Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.466/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_466/2012

Urteil vom 8. November 2012
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Tobler,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versuchte schwere Körperverletzung etc.; Willkür, Anklageprinzip, rechtliches
Gehör etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 2.
Dezember 2009 und
den Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts
des Kantons Zürich vom 8. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 12. Mai 2007 kam es in einem Nachtklub in Glattbrugg zwischen X.________ und
Y.________ zu einer Rauferei, in deren Verlauf X.________ eine Pistole zog,
eine Ladebewegung ausführte und in den Oberschenkel von Y.________ schoss.

Von 1997 bis 2007 bezog X.________ staatliche Unterstützungsgelder, indem er
falsche Angaben zu seinem Einkommen und Vermögen machte.

B.
Das Geschworenengericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 2.
Dezember 2009 wegen versuchter schwerer Körperverletzung, mehrfachen
gewerbsmässigen Betrugs, Sachbeschädigung, Vergehens gegen das Waffengesetz
sowie Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von
sechs Jahren und drei Monaten. Die von X.________ dagegen erhobene
Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 8. Juni
2012 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Entscheide des
Geschworenengerichts vom 2. Dezember 2009 und des Kassationsgerichts vom 8.
Juni 2012 seien aufzuheben, und die Sache sei zur Neubeurteilung an die
Vorinstanzen zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Geschworenengericht sei von einem
anderen Sachverhalt ausgegangen als die Staatsanwaltschaft in der
Anklageschrift. Er rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, des Anspruchs
auf rechtliches Gehör und des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Beschwerde S.
5-16).

1.2 Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1
und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz bestimmt die
Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die
Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte so präzise zu
umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Zugleich
gewährleistet der Anklagegrundsatz die Verteidigungsrechte und das Gehörsrecht
des Angeklagten (Informationsfunktion). Dieser muss aus der Anklage ersehen
können, weshalb er angeklagt ist. Das bedingt eine zureichende Umschreibung der
Tat. Entscheidend ist, dass der Angeklagte genau weiss, welcher konkreter
Handlungen er beschuldigt und wie sein Verhalten rechtlich qualifiziert wird,
sodass er seine Verteidigung richtig vorbereiten kann. Er darf nicht Gefahr
laufen, erst an der Gerichtsverhandlung mit neuen Anschuldigungen konfrontiert
zu werden (BGE 133 IV 235 E. 6.2 und 6.3 S. 244 f. mit Hinweisen; vgl. Niklaus
Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2005, S. 317 Rz. 728).

1.3 Das Geschworenengericht stellt fest, die erste Aggression sei wohl vom
Geschädigten ausgegangen, der sich nach der Rauferei wieder auf den
Beschwerdeführer zubewegte, wahrscheinlich in der Absicht, die
Handgreiflichkeiten fortzusetzen. Beim Anblick der Waffe, spätestens jedoch
nach der Ladebewegung, habe er innegehalten und sich aus seiner Sicht nach
rechts in Richtung einer Sitzgruppe bewegt. Die Schussabgabe sei zu einem
Zeitpunkt erfolgt, als sich der Geschädigte nicht mehr auf den Beschwerdeführer
zubewegt habe (Entscheid Geschworenengericht S. 43-44 E. II. 7). In der
Anklageschrift wird nicht ausgeführt, dass der Geschädigte auf den
Beschwerdeführer zuging, innehielt und sich zur Sitzgruppe bewegte. Stattdessen
wird behauptet, der Geschädigte habe aufzustehen versucht, wobei er gesehen
habe, wie der Beschwerdeführer die Waffe auf ihn gerichtet und den Zeigefinger
am Abzug gehalten habe. In der Folge habe der Beschwerdeführer den Abzug
betätigt, sodass sich ein Schuss löste, der den in diesem Zeitpunkt mehr als
zwei Meter von der Pistolenmündung entfernten Geschädigten in den Oberschenkel
traf (Anklageschrift vom 7. März bzw. 13. November 2009;
geschworenengerichtliche Akten HD act. 19 bzw. act. 67 S. 3-4).

1.4 Wie das Kassationsgericht zutreffend festhält (Entscheid Kassationsgericht
S. 8-10 E. III. 2c/bb), ist der Anklagegrundsatz nicht verletzt. Es ist nicht
Aufgabe der Staatsanwaltschaft, denkbare Entlastungsszenarien zu thematisieren.
Die Anklage hat unter Angabe aller Umstände die Handlungen zu behaupten, die
zum gesetzlichen Tatbestand gehören und dem Angeklagten zur Last gelegt werden.
Diese Anforderungen erfüllt die Anklageschrift, indem das Ziehen der Waffe, die
Ladebewegung und die zielgerichtete Schussabgabe beschrieben werden. Die
Feststellungen zu den Bewegungen des Geschädigten hat das Geschworenengericht
getroffen, weil der Beschwerdeführer eine Notwehrsituation geltend macht. Es
war gehalten, die Entlastungsbehauptungen des Beschwerdeführers zu überprüfen,
um über das Vorliegen einer Notwehrlage zu entscheiden. Dabei kam es zu
Überlegungen und Annahmen, die in der Anklageschrift fehlen.

1.5 Der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Anspruch auf ein faires
Verfahren sind nicht verletzt. Der Beschwerdeführer selbst berief sich auf eine
Notwehrsituation und brachte die entsprechenden Entlastungsbehauptungen vor.
Das Kassationsgericht stellt richtig fest (Entscheid Kassationsgericht S. 10 E.
III. 2c/cc), dass sich das Geschworenengericht bei deren Überprüfung auf
aktenkundige Zeugenaussagen stützte, was für den Beschwerdeführer absehbar war.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und
macht eine Verletzung der Begründungspflicht sowie des Anspruchs auf
rechtliches Gehör geltend (Beschwerde S. 16-31).
2.2
2.2.1 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs.
1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 S.
234 mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51; 136
III 552 E. 4.2 S. 560; je mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der
Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und
begründet werden, ansonsten darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53; je mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer beruft sich auf die Unschuldsvermutung als
Beweiswürdigungsregel (Beschwerde S. 17-19 sowie S. 27-31). In dieser Funktion
kommt ihr im Verfahren vor Bundesgericht keine Bedeutung zu, die über das
Willkürverbot hinausgeht (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen).
2.2.2 Das Bundesgericht prüft frei, ob das Kassationsgericht auf eine in einer
kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil des Geschworenengerichts
vorgebrachte Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung hin zu Unrecht Willkür
verneint und diese Verfassungsverletzung nicht behoben hat. Diese Prüfung läuft
regelmässig auf die Beurteilung hinaus, ob das Geschworenengericht die Beweise
willkürlich gewürdigt hat. Trifft dies zu, hätte das Kassationsgericht Willkür
bejahen müssen. Bei der Begründung der Rüge, das Kassationsgericht habe Willkür
zu Unrecht verneint, muss sich der Beschwerdeführer daher auch mit den
Erwägungen des Kassationsgerichts auseinandersetzen. Er darf sich mithin nicht
auf eine blosse Wiederholung der vor dem Kassationsgericht gegen das
geschworenengerichtliche Urteil erhobenen Rügen beschränken, sondern hat
zugleich auf die Begründung des Kassationsgerichts einzugehen (Urteil 6S.46/
2005 vom 2. Februar 2006 E. 2.3.1, nicht publiziert in BGE 132 IV 70; 125 I 492
E. 1a/cc S. 494 f.; je mit Hinweis).

2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, sein teilweises Schweigen sei in
unzulässiger Weise zu seinem Nachteil gewürdigt worden (Beschwerde S. 19-24).
Das Geschworenengericht hält fest, in den Aussagen des Beschwerdeführers zu den
Ereignissen im Nachtklub seien grundsätzlich keine grösseren Ungereimtheiten
auszumachen. Allerdings sei ein anderes Ergebnis nicht zu erwarten gewesen,
nachdem er anfänglich geschwiegen und erst nach eingehender Vorbesprechung mit
seinem Verteidiger ausgesagt habe (Entscheid Geschworenengericht S. 19 E. II.
2.4 sowie S. 20 E. II. 2.5).

Das Kassationsgericht erwägt, das Aussageverweigerungsrecht könne seinen Zweck
letztlich nur erreichen, wenn das Schweigen des Beschuldigten grundsätzlich
neutral registriert werde. Wer damit rechnen müsse, dass sein Schweigen als
Schuldindiz oder in anderer Weise zu seinem Nachteil interpretiert werde, könne
faktisch nicht mehr frei entscheiden, ob er aussagen wolle oder nicht. Ebenso
dürfe das zeitweise (insbesondere vorgerichtliche) Schweigen grundsätzlich
nicht als Schuldindiz gewertet werden. Hingegen dürfe gewürdigt werden, wenn
der Beschuldigte von seinem Schweigerecht nur punktuell Gebrauch mache. Auf
diese zutreffenden Erwägungen zum Aussageverweigerungsrecht respektive zum
Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" kann verwiesen werden (Entscheid
Kassationsgericht S. 18-19 E. III. 6.4c; vgl. auch BGE 138 IV 47 E. 2.6.1 S.
51; Urteil 6B_843/2011 vom 23. August 2012 E. 3.3.2; Urteil 2C_395/2011 vom 6.
Dezember 2011 E. 3.1.2; je mit Hinweisen; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 35 zu Art. 10 StPO; ALAIN
MACALUSO, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 8
ff. zu Art. 113 StPO; vgl. zum Verbot der Verwertung des zeitweisen Schweigens
REGULA SCHLAURI, Das Verbot des Selbstbelastungszwangs im Strafverfahren,
Zürich 2003, S. 334 ff.).

Es erscheint deshalb nach den zutreffenden Erwägungen des Kassationsgerichts
als heikel, dass das Teilschweigen des Beschwerdeführers in die Beweiswürdigung
eingeflossen ist (Entscheid Kassationsgericht S. 19-20 E. III. 6.4d). Hingegen
wurde dieses nicht in unzulässiger Weise berücksichtigt. Das
Geschworenengericht belässt es dabei, das Fehlen grösserer Ungereimtheiten mit
dem Hinweis zu erklären, dass der Beschwerdeführer anfänglich (anlässlich der
Hafteinvernahme vom 12. Mai 2007 und der polizeilichen Befragung vom 22. Mai
2007) keine Aussagen machte und im Übrigen am 31. Mai 2007 bei der Polizei
sowie später anlässlich der Hauptverhandlung zur Sache aussagte. Mithin wertet
das Geschworenengericht die im Wesentlichen widerspruchsfreien Aussagen im
neutralen Sinne, ohne das Schweigen als Indiz für die Schuld des
Beschwerdeführers oder in anderer Weise zu dessen Nachteil zu würdigen. Dies
ist nicht zu beanstanden. Aus dem Aussageverweigerungsrecht folgt nicht der
Anspruch, dass das Fehlen von Schilderungen die Glaubhaftigkeit der deponierten
Aussagen unterstreicht und somit zugunsten des Beschuldigten gewürdigt wird.
Das Geschworenengericht lässt den Zeitpunkt der Einlassung des
Beschwerdeführers, der zu Beginn geschwiegen hat, nicht in die Beweiswürdigung
einfliessen. Die Rüge ist unbegründet.

2.4 Der Beschwerdeführer beanstandet die Würdigung seiner Aussagen zum
Betrugsvorwurf (Beschwerde S. 24-27). Das Geschworenengericht stellt fest, dass
der Beschwerdeführer zum Sachverhalt des Betrugs "völlig unglaubhafte Aussagen
machte und damit seine Glaubwürdigkeit als Person nachhaltig in Frage stellte".
Dies sei bei der Würdigung seiner Aussagen zu den Ereignissen im Nachtlokal zu
berücksichtigen (Entscheid Geschworenengericht S. 21-22 E. II. 2.8). Das
Geschworenengericht spricht den Schilderungen des Beschwerdeführers zu den
Ereignissen im Nachtlokal nicht von vornherein jede Glaubhaftigkeit ab, nur
weil seine Aussagen zum Betrug unglaubhaft sind. Es würdigt die Darstellung des
Beschwerdeführers sorgfältig unter verschiedenen Gesichtspunkten. Insbesondere
beschäftigt es sich mit seiner Behauptung, er habe während der Rauferei ein
Messer gesehen, und würdigt seine Aussagen zum Erwerb der Tatwaffe sowie zu
seinen Waffenkenntnissen. Die unglaubhaften Aussagen zum Betrugsvorhalt bilden
nur einen Aspekt der Aussagenanalyse (Entscheid Geschworenengericht S. 16-22 E.
II. 2). Mit der gebotenen Zurückhaltung darf berücksichtigt werden, dass nicht
jeder Mensch aufgrund charakterlicher Eigenschaften in gleichem Masse gewillt
und befähigt ist, wahrheitsgetreue Aussagen zu machen (vgl. Peter Schumacher,
Die Würdigung von Zeugen- und Parteiaussagen, in: AJP 2000 S. 1453). Dem
Kassationsgericht ist darin beizupflichten, dass das Geschworenengericht die
unglaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers zum Betrugssachverhalt nicht in
unsachlicher Weise überbewertet hat (Entscheid Kassationsgericht S. 16-18 E.
III. 6.3). Die Rüge ist unberechtigt.

2.5 Der Beschwerdeführer beanstandet die Sachverhaltsfeststellung, wonach das
Bargeld, welches in seinem Tresor gefunden worden ist, auch ihm gehöre
(Beschwerde S. 27-31). Das Kassationsgericht stellt hierzu fest, der
Beschwerdeführer zeige lediglich auf, wie die Beweise aus seiner Sicht hätten
gewürdigt werden müssen. Die Darlegung einer eigenen Sichtweise lasse die
gegenteilige Würdigung des Geschworenengerichts aber nicht als willkürlich
erscheinen (Entscheid Kassationsgericht S. 23-24 E. III. 9). Vor Bundesgericht
hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, dass das Kassationsgericht die
Beweiswürdigung des Geschworenengerichts unzulässigerweise schützte. Das tut er
nicht. Auf seine Beschwerde ist nicht einzutreten.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe in Notwehr respektive
Putativnotwehr gehandelt. Der Geschädigte habe sich auf ihn zubewegt, als er
geschossen habe (Beschwerde S. 31-39).

3.2 Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff
bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in
einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB). Überschreitet
der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe (Art.
16 Abs. 1 StGB). Überschreitet er die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer
Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft
(Art. 16 Abs. 2 StGB).

3.3 Das Geschworenengericht erwägt, die Schussabgabe sei in einem Zeitpunkt
erfolgt, als sich der Geschädigte nicht mehr auf den Beschwerdeführer
zubewegte. Der Geschädigte habe beim Anblick der Pistole nicht nur angehalten,
sondern sich vom Beschwerdeführer abgewendet und seitwärts in Richtung einer
Sitzgruppe bewegt. Der effektive oder vermeintliche Angriff sei schon durch das
Herausnehmen der Waffe und die Ladebewegung abgewendet worden. Im Moment der
Schussabgabe habe für den Beschwerdeführer keine Notwehrsituation mehr
bestanden (vgl. Entscheid Geschworenengericht S. 81 E. IV. 4.6 mit Verweis auf
E. III. 7.2 [recte S. 44 E. II. 7.2] sowie S. 49 E. II. 9.6).
3.4
3.4.1 Soweit der Beschwerdeführer seinen Vorbringen einen anderen als den
willkürfrei festgestellten Sachverhalt zugrunde legt, ist er nicht zu hören.
Inwiefern das Geschworenengericht bei der von ihm festgestellten Sachlage
Bundesrecht (Art. 15 f. StGB) verletzt habe, ist nicht ersichtlich. Notwehr ist
nur so lange zulässig, wie der Angriff andauert. Der begonnene Angriff bleibt
so lange gegenwärtig, als die Zufügung einer neuen oder die Vergrösserung der
bereits eingetretenen Verletzung durch das Verhalten des Angreifers unmittelbar
bevorsteht (BGE 102 IV 1 E. 2b S. 4 f.). Dabei kommt es nicht auf die formelle
Vollendung des im Angriff liegenden Deliktes an, sondern auf die tatsächliche
Beeinträchtigung des bedrohten Gutes (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, Die Straftat, 4. Aufl. 2011, § 10 N. 71). Keine Notwehr darf mehr
geübt werden, wenn der Angriff wirksam abgewehrt worden ist (BGE 99 IV 187 S.
188 f.).

Der Geschädigte, der sich auf den Beschwerdeführer zubewegte, stoppte (beim
Anblick der Waffe respektive spätestens nach der Ladebewegung) nicht nur,
sondern wendete sich von ihm seitlich ab und bewegte sich in Richtung einer
Sitzgruppe. Anzeichen einer fortdauernden Gefahr stellt das Geschworenengericht
nicht fest. Damit stand im Zeitpunkt der Schussabgabe kein Angriff mehr
unmittelbar bevor. Von einer unbewaffneten Person, die sich von ihrem
Kontrahenten abwendet, der eine entsicherte Pistole nach einer Ladebewegung auf
sie gerichtet hat, geht kein Angriff aus und ein solcher droht auch nicht
unmittelbar. In diesem Zeitpunkt lag deshalb keine Notwehrsituation vor.
3.4.2 Der Schuss auf den Geschädigten ist als zeitlicher, sogenannter
extensiver Notwehrexzess zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer verkennt, dass
ein solcher Notwehrexzess eine Notwehrsituation ausschliesst (Beschwerde S. 36
f.). Der extensive Notwehrexzess gewährt keine Strafmilderung (vgl.
STRATENWERTH, a.a.O., § 10 N. 86). Da der Geschädigte beim Anblick der Waffe
respektive nach der Ladebewegung innehielt, sich vom Beschwerdeführer abwendete
und seitwärts in Richtung einer Sitzgruppe ging, kann auch nicht von einer
lediglich um Sekundenbruchteile zu spät erfolgten Abwehrhandlung gesprochen
werden. Mithin liegt kein minimaler zeitlicher Notwehrexzess vor (siehe Urteil
6P.76/2005 vom 15. November 2005 E. 5.1 mit Hinweisen).
3.4.3 Der Beschwerdeführer rügt, im Urteil des Geschworenengerichts fehlten
konkrete Erwägungen zur Putativnotwehr. Damit habe das Geschworenengericht Art.
13 StGB und Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG verletzt. Ihm sei zumindest
zuzugestehen, sich im Zeitpunkt der Schussabgabe in einer Notwehrsituation
gewähnt und im Sachverhalt geirrt zu haben (Beschwerde S. 37-39).

Mit Blick auf den willkürfrei festgestellten Sachverhalt ist nicht zu
beanstanden, dass das Geschworenengericht keine Anhaltspunkte für den
behaupteten Irrtum sah und damit einen Sachverhaltsirrtum im Sinne von Art. 13
StGB nicht näher thematisierte. Der vermeintlich Angegriffene muss Umstände
nachweisen können, die bei ihm den Glauben erwecken konnten, er befinde sich in
einer Notwehrlage. Die blosse Vorstellung von der Möglichkeit eines Angriffs
genügt nicht für die Annahme von Putativnotwehr (BGE 93 IV 81 E. b S. 84 f.;
vgl. auch BGE 129 IV 6 E. 3.2 S. 14 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer macht
geltend, er habe die Waffe erst hervorgenommen, nachdem sich der Geschädigte
nach der ersten Rauferei wieder auf ihn zubewegt habe. Mithin habe er die
Pistole behändigt, weil er eine Gefahr für sich ausgemacht habe. Dieses
Argument dringt nicht durch. Das Geschworenengericht billigt ihm zu, mit
Verteidigungswillen die Waffe hervorgeholt und eine Ladebewegung gemacht zu
haben. Diese Umstände zeigen hingegen nicht auf, dass der Beschwerdeführer sich
weiterhin angegriffen sah, nachdem sich der Geschädigte beim Anblick der Waffe
von ihm abgewendet hatte. Entsprechendes gilt, soweit der Beschwerdeführer
behauptet, er habe sich in einer Extremsituation befunden.

Weiter argumentiert der Beschwerdeführer, eine Person, welche sich vom Anblick
einer Waffe nicht abhalten lasse, lasse sich auch nicht nach deren Durchladen
von ihrem Vorhaben abbringen. Damit entfernt er sich implizit in unzulässiger
Weise vom verbindlichen Sachverhalt des Geschworenengerichts (Art. 105 Abs. 1
BGG). Gleiches gilt, soweit er vorbringt, er habe den Geschädigten vor der
Schussabgabe gewarnt und dieser habe bloss versucht, sich nach rechts zu
bewegen, was für ihn (den Beschwerdeführer) nicht erkennbar gewesen sei.
Dem Beschwerdeführer musste klar sein, dass ein Angriff nicht mehr und auch
nicht wieder unmittelbar drohte, als der Geschädigte sich abwendete und er
diesem in das Bein schoss. Dies setzte entgegen dem Dafürhalten des
Beschwerdeführers nicht voraus, dass der Geschädigte beim Anblick der Waffe
seinem Kontrahenten den Rücken zudrehte oder floh. Steht fest, dass keine
Notwehrsituation vorlag und sich der Beschwerdeführer über das Vorliegen eines
rechtswidrigen Angriffs auch nicht irrte, fällt eine Anwendung von Art. 13 in
Verbindung mit Art. 15 f. StGB ausser Betracht. Der Entscheid des
Geschworenengerichts verletzt nicht Bundesrecht.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Beschleunigungsgebots
geltend. Es handle sich "nicht um einen sehr komplexen Fall". Er sei teilweise
geständig und habe sich kooperativ verhalten. Das Institut für Rechtsmedizin
habe die Ein- und Ausschussstelle beim Geschädigten verwechselt. Deshalb seien
Ergänzungsgutachten nötig gewesen, welche die Untersuchung verzögerten. Der
Auftrag an den psychiatrischen Gutachter hätte nicht erst am 26. August 2008
erfolgen dürfen, nachdem die Ergänzungsgutachten des Instituts für
Rechtsmedizin vorgelegen hätten. Bereits im März 2008 seien "rund 98 % der
Untersuchungsakten vorhanden" gewesen. Insgesamt habe die Erstellung des
psychiatrischen Gutachtens 7 Monate gedauert, was zu lange sei. Es sei nicht
ersichtlich, weshalb es nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen zum
Sozialhilfebetrug im April 2008 noch bis zum 27. November 2008 gedauert habe,
bis die Staatsanwaltschaft "drei kleine, einfache Einvernahmen" durchgeführt
habe. Die Dauer zwischen der Anklageerhebung und der Fällung des Urteils des
Geschworenengerichts von rund 9 Monaten sei übersetzt, ebenso die Zeitspanne
zwischen der Urteilsfällung und der Zustellung der Begründung von rund 24
Monaten. Insgesamt sei eine Verfahrensdauer von 5 ¼ Jahren bis zur Erledigung
der ersten beiden Instanzen zu lange (Beschwerde S. 40-45).

4.2
4.2.1 Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 3 lit. c
UNO-Pakt II garantierte Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, das
Strafverfahren zügig voranzutreiben, um die beschuldigte Person nicht unnötig
über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Es gilt für das
ganze Verfahren. Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den konkreten
Umständen ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Kriterien hierfür
bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhalts, die
dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten der beschuldigten
Person und dasjenige der Behörden sowie die Zumutbarkeit für die beschuldigte
Person (BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170; 130 I 269 E. 3.1 S. 273; je mit Hinweisen).
4.2.2 Die Dauer von 7 Monaten für die Erstellung des psychiatrischen Gutachtens
von 130 Seiten ist nicht übersetzt. Grundsätzlich macht es wenig Sinn, ein
Aktengutachten zu beginnen, solange strittig ist, welche Akten benützt werden
dürfen. Vielmehr erscheint es als angezeigt, mit der Bearbeitung zuzuwarten,
bis die Akten vollständig sind. Zwischen April 2008 und dem 27. November 2008
liegt keine Bearbeitungslücke. In dieser Zeit wurden Untersuchungshandlungen
veranlasst, indem etwa ein Ergänzungsgutachten zu den Verletzungen des
Geschädigten eingeholt wurde (Entscheid Geschworenengericht S. 103-105 E. V.
4.3.5; vgl. auch Entscheid Kassationsgericht S. 24-25 E. III. 10).
4.2.3 Das geschworenengerichtliche Urteil wurde dem Beschwerdeführer am 2.
Dezember 2009 mündlich verkündet. Die schriftliche Urteilsbegründung wurde am
24. November 2011 zugestellt. Dem Verfahren liegen gewichtige Vorwürfe
zugrunde. Der Beschwerdeführer wurde der versuchten Tötung und des mehrfachen
gewerbsmässigen Betrugs angeklagt. Die Akten umfassen 19 Bundesordner und
mehrere Mappen mit losen Seiten. Das Protokoll beläuft sich auf 649 Seiten, das
geschworenengerichtliche Urteil zählt 120 Seiten. Als erste Instanz hatte sich
das Geschworenengericht umfassend mit Tat- und Rechtsfragen
auseinanderzusetzen. Weil der Sachverhalt umstritten war, beschäftigte es sich
ausführlich mit den Aussagen des Beschwerdeführers, der Geschädigten, der
Zeugen und der Sachverständigen. Es ist nicht zu verkennen, dass die
Urteilsredaktion in einem solchen, ausschliesslich von der Unmittelbarkeit
geprägten Verfahren längere Zeit in Anspruch nimmt. Das Geschworenengericht
benötigte rund 24 Monate für die Urteilsausfertigung. Dies ist zwar ein
verhältnismässig langer, nicht aber ein übermässig ausgedehnter Zeitraum im
Sinne einer eigentlichen Verfahrensverschleppung. Das Bundesgericht bezeichnete
in einem vergleichbaren Prozess eine Dauer von 19 Monaten für die Ausfertigung
der schriftlichen Urteilsbegründung als nicht übermässig (Urteil 6S.74/2007 vom
6. Februar 2008 E. 3.2). In einem weiteren ähnlich gelagerten Fall erachtete es
eine Dauer von 26 Monaten bis zur Zustellung des begründeten Urteils noch als
vertretbar. Entscheidend war, dass die mündliche Urteilseröffnung bereits
verhältnismässig kurze Zeit nach der Verfahrenseröffnung erfolgte (Urteil
6B_764/2009 vom 17. Dezember 2009 E. 1.6). Die Strafuntersuchung wurde am 12.
Mai 2007 aufgenommen, das Urteil am 2. Dezember 2009 verkündet. Somit befand
sich der Beschwerdeführer gut 2 ½ Jahre nach der Verfahrenseröffnung nicht mehr
im Ungewissen über den Ausgang des Prozesses, und die ausgefällte Strafe war
ihm bekannt. Dadurch entfiel die mit einem längeren Strafverfahren
üblicherweise verbundene Belastung weitgehend. Unter diesen Umständen ist die
Dauer von rund 24 Monaten für die schriftliche Urteilsausfertigung noch
vertretbar (vgl. auch die Urteile 6B_379/2012 vom 30. August 2012 E. 4 sowie
6B_643/2011 vom 26. Januar 2012 E. 3.5, worin eine Dauer von zwei Jahren
respektive rund 20 Monaten für die geschworenengerichtliche Urteilsmotivation
als noch vertretbar bezeichnet wurde).
4.2.4 Das Verfahren vor Kassationsgericht dauerte rund 5 Monate. Der
Beschwerdeführer erhob am 8. Januar 2012 kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Der
Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts wurde ihm am 18. Juni 2012
zugestellt. Diese Verfahrensdauer ist nicht zu beanstanden. Dass das
Kassationsgericht das Verfahren nicht zügig durchgeführt hat, behauptet auch
der Beschwerdeführer nicht.
4.2.5 Die zu beurteilende Gesamtdauer des Verfahrens von gut 5 Jahren ist mit
Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und die erhobenen Vorwürfe der
versuchten Tötung und des mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs nicht als überlang
zu betrachten (vgl. das Urteil 6B_45/2009 vom 4. März 2010 E. 2 mit Hinweisen).

4.3 Zusammenfassend nahmen weder die Gesamtheit noch die einzelnen Abschnitte
des Verfahrens übermässig viel Zeit in Anspruch. Das Beschleunigungsgebot wurde
nicht verletzt.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen
(Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Geschworenengericht des Kantons Zürich und
dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. November 2012

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga