den Vorwurf der Widerhandlung gegen das BetmG
wiedergibt sowie den Entscheid über Schuld und Strafe (Vergewaltigung,
Förderung der Prostitution) und die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Detail
regelt (siehe Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 28. Juli 2011). Mit der
blossen Berufungsabweisung fällt die Vorinstanz materiell ein neues Sachurteil.
Das entsprechende Dispositiv ("Die Berufung wird abgewiesen.") entspricht
allerdings nicht den formellen Anforderungen von Art. 408 StPO i.V.m. Art. 81
StPO (vgl. auch Urteil 6B_99/2012 vom 14. November 2012 E. 5). Die Kritik des
Beschwerdeführers ist insofern gerechtfertigt. Das führt indessen nicht zur
Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Gutheissung der Beschwerde in
diesem Punkt, weil weder dargetan noch ersichtlich ist, inwiefern die
Verletzung von Art. 408 StPO den Beschwerdeführer beschwert bzw. er dadurch
einen Rechtsnachteil erleidet.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen
Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem
Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr ist
seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill