Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.473/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_473/2012

Urteil vom 21. Februar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
vertreten durch Advokat Christian Möcklin,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
2. Y.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Mittäterschaft (versuchte schwere Körperverletzung),

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 5. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Nach dem hier relevanten Anklagepunkt I.5 gingen die Gebrüder A.X.________ und
B.X.________ am 29. Mai 2010 gegen 00.50 Uhr alkoholisiert in Richtung Heuwaage
in Basel und belästigten wahllos Passanten. A.X.________ erblickte den ihm
unbekannten 21-jährigen Y.________ mit einem Kollegen, beschimpfte ihn als
"Hurensohn", verpasste ihm unvermittelt einen Faustschlag, so dass er sogleich
zu Boden ging, und versetzte dem am Boden Liegenden äusserst brutale Faust- und
Ellenbogenschläge ins Gesicht. Als der Kollege von Y.________ die Streitenden
trennen wollte, entschied sich B.X.________, seinen Bruder zu unterstützen, und
schlug eine leere Whisky-Flasche über das rechte Bein Y.________s, wobei die
Flasche nicht zerbarst und unbeschädigt zu Boden fiel. Daraufhin packte
B.X.________ ein Fahrrad und warf es auf die Streitenden, worauf diese
voneinander abliessen. Als Y.________ aufzustehen versuchte, ergriff
B.X.________ die Flasche erneut und schmetterte sie ihm ins Gesicht, so dass
sie zerbrach. Unbeeindruckt vom hilflosen Zustand Y.________s trat A.X.________
mindestens zweimal mit dem rechten Fuss Y.________ kraftvoll gegen Kopf und
Körper. Angehörige der Securitas nahe gelegener Betriebe rissen A.X.________
von Y.________ weg. Dieser hatte zahlreiche Verletzungen erlitten, insbesondere
eine als potenziell lebensgefährlich einzustufende tiefe Schnittverletzung im
linken Jochbeinbereich.

B.
Das Strafdreiergericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte am 22. Dezember 2010
A.X.________ wegen mehrfacher versuchter schwerer Körperverletzung, mehrfacher
einfacher Körperverletzung, Raufhandels, Gewalt und Drohung gegen Behörden und
Beamte sowie Diensterschwerung zu 3 ¼ Jahren Freiheitsstrafe (unter Anrechnung
von Polizeigewahrsam, Untersuchungshaft und vorläufigem Massnahmevollzug) sowie
zu einer Busse von Fr. 200.--. Es wies ihn in eine Einrichtung für junge
Erwachsene ein und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe auf (Art. 61 Abs. 1
i.V.m. Art. 57 Abs. 2 StGB).

Im Rahmen des Anklagepunktes I.5 wurde A.X.________ mit seinem Bruder
B.X.________ zur solidarischen Zahlung einer Genugtuung von Fr. 7'500.-- an
Y.________ verpflichtet.
Das Strafdreiergericht verurteilte B.X.________ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von 4 ½ Jahren, schob den Vollzug auf und ordnete eine stationäre
psychiatrische Behandlung an (Art. 59 Abs. 1 i.V.m. Art. 57 Abs. 2 StGB). Das
Urteil blieb unangefochten und wurde rechtskräftig.

C.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 5. Juni 2012 auf
Appellation von A.X.________ das Urteil des Strafdreiergerichts im Schuldpunkt.
In einem Anklagepunkt (I.1) stellte es das Verfahren mangels Strafantrags ein.
Es verurteilte ihn zu 3 Jahren Freiheitsstrafe sowie Fr. 200.-- Busse und
bestätigte das Urteil des Strafdreiergerichts betreffend Massnahme sowie
Genugtuungsleistung an Y.________.

D.
A.X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das
appellationsgerichtliche Urteil aufzuheben, ihn vom Vorwurf der durch den
Flaschenschlag seines Bruders B.X.________ angeblich in Mittäterschaft
begangenen [versuchten] schweren Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten
Y.________ freizusprechen, ihn zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 2 ½
Jahren sowie zur solidarischen Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 2'500.-- an
Y.________ zu verurteilen und dessen weitere Forderung abzuweisen. Eventualiter
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

In der Vernehmlassung beantragen Appellationsgericht und Staatsanwaltschaft die
Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe stets erklärt, dass ein
gemeinsamer Tatentschluss gefehlt und er nicht gewollt habe, dass sein Bruder
in den Kampf eingreife. Der Flaschenschlag dürfe ihm nicht zugerechnet werden.
Die Vorinstanz nehme an, dadurch, dass er dem Geschädigten noch Fusstritte
versetzt habe, habe er sich die Tat seines Bruders zu eigen gemacht. Diese
Anerkennung eines dolus subsequens verletze Bundesrecht.

1.2 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer habe sich den Vorsatz seines
Bruders zu eigen gemacht, indem er nach dem Flaschenschlag nicht etwa vom
Geschädigten abgelassen, sondern diesem noch gegen den Kopf getreten habe. Wäre
er vom Eingreifen seines Bruders "unangenehm" überrascht worden, wie zur
Verteidigung behauptet werde, hätte er spätestens jetzt die Auseinandersetzung
beenden müssen. Er habe dem wegen schwerer Schnittverletzungen heftig blutenden
Geschädigten noch Fusstritte gegen das Gesicht versetzt und dadurch die Tat
seines Bruders zu seiner eigenen gemacht. Dafür spreche auch seine Aussage,
dass es normal sei, dass man sich gegenseitig beschütze, wenn einer angegriffen
werde, schliesslich seien sie Brüder. Demnach habe eine (stillschweigende)
Vereinbarung bestanden. Mit dem Flaschenschlag liege kein nicht voraussehbarer
Exzess vor. Vielmehr handle es sich um das "übliche" Prozedere der Eskalation,
wie es auch bei den weiteren angeklagten Taten zum Ausdruck komme (verbale
Provokation, Schläge mit Fäusten, Schläge mit Ellenbogen, Tritte gegen den Kopf
von Wehrlosen, Angriff auf die Polizei).

1.3 Der Willkürvorwurf des Beschwerdeführers betrifft den subjektiven
Sachverhalt. Die Vorinstanz verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer den
Eventualvorsatz im Sinne der billigenden Inkaufnahme des Flaschenschlags seines
Bruders auch in tatsächlicher Hinsicht bestreitet (Urteil S. 5 f.). Aus dem
Urteil ergibt sich klar, von welchen Umständen die Vorinstanz ausgeht. Der
Eventualvorsatz lässt sich nur im Lichte der tatsächlichen Umstände beurteilen
(BGE 130 IV 58 E. 8.5; 119 IV 242 E. 2c S. 248). Es handelt sich um eine
Rechtsfrage. Rechtsfrage ist ebenfalls, ob Mittäterschaft vorliegt.

1.4 Der Hinzutretende haftet nur für dasjenige Unrecht, das nach seinem
Beitritt noch begangen wird (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht,
Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., S. 391). Entgegen seiner Ansicht kann der
Beschwerdeführer nicht als "Hinzutretender" gelten. Er begann die Prügelei und
schuf damit die gefährliche Situation. Sein Bruder "trat hinzu" und schlug bei
seiner dritten Intervention dem Geschädigten die Whisky-Flasche ins Gesicht.
Unmittelbar darauf versetzte der Beschwerdeführer dem wegen der schweren
Schnittverletzungen heftig blutenden Opfer noch Fusstritte gegen das Gesicht
(Urteil S. 6), bis Angehörige der Securitas ihn wegrissen (Urteil S. 5; Urteil
des Strafdreiergerichts S. 26).

1.5 Die mittäterschaftliche Tatbeteiligung wird massgebend an der Rolle
gemessen, die der Einzelne willentlich übernimmt, weshalb subjektive Vorbehalte
irrelevant sind. Die Willensübereinstimmung kann irgendwie hergestellt werden.
Eine besondere Verabredung ist nicht erforderlich (SCHÖNKE/SCHRÖDER/HEINE,
Strafgesetzbuch, 28. Aufl., München 2010, § 25 NN. 70 und 71). Mittäter ist,
wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung tatsächlich mitwirkt (BGE
130 IV 58 E. 9.2.1). Mittäterschaft kann durch die tatsächliche Mitwirkung bei
der Ausführung begründet werden. Konkludentes Handeln genügt (BGE 126 IV 84 E.
2c/aa S. 88; 125 IV 134 E. 3a). Auch an spontanen, nicht geplanten Aktionen
oder unkoordinierten Straftaten ist Mittäterschaft möglich (vgl. Urteile 6B_885
/2008 vom 14. April 2009 E. 3.4 mit Hinweis und 6B_180/2011 vom 5. April 2012
E. 2.2 [in BGE 138 IV 113 nicht veröffentlichte Erwägung]).

Es ist nicht erforderlich, dass der Gewalttat ein gemeinsamer Tatentschluss
oder eine (stillschweigende) Vereinbarung zur Hilfestellung vorausgingen. Es
genügt, wenn sich der Täter den Vorsatz des Hinzutretenden "zu eigen macht" (
BGE 130 IV 58 E. 9.2.1; 120 IV 265 E. 2c/aa S. 272). "Le coauteur peut s'y
associer en cours d'exécution" (BGE 125 IV 134 E. 3a). Der Beschwerdeführer
akzeptierte die Interventionen seines Bruders (des "Hinzutretenden") und nahm
die Gelegenheit wahr, den durch den Flaschenschlag hilflos Gewordenen mit
Fusstritten ins Gesicht noch weiter zu traktieren. Damit billigte er die
Interventionen seines Bruders. Sie schlugen "in stillschweigendem
Einverständnis auf einen andern ein" (BGE 118 IV 227 E. 5d/aa S. 230 mit
Hinweis auf STRATENWERTH, a.a.O.).

Dass dem Beschwerdeführer die "Einmischung" unerwünscht gewesen war, weil er
alleine den "Sieg" erringen wollte (Beschwerde S. 4), ändert nichts (vgl. BGE
137 IV 1 E. 4.2.3, erster Absatz). Das Inkaufnehmen durch Billigen oder
Einverständnis im Sinne des Eventualvorsatzes erfasst auch den unerwünschten,
aber um des Handlungsziels willen hingenommenen Erfolg (THOMAS FISCHER,
Strafgesetzbuch, 60. Aufl., München 2013, § 15 N. 9b). Hingenommener Erfolg
durch den Beschwerdeführer war die Verletzung des Geschädigten durch den
Flaschenschlag des Bruders (sowie dessen anderen Interventionen). Handlungsziel
des Beschwerdeführers war dagegen, durch Zusammenschlagen des Geschädigten
einen Sieg zu erringen. Das Zusammenwirken beider im konkludenten Handeln bei
der Tatausführung begründet die Mittäterschaft.

1.6 Unbehelflich ist der Einwand des Beschwerdeführers, er habe das Eingreifen
seines Bruders in dieser Weise nicht voraussehen können. Entscheidend ist, dass
er es "in dieser Weise" tatsächlich sah.

Auch die Geltendmachung eines nicht voraussehbaren Exzesses geht an der Sache
vorbei. Die Fusstritte erfolgten in Kenntnis des Flaschenschlags. Es kommt
nicht darauf an, ob er diese voraussah. Der Beschwerdeführer sah den
Flaschenschlag ins Gesicht und erkannte dessen Wirkung. Er nützte diese
Situation aus und trat dem Hilflosen ins Gesicht.

1.7 Der Beschwerdeführer wendet ein, seine Aussage, dass man sich unter Brüdern
gegenseitig beschütze, sei auf eine Suggestivfrage der Vorinstanz erfolgt. Auch
dieser Einwand ist unbehelflich. Von einer Hilfeleistung konnte die Vorinstanz
aufgrund des Sachverhalts willkürfrei ausgehen. Die beiden waren streitsüchtig
unterwegs. Der Bruder intervenierte, als der Kollege des Geschädigten die
Streitenden trennen wollte. Dass der Beschwerdeführer unter diesen Umständen
mit der Hilfe seines Bruders rechnen konnte, liegt nach der Erfahrung nahe und
wird durch dessen Intervention zugunsten des Beschwerdeführers bei einer
ähnlich abgelaufenen Schlägerei belegt (Urteil des Strafdreiergerichts S. 17
f.).

2.
Der Beschwerdeführer begründet seine Strafzumessungsrüge damit, dass eine
fehlende mittäterschaftliche Zurechnung des zweiten Flaschenschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 2 ½ Jahren führen müsste. Es bleibt bei der Mittäterschaft.
Die Rüge ist unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer macht hinsichtlich der Genugtuungsforderung geltend, es
bestünden keine gemeinsame Verursachung und kein gemeinsames Verschulden im
Sinne von Art. 50 Abs. 1 OR für die Schnittverletzungen (Narbenbildung). Für
die Schlägerei ohne diesen Flaschenschlag sei eine solidarische Haftung für
eine Genugtuung von Fr. 2'500.-- gerechtfertigt.
Wenn mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet haben, sei es als Anstifter,
Urheber oder Gehilfen, haften sie gemäss Art. 50 Abs. 1 OR dem Geschädigten
solidarisch. Der gemeinsamen schuldhaften Handlung muss keine Absprache
vorausgegangen sein. Ein konkludentes Verhalten kann aus der einfachen und
spontanen Teilnahme entstehen. Weiter genügt, dass ein Verhalten (auch durch
Unterlassung) das schädigende Ereignis mitverursacht hat. Ferner sieht das
Gesetz Solidarhaftung für alle Täter vor, ohne nach Intensität der Mitwirkung
zu differenzieren (ROLAND BREHM, in: Berner Kommentar, Schweizerisches
Zivilgesetzbuch, 3. Aufl. 2006, Art. 50 NN. 13, 16 und 22).

Die Vorinstanz betrachtet den Beschwerdeführer bezüglich der Verletzungen mit
der Whisky-Flasche zutreffend als Mittäter. Er haftet solidarisch für die ganze
Genugtuungssumme von Fr. 7'500.--.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Der
finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit herabgesetzten Gerichtskosten
Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Februar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw